Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunftspflicht des Insolvenzschuldners. Geschäftsführertätigkeit. Erwerb von GmbH-Geschäftsanteilen. Versagung der Restschuldbefreiung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Schuldner hat den Erwerb von Geschäftsanteilen an einer GmbH und die Übernahme des Geschäftsführeramts unverzüglich anzuzeigen. Für die Annahme eines Verstoßes gegen seine Auskunftspflicht ist es ohne Bedeutung, wenn der Schuldner aus seiner Tätigkeit im Ergebnis keinen wirtschaftlichen Erfolg erzielt hat.
2. Mit der Gehörsrüge kann die Bindungswirkung des Tatbestands auch im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht ausgeräumt werden.
Normenkette
InsO § 290 Abs. 1 Nr. 5; ZPO § 320
Verfahrensgang
LG Potsdam (Beschluss vom 23.06.2009; Aktenzeichen 5 T 408/09) |
AG Potsdam (Beschluss vom 16.02.2009; Aktenzeichen 35 IN 35/02) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Potsdam vom 23.6.2009 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Auf den mit einem Restschuldbefreiungsgesuch verbundenen Eigenantrag vom 15.11.2001 wurde durch Beschluss des Insolvenzgerichts vom 28.3.2002 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet.
Rz. 2
Der Schuldner erwarb im Laufe des Verfahrens wiederholt GmbH-Geschäftsanteile; außerdem übte er in den betroffenen Gesellschaften das Amt des Geschäftsführers aus. Aus diesen Tätigkeiten erzielte er nach eigenen Angaben keine Gewinne. Mit Beschluss vom 16.2.2009 hat das Insolvenzgericht dem Schuldner auf Antrag mehrerer Gläubiger die Restschuldbefreiung versagt. Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das LG zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein Begehren weiter.
II.
Rz. 3
Die statthafte Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, §§ 6, 7, 289 Abs. 2 Satz 1 InsO) ist zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO), bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Schuldner habe Auskunfts- und Mitwirkungspflichten i.S.d. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO verletzt, weil er unstreitig den Erwerb von GmbH-Geschäftsanteilen und die Ausübung des Geschäftsführeramts ggü. der Insolvenzverwalterin verschwiegen habe. Das Verschweigen sei in voller Kenntnis der Sachlage mindestens grob fahrlässig erfolgt. Die rechtliche Fehleinschätzung, dass es sich angesichts des wirtschaftlichen Misserfolgs um unerhebliche Tatsachen handele, stehe dem groben Sorgfaltsverstoß nicht entgegen.
Rz. 5
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.
Rz. 6
a) Ohne Erfolg macht der Beschwerdeführer unter Berufung auf Art. 103 Abs. 1 GG geltend, das Beschwerdegericht habe seinen Sachvortrag zu Unrecht dahin gewürdigt, dass der ihm angelastete Verstoß unstreitig sei. Der Beachtlichkeit dieser Rüge stehen die tatbestandlichen Feststellungen des Beschwerdegerichts entgegen.
Rz. 7
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die beanstandeten tatsächlichen Feststellungen gebunden, weil der Schuldner es versäumt hat, einen Tatbestandsberichtigungsantrag zu stellen (vgl. BGH, Urt. v. 5.2.2009 - IX ZR 78/07 WM 2009, 662, 663 Rz. 13; Urt. v. 10.12.2009 - IX ZR 206/08ZInsO 2010, 82, 84 Rz. 11). § 320 ZPO ist auch auf Endentscheidungen anzuwenden, die - wie hier - als möglicher Gegenstand einer Rechtsbeschwerde einer Sachverhaltsdarstellung nebst rechtlicher Begründung bedürfen (vgl. BGH, Beschl. v. 7.4.2005 - IX ZB 63/03WM 2005, 1246; v. 5.3.2009 - IX ZB 141/08WM 2009, 856 f Rz. 4 ff. jeweils m.w.N.) und in einem Beschlussverfahren ergehen (BGHZ 65, 30 [36]; Musielak/Musielak, ZPO, 7. Aufl., § 329 Rz. 20; Prütting/Gehrlein/Völzmann-Stickelbrock, ZPO 2009 § 329 Rz. 18). Mit der Gehörsrüge kann die Bindungswirkung des Tatbestandes nicht ausgeräumt werden (vgl. Musielak in ZPO, 3. Aufl., § 321a Rz. 11). Der Beschwerdeführer geht selbst davon aus, dass das Beschwerdegericht eine tatbestandliche Feststellung getroffen hat, indem es das Verschweigen der unter 1. erwähnten Umstände als "unstreitig" angesehen hat.
Rz. 8
b) Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht dem Schuldner auf der Grundlage von § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO die Restschuldbefreiung versagt.
Rz. 9
aa) Der Umfang der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten ergibt sich im Wesentlichen für das Eröffnungsverfahren aus § 20 InsO und für das eröffnete Verfahren aus § 97 InsO. Auskunft ist danach über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse zu erteilen. Dieser Begriff ist weit auszulegen und umfasst alle rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Verhältnisse, die für das Verfahren in irgendeiner Weise von Bedeutung sein können. Die Verpflichtung zur Auskunft ist nicht davon abhängig, dass an den Schuldner entsprechende Fragen gerichtet werden. Der Schuldner muss vielmehr die betroffenen Umstände von sich aus, ohne besondere Nachfrage, offen legen, soweit sie offensichtlich für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sein können und nicht klar zu Tage liegen (BGH, Beschl. v. 11.2.2010 - IX ZB 126/08WM 2010, 524, 525 Rz. 5).
Rz. 10
Danach war der Schuldner von sich zu einer Mitteilung an die Insolvenzverwalterin bereits in dem Zeitpunkt verpflichtet, als er im jeweiligen Einzelfall die Geschäftsanteile und das Amt des Geschäftsführers übernahm. Der Informationspflicht hatte der Schuldner unverzüglich nach Verwirklichung des anzeigepflichtigen Sachverhalts - mithin im unmittelbaren Anschluss an den Erwerb der Geschäftsanteile bzw. die Übernahme der Geschäftsführung - zu genügen (HmbKomm-InsO/Streck, 3. Aufl., § 290 Rz. 32; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl., § 290 Rz. 67). Da die Auskunftspflicht umgehend zu erfüllen war, durfte der Schuldner nicht abwarten, wie sich die Geschäftstätigkeit der Gesellschaften entwickelt. Im Übrigen ist es nicht Sache des Schuldners, seine Aktiva zu bewerten und von Angaben zu vermeintlich wertlosen Gegenständen abzusehen (BGH, Beschl. v. 7.12.2006 - IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96, 97 Rz. 8). Darum ist es ohne Bedeutung, dass der Schuldner trotz seiner Bemühungen im Ergebnis keine Gewinne erwirtschaftet hat. Infolge der tatsächlich gegebenen Gewinnerzielungsabsicht kann sich der Schuldner nicht darauf berufen, dass sich eine Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger nicht verwirklicht hat (vgl. BGH, Beschl. v. 8.1.2009 - IX ZB 73/08WM 2009, 515).
Rz. 11
bb) Zutreffend hat das Beschwerdegericht angenommen, dass der Schuldner grob fahrlässig Auskunfts- und Mitwirkungspflichten verletzt hat (§ 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO).
Rz. 12
(1) Die Rechtsprechung versteht unter grober Fahrlässigkeit ein Handeln, bei dem die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte. Bei der groben Fahrlässigkeit handelt es sich um eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung. Der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt es, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat (BGH, Beschl. v. 19.3.2009 - IX ZB 212/08WM 2009, 857, 858 Rz. 7).
Rz. 13
(2) Nach diesen Maßstäben ist dem Schuldner ein grob fahrlässiger Verstoß gegen seine Auskunftspflichten vorzuwerfen, weil er Geschäftsanteile erworben und eine Geschäftsführertätigkeit ausgeübt hat, ohne die Insolvenzverwalterin darüber zu unterrichten. Im Blick auf die Gewichtung der Pflichtverletzung als grob fahrlässig beruft sich der Schuldner zu Unrecht auf den Senatsbeschluss vom 19.3.2009 (a.a.O. S. 858 f Rz. 9 ff.). Dort hatte die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse ohnehin nicht zu Unterhaltszahlungen verpflichtete Schuldnerin die Mitteilung versäumt, dass ihr lediglich dem Grunde nach unterhaltsberechtigter Sohn ins Berufsleben eingetreten und damit als potentieller Unterhaltsberechtigter weggefallen war. Vorliegend hat der Schuldner hingegen Aktivitäten verschwiegen, die tatsächlich auf eine Vermögensmehrung gerichtet waren.
Rz. 14
cc) Die Versagung der Restschuldbefreiung stellt sich entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht als unverhältnismäßig dar.
Rz. 15
Trotz eines Verstoßes des Schuldners gegen seine Mitwirkungspflichten kann eine Versagung der Restschuldbefreiung als unverhältnismäßig zu bewerten sein, wenn der Verstoß des Schuldners nur gering wiegt (BGH, Beschl. v. 17.9.2009 - IX ZB 284/08WM 2009, 1984 Rz. 11). Von einem geringfügigen Verstoß kann im Streitfall mit Rücksicht auf die von dem Schuldner durch seinen wiederholten "Einstieg" in Gesellschaften verfolgten wirtschaftlichen Interessen keine Rede sein.
Fundstellen
Haufe-Index 2336466 |
BB 2010, 1226 |
DB 2010, 1234 |
DStR 2010, 11 |
DStR 2010, 1994 |