Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzverfahren. Restschuldbefreiung. Grobe Fahrlässigkeit des Schuldners bei Blankounterschrift unter dem vom Kreditvermittler ausgefüllten Kreditantrag
Leitsatz (amtlich)
Zur groben Fahrlässigkeit des Schuldners, wenn dieser es einem Kreditvermittler überlässt, den Kreditantrag auszufüllen.
Normenkette
InsO § 290 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Beschluss vom 19.02.2004; Aktenzeichen 5 T 32/04) |
AG Mönchengladbach |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Mönchengladbach v. 19.2.2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 4.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Anträge des Schuldners v. 31.3.2002 auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen sowie auf Erteilung der Restschuldbefreiung sind am 2.4.2002 beim Insolvenzgericht eingegangen. Dieses hat am 2.5.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet und später die Durchführung des Schlusstermins im schriftlichen Verfahren angeordnet. Daraufhin hat die Gläubigerin den Antrag gestellt, dem Schuldner die Restschuldbefreiung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu versagen, weil er bei Abschluss des Kreditvertrags v. 18.11.1999 falsche Angaben gemacht habe.
Das AG hat dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt. Dessen sofortige Beschwerde hat das LG zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner den Antrag auf Restschuldbefreiung weiter.
II.
Die gem. § 7 InsO, § 574 Abs. 1 Nr. 1, §§ 575, 576 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung.
1. Das LG hat die Versagung der Restschuldbefreiung ausschließlich mit der Erwägung begründet, dass die "von Seiten des Schuldners im Kreditantrag v. 18.11.1999 getätigten Angaben hinsichtlich Vorschulden und Unterhaltsverpflichtungen ... objektiv falsch" seien. Bereits auf der Grundlage seiner eigenen Einlassung habe der Schuldner grob fahrlässig gehandelt, indem er sich auf eine Korrektur der unzutreffenden Angaben durch den Kreditvermittler verlassen habe.
2. Damit hat das Beschwerdegericht den Anspruch des Schuldners auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Das Grundrecht auf rechtliches Gehör gebietet es, dass sich das Gericht mit allen wesentlichen Punkten des Vortrags einer Partei auseinander setzt. Zwar muss es nicht jede Erwägung in den Urteilsgründen ausdrücklich erörtern. Aus dem Gesamtzusammenhang der Gründe muss aber hervorgehen, dass das Gericht die wesentlichen Punkte berücksichtigt und in seine Überlegungen miteinbezogen hat (BGH, Beschl. v. 5.4.2005 - VIII ZR 160/04, BGHReport 2005, 1072 = NJW 2005, 1950 [1951]).
a) Daran fehlt es hier. Der Schuldner hat - wie das LG an sich nicht verkennt - mit der Beschwerdebegründung geltend gemacht, der Kreditvermittler habe ihn angewiesen, den Kreditvertrag "schon mal" zu unterschreiben, den "Rest" würde er dann ausfüllen, da er dessen Daten und Kopien von Verträgen schon habe. Dies hat die Ehefrau des Schuldners bei ihrer Zeugeneinvernahme durch das AG in detaillierter Form auch im Blick auf die hier maßgeblichen Rubriken des Kreditantrags ("Vorschulden/Kredite", "Unterhaltsverpflichtungen") ausgeführt. Das LG hat jedoch angenommen, der Schuldner habe falsche Angaben "getätigt" und sich nicht auf eine Korrektur durch den Kreditvermittler verlassen dürfen. Es hat den qualifizierten Schuldvorwurf allein darauf gestützt, dass der Schuldner "auf einer Änderung der unzutreffenden Angaben vor Unterzeichnung des Kreditantrages (hätte) bestehen müssen." Soweit er die Unrichtigkeit der Angaben kenne oder kennen müsse, sei von ihm zu erwarten, dass er der Versuchung widerstehe, etwaigen Anstiftungsversuchen von Kreditvermittlern nachzugeben. Wenn er durch seine Unterschrift bewusst die Verantwortung für die Angaben übernehme, dann müsse er die Konsequenzen tragen, auch wenn die Anregung zu diesen Falschangaben im Einzelfall von dritter Seite gekommen sein möge. Der Schuldner habe daher nicht ohne weiteres davon ausgehen können, dass der Kreditvermittler tatsächlich die Angaben im Kreditvertrag ändern würde.
Danach hat das LG zwar - wie seine Sachverhaltsschilderung ausweist - die Angaben des Schuldners zur Kenntnis genommen. Es hat sie jedoch bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen (BVerfGE 47, 182 [188 f.]; BVerfG v. 22.11.1983 - 2 BvR 399/81, BVerfGE 65, 293 [296]). Der Schuldner hat nicht vorgetragen, er habe sich "auf eine Korrektur der unzutreffenden Angaben über Vorschulden und Unterhaltsverbindlichkeiten durch den (Kreditvermittler) verlassen". Er hat vielmehr geltend gemacht, dieser habe den insoweit von ihm blanko unterschriebenen Kreditantrag entgegen den vorgelegten Daten und Verträgen unzutreffend ausgefüllt.
b) Auf diesem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann die Entscheidung des LG beruhen: Im Versagungsverfahren trifft den Gläubiger die sog. Feststellungslast. Verbleiben nach Ausschöpfung der gem. § 5 InsO gebotenen Maßnahmen Zweifel am Vorliegen des geltend gemachten Versagungstatbestandes, ist der Antrag des Gläubigers zurückzuweisen. Die Gesetzesstruktur geht vom redlichen Schuldner als Regelfall aus. Die Restschuldbefreiung darf daher nach § 290 InsO nur versagt werden, wenn das Insolvenzgericht die volle Überzeugung (§ 286 ZPO) gewonnen hat, dass der vom Gläubiger behauptete Versagungsgrund tatsächlich besteht (BGH v. 11.9.2003 - IX ZB 37/03, BGHZ 156, 139 [147] = BGHReport 2003, 1441 m. Anm. Rigol = MDR 2004, 172). Zwar erfasst § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO auch solche unrichtigen schriftlichen Angaben, die der Schuldner nicht persönlich niedergelegt hat, die jedoch mit seinem Wissen und seiner Billigung an den Empfänger weitergeleitet worden sind. Dies würde hier jedoch voraussetzen, dass der Kreditvermittler im Einvernehmen mit dem Schuldner die unzutreffenden Angaben über die Vorschulden und die Unterhaltsverpflichtungen bei der Gläubigerin eingereicht hätte (BGH v. 11.9.2003 - IX ZB 37/03, BGHZ 156, 139 [144] = BGHReport 2003, 1441 m. Anm. Rigol = MDR 2004, 172). Die Ehefrau des Schuldners hat dessen Angaben jedoch bestätigt; der Kreditvermittler konnte sich an den konkreten Fall nicht erinnern und hat lediglich Angaben zu seiner Geschäftspraxis gemacht.
3. Das LG wird daher ausgehend von der Einlassung des Schuldners prüfen müssen, ob der Umstand, dass der Schuldner dem Kreditvermittler das Ausfüllen des Kreditantrags nach seinem Vorbringen weitgehend überlassen hat, bereits den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit begründen kann. Dies kann nicht allgemein bejaht werden (LG Hamburg ZVI 2002, 382 [383]; Stephan in MünchKomm/InsO, § 290 Rz. 45; HK-InsO/Landfermann, 3. Aufl., § 290 Rz. 5). Vielmehr ist in dem hier gegebenen Zusammenhang erforderlich, dass Anlass zu der Befürchtung bestand, der Vermittler werde die Angaben nicht ordnungsgemäß in das Vertragsformular eintragen. Ergibt sich danach, dass auf der Grundlage des Schuldnervorbringens keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt, wird zu prüfen sein, ob die Gläubigerin den ihr obliegenden Beweis erbracht hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1412926 |
BB 2005, 2434 |
BGHR 2005, 1557 |
JurBüro 2006, 48 |
WM 2005, 1858 |
DZWir 2006, 36 |
MDR 2006, 230 |
NZI 2005, 687 |
Rpfleger 2005, 689 |
VuR 2005, 398 |
VuR 2005, 431 |
ZInsO 2005, 926 |
BKR 2005, 409 |
ZBB 2005, 454 |
ZVI 2005, 503 |