Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerhinterziehung durch Unterlassen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die zunächst fünfjährige Verjährungsfrist wurde durch die Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens am 27. Januar 2004 wirksam unterbrochen. Sie verlängerte sich vor ihrem Ablauf mit dem Inkrafttreten des § 376 Abs. 1 AO am 25. Dezember 2008 auf zehn Jahre, weil die Tat die Voraussetzungen des Regelbeispiels eines besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung erfüllte. Durch die Erhebung der Anklage am 27. Juni 2012 wurde die zehnjährige Verjährungsfrist nochmals unterbrochen.
2. Reicht der Stpfl. bis zum Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist keine Umsatzsteuerjahreserklärung ein, lässt er die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis. Mit Ablauf dieser Frist wird zugleich die Umsatzsteuer verkürzt, weil die Umsatzsteuerjahreserklärung als Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Damit war die Steuerhinterziehung durch Unterlassen mit Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts vollendet und zugleich auch beendet.
3. Das Fristende für die Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung wird aufgrund der jeweiligen gleichlautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder verschoben, wenn der Angeklagte einen Vertreter der steuerberatenden Berufe mit der Erstellung der Umsatzsteuerjahreserklärung beauftragt.
Normenkette
AO § 370 Abs. 1 Nr. 2, § 376 Abs. 1, § 168; EGAO Art. 97 § 23; UStG § 18 Abs. 3; StGB §§ 78, 78c
Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 14.04.2016; Aktenzeichen W5 KLs 69 Js 26346/11) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 14. April 2016 im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Im Hinblick auf eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von sechs Jahren vier Monaten und zwei Wochen hat es angeordnet, dass von der Freiheitsstrafe sechs Monate als vollstreckt gelten. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht. Verfolgungsverjährung ist für die verfahrensgegenständliche Tat der Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 18 Abs. 3 UStG) nicht eingetreten.
Rz. 3
Die zunächst fünfjährige Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) wurde durch die Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens am 27. Januar 2004 gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB wirksam unterbrochen. Sie verlängerte sich vor ihrem Ablauf mit dem Inkrafttreten des § 376 Abs. 1 AO am 25. Dezember 2008 auf zehn Jahre (Art. 97 § 23 EGAO), weil die Tat die Voraussetzungen des Regelbeispiels eines besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO erfüllte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. März 2013 – 1 StR 73/13, BGHR AO § 376 Abs. 1 Verjährungsfrist 1 und vom 13. Juni 2013 – 1 StR 226/13, wistra 2013, 471). Durch die Erhebung der Anklage am 27. Juni 2012 wurde die zehnjährige Verjährungsfrist nochmals unterbrochen (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB).
Rz. 4
2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuldspruch und hinsichtlich der Kompensation für die festgestellte rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 5
3. Demgegenüber hat der Strafausspruch keinen Bestand (§ 349 Abs. 4 StPO).
Rz. 6
a) Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht strafschärfend herangezogen, dass der Angeklagte „bei Tatbeendigung am 31.12.2003 bereits mehrfach vorbestraft” gewesen sei. Es hat hierbei ausdrücklich zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt, dass ihn auch eine Verurteilung durch das Amtsgericht Ebersberg vom 5. Juni 2003 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung (UA S. 5) nicht von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten habe (UA S. 19). Die verfahrensgegenständliche Tat der Hinterziehung von Umsatzsteuer für das Jahr 2002 durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 18 Abs. 3 UStG) war jedoch bereits mit Ablauf des 31. Mai 2003 beendet. Sie stellt daher bezogen auf die erst danach ergangene Verurteilung durch das Amtsgericht Ebersberg keinen Bewährungsbruch dar. Dies ergibt sich aus folgendem:
Rz. 7
aa) Der Angeklagte, der ein Einzelunternehmen für Reinigungsservice betrieb, war gemäß § 18 Abs. 3 UStG verpflichtet, für das Jahr 2002 eine Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben. In diese hatte er neben der Umsatzsteuer auf getätigte Umsätze auch die Umsatzsteuer aufzunehmen, die sich aus von ihm unter gesondertem Umsatzsteuerausweis ausgestellten Scheinrechnungen ergab (§ 14 Abs. 3 UStG aF).
Rz. 8
bb) Die gesetzliche Abgabefrist für die Umsatzsteuerjahreserklärung endete gemäß § 149 Abs. 2 AO aF am 31. Mai 2003. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hatte sich diese Frist für den Angeklagten nicht „aufgrund seiner steuerlichen Vertretung” (UA S. 6) gemäß § 109 Abs. 1 AO bis zum 31. Dezember 2003 verlängert.
Rz. 9
Allerdings hätte sich das Fristende für die Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 2002 aufgrund Nr. 2 Abschnitt II Abs. 1 der gleichlautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 2. Januar 2003 (BStBl. I 2003, 67) gemäß § 109 AO auf den 30. September 2003 verschoben, wenn der Angeklagte einen Vertreter der steuerberatenden Berufe mit der Erstellung der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2002 beauftragt hätte. Denn diese Regelung enthält eine allgemeine Fristverlängerung für den Fall, dass („sofern”) die Steuererklärung durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe i.S.v. §§ 3 und 4 Nr. 3 und 8 StBerG angefertigt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2013 – 1 StR 6/13, BGHR AO § 109 Abs. 1 Fristverlängerung 1 mwN; BFH, Beschluss vom 19. August 2010 – VIII B 58/10, BFH/NV 2010, 2232; Urteil vom 28. Juni 2000 – X R 24/95, BFHE 192, 32; Rätke in Klein, AO, 13. Aufl., § 109 Rn. 5 und § 149 Rn. 14; Jäger in Klein aaO § 370 Rn. 72b).
Rz. 10
Die Voraussetzungen der Fristverlängerung lagen bei dem Angeklagten im Hinblick auf die Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2002 indes nicht vor. Für die allgemeine Verlängerung der Abgabefrist für Steuererklärungen aufgrund der genannten Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder genügte es nicht, dass der Angeklagte „in den Vorjahren steuerlich beraten war” (UA S. 17). Vielmehr wäre erforderlich gewesen, dass ein Vertreter der steuerberatenden Berufe mit der Anfertigung gerade dieser Steuererklärung beauftragt war. Nach den Feststellungen des Landgerichts war dies aber nicht der Fall.
Rz. 11
cc) Da der Angeklagte bis zum Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist am 31. Mai 2003 (§ 149 Abs. 2 AO aF) für das Jahr 2002 keine Umsatzsteuerjahreserklärung einreichte, ließ er im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis. Mit Ablauf dieser Frist wurde zugleich die Umsatzsteuer verkürzt, weil die Umsatzsteuerjahreserklärung als Steueranmeldung (§ 18 Abs. 3 UStG i.V.m. § 150 Abs. 1 Satz 3 AO) einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 168 Satz 1 AO). Damit war die vom Angeklagten verwirklichte Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) mit Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts am 31. Mai 2003 vollendet und zugleich auch beendet (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 31. Mai 2011 – 1 StR 189/11, wistra 2011, 346 sowie Jäger in Klein, AO, 13. Aufl., § 370 Rn. 105 und 202).
Rz. 12
b) Der Strafausspruch beruht auf dem Wertungsfehler des Landgerichts, das Urteil des Amtsgerichts Ebersberg vom 5. Juni 2003 als Vorverurteilung anzusehen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht für die verfahrensgegenständliche Tat eine niedrigere Strafe als eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt hätte, wenn es bezogen auf das Urteil des Amtsgerichts Ebersberg nicht von einem Bewährungsbruch ausgegangen wäre.
Rz. 13
4. Die Urteilsfeststellungen sind von dem Wertungsfehler bei der Strafzumessung nicht betroffen und haben daher Bestand. Das neue Tatgericht kann weitere Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
Rz. 14
5. Die Aufhebung des Urteils durch das Revisionsgericht im Strafausspruch lässt die angeordnete Kompensation für die eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung – auch wenn diese angesichts eines Zeitablaufs von mehr als zwölf Jahren zwischen der Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und dem Beginn der Hauptverhandlung eher gering ausgefallen ist – unberührt (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135; Beschlüsse vom 16. März 2016 – 1 StR 402/15, wistra 2016, 357 und vom 22. Januar 2013 – 1 StR 234/12, BGHSt 58, 115). Etwaige weitere Verzögerungen wird das neue Tatgericht gegebenenfalls ergänzend zu berücksichtigen haben.
Unterschriften
Graf, Jäger, Cirener, Mosbacher, Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 10220219 |
BFH/NV 2017, 718 |
wistra 2017, 234 |
NStZ-RR 2017, 82 |
PStR 2017, 103 |
AO-StB 2017, 147 |
StraFo 2017, 75 |
steueranwaltsmagazin 2017, 93 |