Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Unterscheidung zwischen Leibrente und dauernder Last
Leitsatz (NV)
Die mit einer Verpflichtung zu wiederkehrenden Leistungen verbundene Klausel ,,Auf die Vorschrift des § 323 ZPO wird nicht verzichtet" genügt, um anstelle einer Leibrente eine dauernde Last bejahen zu können.
Normenkette
EStG 1975 § 10 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 323
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Ehefrau des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) erhielt von ihrer Mutter aufgrund notariellen Vertrags vom 9. November 1976 ein Grundstück mit Wohn- und Geschäftshaus und einer Wurstküche übertragen. Sie versprach ihrer Mutter in diesem Vertrag ein lebenslängliches Wohnrecht und die Zahlung einer ,,Leibrente" auf Lebenszeit in Höhe von 1 700 DM monatlich, beginnend mit dem 1. November 1976. Das Leibrentenversprechen ist mit einer Wertsicherungsklausel verbunden. Außerdem heißt es in dem notariellen Vertrag wörtlich: ,,Auf die Vorschrift des § 323 ZPO wird nicht verzichtet."
Der Kläger machte in seiner gemeinsam mit seiner Ehefrau abgegebenen Einkommensteuererklärung für das Jahr 1976 Zahlungen an seine Schwiegermutter in Höhe von 2 x 1 700 DM = 3 400 DM als dauernde Last geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte in der Zusammenveranlagung des Klägers mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer für das Jahr 1976 lediglich den bei einer Leibrente abziehbaren Ertragsanteil von 510 DM.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, gleichmäßige Leistungen entsprechend einer Leibrente entfielen nicht schon dann, wenn die Vertragsparteien die Anwendbarkeit der Rechtsgrundsätze des § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO) vereinbart hätten.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung des § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes 1975 (EStG).
Während des Revisionsverfahrens hat das FA am 25. Juli 1985 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1976 aus Gründen erlassen, die nicht im Streit sind. Der Kläger hat daraufhin gemäß § 68 i.V.m. § 121 und § 123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beantragt, den geänderten Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
1. Gegenstand des Verfahrens ist aufgrund der im Revisionsverfahren abgegebenen Erklärung des Klägers der geänderte Einkommensteuerbescheid 1976 vom 25. Juli 1985 (§§ 68, 121, 123 Satz 2 FGO). Der Senat hält es nicht für geboten, nach § 127 FGO das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen; denn die Streitsache ist spruchreif. Hinsichtlich des Streitpunktes - Abzug der Zahlungen an die Schwiegermutter von 3 400 DM - sind die tatsächlichen Grundlagen durch den geänderten Bescheid nicht berührt worden. Der erkennende Senat ist bereits in seinem Urteil vom 31. Juli 1984 IX R 3/79 (BFHE 142, 347, BStBl II 1985, 33) dementsprechend verfahren.
2. Das angefochtene Urteil war aufzuheben, weil es § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG verletzt. Das FG hat die Verpflichtung der Ehefrau des Klägers aufgrund des notariellen Vertrags vom 9. November 1976, ihrer Mutter wiederkehrende Leistungen von monatlich 1 700 DM auf Lebenszeit zu erbringen, rechtsirrtümlich als Leibrente und nicht als dauernde Last beurteilt.
Die Voraussetzungen einer Leibrente sind erfüllt, wenn regelmäßig wiederkehrende Leistungen in Geld oder vertretbaren Sachen in bestimmter Höhe zu erbringen sind. Dauernden Lasten fehlt hingegen das Merkmal der Gleichmäßigkeit. Sie bestehen in wiederkehrenden Aufwendungen, die ein Steuerpflichtiger für längere Zeit einem anderen gegenüber in Geld oder Sachwerten von unterschiedlicher Höhe aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung zu leisten hat und die nicht zu bestimmten Einkünften i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 EStG gehören (zuletzt Urteil des erkennenden Senats vom 30. Oktober 1984 IX R 2/84, BFHE 143, 317, BStBl II 1985, 610).
Wiederkehrende Zahlungen aufgrund eines Vermögensübertragungsvertrages sind mangels Gleichmäßigkeit beim Übernehmer als dauernde Last nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG abziehbar, wenn der Übertragungsvertrag eine ausdrückliche Vereinbarung zur Anpassung der wiederkehrenden Leistungen entsprechend dem Rechtsgedanken des § 323 ZPO enthält. Dabei hat die Rechtsprechung eine ,,bloße" Bezugnahme auf § 323 ZPO in dem Sinne, daß eine Abänderung nicht ausgeschlossen sein solle, als ausreichend angesehen, um das Merkmal der Gleichmäßigkeit der Rentenleistungen und damit eine nur mit dem Ertragsanteil abziehbare Leibrente als nicht gegeben zu erachten (so der erkennende Senat in BFHE 143, 317, BStBl II 1985, 610).
Bei dem zwischen der Ehefrau des Klägers und ihrer Mutter abgeschlossenen notariellen Vertrag vom 9. November 1976 handelt es sich um einen Vermögensübertragungsvertrag; dabei besteht im Falle einer Vermögensübertragung von Eltern auf Kinder im allgemeinen die Vermutung der Unentgeltlichkeit (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. August 1972 VIII R 36/66, BFHE 107, 365, BStBl II 1973, 111). Die Mutter übertrug der Ehefrau des Klägers einen Vermögensinbegriff, bestehend aus einem gemischtgenutzten Grundstück mit einem Wohn- und Geschäftshaus und einer Wurstküche. Die Ehefrau des Klägers verpflichtete sich im Gegenzug, ihrer Mutter Versorgungsleistungen zu erbringen, wie sie ein Vermögensübernehmer üblicherweise auf sich nimmt, nämlich ihr insbesondere lebenslänglich eine Wohnung unentgeltlich zu überlassen und wiederkehrende Zahlungen auf Lebenszeit zu erbringen.
Eine Gleichmäßigkeit der Rentenleistungen ist infolge der in dem Vertrag vom 9. November 1976 enthaltenen Bezugnahme auf den Rechtsgedanken des § 323 ZPO ausgeschlossen. In dem Vertrag heißt es im Zusammenhang mit dem ,,Leibrenten"-Versprechen: ,,Auf die Vorschrift des § 323 ZPO wird nicht verzichtet." Die Vertragsparteien haben eine Anpassung der Rentenhöhe nach den Rechtsgrundsätzen des § 323 ZPO bei einer Veränderung der Bedürftigkeit der Rentenberechtigten und der Leistungsfähigkeit der Rentenverpflichteten neben und unabhängig von der ebenfalls in der Vertragsurkunde enthaltenen Wertsicherungsklausel vereinbart. Anhaltspunkte dafür, daß die Rentenberechtigte eine Änderung der Rentenhöhe nur unter den in der Wertsicherungsklausel vorgesehenen Voraussetzungen verlangen kann, sind nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 414360 |
BFH/NV 1986, 457 |