Entscheidungsstichwort (Thema)
Bekanntgabepflicht der Absicht, Sicherheiten zu verwerten
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Adressaten der Bekanntgabepflicht nach § 327 S. 3 AO.
2. Durch die Bekanntgabepflicht wird der Eigentümer von Waren, die der Sachhaftung nach § 76 AO unterliegen, auch dann geschützt, wenn er nicht selbst Vollstreckungsschuldner und damit Adressat ist.
Normenkette
BGB § 839; AO §§ 76, 253, 327
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 27.08.2003; Aktenzeichen 1 U 305/03) |
LG Trier (Urteil vom 11.02.2003; Aktenzeichen 11 O 343/01) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Koblenz v. 27.8.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, eine Handelsgesellschaft englischen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit, war Eigentümerin einer Position Starkbier (898,56 hl mit einem Alkoholgehalt von 9 %), das für den Export bestimmt war. Das Bier lagerte unverzollt im Zolllager der M. -K. GmbH in Z., bevor es zum endgültigen Bestimmungsort nach England weiterverladen werden sollte. Am 11.5.2000 beschlagnahmte das - inzwischen aufgelöste - Hauptzollamt Trier, eine Behörde der beklagten Bundesrepublik Deutschland, das gesamte Warenlager der Kellerei. Am 23.5.2000 widerrief das Hauptzollamt die der M. -K. GmbH erteilte Erlaubnis, das Bier unter Steueraussetzung zu lagern, und setzte gegen sie für die gesamte eingelagerte Biermenge die Biersteuer fest. Davon entfielen auf das Bier der Klägerin laut Schreiben des Hauptzollamts v. 21.6.2000 29.213,18 DM. Das Hauptzollamt wurde in der folgenden Korrespondenz durch den Inlands-Handelsvertreter der Klägerin und durch den Geschäftsführer der M. -K. GmbH auf das Eigentum der Klägerin hingewiesen. Am 7.7.2000 veräußerte es das Bier zur Deckung der Biersteuer freihändig zu etwa 5 v.H. seines Einkaufspreises.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Verwertungsabsicht hätte ihr oder der M. -K. GmbH zuvor rechtzeitig bekannt gegeben werden müssen. Infolge dieses Unterlassens sei sie daran gehindert worden, die Biersteuer rechtzeitig zu begleichen. Durch den freihändigen Verkauf des Bieres habe sie einen Schaden i.H.v. (umgerechnet) 97.434,34 EUR erlitten. Sie nimmt die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung auf Ersatz dieses Schadens in Anspruch. Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Forderung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Nach § 76 Abs. 1 AO dienen verbrauchsteuerpflichtige Waren - hier: Das eingelagerte Bier - ohne Rücksicht auf die Rechte Dritter als Sicherheit für die darauf ruhenden Steuern - hier: Biersteuer - (Sachhaftung). Nach § 327 S. 3 AO darf die Verwertung einer derartigen Sicherheit erst erfolgen, wenn dem Vollstreckungsschuldner die Verwertungsabsicht bekannt gegeben worden und seit der Bekanntgabe mindestens eine Woche verstrichen ist. Diese Bekanntgabe ist hier unstreitig unterblieben. Durch dieses Unterlassen haben die zuständigen Amtsträger eine Amtspflichtverletzung begangen, die geeignet ist, Schadensersatzansprüche des betroffenen "Dritten" nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu begründen.
2. Beide Vorinstanzen lassen den Amtshaftungsanspruch daran scheitern, dass die unstreitig verletzte Amtspflicht, die Verwertung des beschlagnahmten Bieres erst nach einer ordnungsgemäßen Bekanntgabe durchzuführen, nicht zu Gunsten der Klägerin als eines geschützten "Dritten" bestanden habe. Darin kann ihnen nicht gefolgt werden.
3. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass nicht die Klägerin als die Eigentümerin des Bieres, sondern die M. -K. GmbH als Lagerhalterin Vollstreckungsschuldnerin und damit Adressatin der Benachrichtigungspflicht nach § 327 S. 3 AO gewesen ist.
a) Zwar wird im steuerrechtlichen Schrifttum teilweise die Auffassung vertreten, Adressat der Bekanntgabepflicht sei der Eigentümer der haftenden Sache (Tipke/Kruse, AO, Oktober 2001, § 76 Rz. 17; Schwarz/Wöhner, AO, Mai 1997, § 76 Rz. 18; Schöll/Leopold/Madle/Rader, AO Oktober 2004, § 76 Rz. 9; Mösbauer, DStZ 1997, 397 [401]). Nähere Begründungen hierfür werden indessen nicht gegeben; insb. wird die Möglichkeit eines Auseinanderfallens von Vollstreckungsschuldner und Eigentümer nicht in Betracht gezogen.
b) Demgegenüber ist daran festzuhalten, dass Vollstreckungsschuldner (nur) derjenige ist, gegen den sich ein - tatsächliches - Vollstreckungsverfahren nach § 249 AO richtet (§ 253 AO), d.h. derjenige, gegen den ein Verwaltungsakt im Verwaltungsweg vollstreckt wird (§ 251 Abs. 1 AO; BFH v. 19.5.1994 - VII R 99/93, BFH/NV 1995, 558 [559 f.], vgl. zum Begriff des Vollstreckungsschuldners insb. auch Nr. 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Durchführung der Vollstreckung nach der Abgabenordnung - VollStrA - v. 13.3.1980, BStBl. I, 112). Der Eigentümer einer beim Vollstreckungsschuldner gepfändeten Sache ist als solcher nicht Vollstreckungsschuldner (Koch/Scholtz/Szymczak, AO, 5. Aufl. 1996, § 253 Rz. 3). Im vorliegenden Fall diente - wie bereits dargelegt - das beschlagnahmte Bier ohne Rücksicht auf die Rechte der Klägerin als Sicherheit für die darauf ruhenden Verbrauchsteuern (Sachhaftung; § 76 Abs. 1 AO). Ein - zur Verwertung im Übrigen nicht erforderlicher (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, März 2003, § 76 Rz. 47) - besonderer Haftungs- oder Duldungsbescheid ist insoweit nicht ergangen. Neben dem eigentlichen Steuerschuldner kann aber nur derjenige Vollstreckungsschuldner i.S.d. § 253 AO sein, der auf Grund eines Haftungs- oder Duldungsbescheids in Anspruch genommen wird (Schwarz/Dißars, AO, März 1999, § 253 Rz. 4 f.; Tipke/Kruse, AO, Oktober 1998, § 253 Rz. 2 f.; Nr. 3 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Halbs. 1 VollStrA).
c) Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nach den einschlägigen Bestimmungen des Biersteuergesetzes und der Biersteuerverordnung Steuerschuldnerin für die Biersteuer nach dem Widerruf der Bierlagererlaubnis unter Steueraussetzung die M. -K. GmbH als Inhaberin des Steuerlagers gewesen war. Sie war daher auch Vollstreckungsschuldnerin. Deshalb hatte die Bekanntgabe nach § 327 S. 3 AO (nur) ihr gegenüber zu erfolgen. Die Frage, ob im Einzelfall eine weiter gehende Unterrichtungspflicht auch ggü. dem Eigentümer der Sache bestehen kann, braucht nicht vertieft zu werden. Denn das Eigentum der Klägerin war - worauf das Berufungsgericht abgestellt hat - nicht ausreichend nachgewiesen worden. Zum anderen ergibt sich aus dem mit dem Hauptzollamt geführten Schriftwechsel, dass der Geschäftsführer der M. -K. GmbH als Ansprechpartner (auch) des Eigentümers aufgetreten ist.
4. Das Berufungsgericht hat jedoch nicht berücksichtigt, dass eine Bekanntgabepflicht ggü. der Inhaberin des Zolllagers, in dem das Bier verwahrt wurde, mit diesem Inhalt und Adressaten mittelbar auch die Eigentümer der der Sachhaftung unterliegenden Waren schützte.
a) Der Lagerhalter als Steuerschuldner hätte es in der Hand gehabt, den Eigentümer zu informieren und diesem die Möglichkeit zu geben, die Verwertung durch Begleichung der Steuerschuld abzuwenden. Darauf hatte die Klägerin insb. in der Berufungsbegründung auch ausdrücklich hingewiesen. Wie das Berufungsgericht selbst nicht verkennt, ist eine unmittelbare Beteiligung an dem Amtsgeschäft nicht notwendige Voraussetzung für die Annahme einer drittgerichteten Amtspflicht (BGH v. 9.10.1997 - III ZR 4/97, BGHZ 137, 11 [15] = MDR 1998, 45). Im Übrigen war - worauf die Beschwerde zu Recht hinweist - für die Amtsträger der Beklagten von vornherein klar erkennbar, dass das beschlagnahmte Bier im Eigentum eines Dritten stand und stehen musste, mochte dessen Identität auch nicht hinreichend geklärt sein. Dies ergab sich bereits daraus, dass es in dem Zolllager eingelagert war. Die Inhaberin des Zolllagers war somit Lagerhalterin i.S.d. § 467 Abs. 1 HGB. Als solche war sie durch den Lagervertrag verpflichtet, das im Eigentum Dritter stehende Gut zu lagern und aufzubewahren. Das Eigentum Dritter ist für den Lagervertrag und die Tätigkeit des Lagerhalters charakteristisch. Das gilt auch für den Lagerhalter im Falle der Sammellagerung (§ 469 HGB). Der - als solcher rechtmäßige - Zugriff auf die der Sachhaftung unterliegenden Waren tangierte damit notwendig und bestimmungsgemäß das Eigentum Dritter. Schon daraus ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass die Benachrichtigungspflicht, die den Zweck hat, die Auslösung der beschlagnahmten Waren und die Abwehr des Vollstreckungszugriffs zu ermöglichen, zugleich auch in individualisierter und qualifizierter Weise das Interesse des jeweiligen Eigentümers schützt und diesem damit die Stellung eines "Dritten" i.S.d. § 839 Abs. 1 S. 1 BGB verleiht.
b) In ähnlichem Sinne war bereits in der Rechtsprechung des Reichsgerichts anerkannt, dass die Amtspflicht des Gerichtsvollziehers, Zeit und Ort der Versteigerung unter allgemeiner Bezeichnung der zu versteigernden Sachen öffentlich bekannt zu machen (§ 816 Abs. 3 ZPO), nicht nur ggü. dem Gläubiger und dem Schuldner, sondern auch gegenüber dritten Personen besteht, deren Interessen nach der besonderen Natur des Amtsgeschäfts durch die Amtshandlung berührt werden können und in deren Rechtskreis durch sie eingegriffen wird, namentlich ggü. dem Eigentümer des Pfandgegenstandes (JW 1931, 2427).
5. Die Klägerin lastet den Amtsträgern des Hauptzollamts als weitere Amtspflichtverletzung an, sie hätten das Bier weit unter dessen Wert verschleudert und damit sowohl gegen § 305 i.V.m. § 300 AO als auch gegen die in Nr. 56 Abs. 1 S. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für Vollziehungsbeamte der Finanzverwaltung (VollzA) v. 29.4.1980 (BStBl. I, 194) normierte Verpflichtung verstoßen, beim freihändigen Verkauf von Sachen darauf bedacht zu sein, dass ein möglichst hoher Preis erzielt werde. Indessen hat das Berufungsgericht in rechtsfehlerfreier tatrichterlicher Würdigung festgestellt, dass ein Verstoß gegen diese Bestimmungen bereits tatbestandsmäßig nicht vorgelegen hat.
6. Der aus der Verletzung der Bekanntgabepflicht hergeleitete Amtshaftungsanspruch kann hier - entgegen einer eher beiläufigen Bemerkung im Berufungsurteil - nicht bereits daran scheitern, dass die Klägerin selbst oder die Vollstreckungsschuldnerin in einer der Klägerin zuzurechnenden Weise es schuldhaft unterlassen hätte, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (§ 839 Abs. 3 BGB). Zwar ist die Bekanntgabe der Verwertungsabsicht ein Verwaltungsakt (Klein/Rüsken, AO, 8. Aufl. 2003, § 76 Rz. 1). Da diese Bekanntgabe hier indessen unterblieben war, kommt insoweit eine Schadensabwendung durch Einlegung von Rechtsmitteln von vornherein nicht in Betracht. Der Vollstreckungszugriff selbst und die Art der Verwertung waren rechtmäßig und hätten deshalb nicht mit Aussicht auf Erfolg angegriffen werden können.
7. Das Berufungsurteil kann nach alledem keinen Bestand haben. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die noch offene Frage zu klären, ob eine ordnungsgemäße Information der Vollstreckungsschuldnerin tatsächlich zu einer rechtzeitigen Begleichung der Steuerschuld durch die Klägerin geführt hätte. Des Weiteren ist ggf. zu prüfen, ob die Klägerin nicht der Vorwurf eines mitwirkenden Verschuldens trifft, weil sie es unterlassen hat, von sich aus die beschlagnahmte Ware auszulösen. Endlich ist noch offen, ob eine Inanspruchnahme der M. -K. GmbH durch die Klägerin als anderweitige Ersatzmöglichkeit i.S.d. § 839 Abs. 1 S. 2 BGB in Betracht gekommen wäre.
Fundstellen
Haufe-Index 1335937 |
BFH/NV Beilage 2005, 272 |
HFR 2005, 903 |
NJW 2005, 1865 |
BGHR 2005, 907 |
DÖV 2005, 924 |
MDR 2005, 808 |
ZVI 2005, 260 |
BFH/NV-Beilage 2005, 272 |
SJ 2005, 13 |