Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerhinterziehung
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung muss in den Urteilsgründen regelmäßig neben dem konkreten Tatgeschehen auch die Berechnung der verkürzten Steuern im Einzelnen nachvollziehbar dargestellt sein. Dies erfordert insbesondere, dass diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen), im Urteil mitgeteilt werden. Bei unberechtigtem Steuerausweis i.S.v. § 14c Abs. 2 UStG bedarf es dabei auch der Angabe, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Höhe die Steuer entstanden ist.
2. Wird in den Urteilsgründen lediglich mitgeteilt, in welcher Gesamthöhe Vorsteuerbeträge aus Scheinrechnungen zu Unrecht geltend gemacht worden sind und fehlen Feststellungen dazu, von welchen unberechtigten Steuerbeträgen i. S. d. § 14c Abs. 2 UStG das Gericht ausgegangen ist und wann die zugrunde liegenden Scheinrechnungen ausgegeben worden sind, zu welchem Zeitpunkt die Steuer also tatsächlich entstanden ist, kann nicht nachgeprüft werden, ob eine Steuerverkürzung eingetreten ist und damit der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt ist.
Normenkette
AO § 370 Abs. 1; UStG § 13 Abs. 1 Nr. 3, § 14c Abs. 2; StPO § 267 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 05.03.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 5. März 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer anderweitigen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Daneben hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet.
Rz. 2
Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrüge Erfolg; auf die erhobene Verfahrensrüge kommt es nicht mehr an.
I.
Rz. 3
1. Die Verurteilung des Angeklagten hat schon deshalb keinen Bestand, weil das Urteil den Anforderungen des § 267 Abs.1 Satz 1 StPO nicht genügt.
Rz. 4
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung in den Urteilsgründen regelmäßig neben dem konkreten Tatgeschehen auch die Berechnung der verkürzten Steuern im Einzelnen nachvollziehbar dargestellt sein. Dies erfordert insbesondere, dass diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen), im Urteil mitgeteilt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Oktober 2018 – 1 StR 538/17, NStZ-RR 2019, 79 f. und vom 26. April 2001 – 5 StR 448/00, wistra 2001, 308, jeweils mwN). Bei – wie hier – unberechtigtem Steuerausweis i.S.v. § 14c Abs. 2 UStG bedarf es dabei auch der Angabe, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Höhe die Steuer entstanden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2018 – 1 StR 538/17, NStZ-RR 2019, 79 f.).
Rz. 5
Daran fehlt es hier. Das Landgericht teilt lediglich mit, in welcher Gesamthöhe Vorsteuerbeträge aus Scheinrechnungen zu Unrecht entgegen § 15 UStG geltend gemacht worden sind. Es fehlen jedoch Feststellungen dazu, von welchen unberechtigten Steuerbeträgen i.S.d. § 14c Abs. 2 UStG das Landgericht ausgegangen ist und wann die zugrunde liegenden Scheinrechnungen ausgegeben worden sind (vgl. BGH aaO), zu welchem Zeitpunkt die Steuer also tatsächlich entstanden ist (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG bzw. § 13 Abs. 1 Nr. 4 UStG aF). Der Senat kann daher bereits nicht nachprüfen, ob eine Steuerverkürzung eingetreten ist und damit der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erfüllt ist.
Rz. 6
2. Die subjektive Tatseite der Steuerhinterziehung ist in den Urteilsgründen ebenfalls nicht tragfähig belegt.
Rz. 7
Das Landgericht nimmt bedingten Tatvorsatz an und geht dabei davon aus, dass der Angeklagte trotz der bei ihm vorliegenden Intelligenzminderung mit einhergehender Legasthenie erkannt habe, dass er keinen Handel mit Kupferkathoden getrieben und auch keine entsprechenden Umsätze erwirtschaftet sowie dass er bewusst unzutreffende Ausgangsrechnungen mit ausgewiesener Umsatzsteuer unterzeichnet hat. Aufgrund seiner Gewerbeanmeldung im Jahr 2010 sei ihm zudem bekannt gewesen, zur Abgabe zutreffender Jahresumsatzsteuererklärungen verpflichtet zu sein. Diese Annahmen lassen sich jedoch nicht ohne weiteres mit den Feststellungen des insoweit sachverständig beratenen Landgerichts zur Schuldfähigkeit des Angeklagten vereinbaren. Danach liegen beim Angeklagten nicht nur eine Legasthenie und Einschränkungen der Merkfähigkeit vor, vielmehr leidet dieser an einer Intelligenzminderung von mittlerer bis schwerer Ausprägung, so dass sowohl das Merkmal des Schwachsinns als auch dasjenige der krankhaften seelischen Störung i.S.d. § 20 StGB erfüllt seien und deshalb eine erhebliche Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden könne. Ausgehend hiervon hätte es näherer Darlegung bedurft, auf welche Umstände das Landgericht seine Überzeugung stützt, dass der Angeklagte seine Verpflichtung erkannt hat, auch die in den Scheinrechnungen jeweils ausgewiesene Umsatzsteuer in die Steuererklärungen aufzunehmen, aber von einer Geltendmachung entsprechender Vorsteuerbeträge abzusehen.
Rz. 8
Rechtsfehlerhaft offen bleibt zudem, ob die für einen Schuldvorwurf beim Angeklagten erforderliche Unrechtseinsicht im konkreten Fall vorhanden war; die Feststellung einer erheblichen Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit genügt insoweit nicht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 7. November 2018 – 5 StR 449/18, NStZ 2019, 78 f. mwN).
Rz. 9
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung durch eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts. Der Senat hebt die gesamten Feststellungen auf, um dem neuen Tatrichter insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 10
Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat:
Rz. 11
Der neue Tatrichter wird für die Frage, ob Erwachsenen- oder Jugendstrafrecht anzuwenden ist – dies richtet sich im vorliegenden Fall entsprechend § 32 JGG danach, ob das Schwergewicht der gemäß § 154 StPO eingestellten Taten und der verfahrensgegenständlichen Tat bei Straftaten liegt, für die Jugendstrafrecht gilt (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. März 2016 – III-3 RVs 79/16, NStZ-RR 2017, 28 f.; HK-JGG/Schatz, 7. Aufl., § 32 Rn. 44; Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 32 Rn. 20 mwN; Brunner/Dölling, JGG, 13. Aufl. § 32 Rn. 1; Drees, NStZ 1995, 481) –, eine umfassende Gesamtwürdigung aller hierfür bedeutsamen Umstände vorzunehmen haben. Maßgeblich für die Bestimmung des Schwergewichts sind insoweit nicht nur die jeweiligen Auswirkungen der Taten (Umfang der jeweils verursachten Hinterziehungsbeträge), sondern insbesondere, ob sich die späteren Straftaten als in den früheren bereits angelegt darstellen, ob sie also bei Betrachtung der Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten ihren Ursprung im Jugendalter haben bzw. wo die „Tatwurzeln” liegen (vgl. BGH, Urteile vom 29. November 2017 – 2 StR 460/16, NStZ 2018, 662 f. mwN und vom 24. März 1954 – 6 StR 84/54, BGHSt 6, 6 f.; Beschluss vom 15. Juni 1994 – 2 StR 229/94 Rn. 15).
Unterschriften
Jäger, Bellay, Bär, Hohoff, Pernice
Fundstellen
Haufe-Index 13053333 |
BFH/NV 2019, 799 |
JR 2020, 81 |
wistra 2019, 465 |
AO-StB 2019, 305 |
AO-StB 2020, 16 |
NZWiSt 2019, 298 |
StV 2020, 733 |
ZWH 2019, 258 |