Entscheidungsstichwort (Thema)
(Nutzung zu Wohnzwecken i.S. des § 9 Abs. 2 UStG - gelegentliche Überlassung von Zimmern an Fremde keine kurzfristige Vermietung)
Leitsatz (amtlich)
Die nicht nur vorübergehende Nutzung einer vollständig eingerichteten Wohnung dient Wohnzwecken. Das gilt auch für eine (Zweit-)Wohnung, die am Ort einer Betriebsstätte unterhalten und von dem Unternehmer oder vom Geschäftsführer des Unternehmens genutzt wird.
Orientierungssatz
1. Für die Auslegung des § 9 Abs. 2 UStG haben die ertragsteuerlichen Kriterien für den Abzug von Hotelkosten und den Abzug von Wohnungskosten bei doppelter Haushaltsführung als Betriebsausgaben keine Bedeutung. Ebenso ist unerheblich, ob die Wohnung nach den individuellen Lebensbedürfnissen des Geschäftsführers ausgestattet ist und ob er dort einen Wohnsitz begründet hat, der ihm einen erheblichen Teil des Jahres als privater Mittelpunkt und Heim dient.
2. Durch die gelegentliche Überlassung einzelner Zimmer an Fremde wird § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 nicht erfüllt (vgl. BFH-Urteil vom 18.1.1963 VI 228/61 U).
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nr. 12 S. 2, § 9 Abs. 2, § 15 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Entscheidung vom 22.09.1993; Aktenzeichen 5 K 557/90 U) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) --eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)-- errichtete im Streitjahr 1987 auf einem von ihr erworbenen Grundstück in Z ein Geschäftsgebäude, das sie unter Verzicht auf die Steuerfreiheit ihrer Mietumsätze an die A-KG (KG) mit Sitz in R vermietete. Das Gebäude hat eine Gesamtnutzungsfläche von 2 614 qm. Davon entfallen 76 qm auf eine vollständig eingerichtete 2-Zimmer-Wohnung mit Duschbad, Wohnraum mit integrierter Küche, Schlafraum und Flur. Diese Räumlichkeiten werden von der KG in der Weise genutzt, daß zum einen einer ihrer Gesellschafter-Geschäftsführer dort etwa einmal pro Woche übernachtet, wenn er die H Niederlassung aufsucht; zum anderen stellte die KG die Wohnung Geschäftsfreunden unentgeltlich zur Überlassung zur Verfügung.
Die Klägerin machte die auf das Gebäude entfallende Vorsteuer in Höhe von 125 780,70 DM geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) kürzte die Vorsteuer um die nach dem Verhältnis der Nutzflächen auf die Wohnung entfallenden Beträge (3 647,64 DM). Der Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt; das Urteil ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 321.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 15 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 i.V.m. § 9 Abs. 1 und 2 UStG 1980.
Was Wohnzwecke seien, ergebe sich aus Abschn. 55 der Einkommensteuer-Richtlinien 1987 (EStR 1987). Eine vollständig eingerichtete Wohnung könne nur privaten bzw. unternehmensfremden Zwecken dienen. Hier hielten sich Personen zum Wohnen, d.h. Essen, Schlafen etc. auf. Zur Erledigung von unternehmerischen Belangen seien diese Räume nicht ausgestattet. Auf die ursprüngliche Veranlassung der Aufenthalte, z.B. die Wahrnehmung von Geschäftsterminen am Ort, komme es hier nicht an.
§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 mache deutlich, daß nur die Nutzung zu Wohnzwecken steuerfrei sein solle und lediglich für die Fälle des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 eine Sonderregelung geschaffen sei.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das FA verkenne nach wie vor, daß die Nutzung einer Wohnung durchaus auch eine unternehmerische im umsatzsteuerrechtlichen Sinne sein könne. Denn anderenfalls wäre auch die vorübergehende Überlassung von Ferienwohnungen, Hotelräumen oder Zweitwohnungen eines Unternehmers im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung stets als nichtunternehmerische Nutzung zu behandeln.
Die Auslegung des Wohnungs-Begriffs müsse sich unmittelbar an § 9 Abs. 2 UStG 1980 orientieren. Die vorübergehende Überlassung der Wohnräume an Geschäftsführer und Geschäftsfreunde sei ein unternehmerischer Zweck. Denn Übernachtungskosten im Rahmen einer Dienst- oder Geschäftsreise eines Angestellten oder Mitunternehmers seien betrieblich veranlaßt, so daß deren Übernahme durch den Arbeitgeber bzw. die KG unzweifelhaft aus unternehmerischen Gründen erfolge. Das gleiche gelte für die unentgeltliche Überlassung an Geschäftsfreunde.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 ist vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen die Steuer für die Lieferungen oder für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet. Gemäß § 9 Abs. 1 UStG 1980 kann der Unternehmer einen Umsatz, der nach § 4 Nr. 12 UStG 1980 steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Nach § 9 Abs. 2 UStG 1980 ist der Verzicht auf Steuerbefreiung bei der Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980) nur zulässig, soweit der Unternehmer nachweist, daß das Grundstück weder Wohnzwecken noch anderen nichtunternehmerischen Zwecken dient oder zu dienen bestimmt ist.
2. Aus § 9 Abs. 2 UStG 1980 läßt sich nicht unmittelbar entnehmen, was unter "Wohnzwecken dient oder zu dienen bestimmt ist" zu verstehen ist. Hierzu bedarf es eines Rückgriffs auf die Gesetzesbegründung und auf den systematischen Zusammenhang zu der zugrundeliegenden Befreiungsvorschrift.
a) Abs. 2 des § 9 UStG 1980 in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung wurde durch das Steuerbereinigungsgesetz 1985 (BGBl I 1984, 1493, BStBl I 1984, 659) in das UStG 1980 aufgenommen. Er übernahm insoweit die seit 1. Januar 1982 bestehende Regelung des § 9 Satz 2 UStG 1980, die durch Art. 36 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur vom 22. Dezember 1981 (BGBl I, 1523, BStBl I 1982, 235) in das UStG eingefügt worden war. Die Bundesregierung hatte diesen Gesetzentwurf damit begründet, daß aufgrund der bisherigen Rechtslage Eigentümer ihre Mietwohnungen in vielen Fällen nicht unmittelbar an die Wohnungssuchenden, sondern an zwischengeschaltete Unternehmer vermietet hätten, die dann ihrerseits die Wohnungen an die Wohnungssuchenden weitervermieteten. Gleichzeitig hätten die Eigentümer auf die Steuerbefreiung (für die Vermietung an die zwischengeschalteten Unternehmer) verzichtet und sich auf diese Weise die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs oder der Vorsteuererstattung geschaffen, und zwar für die ihnen insbesondere von Bauunternehmern oder Architekten in Rechnung gestellte Umsatzsteuer. Diese Gestaltung habe zu einer ungleichmäßigen Umsatzsteuerbelastung im Wohnungsbau geführt. Die Neuregelung solle die Ungleichmäßigkeit der Besteuerung beseitigen. Gleichzeitig solle sie den im UStG zum Ausdruck gekommenen Grundsatz gewährleisten, daß die Vermietung von Wohnungen von der Umsatzsteuer befreit sein solle, daß aber dafür die auf den Leistungen der Bauunternehmer usw. ruhende Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen oder vom FA erstattet werden dürfe (BRDrucks 364/81, S.8, 9).
b) Die Befreiung der Vermietung und Verpachtung gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 enthält keine Beschränkung in bezug auf die Nutzung des Grundstücks. Nicht befreit ist gemäß § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 jedoch die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält. Diese Regelung zeigt, daß die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen nur dann in die Besteuerung --mit der Möglichkeit der Vorsteuerentlastung beim Vermieter-- einbezogen wird, wenn die Räume einer dem Hotelgewerbe ähnlichen Verwendung dienen (vgl. Art. 13 Teil B Buchst. b Nr. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG; wegen der Abgrenzung im einzelnen wird auf die Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. April 1988 X R 5/82 (BFHE 153, 451, BStBl II 1988, 795) und vom 13. September 1988 V R 46/83 (BFHE 154, 280, BStBl II 1988, 1021) Bezug genommen. Nur unter dieser Voraussetzung gehört der Vorgang des Wohnens zu dem steuerpflichtigen Bereich.
c) In Verbindung mit dem in der Gesetzesbegründung herausgestellten Grundsatz, daß die Vermietung von Wohnungen steuerfrei sein soll, folgt daraus, daß ein Grundstück immer dann Wohnzwecken dient, wenn der Gegenstand der Vermietung Wohn- und Schlafräume sind, die nicht zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereitgehalten werden.
d) Entgegen der Auffassung der Klägerin haben die ertragsteuerrechtlichen Kriterien für den Abzug von Hotelkosten und den Abzug von Wohnungskosten bei doppelter Haushaltsführung als Betriebsausgaben (vgl. BFH-Urteile vom 13. August 1987 IV R 130/85, BFHE 151, 30, BStBl II 1988, 53, und vom 5. Oktober 1989 IV R 84/88, BFH/NV 1991, 361) keine Bedeutung für die Auslegung des § 9 Abs. 2 UStG 1980. Ebenso ist unerheblich, ob die Wohnung nach den individuellen Lebensbedürfnissen des Gesellschafter-Geschäftsführers ausgestattet war und ob er dort einen Wohnsitz begründet hatte, der ihm einen erheblichen Teil des Jahres --mit oder ohne Familie-- als privater Mittelpunkt und Heim diente (zum Abzug entsprechender Kosten als Betriebsausgaben vgl. BFH-Urteile vom 8. Juli 1976 IV R 100/72, BFHE 119, 557, BStBl II 1976, 776; vom 29. März 1979 IV R 137/77, BFHE 128, 196, BStBl II 1979, 700; vom 28. Januar 1981 IV R 52/78, nicht veröffentlicht).
3. Die Vorentscheidung ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sie ist aufzuheben. Der Senat kann den Fall auf der Grundlage des vom FG festgestellten Sachverhalts nicht abschließend entscheiden.
Die Feststellung des FG, daß die Wohnung wöchentlich von einem der Gesellschafter-Geschäftsführer der mietenden KG genutzt wird, spricht zwar dafür, daß die Mieterin die Wohnung nicht zur kurzfristigen Beherbergung, sondern ähnlich einer Zweitwohnung zur Dauernutzung durch ihren Gesellschafter-Geschäftsführer bereitgehalten hat. Da aber die Wohnung zusätzlich an Geschäftsfreunde überlassen worden sein soll, hat das FG noch der Frage nachzugehen, ob die Mieterin von vornherein die Wohnung gemäß § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 wahlweise zu einer "gemischten Nutzung" im Sinne der Rechtsprechung bereitgehalten hat; eine Aufteilung nach Maßgabe der tatsächlichen Nutzung wäre in diesem Fall nicht möglich (BFHE 154, 280, BStBl II 1988, 1021). Nicht erfüllt wird § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 hingegen durch die gelegentliche Überlassung einzelner Zimmer an Fremde (vgl. BFH-Urteil vom 18. Januar 1963 VI 228/61 U, BFHE 76, 498, BStBl III 1963, 183).
Fundstellen
BFH/NV 1995, 69 |
BStBl II 1995, 513 |
BFHE 177, 143 |
BFHE 1996, 143 |
BB 1995, 1282 (L) |
DB 1995, 1446-1447 (LT) |
DStR 1995, 982-983 (KT) |
HFR 1995, 526-527 (LT) |
StE 1995, 393 (K) |
WPg 1995, 593 (L) |
StRK, R.26 (LT) |
GStB 1995, Beilage zu Nr 7 (L) |
UStR 1996, 204-205 (KT) |