Entscheidungsstichwort (Thema)
Option zur Steuerpflicht bei Zwangsversteigerung eines Erbbaurechts
Leitsatz (NV)
Verzichtet der Vollstreckungsschuldner im Zusammenhang mit der Versteigerung eines Erbbaurechts, dessen Inhaber er war, auf die Steuerfreiheit dieses Grundstücksumsatzes, so ist die Option zur Steuerpflicht jedenfalls dann nicht nach § 42 AO 1977 unwirkam, wenn der Erwerber kein Gläubiger des Vollstreckungsschuldners war und das Entgelt für die Grundstückslieferung bar beglichen hat (Anschluß an BFH-Urteile vom 6. Juni 1991 V R 70/89, BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866; vom 16. März 1993 V R 54/92, BFHE 171, 7, BStBl II 1993, 736).
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 9 Abs. 1; UStG 1993 § 18 Abs. 8 S. 1 Nr. 3; UStDV 1993 § 51 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; AO 1977 § 41 Abs. 2, § 42
Tatbestand
Nach Abweisung eines die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreffenden Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens - mangels Masse (§ 107 Abs. 1 der Konkursordnung - KO -) - und Auflösung der Klägerin wurde im Juli 1986 ein Erbbaurecht, dessen Inhaberin die Klägerin war, zwangsversteigert. Den Zuschlag erhielt ihr Gesellschafter und ehemaliger Geschäftsführer A als Meistbietender zu einem Bargebot in Höhe von ... DM. Der Versteigerungserlös wurde vollständig an die Gläubiger der Klägerin ausgekehrt.
Die Klägerin erteilte A am 31. Juli 1986 eine Rechnung, in der sie aus dem Versteigerungserlös Umsatzsteuer in Höhe von ... DM herausrechnete und offen auswies. Den Umsatz unterwarf sie in ihrer Umsatzsteuervoranmeldung für Juli 1986 der Umsatzsteuer. Eine Zahlung auf den vorangemeldeten Betrag erfolgte nicht.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte in dem angefochtenen Bescheid die Option zur Steuerpflicht (§ 9 i.V.m. § 4 Nr. 9 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes - UStG 1980 -) mit der Begründung nicht an, daß eine wirksame Option nur dann möglich sei, wenn der Umsatz nicht nur formal, sondern auch tatsächlich durch Entrichtung der Ausgangssteuer als steuerpflichtig behandelt werde. Dementsprechend schulde die Klägerin die in der Rechnung offen ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 2 UStG 1980. Zugleich seien die bei der Errichtung des Betriebsgebäudes entstandenen Vorsteuerbeträge gemäß § 15a UStG 1980 in Höhe von ... DM zu berichtigen.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1989, 658 abgedruckten Urteil ab. Zur Begründung führte es aus, die Option der Klägerin zur Steuerpflicht sei rechtsmißbräuchlich i.S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977). Die Herausrechnung der Umsatzsteuer aus dem Bargebot bedeute einen Entgeltsverzicht. Bei einer steuerfreien Veräußerung wäre nur die Forderung des FA gemäß § 15a UStG 1980 enstanden. Bei steuerpflichtiger Veräußerung habe die Forderung des FA dagegen rd. ... DM mehr betragen. Wirtschaftliche Gründe für den Entgeltsverzicht seien weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich. Die Option habe allein den Sinn gehabt, zu Lasten des Fiskus dem Erwerber einen ihm nicht zustehenden Vorteil zu verschaffen.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 42 AO 1977. Sie meint, das FG habe verkannt, daß der Erwerber gemäß § 14 Abs. 1 UStG 1980 einen Anspruch auf Rechnungserteilung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis gehabt habe. Im übrigen habe sie bei steuerfreier Veräußerung mit einer Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG 1980 in Höhe von ... DM rechnen müssen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und antragsgemäßen Festsetzung der Umsatzsteuer für 1986 (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Das FA hat zu Unrecht Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 2 und § 15a UStG 1980 gegen die Klägerin festgesetzt. Die Anwendung dieser Vorschriften setzt voraus, daß die Klägerin das Erbbaurecht steuerfrei geliefert hätte. Das war nicht der Fall.
a) Die Zwangsversteigerung eines Erbbaurechts unterliegt der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes - GrEStG - 1983) und ist deshalb gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980 umsatzsteuerfrei. Die Klägerin hat jedoch wirksam auf die Steuerfreiheit verzichtet (§ 9 Abs. 1 UStG 1980).
Nach der Rechtsprechung des Senats führt die Zwangsversteigerung eines Grundstücks umsatzsteuerrechtlich zu einer Lieferung des Grundstückseigentümers unmittelbar an den Ersteher (Senatsurteile vom 19. Dezember 1985 V R 139/76, BFHE 146, 484, BStBl II 1986, 500; vom 6. Juni 1991 V R 115/87, BFHE 165, 113, BStBl II 1991, 817). Der frühere Grundstückseigentümer kann auf die Steuerfreiheit des Grundstücksumsatzes verzichten (§ 9 Abs. 1 UStG 1980), und zwar auch noch nach Abschluß des Versteigerungsverfahrens (Senatsurteil in BFHE 146, 484, BStBl II 1986, 500). Entsprechendes gilt bei der Versteigerung eines Erbbaurechts. Der Schutz der Vollstreckunggläubiger steht der Option zur Steuerpflicht jedenfalls dann nicht entgegen, wenn - wie im Streitfall - die Option keine Auswirkungen auf die Verteilung des Versteigerungserlöses hat.
b) § 41 Abs. 2 AO 1977 schließt die Option nicht aus. Der Verzicht auf die Umsatzsteuerfreiheit ist weder ein Scheingeschäft noch eine Scheinhandlung, sondern wirklich gewollt (vgl. Senatsurteil vom 6. Juni 1991 V R 70/89, BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866 unter 2.).
c) Auch § 42 AO 1977 hindert die Option nicht.
Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist im Streitfall zwar lediglich zu entscheiden, ob die Mißbrauchsfolgen des § 42 AO 1977 die Klägerin treffen, nicht aber auch, ob dies hinsichtlich des Erwerbers A der Fall ist (vgl. Urteil in BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866 unter 3. b). Da der Verzicht auf die Steuerbefreiung (§ 9 UStG 1980) dem Erwerber den Vorsteuerabzug aber regelmäßig gerade ermöglichen soll (vgl. BFH in BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866 unter 4.), kann die Option für die Steuerpflicht in der Person des Veräußerers jedenfalls dann nicht mißbräuchlich sein, wenn der Vorsteuerabzug des Erwerbers gerechtfertigt ist. Behandelt der Grundstücksveräußerer eine Grundstückslieferung als steuerpflichtig, ist der Vorsteuerabzug durch den Grundstückserwerber grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich (Senatsurteil in BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866, unter 4.). Der Senat hat einen Mißbrauch beim Erwerber lediglich für den Fall bejaht, daß dieser den vereinbarten Kaufpreis (einschließlich Umsatzsteuer) dem Verkäufer gar nicht auszahlt, sondern mit eigenen Gegenforderungen verrechnet (vgl. hierzu noch Reiß, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1992, 42; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 42 AO 1977 Tz. 36; Weiß, UR 1991, 317, und die Urteilsanmerkung in Höchstricherliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1992, 20). So liegen die Dinge im Streitfall nicht, da A kein Gläubiger der Klägerin war und das Bargebot beglichen hat.
Dieses Ergebnis findet eine gewisse Bestätigung in der Neuregelung in § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) durch die Neunte Verordnung zur Änderung der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung vom 3. Dezember 1992 (BGBl I, 1992, 1982, BStBl I 1993, 49) aufgrund der durch das Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz vom 25. August 1992 (BGBl I 1992, 1548) geschaffenen Ermächtigung in § 18 Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 UStG. Nach der UStDV-Bestimmung hat der Ersteher bei einer steuerpflichtigen Lieferung eines Grundstücks im Zwangsversteigerungsverfahren durch den Vollstreckungsschuldner die Steuer von der Gegenleistung einzubehalten und an das für ihn zuständige FA abzuführen. Durch diese Regelung hat der Verordnungsgeber sichergestellt, daß der Verzicht auf die Steuerfreiheit bei der Zwangsversteigerung eines Grundstücks nicht dadurch zu Steuerausfällen führt, daß dem Erwerber zwar der Vorsteuerabzug zusteht, der Vollstreckungsschuldner als leistender Unternehmer aber die geschuldete Steuer für den Grundstücksumsatz nicht an das FA abführen kann. Der Verordnungsgeber hat mithin in Betracht gezogen, daß § 42 AO 1977 der Option eines Veräußerers nicht entgegenstehen könnte.
Fundstellen