Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitweiliges Entfernen des Versandscheins von der Ware begründet Abgabenschuld; § 10 Abs. 1 Satz 1 TabStG 1980 ist verfassungsgemäß; Verhalten eines Zollbeamten als "agent provocateur" kann Abgabenerlass rechtfertigen; zum Einstehenmüssen des Hauptverpflichteten für das Verschulden des Erfüllungsgehilfen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine ―nicht aus zoll- oder beförderungstechnischen Gründen bedingte― auch nur zeitweilige Entfernung des Versandscheins von der Ware führt im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren zu einem Entziehen der Ware aus der zollamtlichen Überwachung und begründet folglich die Abgabenschuld (Anschluss an das EuGH-Urteil vom 29. April 2004 Rs. C-222/01).
2. Die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 TabStG 1980, wonach die Tabaksteuerschuld infolge der Nichtverweisung auf die zollrechtlichen Vorschriften über das Erlöschen der Zollschuld bei einer Einziehung der tabaksteuerpflichtigen Ware nicht erlosch, verstieß nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, sondern war durch sachgerechte Gründe gerechtfertigt.
3. Geht eine Zuwiderhandlung gegen das gemeinschaftliche Versandverfahren auf das Verhalten eines als verdeckter Ermittler auftretenden Zollfahndungsbeamten zurück (sog. "agent provocateur"), liegt darin ein besonderer Umstand, der zum Erlass/zur Erstattung der dadurch hervorgerufenen Abgabenschuld führen kann (Anschluss an das EuGH-Urteil vom 29. April 2004 Rs. C-222/01).
4. Dem Anspruch auf Erlass/Erstattung des Hauptverpflichteten eines gemeinschaftlichen Versandverfahrens nach Art. 13 VO Nr. 1430/79 steht das Verschulden von Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner zollrechtlichen Pflichten aus dem Versandverfahren bedient hat, nicht entgegen. Schädlich ist nur eigenes Verschulden in Form von betrügerischer Absicht oder offensichtlicher Fahrlässigkeit (Änderung der Rechtsprechung im Anschluss an das EuGH-Urteil vom 29. April 2004 Rs. C-222/01).
Normenkette
EWGV 1430/79 Art. 2 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 S. 1; EWGV 2144/87 Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b; EWGV 1031/88 Art. 4 Abs. 2; EWGV 222/77 Art. 11 Buchst. a; EWGV 3799/86 Art. 4; GG Art. 3 Abs. 1; TabStG 1980 § 10 Abs. 1 S. 1; TabStG 1993 § 21 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) begehrt die Erstattung von Tabaksteuer, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt ―HZA―) gegen sie als Hauptverpflichtete wegen angeblicher Zuwiderhandlungen im gemeinschaftlichen Versandverfahren festgesetzt hat.
Im Juni 1992 wurde einem verdeckt ermittelnden Zollfahndungsbeamten von einem namentlich unbekannten Osteuropäer über einen Mittelsmann ein Container mit zur Ausfuhr nach Polen bestimmten Zigaretten der Marke "GA" ohne Steuerbanderolen zum Kauf angeboten. Bei näheren Kontakten des verdeckten Ermittlers mit den Verkäufern am 14. Juli 1992 wurde vereinbart, dass Bezahlung und Übergabe der Zigaretten am 16. Juli 1992 auf dem Gelände einer bestimmten Spedition in N (Deutschland) erfolgen sollten. Anschließend wurde dem verdeckten Ermittler auf dessen Verlangen auf einem Parkplatz in der Nähe von B aus einiger Entfernung ein polnischer Auflieger gezeigt, in dem sich die Zigaretten befinden sollten. Da der verdeckte Ermittler jedoch nicht näher an den Auflieger herangelassen wurde, konnte er die Zollverschlüsse nicht sehen.
Am 9. Juli 1992 ließ die Rechtsvorgängerin der Klägerin mit Sitz in Z (Niederlande) auf Weisung einer schweizerischen Gesellschaft des Konzerns, zu dem auch sie gehörte, eine Sendung mit 11 Mio. Zigaretten der Marke "GA" beim Zollamt Z zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren abfertigen. Die Frist zur Wiedergestellung der Waren wurde von der Abgangszollstelle auf den 16. Juli 1992 bestimmt. Der Versandschein enthielt keine Angaben zur Nationalität und Identität des Beförderungsmittels. Die darin als Empfänger der Waren angegebene Firma in S (Russland) stimmte nicht mit den entsprechenden Angaben in Lieferschein und Rechnung überein. Nach den Angaben des polnischen Fahrers des LKW, mit dem die Zigaretten transportiert wurden, sind ihm die Zoll- und Transportpapiere während des Transports dreimal abgenommen und nach einiger Zeit wieder zurückgegeben worden. Einen Austausch oder eine Veränderung der Papiere konnte der Fahrer weder bestätigen noch verneinen.
Verabredungsgemäß wurde der LKW am 16. Juli 1992 mit dem Auflieger auf den Hof der Spedition gebracht, wo er geöffnet und teilweise entladen wurde. Nach den Angaben der Zollfahndungsbeamten, die zunächst noch unerkannt blieben und diesen Vorgang beobachteten, habe der Beifahrer des LKW nach der Ankunft auf dem Hof zu einem der Zollfahndungsbeamten zwecks Übergabe der Zigaretten Kontakt aufgenommen. Dann sei der LKW rückwärts an die Lagerhalle gesetzt worden. Der Beifahrer sei mit einem weiteren Mitglied der Schmugglerbande vor der Abladung kurz im Gebäude der Spedition gewesen. Der Fahrer habe das Schloss, mit dem der Laderaum verschlossen war, mit einem Bolzenschneider aufgebrochen, den er sich von einem Arbeiter der Spedition ausgeliehen habe. Nach dem Öffnen der Ladetüre sei festgestellt worden, dass das Fahrzeug voll beladen gewesen sei. Anschließend sei etwa 1/5 der Ladung abgeladen und stichprobenweise auf ihren Inhalt hin überprüft worden. In sämtlichen Kartons hätten sich Zigaretten ohne Steuerzeichen befunden. Danach wurden der Fahrer und sein Beifahrer festgenommen. Bei der körperlichen Durchsuchung des Fahrers wurde in seiner Hosentasche eine abgerissene niederländische Zollplombe gefunden, die der Fahrer von der Ladetür entfernt hatte, nachdem er das Schloss aufgebrochen hatte. Der Fahrer sagte bei seiner Vernehmung aus, er wisse, dass man die Plombe nicht ohne weiteres entfernen dürfe. Er habe aber gedacht, bei dem Gebäude handele es sich um ein Zollamt oder Ähnliches. LKW und Ladung wurden schließlich von den Beamten des Zollfahndungsamtes zum Zwecke ihrer späteren Einziehung beschlagnahmt. Die Zigaretten wurden später vernichtet.
Das HZA sah in der Verletzung des Zollverschlusses und der anschließenden Entladung der Zigaretten eine Entziehung der Ware aus der zollamtlichen Überwachung und nahm deshalb die Klägerin als Abgabenschuldnerin durch Steuerbescheid vom 7. August 1992 auf Tabaksteuer in Höhe von … DM in Anspruch.
Am 24. November 1992 beantragte die Rechtsvorgängerin der Klägerin beim HZA den Erlass der Tabaksteuer aus allen Gründen, in erster Linie aber aufgrund von Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 (VO Nr. 1430/79) des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 175/1) i.d.F. der Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom 7. Oktober 1986 (ABlEG Nr. L 286/1). Das HZA lehnte den Antrag mit der angefochtenen Verfügung vom 14. Januar 1993 i.d.F. der Beschwerdeentscheidung vom 4. Mai 1993 ab.
Mit der erfolglosen Klage begehrte die Klägerin, das HZA zu verpflichten, ihr die angeforderte und inzwischen entrichtete Tabaksteuer zu erstatten. Das Finanzgericht (FG) führte im Einzelnen aus, dass ein Erstattungsanspruch der Klägerin nach der VO Nr. 1430/79, auf die § 10 Abs. 1 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) 1980 vom 13. Dezember 1979 (BGBl I, 2118) in der bis zum 31. Dezember 1992 gültigen Fassung verweise, nicht gegeben sei.
Ein Erstattungsanspruch aus Rechtsgründen nach Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 1430/79 sei nicht gegeben, da das HZA die Klägerin als Hauptverpflichtete des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens zu Recht als Abgabenschuldnerin in Anspruch genommen habe. Die Abgabenschuld sei durch Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung bereits dadurch entstanden, dass der Versandschein, wenn auch nur vorübergehend, von der Ware entfernt worden sei. Mit diesem Vorgang habe der verdeckte Ermittler nichts zu tun gehabt. Es könne daher offen bleiben, ob die Tätigkeit des verdeckten Ermittlers zur Zollschuldentstehung aufgrund des Bruchs des Zollverschlusses geführt habe. Der Entstehung der Abgabenschuld stehe nicht entgegen, dass der verdeckte Ermittler das Scheitern des Versandverfahrens ohne Rücksicht auf die Interessen der Klägerin herbeigeführt habe. Für ihn und die hinter ihm stehende Zollverwaltung habe keine Möglichkeit bestanden, die Klägerin in Bezug auf die Eröffnung bestimmter Versandverfahren auf die geplante Entnahme der Zigaretten in den freien Verkehr hinzuweisen. Die Abgabenschuld sei durch die Einziehung der Zigaretten auch nicht erloschen, weil § 10 Abs. 1 TabStG insoweit nicht auf die entsprechende gemeinschaftsrechtliche Vorschrift verweise.
Der Klägerin stehe auch kein Erstattungsanspruch aus Billigkeitsgründen nach Art. 13 VO Nr. 1430/79 zu, weil sie sich nicht auf ein Fehlen der betrügerischen Absicht berufen könne. Insoweit müsse sie sich das Verhalten der von ihr mit der Durchführung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens Beauftragten entgegenhalten lassen. Selbst wenn aber ein Fehlen der betrügerischen Absicht angenommen werden sollte, seien die Voraussetzungen des Art. 13 VO Nr. 1430/79 nicht erfüllt, weil das Tätigwerden des verdeckten Ermittlers kein besonderer Umstand im Sinne dieser Vorschrift sei. Die Zollverwaltung habe die Klägerin nicht vorwarnen können. Zwischen der Entstehung der Tabaksteuerschuld durch das Entfernen der Versandpapiere und der Tätigkeit des verdeckten Ermittlers bestehe kein Zusammenhang. Einen besonderen Umstand stellten weder die Schwächen des Versandverfahrens noch die fehlende Möglichkeit zur Abwälzung der Tabaksteuer auf die Abnehmer dar.
Wegen des fehlenden Verweises in § 10 Abs. 1 TabStG auf die zollrechtlichen Erlöschensvorschriften liege auch keine Regelungslücke vor, die entsprechend den Bestimmungen der seinerzeit geltenden anderen Verbrauchsteuergesetze zu lösen sei. Die Vorschrift verstoße außerdem nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―), indem darin anders als in den anderen Verbrauchsteuervorschriften die Verweisung auf die zollschuldrechtlichen Erlöschensvorschriften unterblieben sei.
Mit der vorliegenden Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und macht die Verletzung materiellen Rechts durch die Vorentscheidung geltend.
Sie ist der Auffassung, die vorübergehende Trennung der Versandpapiere von der Ware stelle kein Entziehen der Ware aus der zollamtlichen Überwachung dar. Der Bruch des Zollverschlusses auf Veranlassung des verdeckten Ermittlers und das Abladen der Ware sei, anders als das FG meine, ebenfalls kein Entziehen, weil Zollbeamte den Vorgang von Beginn an ununterbrochen beobachtet hätten. Zu berücksichtigen sei ferner, dass § 10 Abs. 1 TabStG auf die zollrechtlichen Vorschriften über den Erlass und die Erstattung verweise. Art. 2 Abs. 1 Anstrich 1 Alternative 2 VO Nr. 1430/79 bestimme, dass die Eingangsabgaben zu erstatten seien, wenn die Zollschuld anders als durch Zahlung oder Verjährung erloschen sei. Da nach den zollrechtlichen Vorschriften die Zollschuld als Folge der Einziehung erlösche, müsse auch im Streitfall die Einziehung der Zigaretten zur Erstattung führen.
Anders als das FG meine, sei eine Erstattung bei Vorliegen besonderer Umstände nur ausgeschlossen, wenn die Klägerin selbst in betrügerischer Absicht gehandelt habe. Eine Verantwortung für fremdes Verschulden sei im Gemeinschaftsrecht nicht vorgesehen und könne nicht aus nationalem Recht hergeleitet werden. Das Verhalten der Zollbeamten im Streitfall sei ein besonderer Umstand i.S. des Art. 13 VO Nr. 1430/79. Die Einziehung der Zigaretten durch die Zollverwaltung und die fehlende Möglichkeit zur Abwälzung der Steuer stelle ebenfalls einen besonderen Umstand im Sinne der Vorschrift dar.
Die Klägerin beantragt, das HZA unter Aufhebung der Vorentscheidung zu verpflichten, an die Klägerin … DM zu erstatten.
Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es teilt mit seinen Ausführungen die Auffassung des FG.
Im Verlauf des Revisionsverfahrens holte der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 24. April 2001 VII R 1/00 (BFHE 195, 64), auf dessen Begründung verwiesen wird, beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art. 234 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft eine Vorabentscheidung u.a. zu folgenden Rechtsfragen ein:
"1. Wird eine zum gemeinschaftlichen Versandverfahren abgefertigte Ware dadurch der zollamtlichen Überwachung entzogen, dass der Versandschein T1 zeitweilig von der Sendung entfernt wird?
2. …
3. Für den Fall, dass der Gerichtshof eine der unter Nrn. 1 und 2 gestellten Fragen bejaht:
Liegen besondere Umstände i.S. des Art. 13 VO Nr. 1430/79 vor, wenn ein als verdeckter Ermittler tätig gewordener Zollfahndungsbeamter Zuwiderhandlungen im gemeinschaftlichen Versandverfahren provoziert hat? Schließt die betrügerische Absicht oder das offensichtlich fahrlässige Verhalten von Personen, derer sich der Hauptverpflichtete bei der Erfüllung seiner im gemeinschaftlichen Versandverfahren übernommenen Pflichten bedient, eine Erstattung der durch die Entziehung der zum gemeinschaftlichen Versandverfahren abgefertigten Waren aus der zollamtlichen Überwachung entstandenen Abgaben an den Hauptverpflichteten aus?"
Mit Urteil vom 29. April 2004 Rs. C-222/01 (BFH/NV Beilage 2004, 286), auf dessen Gründe ebenfalls verwiesen wird, hat der EuGH hierauf geantwortet:
"1. Die zeitweilige Entfernung des Versandscheins T1 von der Ware, auf die er sich bezieht, verhindert es, dass er auf Verlangen der Zollstellen vorgelegt werden kann, und stellt damit eine Entziehung dieser Ware aus der zollamtlichen Überwachung im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung (EWG) Nr. 2144/87 des Rates vom 13. Juli 1987 über die Zollschuld dar, auch wenn die Zollverwaltung zu keinem Zeitpunkt die Vorlage des Versandscheins verlangt oder festgestellt hat, dass er ihr nicht ohne nennenswerte Verzögerung hätte vorgelegt werden können.
2. Der Umstand, dass die Zuwiderhandlungen gegen das gemeinschaftliche Versandverfahren auf das Verhalten eines als verdeckter Ermittler tätig gewordenen Zollfahndungsbeamten zurückgehen, stellen einen besonderen Umstand im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom 7. Oktober 1986 dar, der gegebenenfalls den Erlass oder die Erstattung der vom Hauptverpflichteten gezahlten Abgaben rechtfertigt, sofern ihm keine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann.
3. Eine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit der Personen, deren sich der Hauptverpflichtete bedient hat, um Pflichten zu erfüllen, die er im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren übernommen hat, schließt als solche die Erstattung der Abgaben, die durch die Entziehung der in dieses Verfahren überführten Waren aus der zollamtlichen Überwachung entstanden sind, an ihn nicht aus, soweit ihm keine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann."
Die Beteiligten hatten Gelegenheit, sich zu diesem Urteil des EuGH zu äußern. Unter Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung halten sie an ihren Anträgen fest. Die Klägerin ist der Auffassung, die Ausführungen des Senats im Vorlagebeschluss, wonach nach den bindenden Feststellungen des FG außer Frage stehe, dass die Klägerin selbst weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt habe, erübrigten weitere Untersuchungen und Stellungnahmen zu dem ansonsten klarstellenden Urteil des EuGH.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung durch das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat zwar zutreffend entschieden, dass der Klägerin ein Erstattungsanspruch aus Rechtsgründen nicht zusteht; seine Ausführungen zur Ablehnung des Erstattungsanspruchs aus Billigkeitsgründen sind indessen nicht frei von Rechtsfehlern. Der Senat kann jedoch mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des FG zu diesem Komplex in der Sache nicht abschließend entscheiden.
1. Zutreffend hat das FG erkannt, dass der Klägerin ein Erstattungsanspruch gegen das HZA aus Rechtsgründen nicht zusteht. Die Klägerin kann nicht nachweisen, dass der buchmäßig erfasste Betrag Waren betrifft, für die keine Tabaksteuerschuld entstanden ist oder für die die Tabaksteuerschuld aus einem anderen Grund als wegen Entrichtung des entsprechenden Betrags oder Verjährung erloschen ist (§ 10 Abs. 1 TabStG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Anstrich 1 VO Nr. 1430/79). Vielmehr steht nach der vom Senat eingeholten Vorabentscheidung des EuGH fest, dass der begehrte Betrag von der Klägerin als Tabaksteuerschuldnerin geschuldet war.
a) Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 TabStG wird für die Steuerregelung bei der Einfuhr von Tabakwaren in das Erhebungsgebiet namentlich hinsichtlich der Entstehung der Tabaksteuer, der Person des Steuerschuldners und der Erstattung der Steuer auf die sinngemäße Anwendung der Vorschriften für Zölle verwiesen, und zwar unabhängig davon, ob bei der konkreten Einfuhr auch Zoll zu erheben ist (Satz 2 der Vorschrift). Da die Klägerin im Rahmen des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens Zigaretten in das Erhebungsgebiet verbracht hat, die hier infolge der Nichterledigung dieses Verfahrens in den steuerrechtlich freien Verkehr getreten sind, liegt eine Einfuhr im Sinne dieser Vorschrift vor mit der Folge, dass für den von der Klägerin geltend gemachten Tabaksteuererstattungsanspruch die zollrechtlichen Vorschriften der VO Nr. 1430/79 sinngemäß heranzuziehen sind, wobei für "Eingangsabgaben" jeweils "Tabaksteuer" zu lesen ist.
b) Nach Art. 2 Abs. 1 Anstrich 1 Alternative 1 VO Nr. 1430/79 wird die Tabaksteuer insoweit erstattet, als den zuständigen Behörden nachgewiesen wird, dass für die betreffenden Waren keine Tabaksteuer entstanden ist. Im Streitfall ist aber nach der für den Senat verbindlichen Auslegung des EuGH in der im Streitfall eingeholten Vorabentscheidung die Tabaksteuer wegen Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung entstanden (Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EWG) Nr. 2144/87 ―VO Nr. 2144/87― des Rates vom 13. Juli 1987 über die Zollschuld, ABlEG Nr. L 201/15, i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 TabStG). Hiernach genügt bereits die zeitweilige Entfernung des Versandscheins T1 von der Ware, auf die er sich bezieht, für die Annahme eines Entziehens, weil darin eine Handlung zu sehen ist, die dazu führt, dass die zuständige Zollbehörde, sei es auch nur zeitweise, am Zugang zu einer unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ware und an der Durchführung der vom gemeinschaftlichen Zollrecht vorgesehenen Prüfungen gehindert wird (Abs. 53 der Vorabentscheidung). Ob die Zollbehörde in der fraglichen Zeit eine solche Prüfung tatsächlich vornehmen wollte, ist unerheblich, weil es beim Entziehen nur auf das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen, also auf das Fehlen des Versandscheins bei der Ware, ankommt. Ebenso spielt es keine Rolle, ob die zeitweilige Entfernung des Versandscheins von der Ware konkrete Auswirkungen auf die Ordnungsmäßigkeit des Versandverfahrens hatte, also kausal für die Nichterledigung des Verfahrens war (Abs. 54 der Vorabentscheidung).
Im Streitfall ist der Versandschein insgesamt dreimal für einige Zeit von den Waren entfernt worden, wobei der Fahrer nicht wusste, wo sich der Versandschein in dem jeweiligen Zeitraum befand und daher bei einer evtl. Kontrolle auch keine Angaben dazu hätte machen können. Da die zeitweilige Entfernung des Versandscheins auch nicht durch zoll- oder beförderungstechnische Gründe bedingt war ―diese Präzisierung erscheint dem erkennenden Senat erforderlich, um Fallgruppen vom Anwendungsbereich des vom EuGH aufgestellten Rechtssatzes auszuschließen, bei denen es z.B. auf Anordnung der Zollbehörden selbst zwangsläufig zu einer zeitweiligen körperlichen Trennung von Versandschein und Ware kommen kann (vgl. kritisch auch im Hinblick auf andere Fallgestaltungen Stüwe, Die zollrechtliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz aus dem Jahre 2004, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern ―ZfZ― 2005, 146, 151)―, war der Konnex zwischen Ware und Versandschein und damit die zollamtliche Überwachung in diesen Zeiträumen unterbrochen, die Ware also der zollamtlichen Überwachung entzogen. Schon deshalb ist die Tabaksteuerschuld entstanden. Auf die weiteren Zuwiderhandlungen im Verlaufe des Versandverfahrens kommt es daher für die Entstehung der Steuerschuld im Streitfall nicht an.
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 TabStG i.V.m. Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1031/88 des Rates vom 18. April 1988 über die zur Erfüllung einer Zollschuld verpflichteten Personen (ABlEG Nr. L 102/5) ist die Klägerin auch Abgabenschuldnerin geworden. Denn sie hatte als Hauptverpflichtete im gemeinschaftlichen Versandverfahren gemäß Art. 11 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 222/77 (VO Nr. 222/77) des Rates vom 13. Dezember 1976 über das gemeinschaftliche Versandverfahren (ABlEG Nr. L 38/1) gegenüber den zuständigen Behörden für die ordnungsgemäße Durchführung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens einzustehen.
c) Der Klägerin steht ein Erstattungsanspruch aus Rechtsgründen auch nicht nach Art. 2 Abs. 1 Anstrich 1 Alternative 2 VO Nr. 1430/79 zu. Ein solcher Anspruch setzte voraus, dass die Tabaksteuerschuld aus einem anderen Grund als wegen Entrichtung des entsprechenden Betrags oder Verjährung erloschen wäre. Zu Unrecht beruft sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auf die Einziehung der Zigaretten nach der Beschlagnahme durch das Zollfahndungsamt. Zwar erlosch nach der im Streitfall maßgeblichen Rechtslage eine Zollschuld gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. b VO Nr. 2144/87 durch Einziehung der Ware. Diese Vorschrift ist aber im Falle der Tabaksteuer nicht sinngemäß anwendbar, weil § 10 Abs. 1 Satz 1 TabStG nicht auf die Vorschriften über das Erlöschen der Zollschuld verweist. Das FG hat in seinem Urteil (S. 19 ff.) zutreffend dargelegt, dass der Gesetzgeber im TabStG ―anders als bei den anderen bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Verbrauchsteuergesetzen (vgl. z.B. zur Regelung des § 154 Abs. 1 des Branntweinmonopolgesetzes ―BranntwMonG― das Senatsurteil vom 4. August 1992 VII R 74/90, BFHE 169, 269)― für die Einfuhrfälle das Erlöschen der Tabaksteuer bewusst nicht durch einen Verweis auf die zollrechtlichen Vorschriften geregelt wissen wollte. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an.
Das FG hat ferner überzeugend ausgeführt, dass die Nichtverweisung in § 10 Abs. 1 Satz 1 TabStG auf die zollrechtlichen Vorschriften über das Erlöschen der Zollschuld nicht gegen das GG, insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt. Der Senat teilt die Auffassung des FG, dass sachgerechte Gründe diese Regelung bei der Tabaksteuer zu rechtfertigen vermögen.
Zum einen ist die steuerliche Belastung bei Zigaretten, der wichtigsten tabaksteuerpflichtigen Ware, im Vergleich zur Belastung mit Zoll sehr hoch. Ihre angesichts der handelsüblichen Verpackungen leichte Transportfähigkeit schafft zudem, wie die Erfahrungen zeigen, einen starken Anreiz, die hohe Abgabenbelastung durch Schmuggel zu umgehen. Würde in den Fällen der Einziehung auf die Erhebung der Tabaksteuer verzichtet, wären Schmuggel und Steuerhehlerei ohne größere finanzielle Risiken möglich. Es versteht sich von selbst, dass der Gesetzgeber dies nicht hinnehmen muss. So hat auch der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung den rechtfertigenden Grund für die Besteuerung der Zigaretten trotz Einziehung in einer vom Gesetzgeber erhofften oder erwarteten Sanktions- und Präventionswirkung gesehen (vgl. so im Anschluss an Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, 1997, S. 236, im Hinblick auf die vergleichbare Nachfolgeregelung des § 21 Satz 1 TabStG 1993 die Senatsentscheidungen vom 7. Mai 2002 VII B 184/01, BFH/NV 2002, 1186, und vom 20. Juli 2004 VII R 38/01, BFHE 207, 81).
Zum anderen bestätigt gerade die angeführte Nachfolgeregelung, in der der Gesetzgeber die Fälle des Erlöschens der Tabaksteuerschuld durch Einziehung von den übrigen Erlöschensfällen differenziert und damit, um jeden Zweifel auszuschließen, jetzt ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der Verweisung auf die zollrechtlichen Vorschriften herausgenommen hat, dass dem Gesetzgeber die dargestellte Sanktions- und Präventionswirkung sehr wichtig ist, und zwar so wichtig, dass er sie im Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2150) sogar ausdrücklich auch in andere Verbrauchsteuergesetze übernommen hat (vgl. § 23 Satz 1 des Mineralölsteuergesetzes 1993, § 147 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG, § 13 Abs. 1 Satz 1 des Biersteuergesetzes, § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Besteuerung von Schaumwein und Zwischenerzeugnissen, § 13 Satz 1 des Kaffeesteuergesetzes). Hieraus ergibt sich klar und unmissverständlich, dass die Einziehung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in keinem Fall mehr als Erlöschensgrund einer aufgrund der Einfuhr entstandenen Verbrauchsteuerschuld dienen kann. Im Ergebnis ist damit die frühere Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 TabStG nach Eintritt des Binnenmarktes zum 1. Januar 1993 für alle eingeführten verbrauchsteuerpflichtigen Waren im Falle ihrer Einziehung übernommen worden.
2. Im Gegensatz zur Auffassung des FG erscheint es indes nicht ausgeschlossen, dass der Klägerin ein Erstattungsanspruch hinsichtlich der Tabaksteuer aus Billigkeitsgründen zusteht (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 VO Nr. 1430/79 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 TabStG). Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (vgl. z.B. Urteil vom 18. Januar 1996 Rs. C-446/93 ―SEIM―, EuGHE 1996, I-73, Abs. 41; vorliegende Vorabentscheidung Abs. 62), der der BFH folgt (Urteil vom 17. August 2000 VII R 108/95, BFHE 192, 140), ist Art. 13 Abs. 1 VO Nr. 1430/79 eine auf Billigkeitserwägungen beruhende Generalklausel, die andere als die praktisch am häufigsten vorkommenden Fälle, die beim Erlass der VO in besonderen Regelungen berücksichtigt werden konnten (vgl. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung (EWG) Nr. 3799/86 ―VO Nr. 3799/86― der Kommission vom 12. Dezember 1986 zur Durchführung der Art. 4a, 6a, 11a und 13 VO Nr. 1430/79, ABlEG Nr. L 352/19), hier aber offensichtlich tatbestandsmäßig nicht in Betracht kommen, erfassen soll. Die Vorschrift setzt für die Erstattung kumulativ voraus, dass besondere Umstände vorliegen und der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat.
a) Besondere Umstände i.S. des Art. 13 VO Nr. 1430/79 liegen vor, wenn diese Umstände sich so darstellen, dass es unbillig wäre, dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer einen Nachteil aufzuerlegen, den er normalerweise nicht erlitten hätte (vgl. Abs. 63 der Vorabentscheidung, m.w.H.). Der Wirtschaftsteilnehmer muss sich mithin in einer Lage befinden, die gegenüber derjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist (so die Formulierung des EuGH zu der Nachfolgevorschrift des Art. 13 VO Nr. 1430/79, dem Art. 239 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 ―Zollkodex (ZK)― des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABlEG Nr. L 302/1, im Urteil vom 25. Februar 1999 Rs. C-86/97 ―Woltmann―, EuGHE 1999, I-1041, Leitsatz).
In einem Fall, in dem die Zollbehörden ohne Wissen des Beteiligten ermittelt und im Verlaufe der Ermittlungen die Begehung von Zuwiderhandlungen und Ordnungswidrigkeiten im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren absichtlich nicht verhindert und auf diese Weise die Entstehung einer den Hauptverpflichteten treffenden Zollschuld bewirkt hatten, hat der EuGH eine solche besondere Lage angenommen, in der es der Billigkeit widerspreche, dem Beteiligten eine Zollschuld aufzubürden, die sich aus Entscheidungen der Zollbehörden im Zusammenhang mit der Verfolgung von Zuwiderhandlungen ergebe (EuGH-Urteil vom 7. September 1999 Rs. C-61/98 ―De Haan―, EuGHE 1999, I-5005, Abs. 53 f.). Erst recht müsse dies gelten, wenn ―wie im Streitfall― die Zuwiderhandlungen gegen das gemeinschaftliche Versandverfahren von den Zollbehörden selbst begangen oder provoziert worden seien (Abs. 65 der Vorabentscheidung). Damit hat der EuGH für den Senat verbindlich entschieden, dass dann, wenn die Zuwiderhandlungen gegen das gemeinschaftliche Versandverfahren auf das Verhalten eines als verdeckter Ermittler tätig gewordenen Zollfahndungsbeamten zurückgehen, ein besonderer Umstand i.S. des Art. 13 Abs. 1 VO Nr. 1430/79 vorliegt, der ―vorbehaltlich der subjektiven Voraussetzungen― zu einer Erstattung der entrichteten Abgaben führen kann (vgl. Abs. 66 der Vorabentscheidung, wobei der EuGH dort irrtümlich einen "Art. 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 4030/79" zitiert, und Leitsatz 2). Auch wenn im Streitfall die Zuwiderhandlung an sich, welche die Steuerschuld ausgelöst hat, nämlich das zeitweilige Entfernen des Versandscheins von den Waren, nicht unmittelbar auf eine Handlung des verdeckten Ermittlers zurückzuführen ist, so ist doch nach den gesamten Umständen des Falles, wie der Senat bereits in seinem Vorlagebeschluss ausgeführt hat, davon auszugehen, dass das zeitweilige Entfernen des Versandscheins im Zusammenhang mit der von den Osteuropäern geplanten Zuwiderhandlung stand und daher durch das Verhalten des als potentieller Käufer auftretenden verdeckten Ermittlers ebenso provoziert worden ist wie das schließliche Aufbrechen des Zollverschlusses und die sich daran anschließende Teilentladung des LKW.
b) Der Senat kann aufgrund der bislang vom FG festgestellten Tatsachen eine offensichtliche Fahrlässigkeit der Klägerin bei der Eröffnung des streitgegenständlichen Versandverfahrens nicht ausschließen.
aa) Nicht haltbar ist allerdings die Begründung, mit der das FG eine offensichtliche Fahrlässigkeit der Klägerin angenommen hat. Das FG hat nämlich, durchaus in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung in Deutschland (vgl. nur BFH in BFHE 192, 140), bei der Prüfung des Erstattungsanspruchs das Verschulden der Personen, deren sich die Klägerin bei der Erfüllung ihrer im gemeinschaftlichen Versandverfahren übernommenen Pflichten bedient hat, in Anwendung nationaler Rechtsgrundsätze der Klägerin zugerechnet. Diese Rechtsprechung kann jedenfalls bezüglich des sich auf Art. 13 Abs. 1 VO Nr. 1430/79 gründenden Erlass- bzw. Erstattungsanspruchs nach der für den Senat verbindlichen Auslegung des EuGH im Vorabentscheidungsurteil nicht länger aufrecht erhalten werden. Denn hiernach steht fest, dass sich der Hauptverpflichtete insoweit ein betrügerisches Verhalten oder eine offensichtliche Fahrlässigkeit der Personen, deren er sich bei der Erfüllung seiner im externen Versandverfahren übernommenen Pflichten bedient, nicht entgegenhalten zu lassen braucht, sofern ihn kein eigenes Verschulden in diesem Sinne trifft. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um eigene Mitarbeiter oder ―wie im Streitfall bei dem mit dem Transport beauftragten Unternehmen― um außenstehende Personen handelt (vgl. Abs. 68 f. der Vorabentscheidung).
Zwar hat der EuGH diese Auffassung nicht näher begründet. Er ist offensichtlich der Auffassung, dass es für den in Art. 13 VO Nr. 1430/79 geregelten Erstattungsanspruch an einer Zurechnungsnorm für fremdes Verschulden im Gemeinschaftsrecht fehlt (anders als etwa für die Fälle des Einstehenmüssens für Erfüllungsgehilfen hinsichtlich der Zollschuldentstehung nach Art. 203 ZK, wo Art. 203 Abs. 3 4. Anstrich ZK mit seiner Anordnung der Zollschuldnerschaft davon ausgeht, dass den Inhaber eines Zollverfahrens bzw. den Inhaber einer vorübergehenden Verwahrung als Garanten eine allgemeine Einstandspflicht hinsichtlich der übernommenen Pflichten trifft, und zwar unabhängig davon, ob er selbst, ein von ihm eingeschalteter Erfüllungsgehilfe oder ein Dritter die Verfehlung begangen hat; vgl. z.B. Senatsurteil vom 12. Juni 2001 VII R 67/00, BFH/NV 2002, 80, m.w.N.). Art. 4 VO Nr. 3799/86, welcher die Durchführungsvorschriften zu den Erstattungsfällen des Art. 13 VO Nr. 1430/79 enthält, bestätigt diese Betrachtungsweise, denn anders als bei den Erstattungsfällen nach Art. 4a, 6a und 11a VO Nr. 1430/79, für die explizit eine Zurechnung des Verschuldens von Erfüllungsgehilfen jedenfalls bei Nichtbeachtung der Verfahrensbestimmungen, von deren Einhaltung Erstattung und Erlass abhängen, angeordnet ist (Art. 2 Buchst. a und b VO Nr. 3799/86), fehlt in Art. 4 VO Nr. 3799/86 jedweder Hinweis auf eine wie auch immer ausgestaltete Zurechnung. Wie diese Frage im derzeit geltenden Recht für Art. 239 ZK im Hinblick auf Art. 899 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 253/1) zu beurteilen wäre, bedarf hier keiner Entscheidung. Es spricht jedoch vieles dafür, dass die Einstandspflicht des Beteiligten für andere Personen lediglich auf den Bereich der Erfüllung der Zollformalitäten für das eigentliche Erlass- bzw. Erstattungsverfahren beschränkt ist, sich nicht aber auch auf das vorangehende Verhalten, das zur Entstehung der Zollschuld geführt hat, erstreckt.
bb) Da das FG insoweit tragend rechtsfehlerhaft geurteilt hat, war das vorinstanzliche Urteil aufzuheben. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn sich die Entscheidung des FG aus einem anderen Grund als richtig darstellte (§ 126 Abs. 4 FGO), wenn etwa die vom FG festgestellten Tatsachen sicher den Schluss zuließen, dass der Klägerin selbst offensichtliche Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Herbeiführung der besonderen Umstände i.S. des Art. 13 VO Nr. 1430/79 vorzuhalten wäre. Das ist jedoch nicht der Fall.
Die Klägerin weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass der Senat in seinem Vorlagebeschluss ausgeführt hat, es stehe nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) außer Frage, dass die Klägerin selbst weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt habe, sodass von einem weiteren Sachvortrag hierzu abgesehen werden könne. Die vom Senat eingeholte Vorabentscheidung des EuGH gibt jedoch Anlass, die Feststellungen des FG einer genaueren Überprüfung zu unterziehen. Denn der EuGH hat in Abs. 70 der Vorabentscheidung auf Umstände im Streitfall aufmerksam gemacht, die der Senat aus den Feststellungen des FG in sein Vorabentscheidungsersuchen übernommen hat und die durchaus prüfungswürdig im Hinblick auf die Frage sind, ob der Klägerin nicht doch eigenes Verschulden vorzuhalten ist. Konkret geht es dabei um die Fragen, weshalb der von der Abgangszollstelle ausgestellte Versandschein T1 keine Angaben zur Nationalität und Identität des verwendeten Beförderungsmittels enthielt und weshalb die darin als Empfänger der Waren angegebene Firma weder mit den Angaben im Lieferschein für die Waren noch mit denen der Rechnung übereinstimmte. Beide Umstände sind nach Auffassung des Senats durchaus geeignet, Zweifel an der ordnungsgemäßen Erfüllung der Pflichten der Klägerin als Hauptverpflichtete in Bezug auf die Eröffnung des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens zu erwecken.
Während sich für die unterschiedlichen Empfängerangaben möglicherweise durchaus eine einleuchtende Erklärung finden ließe, erscheinen die fehlenden Angaben zur Nationalität und insbesondere zur Identität (Kennzeichen) des verwendeten Beförderungsmittels schwerwiegender. Da diese Angaben im Versandschein fehlen, müssen sie zwingend auch auf der von der Klägerin der Abgangszollstelle vorgelegten Versandanmeldung fehlen. Immerhin handelt es sich bei den in Feld 18 des Einheitspapiers im Falle der Versendung einzutragenden Kennzeichen und Staatszugehörigkeit des aktiven Beförderungsmittels um obligatorische Eintragungen. Dies ergibt sich für den Streitfall aus Anhang III - Merkblatt - Titel I B, dort Maximalliste Versendungsförmlichkeiten, Titel II I Nr. 18 der Verordnung (EWG) Nr. 2855/85 der Kommission vom 18. September 1985 zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 678/85 des Rates zur Vereinfachung der Förmlichkeiten im innergemeinschaftlichen Warenverkehr und der Verordnung (EWG) Nr. 679/85 des Rates zur Festlegung des Musters des im innergemeinschaftlichen Warenverkehr zu verwendenden Anmeldungsvordrucks (ABlEG Nr. L 274/1) i.V.m. Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1900/85 des Rates vom 8. Juli 1985 über die Einführung gemeinschaftlicher Ausfuhr- und Einfuhranmeldungen (ABlEG Nr. L 179/4). Dass diese Angaben, insbesondere die Eintragung des Kennzeichens des verwendeten Beförderungsmittels, von Bedeutung für die zollamtliche Überwachung des Versandverfahrens sind, versteht sich angesichts der gerade im Streitfall relevant gewordenen "Zusammengehörigkeit" von Versandschein und im Beförderungsmittel verschlossener Ware von selbst (vgl. dazu auch FG Bremen, Urteil vom 28. Mai 1996 294192K 2, bestätigt vom BFH, Beschluss vom 13. März 1997 VII R 65/96, BFH/NV 1997, 451). Dass der Gemeinschaftsgesetzgeber selbst auch heute noch die Angaben zum Kennzeichen und zur Nationalität des Beförderungsmittels für wesentlich ansieht, zeigt in aller Deutlichkeit die 5. Begründungserwägung der Verordnung (EG) Nr. 883/2005 der Kommission vom 10. Juni 2005 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Union ―ABlEU― Nr. L 148/5), in der eine Ausnahmeregelung hinsichtlich der Eintragung des Kennzeichens für Container in Feld 18 des Einheitspapiers gerechtfertigt und dabei ausdrücklich der Kontrollzweck der dort geforderten Eintragungen hervorgehoben wird.
Die fehlenden Angaben könnten auf einen gravierenden Mangel in der Organisation und Abwicklung gemeinschaftlicher Versandverfahren (vgl. insoweit zum Carnet-TIR Verfahren den BFH-Beschluss vom 7. Februar 2005 VII B 131/04, BFH/NV 2005, 1171) durch die Klägerin hinweisen, also möglicherweise auf ein Organisationsverschulden oder auf ein Verschulden bei der Anleitung und Überwachung der von ihr in ihrem Betrieb für die Eröffnung und Abwicklung von Versandverfahren eingesetzten Personen und damit eine offensichtliche eigene Fahrlässigkeit der Klägerin begründen, welche dem geltend gemachten Erstattungsanspruch hinderlich wäre.
c) Der Senat kann diese Frage jedoch nicht abschließend entscheiden, da es hierzu an den erforderlichen näheren Tatsachenfeststellungen durch das FG fehlt. Das FG hat nur festgestellt, dass die betreffenden Angaben fehlen, ist den Ursachen und Gründen hierfür aber ―von seinem Standpunkt freilich zutreffend, weil es ein Einstehenmüssen der Klägerin für fremdes Fehlverhalten bejahte― nicht weiter nachgegangen. Die Sache ist daher nicht spruchreif und deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
3. Im zweiten Rechtsgang wird das FG entsprechende Tatsachenfeststellungen nachzuholen und zu entscheiden haben, ob auf der Grundlage dieser weiteren Feststellungen der Klägerin ein eigenes Verschulden im Ausmaß offensichtlicher Fahrlässigkeit vorzuhalten ist. Neben dem erwähnten Organisations- und Überwachungsverschulden kommt möglicherweise auch ein Auswahlverschulden der Klägerin im Hinblick auf die Auswahl des mit dem Versand betrauten polnischen Transportunternehmens in Betracht (vgl. insoweit Abs. 43 der Schlussanträge des Generalanwalts T vom 26. Juni 2003 sowie Abs. 71 der Vorabentscheidung). Bei der Abwägung der einzelnen vom EuGH dort für maßgeblich erachteten Kriterien und bei der Beurteilung, ob offensichtliche Fahrlässigkeit der Klägerin vorliegt, ist auch dem Aspekt, dass es sich bei der entzogenen Ware um Zigaretten handelt, eine Ware also, die für die Entwicklung eines illegalen Handels besonders anfällig ist, besonders Rechnung zu tragen (Abs. 72 der Vorabentscheidung, m.w.H.; vgl. hierzu auch das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 14. Dezember 2004 Rs. T-332/02, ABlEU 2005 Nr. C 45/22).
Fundstellen
Haufe-Index 1442211 |
BFH/NV 2005, 2330 |
BFHE 2006, 379 |
BFHE 210, 379 |
BB 2005, 2454 |
DStRE 2006, 53 |
DStZ 2005, 803 |
HFR 2005, 1211 |