Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 06.03.2003) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 6. März 2003 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Wie der Generalbundesanwalt vermag auch der Senat weder eine Verletzung des Gebots der „Waffengleichheit” (Art. 6 Abs. 3 lit. d 2. Alt. MRK) noch einen Verstoß gegen das Beweiserhebungsrecht (§ 244 Abs. 2 und 3 StPO) zu erkennen.
Der Angeklagte wurde wegen Anstiftung zum schweren Raub in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Sein der Tatbeteiligung dringend verdächtiger, ins Ausland geflohener Bruder war nach der Zusicherung freien Geleits (§ 295 StPO) zu seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung erschienen. Tags zuvor hatte der Zeugenbeistand des Bruders beim Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft „im Hinblick auf das freie Geleit” angefragt, ob mit der Verhaftung seines Mandanten wegen einer etwaigen Falschaussage zu rechnen sei, wenn dieser Angaben mache. Der Staatsanwalt erwiderte, das sichere Geleit schütze nicht vor der Verfolgung wegen neuer, nach der Einreise begangener Straftaten und erklärte, die Staatsanwaltschaft könne keine Zusagen machen und müsse sich vorbehalten, im Falle des dringenden Verdachts einer Falschaussage entsprechend zu reagieren. Vor der Strafkammer berief sich der Zeuge dann auf sein – hier umfassendes – Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Abs. 1 StPO (jedoch ausdrücklich nicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO) und begab sich wieder ins Ausland. Einige Tage später stellte der Verteidiger einen Antrag auf kommissarische oder audiovisuelle Vernehmung dieses und eines weiteren Zeugen in deren Aufenthaltsstaat vor folgendem Hintergrund: Beim Tatnachweis war auch hinsichtlich des Angeklagten von Bedeutung, daß an einer der Tatwaffen DNS seines Bruders gefunden worden war. Dazu trug der Verteidiger des Angeklagten unter Bezugnahme auf zwei schriftliche Erklärungen der Zeugen vor: Etwa drei Monate vor der Tat traf der Bruder des Angeklagten zufällig beider Freund A. I., der eine von einem Franzosen – weitere Tatbeteiligte waren französische Staatsangehörige – ausgeliehene Handfeuerwaffe bei sich trug, um damit zu prahlen. Mit dieser Pistole, wohl die spätere Tatwaffe, spielte auch der Bruder des Angeklagten ein paar Minuten und konnte so seine Spuren (Hautpartikel) auf ihr hinterlassen haben. A. I. gab die Waffe kurze Zeit später wieder zurück und keiner der beiden sah sie je wieder. Zum Beweis dieses Vorgangs beantragte der Verteidiger die Vernehmung der beiden als Zeugen im Ausland. Sie seien bereit, dort bei einer kommissarischen (im nächsten deutschen Generalkonsulat) oder audiovisuellen (§ 247a Satz 1 Halbs. 2 StPO) Vernehmung Angaben zu machen. Auch A. I. weigerte sich, vor der Strafkammer in Deutschland auszusagen, wie er dem Vorsitzenden der Strafkammer am Telefon nochmals erklärt hatte. Die Strafkammer lehnte den Beweisantrag ab. Die kommissarische oder audiovisuelle Vernehmung der – zur Vernehmung unmittelbar vor der Strafkammer unerreichbaren – Zeugen im Land ihres derzeitigen Aufenthalts sei als Beweismittel völlig ungeeignet (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO). Angesichts der engen Verbundenheit beider Zeugen mit dem Angeklagten, deren Tatnähe, deren bisherigen widersprüchlichen Angaben sowie insbesondere vor dem Hintergrund der mangelnden effektiven Sanktionierbarkeit einer etwaigen Falschaussage bedürfe es zur Bewertung der Aussagen eines persönlichen Eindrucks, wie ihn nur die Vernehmung in körperlicher Anwesenheit der Zeugen zu vermitteln vermöge.
Dies ist frei von Rechtsfehlern.
1. Die Zurückweisung des Beweisantrags ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zur unmittelbaren Vernehmung in der Hauptverhandlung waren die Zeugen unerreichbar im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO (vgl. BGH NJW 2000, 443 [447]). Im übrigen – im Rahmen einer kommissarischen oder audiovisuellen Vernehmung – bewertete sie die Strafkammer rechtsfehlerfrei als völlig ungeeignete Beweismittel. Ob nur eine Vernehmung eines Zeugen unmittelbar vor dem erkennenden Gericht zur Wahrheitsfindung beizutragen vermag, hat der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Dies hat die Strafkammer getan und die für ihre Ermessensausübung maßgeblichen Gesichtspunkte dargelegt. Diese Entscheidung, die notwendig eine gewisse Vorauswürdigung des Beweismittels erfordert, unterliegt – vergleichbar der tatrichterlichen Beweiswürdigung – nur in eingeschränktem Umfang der revisionsrechtlichen Überprüfung, kann also nur bei Widersprüchen, Unklarheiten, Verstößen gegen Denk- und Erfahrungssätze oder damit vergleichbaren Mängeln vom Revisionsgericht beanstandet werden. Derartige Mängel sind hier nicht erkennbar. Damit ist die Entscheidung des Tatrichters vom Revisionsgericht hinzunehmen, das nicht sein Ermessen an die Stelle des tatrichterlichen Ermessens setzen kann (BGH NJW 2000, 443 [447] m.w.N.). Insbesondere durfte die Strafkammer in Anbetracht der Scheu der Zeugen, vor der Strafkammer in Deutschland Angaben zu machen – augenscheinlich aus Furcht vor strafrechtlicher Verfolgung wegen Falschaussage, wie das Verhalten des Bruders des Angeklagten zeigte –, den minderen Wert einer kommissarischen oder Videovernehmung im Ausland hier in ihre Abwägung einbeziehen. Denn solange die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für eine Falsch- oder pflichtwidrige Nichtaussage im konkreten zwischenstaatlichen Verhältnis nicht im Sinne einer effektiven Sanktionierbarkeit geklärt ist, ist auch dieses Defizit in Betracht zu nehmen (BGH NJW 1999, 3788 [3790]).
2. Die Vorgänge im Zusammenhang mit dem gescheiterten Versuch, den Bruder des Angeklagten als Zeugen zu hören, verstießen nicht gegen das in Art. 6 Abs. 3 lit. d 2. Alt. MRK normierte Gebot der „Waffengleichheit”. Alle Zeugen unterliegen bei ihrer Aussage vor Gericht der Wahrheitspflicht. Dies durchzusetzen dienen die Strafbestimmungen über die Aussagedelikte (§§ 153 ff. StGB) auch bei einem unter Gewährung freien Geleits erschienen „Entlastungszeugen”. Die bloße Erläuterung dieser Rechtslage seitens der Staatsanwaltschaft, allein der Hinweis auf dessen Wahrheitspflicht sowie auf die zu erwartenden strafprozessualen Folgen bei dringendem Verdacht einer Falschaussage verletzten das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren nicht. Daß die Staatsanwaltschaft die Absicht hatte, so eine den Angeklagten entlastende Aussage zu verhindern, ist schon deshalb ausgeschlossen, da der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft hier allein durch die gezielte Frage des Zeugenbeistands – einem anderen Rechtsanwalt aus dem Büro des Verteidigers des Angeklagten – zu der entsprechenden Auskunft veranlaßt wurde. Häufig wird jedoch das Gebot der Fairness gegenüber dem Zeugen einen entsprechenden Hinweis seitens der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts – etwa im Rahmen der Belehrung gemäß § 57 StPO – auch von Amts wegen gebieten, etwa dann, wenn sich bei vorläufiger Bewertung früherer Angaben des Zeugen die Gefahr abzeichnet, dieser könnte in Verkennung des Umfangs des Schutzes durch das gewährte freie Geleit unbesonnen falsch aussagen. Über den Antrag auf Vernehmung des Bruders des Angeklagten im Ausland – sei es kommissarisch, sei es audiovisuell – entschied das Gericht rechtsfehlerfrei aufgrund derselben rechtlichen Vorgaben der Strafprozeßordnung, wie sie für jeden anderen Zeugen auch gelten. Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. d 2. Alt. MRK (Gebot der „Waffengleichheit”) scheidet deshalb auch insoweit aus (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. MRK Art. 6 Rdn. 210 ff.).
Unterschriften
RiBGH Dr. Boetticher ist in Urlaub und kann deshalb nicht unterschreiben. Nack, Nack, Kolz, Hebenstreit, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 2558515 |
NStZ 2004, 347 |
StV 2004, 465 |