Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei formeller Unrichtigkeit, aber materieller Richtigkeit der Entscheidung. Unzulässigkeit der Verkündung eines Urteils vor Ablauf einer Schriftsatzfrist
Leitsatz (amtlich)
a) Prozesskostenhilfe ist dem Rechtsmittelführer nicht zu bewilligen, wenn die angefochtene Entscheidung formell keinen Bestand haben kann, das materielle Ergebnis sich nach einer Zurückverweisung jedoch voraussichtlich nicht ändern wird.
b) Die Verkündung eines Urteils ist unzulässig, wenn eine Unterbrechung des Verfahrens zwar nach dem Schluss einer mündlichen Verhandlung, aber vor dem Ende einer Schriftsatzfrist, die einer Partei bewilligt war, eingetreten ist.
c) Der Darlehensrückzahlungsanspruch eines ausgeschiedenen Gesellschafters ist im Insolvenzverfahren allenfalls dann als nachrangig zu behandeln, wenn er im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag ausgeschieden ist.
Normenkette
ZPO §§ 114, 249 Abs. 3; GmbHG § 30 Abs. 1 S. 3; InsO § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
Rz. 1
Der Antrag ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 ZPO).
I.
Rz. 2
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die E. AG (im Folgenden: Klägerin), war Gesellschafterin der Schuldnerin, einer GmbH, und gewährte dieser am 13./20.7.2000 ein Gesellschafterdarlehen i.H.v. 1,5 Mio. DM. Gleichzeitig erklärte sie sich bereit, der Schuldnerin bei erkennbarer Notwendigkeit weitere 1,5 Mio. DM zur Verfügung zu stellen. Am 22./23.1.2002 veräußerte die Klägerin ihre Geschäftsanteile an der Schuldnerin an ihre Mitgesellschafter, wobei sie sich verpflichtete, der Schuldnerin die weiteren Darlehensmittel i.H.v. 766.937,82 EUR innerhalb von zwei Bankarbeitstagen zu zahlen. Die Klägerin und die Erwerber erklärten bezüglich der Darlehensmittel einen bis 31.12.2005 befristeten Rangrücktritt. Das Darlehen sollte in Raten von 500.000 DM zum 31.12.2003, i.H.v. 1.000.000 DM zum 31.12.2004 und i.H.v. 1.500.000 DM zum 31.12.2005 getilgt werden; die beiden ersten Raten sollten nur fällig werden, wenn die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft eine Tilgung zuließ. Spätestens zum 31.12.2005 sollte die Klägerin die Rückzahlung des gesamten ausstehenden Betrags verlangen können. Mit der Klage verlangt die Klägerin von der Schuldnerin Rückzahlung des Darlehens.
Rz. 3
Das LG hat die Klage abgewiesen, weil das Darlehen eigenkapitalersetzend sei. Das Berufungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 6.10.2010 darauf hingewiesen, dass die frühere Rechtsprechung zu den eigenkapitalersetzenden Darlehen auf Altfälle keine Anwendung mehr finde, hat den Parteien Gelegenheit gegeben, zu den "heute aufgeworfenen Rechtsfragen" bis 8.11.2010 Stellung zu nehmen, und hat Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 22.11.2010 bestimmt. Am 4.11.2010 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Am 8.11.2010 hat das Berufungsgericht beschlossen, dass das Verfahren unterbrochen sei, den Verkündungstermin aber nach § 249 Abs. 3 ZPO aufrechterhalten. Mit seinem am 22.11.2010 verkündeten Urteil, in dem der Beklagte als Insolvenzverwalter der Schuldnerin als Partei bezeichnet ist, hat das Berufungsgericht (OLG München ZIP 2011, 225) das Urteil des LG abgeändert und "die Beklagte" zur Zahlung von 1.533.875,60 EUR nebst Zinsen verurteilt. Dagegen hat der Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und innerhalb der Begründungsfrist Prozesskostenhilfe beantragt.
II.
Rz. 4
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat im Endergebnis keine Aussicht auf Erfolg.
Rz. 5
1. Zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe muss die Rechtsverfolgung auch im materiellen Ergebnis Erfolgsaussichten haben. Prozesskostenhilfe ist dem Rechtsmittelführer nicht zu bewilligen, wenn die angefochtene Entscheidung formell keinen Bestand haben kann, das materielle Ergebnis sich nach einer Zurückverweisung jedoch voraussichtlich nicht ändern wird. Der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten weitgehend gleichen Zugang zu Gericht wie dem Bemittelten zu gewähren, gebietet lediglich, ihn einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BGH, Beschl. v. 12.10.2006 - IX ZB 107/05, AnwBl. 2007, 94; Beschl. v. 27.6.2003 - IXa ZB 21/03, NJW-RR 2003, 1648; Beschl. v. 14.12.1993 - VI ZR 235/92, NJW 1994, 1160). Das gilt auch für die Aufhebung eines Urteils, das trotz Unterbrechung des Verfahrens infolge Insolvenzeröffnung erlassen wurde.
Rz. 6
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat zwar Aussicht auf Erfolg. Die Revision wäre zuzulassen, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Rz. 7
a) Die Revision ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, wenn ein absoluter Revisionsgrund nach § 547 Nr. 1 bis 4 ZPO geltend gemacht wird und vorliegt (BGH, Beschl. v. 15.5.2007 - X ZR 20/05, BGHZ 172, 250 Rz. 8). Das während einer Unterbrechung des Verfahrens aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei erlassene Berufungsurteil ist zuungunsten einer Partei ergangen, die nicht nach der Vorschrift des Gesetzes vertreten war; ein solcher Verfahrensfehler begründet den absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 4 ZPO (vgl. BGH, Urt. v. 27.1.2009 - XI ZR 519/07, ZIP 2009, 1027 Rz. 11 m.w.N.).
Rz. 8
Das am 22.12.2010 verkündete Berufungsurteil hätte wegen der nach der mündlichen Verhandlung vom 6.10.2010 eingetretenen Unterbrechung durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 4.11.2010 nicht ergehen dürfen. Nach § 249 Abs. 3 ZPO wird die Verkündung der aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu erlassenden Entscheidung durch die nach dem Schluss dieser mündlichen Verhandlung eintretende Unterbrechung grundsätzlich nicht gehindert. Die Verkündung ist aber unzulässig, wenn die Unterbrechung zwar nach dem Schluss einer mündlichen Verhandlung, aber vor Ende einer Schriftsatzfrist, die einer Partei bewilligt war, eingetreten ist. Infolge der Insolvenzeröffnung ist eine Partei nicht mehr handlungsfähig, so dass eine Schriftsatzfrist infolge der Unterbrechung nicht mehr ablaufen kann (MünchKomm/ZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 249 Rz. 23; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 249 Rz. 8). Eine solche Schriftsatzfrist wurde den Parteien vom Berufungsgericht bewilligt. Ihnen wurde bis 8.11.2010 Gelegenheit gegeben, zu den im Termin aufgeworfenen Rechtsfragen Stellung zu nehmen. Darauf, ob sich die Parteien nur zu Rechtsfragen äußern sollten oder ob Rechtsausführungen zu einem Schriftsatzrecht für den Gegner führen (so Prütting in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 283 Rz. 9 m.w.N.; a.A. Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 283 Rz. 2a), kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht an. Wenn eine Partei Gelegenheit erhält, zu einem bisher nicht beachteten rechtlichen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen (§ 139 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 ZPO), kann sie auf den Hinweis auch mit der Ergänzung von Tatsachenvortrag oder Beweisantritt reagieren (BGH, Beschl. v. 4.5.2011 - XII ZR 86/10, NJW-RR 2011, 1009 Rz. 12; Urt. v. 21.12.2004 - XI ZR 17/03, BGHReport 2005, 671 m.w.N.).
Rz. 9
b) Nach Zulassung der Revision wäre das Berufungsurteil, um die Unterbrechungswirkung herzustellen, aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (vgl. BGH, Urt. v. 27.1.2009 - XI ZR 519/07, ZIP 2009, 1027 Rz. 14 m.w.N.).
Rz. 10
3. Die Rechtsverfolgung hat im materiellen Endergebnis aber keine Aussicht auf Erfolg. Der Klägerin stand eine Darlehensrückzahlungsforderung i.H.v. 1.533.875,60 EUR nebst Zinsen zu, die nach Insolvenzeröffnung auch zur Tabelle festzustellen ist, selbst wenn das Darlehen eigenkapitalersetzend war.
Rz. 11
a) Die Forderung der Klägerin auf Rückzahlung ihres Darlehens war durchsetzbar. Nach der Rechtsprechung des BGH führte ein eigenkapitalersetzendes Darlehen zu einer Sperre für die Durchsetzbarkeit des Rückzahlungsanspruchs im Sinn einer Stundung (vgl. BGH, Urt. v. 8.11.2004 - II ZR 300/02, ZIP 2005, 82, 84). Da die Rechtsprechungsregeln zum Eigenkapitalersatz mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008 (MoMiG) (BGBl. I, 2026) am 1.11.2008 aufgehoben wurden (§ 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG), konnten die Gesellschafter und erst recht gesellschaftsfremde Dritte wie die Klägerin, die keine Gesellschafterin mehr war, die Rückzahlung ihrer eigenkapitalersetzenden Darlehen ab diesem Zeitpunkt durchsetzen.
Rz. 12
b) Der Klägerin stehen auch die Zinsen zu. Rückstände auf Zinsen können geltend gemacht werden, wenn die Bindung eines Darlehens als Eigenkapitalersatz entfällt (BGH, Urt. v. 8.11.2004 - II ZR 300/02, ZIP 2005, 82, 84; Urt. v. 15.2.1996 - IX ZR 245/94, ZIP 1996, 538, 540). Da die Bindung mit Inkrafttreten des MoMiG entfiel, konnten auch die Zinsen aus der Vergangenheit geltend gemacht werden.
Rz. 13
c) Der Beklagte könnte nach Fortsetzung des Rechtsstreits auch nicht erfolgreich einwenden, dass die Forderung der Klägerin nach §§ 174 Abs. 3 Satz 1, 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO wegen eines Nachrangs nicht zur Tabelle festzustellen ist. Dabei kann offen bleiben, ob und inwieweit der Beklagte den Nachrang nach Aufnahme des Verfahrens geltend machen kann. Die Forderung ist nicht als nachrangig zu behandeln, da die Klägerin früher als ein Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der Schuldnerin ausgeschieden ist.
Rz. 14
Der Darlehensrückzahlungsanspruch eines ausgeschiedenen Gesellschafters ist im Insolvenzverfahren allenfalls dann als nachrangig zu behandeln, wenn er im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag ausgeschieden ist. Die Nachrangigkeit beurteilt sich nach § 39 InsO in der Fassung des MoMiG, weil das Insolvenzverfahren nach dem 1.11.2008 eröffnet wurde (Art. 103d Satz 1 EGInsO; vgl. BGH, Urt. v. 17.2.2011 - IX ZR 131/10, ZIP 2011, 575 Rz. 8).
Rz. 15
In der Literatur besteht im Ergebnis Einigkeit, dass ein Darlehensrückzahlungsanspruch eines ausgeschiedenen Gesellschafters nicht unabhängig vom Zeitpunkt des Ausscheidens als nachrangig anzusehen ist und insoweit § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO entsprechend anwendbar ist. Dabei kann dahinstehen, ob eine nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangige Forderung beim Ausscheiden des Gläubigers aus der Gesellschaft den Nachrang behält. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist in diesem Fall entsprechend anzuwenden, entweder weil der Wechsel in der Gesellschafterstellung insoweit einer Befriedigung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO gleichsteht (Habersack in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 5.27; Habersack/Ulmer, GmbHG, Ergänzungsband MoMiG, § 30 Rz. 46; Hirte in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 39 Rz. 46) oder weil ein zeitlich unbegrenzter Nachrang gegenüber einer Person, die die persönlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt, nicht zu rechtfertigen ist (Gehrlein, BB 2008, 846, 850; Goette/Kleindiek, Gesellschafterfinanzierung nach MoMiG, 6. Aufl., Rz. 241; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., Anh. § 64 Rz. 119; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl., Nachtrag MoMiG §§ 32a/b a.F. Rz. 21; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 30 Anh. Rz. 29; Thiessen in Bork/Schäfer, GmbHG, Anh. zu § 30 Rz. 31; Hk-GmbHG/Kolmann, Anh. § 30 Rz. 78; i.E. auch Haas, ZInsO 2007, 617, 626; Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3603). Da im Gegensatz zum früheren Recht dem Beginn und dem Ende der Krise keine begrenzende Funktion mehr zukommt und das MoMiG stattdessen in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf ein zeitliches Konzept umgestellt hat, ist dies auch auf die persönlichen Voraussetzungen für die Nachrangigkeit zu übertragen. Dem Altgesellschafter kann es nicht zum Nachteil gereichen, dass er trotz des Ausscheidens aus der Gesellschaft das Darlehen belassen und nicht zurückgefordert hat. Nachrangig ist die Forderung danach nur, wenn der Gläubiger innerhalb der Anfechtungsfrist Gesellschafter war.
Rz. 16
Zum selben Ergebnis gelangt man auch, wenn § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO dahin verstanden wird, dass bereits nach dem Wegfall der Gesellschafterstellung kein Gesellschafterdarlehen mehr vorliegt. Zum Schutz vor einer Umgehung der Regel von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO durch einen kurzfristigen Gesellschafterwechsel soll dann der ausgeschiedene Gesellschafter noch für eine zeitlich begrenzte Frist der Subordination unterworfen werden, wozu die Frist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO herangezogen wird (so HambKomm/Lüdtke, 3. Aufl., § 39 InsO Rz. 32).
Rz. 17
Die Klägerin hat ihren Geschäftsanteil am 22./23.1.2002 und damit weit früher als ein Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 15.10.2010 abgetreten. Selbst wenn wegen einer bis zum Inkrafttreten des MoMiG fortbestehenden Verstrickung des Darlehens der 1.11.2008 der maßgebende Zeitpunkt wäre, läge er früher als ein Jahr vor dem Insolvenzantrag.
Rz. 18
Ein Nachrang aufgrund einer Rangvereinbarung (§ 39 Abs. 2 InsO) bestand nicht. Der Rangrücktritt war bis 31.12.2005 befristet.
Rz. 19
d) Auf die Frage, ob der Geschäftsführer die Zahlung an die Klägerin seit Inkrafttreten des MoMiG nach § 64 Satz 3 GmbHG verweigern durfte, kommt es nach Insolvenzeröffnung nicht mehr an. Im Übrigen war die Klägerin nicht mehr Gesellschafterin und wurde daher von der Vorschrift nicht erfasst.
Fundstellen
Haufe-Index 2864586 |
BB 2012, 283 |
BB 2012, 65 |
DB 2012, 47 |
DStR 2012, 424 |