Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonstiges Zollrecht

 

Leitsatz (amtlich)

§ 49 Abs. 3 ZG steht nicht im Widerspruch zu Art. 80 Abs. 1 GG und ist daher rechtsgültig.

Die "Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1958" sind, soweit sie mit dem im Zolltarif zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers vereinbar sind, rechtsgültig.

 

Normenkette

GG Art. 80 Abs. 1; ZG § 49 Abs. 3

 

Gründe

II. - Der Einwand der Bgin. gegen die Rechtsgültigkeit der im Streitfall in Betracht kommenden Erläuterungen zum Zolltarif 1958 gibt Veranlassung, zunächst zur Rechtsgültigkeit der Erläuterungen im allgemeinen und damit auch der ihnen zugrunde liegenden Ermächtigung (§ 49 Abs. 3 des Zollgesetzes - ZG -) Stellung zu nehmen.

Seit dem Inkrafttreten des Zolltarifgesetzes (ZTG) vom 16. August 1951 (BGBl I S. 527) und des Zolltarifs 1951 gab es bis zum 1. Januar 1958 keine, das gesamte Gebiet des Zolltarifs erfassenden rechtsverbindlichen "Erläuterungen zum Deutschen Zolltarifs", wie sie erst durch Verordnung der Bundesregierung vom 18. Dezember 1957 (BGBl II S. 1697) auf Grund des § 49 Abs. 3 ZG vom 20. März 1939 (RGBl I S. 529) in der Fassung des Gesetzes zur änderung des Zollgesetzes - Fünftes Zolländerungsgesetz - vom 27. Juli 1957 (BGBl I S. 1671) zum Zolltarif 1958 mit Wirkung vom 1. Januar 1958 ab erlassen wurden. Die bis dahin ergangenen Erläuterungen zum Zolltarif 1951 waren - abgesehen von einigen hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen - Verwaltungsanweisungen und hatten daher für die Tarifauslegung und -anwendung keine rechtsverbindliche Wirkung. Daher ordneten die Allgemeinen Tarifierungsvorschriften zum Zolltarif 1951 unter Nr. 2 Abs. 2 den Rückgriff auf die Verkehrsanschauung an, wenn ein Warenbegriff durch zolltarifliche Vorschriften nicht bestimmt und diesen Vorschriften auch nicht durch Auslegung zu entnehmen war. Dem entsprach auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Da jedoch die Fragen der zolltariflichen Eingruppierung einer Ware in der Regel zwei Gruppen von Wirtschaftskreisen beteiligt sind, nämlich diejenigen, die an der Einfuhr der zu tarifierenden Ware positiv interessiert sind und diejenigen, in deren negativem Interesse an der Einfuhr im Tarif Schutzzölle vorgesehen sind, so ergaben sich bei der Ermittlung der Verkehrsanschauung in nicht seltenen Fällen miteinander im Widerspruch stehende Stellungnahmen der beteiligten Wirtschaftskreise und der gehörten Verbände. Die Gerichte standen damit häufig vor der Frage, selbst entscheiden zu müssen, welche der Auffassungen nunmehr als die Verkehrsanschauung zu gelten habe, oder, wenn sie auch diese Entscheidung nicht glaubten treffen zu können, wieder auf die allgemeine Tarifauslegungsregel zurückgreifen zu müssen, wonach eine Ware in Zweifelsfällen der Tarifnummer mit dem höheren Zollsatz zuzuweisen ist.

In diesem sowohl vom Standpunkt der Rechtssicherheit aus wie auch im Hinblick auf die von der Bundesrepublik eingegangenen Verpflichtungen aus dem "Brüsseler Abkommen über das Zolltarifschema" (BGBl 1952 II S. 2) wenig befriedigenden Zustand ist seit 1. Januar 1958 eine wesentliche änderung eingetreten, indem nunmehr auf Grund der durch den Gesetzgeber der Bundesregierung erteilten Ermächtigung im Verordnungsweg erlassene rechtsverbindliche Erläuterungen für die Auslegung und Anwendung des Zolltarifs vorliegen, die - ihre Rechtsgültigkeit vorausgesetzt - damit auch für die Gerichte unmittelbar anwendbares Recht bedeuten.

Diese Erläuterungen sind nur dann von rechtsverbindlicher Wirkung, wenn die gesetzliche Ermächtigung, auf der sie beruhen, selbst rechtswirksam ist, daß heißt also in verfassungsrechtlicher Hinsicht den Anforderungen entspricht, die Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) an eine solche Ermächtigung stellt. Danach muß diese dem Grundsatz der Spezialität entsprechen, daß heißt das Gesetz selbst muß Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung bestimmen. Dabei ist für die Entscheidung darüber, welche Anforderungen demgemäß an die Ermächtigung zu stellen sind, die Natur des in Frage kommenden Gesetzes sowie der Zweck des Art. 80 Abs. 1 GG zu berücksichtigen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 100/58 U vom 14. Juli 1959, BStBl 1959 III S. 349, Slg. Bd. 69 S. 230).

Die im Streitfall zur Erörterung stehende Ermächtigung zum Erlaß rechtsverbindlicher Erläuterungen zum Zolltarif war in ähnlicher Weise bereits in der früheren Fassung des § 49 Abs. 3 ZG von 1939 enthalten, wurde im Jahre 1951 in § 18 Nr. 1 ZTG vom 16. August 1951 aufgenommen und von dort durch das oben bereits erwähnte Fünfte Zolländerungsgesetz als der jetzt gültige Abs. 3 des § 49 ZG in dieses übernommen. Daraus ergibt sich zunächst, daß der Gesetzgeber schon immer die Notwendigkeit des Bestehens solcher verbindlicher Tariferläuterungen anerkannt hat und daß er auch stets davon ausgegangen ist, solche Erläuterungen könnten nur von der Exekutive erarbeitet und in der erleichterten Form der Rechtssetzung, nämlich im Verordnungsweg erlassen werden. Es bleibt jedoch zu prüfen, ob der Gesetzgeber bei der nach dem Inkrafttreten des GG zustande gekommenen Ermächtigung im § 49 Abs. 3 ZG den Vorschriften des GG hinreichend Rechnung getragen hat. Der Senat bejaht diese Frage.

Das Bundesverfassungsgericht hat seinem umfassend begründeten Beschluß vom 12. November 1958 zu den Ermächtigungen in § 2 des übergangsgesetzes über Preisbildung und Preisüberwachung (Preisgesetz) vom 10. April 1948 (Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1948 S. 27) und den späteren Verlängerungsgesetzen (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 8 S. 274 ff.) unter anderem folgende Rechtssätze vorangestellt:

Daß nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung "im Gesetz" bestimmt werden müssen, besagt nicht, daß sie im Text des Gesetzes ausdrücklich zu bestimmen sind. Für die Interpretation von Ermächtigungsnormen gelten vielmehr die allgemeinen Auslegungsgrundsätze.

Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt nicht, daß die Ermächtigung so bestimmt wie irgend möglich umschrieben ist; sie muß nur hinreichend bestimmt sein.

Die Ermächtigung in § 49 Abs. 3 ZG hat folgenden Wortlaut:

"Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnung Erläuterungen zur Auslegung und zur Anwendung des Zolltarifs geben."

Von den vorgenannten Rechtsgedanken des Bundesverfassungsgerichts ausgehend kommt der Senat zu dem Ergebnis, daß bei sinnvoller Auslegung der vorgenannten Ermächtigung Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung hinreichend bestimmt sind. Ihre Fassung bedeutet bei einer, die Natur des Zolltarifs berücksichtigenden Auslegung nichts anderes als daß die Bundesregierung ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung die im Zolltarif enthaltenen, auf Grund internationaler Vereinbarung (Brüsseler Abkommen) festgelegten und vom Bundesgesetzgeber in das nationale Recht übernommenen Warenbegriffe des Zolltarifs näher zu bestimmen. In Gesetzen enthaltene Begriffe rechtsverbindlich näher zu bestimmen, das heißt sie zu erläutern, ist aber schon immer - auch zu Zeiten der Geltung des GG - legitime Aufgabe der Durchführungsverordnungen gewesen; und etwas anderes sind die Erläuterungen zum Zolltarif nicht. Gesetzliche Ermächtigungen zu Verordnungen solcher Art finden sich in fast allen Steuergesetzen (zum Beispiel für das ZG selbst in § 109 Abs. 1 Nr. 2 ZG; vgl. ferner § 14 Abs. 1 Nr. 1 des Zuckersteuergesetzes, § 96 des Tabaksteuergesetzes, § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes). Sie sind bisher auch dann als nicht mit dem GG in Widerspruch stehend angesehen worden, wenn sich als Folge der auf den Ermächtigungen beruhenden Begriffsbestimmungen und Abgrenzungen innerhalb des vom Gesetzgeber selbst gezogenen Rahmens gewisse materiellrechtliche Wirkungen ergeben (vgl. zum Beispiel die Begriffserläuterungen zu § 69 ZG in den §§ 104 ff. der Allgemeinen Zollordnung).

In dem bereits erwähnten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 1958 hat dieses (vgl. Bd. 8 S. 321) für bestimmte Sachbereiche der Gesetzgebung, so unter anderem auch für das Gebiet des Zolltarifs, im Zusammenhang mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit von Ermächtigungen zu sogenannten "Zustimmungsverordnungen" (vgl. § 49 Abs. 2 ZG) die Notwendigkeit anerkannt, staatliche Regelungen unverzüglich den sich schnell ändernden wirtschaftlichen Verhältnissen durch Rechtssetzung in Form von Verordnungen anzupassen. Was dort für Verordnungen im engeren Sinn rechtssetzenden, das heißt unter Umständen das Gesetz ändernden Charakters anerkannt ist, muß nach Ansicht des Senats erst recht gelten für Ermächtigungen zu Verordnungen, mit denen lediglich im Gesetz enthaltene Begriffe - im Bereich des Zolltarifs also die von ihm gebrauchten Begriffe - im Interesse einer notwendigen Abgrenzung gegeneinander oder aber auch zur Beseitigung von Auslegungszweifeln - etwa bei neu auftretenden Waren - mit verbindlicher Wirkung erläutert werden.

Da der Zolltarif unmöglich alle in der Wirtschaft vorkommenden Waren namentlich erfassen kann, muß er sich darauf beschränken, die einzelnen Waren auf der Basis eines international festgelegten Schemas (sogenanntes Brüsseler Schema) in einer beschränkten Zahl von Oberbegriffen, die der Konkretisierung zugänglich sind, unterzubringen. Um nun eine konkrete, unter Umständen unter mehrere Oberbegriffe subsumierbare Ware der nach den Bedürfnissen der Wirtschaft erforderlichen Zollbelastung zuzuführen, kann der Oberbegriff schon im Tarif selbst Erläuterungen erfahren. Dies geschieht jedoch in der Regel nur in wichtigen, weil besonders häufig möglichen Fällen (etwa bei ganzen Warengruppen) zum Beispiel durch Voranstellen von sogenannten Vorschriften vor die Abschnitte und Kapitel des Tarifs oder aber auch durch erläuternde Zusätze in den Tarifnummern selbst (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs VII 33, 34/60 U vom 27. Oktober 1960, BStBl 1960 III S. 505). Es kann eine Ware aber auch in anderen Fällen im Wege der rechtsverbindlichen Tarifauslegung dann, wenn sie nach ihrer Beschaffenheit oder ihrem Verwendungszweck unter zwei oder mehrere tarifliche Begriffe eingeordnet werden kann, durch die "Erläuterungen" einem dieser in Betracht kommenden Tarifbegriffe zugewiesen werden. Auch insoweit liegt eine Erläuterung des Tarifs vor, nämlich eine negative Abgrenzung des Warenbegriffs derjenigen Tarifnummer, bei der die Ware ausgenommen wird, und eine positive dort, wohin die Ware zugewiesen wird. Von diesem Verfahren ist in den seit 1958 bestehenden Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif in weitem Umfange Gebrauch gemacht worden. Es entspricht dies auch dem Zweck der verbindlichen Erläuterungen und der ihr zugrunde liegenden Ermächtigung. Die Erläuterungen haben zudem als nationales Recht die Aufgabe, dazu beizutragen, daß die von der Bundesregierung übernommene Verpflichtung zu einer dem Brüsseler Schema und den dazu ergangenen Brüsseler Erläuterungen entsprechenden Tarifanwendung eingehalten wird. Es sind nach Ansicht des Senats vom rechtlichen Standpunkt hiergegen keine Bedenken zu erheben, sofern eine solche Auslegung durch nähere Begriffsbestimmung innerhalb des erklärten Willens des Gesetzgebers möglich ist.

Daraus ergibt sich, daß auch das Ausmaß der Ermächtigung in der Fassung des § 49 Abs. 3 ZG hinreichend konkretisiert ist. "Erläutern" heißt eben, die Begriffe des Zolltarifs näher zu bestimmen und, soweit erforderlich, gegeneinander abzugrenzen. Die Erläuterungen können daher den Zolltarif nicht abändern. Daß im Zuge der Abgrenzung mehrerer im Zolltarif enthaltener Warenbegriffe gegeneinander bestimmte Waren, die mehreren dieser Begriffe subsumierbar sind, je nachdem, welchem der tariflichen Begriffe sie im Wege der Tariferläuterungen zugewiesen werden, unter Umständen einer höheren oder niedrigeren Zollbelastung unterliegen, bedeutet keine änderung des Zolltarifs und ist auch eine aus dem Ausmaß der Ermächtigung heraus übersehbare Folge.

Dem Gesetzgeber diese bis ins einzelne gehende Begriffsbegrenzung selbst zumuten zu wollen, würde für ihn im Hinblick auf die als Folge der raschen wirtschaftlichen Entwicklung nicht übersehbare Zahl der möglichen Zweifelsfälle eine nicht lösbare Aufgabe bedeuten. Denn sie erfordert - schon im Hinblick auf die im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft immer bedeutungsvoller werdende einheitliche Anwendung des gemeinsamen Zolltarifschemas - eine ständige Zusammenarbeit mit dem Ausschuß für das Zolltarifschema des Brüsseler Zollrats wie auch eine ständige Fühlungnahme mit den Organisationen der Wirtschaft, um bei der Anwendung des Zolltarifs den dauernd wechselnden Erfordernissen der Wirtschaft Rechnung tragen zu können. In diesem Zusammenhang verweist der Senat nochmals auf den oben erwähnten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts sowie auf das ebenfalls bereits erwähnte Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14. Juli 1959, dem er hinsichtlich der darin enthaltenen allgemeinen verfassungsrechtlichen Ausführungen beitritt.

Der Senat ist daher der Auffassung, daß § 49 Abs. 3 ZG nicht im Widerspruch zu Art. 80 Abs. 1 GG steht. Die - soweit dem Senat bekannt - bis jetzt einzige gegenteilige Stellungnahme im Schrifttum von Friedrich in Finanz-Rundschau vom 20. April 1958 S. 183, in der der Verfasser die Fassung der Ermächtigung aus § 49 Abs. 3 ZG auf den gänzlich anders gearteten Inhalt des EStG überträgt, vermag nicht zu überzeugen.

Nach alledem ist aber auch für eine Heranziehung der Verkehrsanschauung zur Tarifauslegung nur noch beschränkt Raum. Sie kommt jedenfalls gegenüber einer mit dem Tariftext zu vereinbarenden rechtsverbindlichen Auslegung durch die Erläuterungen zum Zolltarif nicht mehr zum Tragen. Aus diesem Grunde fehlt auch der früher in den Allgemeinen Tarifierungsvorschriften zum Zolltarif 1951 angeordnete Rückgriff auf die Verkehrsanschauung in den entsprechenden Vorschriften des Zolltarifs 1958.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409884

BStBl III 1961, 55

BFHE 1961, 147

BFHE 72, 147

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