Entscheidungsstichwort (Thema)
(Erwerb einer im Beitrittsgebiet befindlichen Apotheke von der Treuhandanstalt: Übergang eines Geschäftswerts, Bindung des BFH an die Tatsachenfeststellung des FG, auf nicht materielle Wirtschaftsgüter entfallende Zahlungen als "Privatisierungsaufwand - Behandlung des Geschäftswerts bei Aufteilung eines Unternehmens in Teilbetriebe)
Leitsatz (amtlich)
1. Bei Aufspaltung und Veräußerung eines für sich lebensfähigen Teils eines Staatsbetriebes durch die Treuhandanstalt kann ein Geschäftswert auf den Erwerber übergehen.
2. Hat das FG festgestellt, daß eine Zahlung für einen solchen Geschäftswert geleistet wurde, ist dies für den BFH grundsätzlich bindend.
Orientierungssatz
1. Hier: aus der zentralen staatlichen Arzneimittelversorgung der ehemaligen DDR herausgelöste Apotheke; Behandlung der nicht auf materielle Wirtschaftsgüter entfallenden "Privatisierungsaufwendungen" als Geschäftswert.
2. Bei der Aufteilung eines Unternehmens in Teilbetriebe geht der Geschäftswert nicht notwendigerweise unter. Die Möglichkeit, daß die derartigen Teilbetrieben anhaftenden Geschäftswerte in ihrer Summe nicht mehr dem Geschäftswert des ursprünglichen Gesamtwerts entsprechen, schließt die Zuordnung geschäftswertbildender Faktoren bei dem neugebildeten und veräußerten Betriebsteil nicht aus (Ausführungen zum Begriff des Geschäftswerts).
Normenkette
EStG DDR § 4 Abs. 1; EStG DDR 1990 § 4 Abs. 1; EStG DDR § 5 Abs. 1; EStG DDR 1990 § 5 Abs. 1; EStG DDR § 5 Abs. 2; EStG DDR 1990 § 5 Abs. 2; HGB § 242 Abs. 1 S. 1; EStG § 5 Abs. 2; FGO § 118 Abs. 2; DMBilG § 1; RVInkrsG § 16
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb von der Treuhandanstalt Berlin die A-Apotheke im Beitrittsgebiet. Nach § 1 Abs.1 des Kaufvertrags verkaufte die Treuhandanstalt die Apotheke einschließlich Apothekeneinrichtung, Warenlager und Geschäftswert nach Maßgabe der Richtlinie zur Bewertung von Apotheken. Der Kaufpreis für den Geschäftswert bestimmte sich gemäß § 2 Abs.3 des Kaufvertrages unter Anwendung eines Staffeltarifs nach dem jährlich bereinigten Nettoumsatz im Sinne der Richtlinie zur Bewertung von Apotheken während der ersten drei Jahre nach Abschluß des Vertrages und war in jährlichen Raten zu zahlen.
Die Klägerin bildete in ihrer Bilanz für das Rumpfwirtschaftsjahr vom 1. November bis 31. Dezember 1990 eine Rückstellung für "Privatisierungsaufwand", die sich der Höhe nach aus dem anteiligen Kaufpreis für den bezeichneten Geschäftswert für 1991 errechnete. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beurteilte diese Zahlung hingegen als Anschaffungskosten für ein immaterielles Wirtschaftsgut, das er unter Beachtung einer 15jährigen Nutzungsdauer abschrieb.
Die von der Klägerin hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte 1995, 659).
Die Klägerin rügt mit der Revision Verletzung des § 5 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes der DDR i.d.F. des Steueranpassungsgesetzes vom 22. Juni 1990 --EStG DDR 1970/90-- (Gesetzblatt der DDR --GBl DDR-- Sonderdruck 1427) i.V.m. § 249 Abs.1 des Handelsgesetzbuches (HGB), § 5 Abs.1 Satz 1 des D-Markbilanzgesetzes (DMBilG) i.V.m. § 255 Abs.4 HGB sowie § 50 Abs.2 Sätze 1 und 4 DMBilG i.V.m. § 5 Abs.2 EStG DDR 1970/90 und § 8 Abs.1 Satz 2 DMBilG und beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Finanzgerichts (FG) den Einkommensteuerbescheid 1990 und den Bescheid 1990 für natürliche Personen (Steuerrate) mit der Maßgabe abzuändern, die an die Treuhandanstalt für den Erwerb einer Apotheke geleisteten Zahlungen, die nicht auf materielle Wirtschaftsgüter entfallen, bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb im Jahr 1990 in vollem Umfang als Betriebsausgaben anzuerkennen.
Das FA beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Vorentscheidung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Die Klägerin ermittelt ihre Gewinne durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs.1, § 5 Abs.1 EStG DDR 1970/90). Es gelten für sie die allgemeinen Gewinnermittlungsgrundsätze. Entgegen der Auffassung des FG und der Beteiligten unterliegt die Klägerin nicht dem Anwendungsbereich des DMBilG, weil sie zum 1. Juli 1990 noch kein Handelsgewerbe betrieb. Dies setzt das DMBilG jedoch voraus (vgl. § 1 DMBilG). Die Klägerin mußte vielmehr zum 1. November 1990 eine Eröffnungsbilanz nach allgemeinen Grundsätzen erstellen (§ 5 Abs.1 EStG DDR 1970/90 i.V.m. § 242 Abs.1 Satz 1 HGB; vgl. auch § 16 des Gesetzes über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Juni 1990, GBl DDR I 1990, 357).
2. Nach § 5 Abs.2 EStG DDR 1970/90 ist für ein immaterielles Wirtschaftsgut ein Aktivposten anzusetzen, wenn dieses entgeltlich erworben wurde. Nach den Feststellungen des FG erwarb die Klägerin von der Treuhandanstalt im Zusammenhang mit dem Kauf der Apotheke einen Geschäftswert. Es handelt sich hierbei um eine Feststellung tatsächlicher Art, an die der Senat grundsätzlich gebunden ist (§ 118 Abs.2 FGO). Das gilt sowohl für die Frage, ob tatsächlich ein Geschäftswert im Zeitpunkt des Abschlusses des Vorvertrages vorhanden war als auch für die Frage, ob die streitige Zahlung hierfür gezahlt wurde, denn auch die Vertragsauslegung durch das FG gehört zu den tatsächlichen Feststellungen (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--; vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., § 118 Rdnr.17, m.w.N.). An die tatsächlichen Feststellungen des FG ist der Senat nur insoweit nicht gebunden, als die Klägerin eine formgerechte und begründete Verfahrensrüge erhebt oder das FG gegen allgemeine Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (ständige Rechtsprechung; Gräber/Ruban, a.a.O.). Beides trifft im Streitfall jedoch nicht zu.
a) Die Rüge der Klägerin, das FG habe seine Ermittlungspflicht (§ 76 Abs.1 Satz 1 FGO) dadurch verletzt, daß es kein Sachverständigengutachten zum Vorhandensein eines Geschäftswertes eingeholt habe, ist nicht in der vom Gesetz geforderten Form erhoben worden (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 17. Mai 1989 II B 45/89, BFH/NV 1990, 576). Insoweit ergeht die Entscheidung nach Art.1 Nr.8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs.
b) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß eine aus der zentralen staatlichen Arzneimittelversorgung herausgelöste Apotheke denklogisch keinen, auch keinen geringen, Geschäftswert haben könne.
Geschäftswert ist der Mehrwert, der einem gewerblichen Unternehmen über den Substanzwert der einzelnen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter abzüglich Schulden hinaus innewohnt. Er wird durch die Gewinnaussichten bestimmt, die, losgelöst von der Person des Unternehmers, aufgrund besonderer, dem Unternehmen eigenen Vorteile (z.B. Ruf, Kundenkreis, Organisation, usw.) höher oder gesicherter erscheint als bei einem anderen Unternehmen mit sonst vergleichbaren Wirtschaftsgütern (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18. Februar 1993 IV R 40/92, BFHE 171, 422, m.w.N.). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können einen Geschäftswert sowohl Betriebe als auch Teilbetriebe haben (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20. August 1986 I R 150/82, BFHE 149, 25, BStBl II 1987, 455; vom 24. April 1980 IV R 61/77, BFHE 131, 220, BStBl II 1980, 690). Mangels entsprechender Feststellungen des FG muß offenbleiben, ob die A-Apotheke während ihrer Zugehörigkeit zu pharmazeutischen Zentren oder weiteren Einrichtungen des staatlichen Gesundheitswesens die Merkmale eines Teilbetriebes im Sinne der Rechtsprechung aufwies. Auch wenn ein einheitlicher Betrieb mit einem grundsätzlich einheitlichen Geschäftswert (BFH in BFHE 131, 220, BStBl II 1980, 690) in einzelne organisatorisch geschlossene und allein lebensfähige (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil vom 25. Februar 1993 V R 35/89, BFHE 171, 100, BStBl II 1993, 641) Betriebe aufgeteilt wird und diese veräußert werden, so ist die Annahme möglich, daß mit dem nunmehr verselbständigten Betriebsteil gewinnchancenerhöhende Momente mit auf den Erwerber übertragen werden (so z.B. Kundenkreis, Ruf, Personalausstattung, örtliche Lage u.a.). Bei Aufteilung eines Unternehmens geht der Geschäftswert nicht notwendigerweise unter (vgl. BFH-Urteil vom 1. Dezember 1992 VIII R 57/90, BFHE 170, 320, BStBl II 1994, 607 unter IV.2.d). Die Möglichkeit, daß die derartigen Teilbetrieben anhaftenden Geschäftswerte in ihrer Summe nicht mehr dem Geschäftswert des ursprünglichen Gesamtunternehmens entsprechen, schließt die Zuordnung geschäftswertbildender Faktoren bei dem neugebildeten und veräußerten Betriebsteil nicht aus.
c) Auch die Annahme des FG, die Klägerin habe die streitigen Zahlungen für den Geschäftswert geleistet und nicht eine sog. Privatisierungsgebühr bezahlt, verstößt weder gegen Denkgesetze noch Erfahrungssätze. Immerhin spricht dafür schon der eindeutige Wortlaut des Apothekenkaufvertrages. Auch aus § 2 Abs.4 und 5 des Kaufvertrages läßt sich ein Verstoß gegen Denkgesetze u.a. nicht entnehmen. Nach § 2 Abs.4 des Kaufvertrages kann der Verkäufer nach seiner Wahl in Härtefällen den Kaufpreis durch eine Kürzung der zu zahlenden Prozentanteile herabsetzen oder die Zahlung ganz oder teilweise zinslos stunden. Diese Vereinbarung kann durchaus als Indiz dafür verstanden werden, daß die Vertragsparteien unter den bezeichneten Voraussetzungen den Geschäftswert als zu hoch bewertet ansehen wollten. Nach § 4 Abs.5 des Kaufvertrages bedarf der Weiterverkauf der Apotheke der Zustimmung der Treuhandanstalt. Im Falle des Weiterverkaufes erhöhte sich der Kaufpreis für die Apotheke um einen Ausgleichsbetrag in Höhe von 33 v.H. des Veräußerungsgewinns i.S. des § 16 Abs.2 EStG DDR 1970/90. Auch diese Vereinbarung kann in einen engen Zusammenhang mit dem Geschäftswert gebracht werden. Zum einen ging die Treuhandanstalt bei einer Weiterveräußerung das Risiko ein, daß der Käufer seine Zahlungsverpflichtungen für den Geschäftswert nicht mehr erfüllen werde. Zum anderen sollte offenbar die Treuhandanstalt an einer gewinnbringenden Weiterveräußerung des Geschäftswerts partizipieren.
Fundstellen
Haufe-Index 66083 |
BFH/NV 1996, 323 |
BStBl II 1996, 576 |
BFHE 180, 548 |
BFHE 1997, 548 |
BB 1996, 2037 |
BB 1996, 2037 (LT) |
DB 1996, 2158 (L) |
DStZ 1996, 710 (KT) |
HFR 1996, 742-743 (L) |
StE 1996, 624 (K) |
StRK, .20a (LT) |
FR 1996, 760-761 (KT) |
KFR, Fach 3 EStG-DDR § 5 1/97, S 17 (H 1/1997) (LT) |
BuW 1996, 741-742 (KT) |
BFH/NV BFH/R 1996, 323-324 (LT) |
BBK 1997, 192 |
D-spezial 1996, Nrn 51-52, 6-7 (KT) |
VIZ 1996, 714-715 (LT) |