Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegfall der Sekundärhaftung eines Steuerberaters trotz unterlassenem Hinweis auf eigene Regreßhaftung. Voraussetzungen für ein Teilurteil bei Schadensersatzforderungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Steuerberater ist verpflichtet, den Mandanten auf die Möglichkeit einer eigenen Regreßhaftung und die dafür maßgebliche Verjährungsregelung hinzuweisen.
2. Diese Hinweispflicht kann dadurch entfallen, daß der Mandant rechtzeitig vor Eintritt der Primärverjährung wegen Regreßanspruchs gegen den Steuerberater anwaltlich beraten wird oder daß er auf anderem Wege von einem Schadenersatzanspruch und dessen Verjährung Kenntnis erhält.
3. Der Tatrichter hat seine Feststellung der Schadenshöhe nicht hinauszuschieben, bis Finanzbehörden und -gerichte abschließend über steuerrechtliche Fragen entschieden haben, die für die Schadensermittlung bedeutsam sein können. Der Tatrichter hat über den Schadensumfang und die damit verbundene Ausgleichung von Steuerersparnissen gemäß § 287 ZPO zu entscheiden; diese Aufgabe verlangt nicht, anrechenbare Vorteile unter Gegenüberstellung der tatsächlichen und einer hypothetischen Vermögenslage des Geschädigten bis ins letzte genau zu berechnen.
3. Über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs, der nach seinem Grunde streitig ist, kann durch Teilurteil nur dann entschieden werden, wenn zugleich ein Grundurteil über den restlichen Teil des Anspruchs ergeht. Nur wenn das Teilurteil von der Entscheidung über den Rest des Anspruchs unabhängig ist, ist die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen.
Normenkette
StBerG § 68; BGB §§ 276, 278, 424; ZPO §§ 301, 304
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Teilurteil vom 24.06.1993; Aktenzeichen 15 U 45/92) |
LG Marburg (Urteil vom 09.01.1992; Aktenzeichen 1 O 68/91) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten und die Anschlußrevision des Klägers wird das Teilurteil des 15. Zivilsenates in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juni 1993 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger, der eine Fahrschule betreibt, verlangt vom beklagten Steuerbevollmächtigten Schadensersatz, weil dieser ihm eine nachteilige Vermögensanlage empfohlen habe.
Der Kläger ließ von Dezember 1984 bis Januar 1991 seine Buchführung und Steuererklärungen durch den Beklagten erledigen.
Am 6. November 1985 beteiligte sich der Kläger mit einer „Zeichnungssumme” von 100.000 DM an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die als geschlossener Immobilienfonds ein Bauprojekt durchführen wollte, und vereinbarte einen Treuhandvertrag mit dem Beklagten als „Gesellschaftertreuhänder”. Dieser hatte das steuerliche Konzept des Vorhabens erstellt und betreute die Gesellschafter in den sich daraus ergebenden Steuerangelegenheiten. Der Kläger zahlte von 1985 bis 1990 Einlagen von insgesamt 51.300 DM. Das Gebäude wurde im Jahre 1986 errichtet. 1987 geriet die Gesellschaft in finanzielle Schwierigkeiten. 1990 wurde die Zwangsversteigerung des Baugrundstücks angeordnet.
Das Landgericht hat der – im Februar 1991 erhobenen – Klage auf Ersatz der Einlagen – unter Anrechung einer geschätzten Steuerersparnis von 20.000 DM in den Jahren 1985 bis 1990 – in Höhe von 31.300 DM nebst Zinsen stattgegeben und festgestellt, daß der Beklagte dem Kläger einen weiteren Schaden aus dem Gesellschaftsbeitritt zu erstatten hat. Das Berufungsgericht hat durch Teilurteil dem Kläger weitere 1.821,90 DM nebst Zinsen zuerkannt, dessen Berufung in Höhe eines Teilbetrages von 8.613,76 DM und das Rechtsmittel des Beklagten in vollem Umfang zurückgewiesen; die Entscheidung über den restlichen eingeklagten Schadensersatzanspruch in Höhe von 9.564,34 DM nebst Zinsen hat sich das Berufungsgericht vorbehalten. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage. Der Kläger verfolgt mit seiner Anschlußrevision seine volle Klageforderung weiter.
Entscheidungsgründe
I.
1. Mit Erfolg rügen Revision und Anschlußrevision, daß das Berufungsgericht ein unzulässiges Teilurteil erlassen hat, das beide Parteien beschwert.
Über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs, der nach seinem Grunde streitig ist, kann durch Teilurteil (§ 301 ZPO) nur dann entschieden werden, wenn zugleich ein Grundurteil (§ 304 ZPO) über den restlichen Teil des Anspruchs ergeht. Nur wenn das Teilurteil von der Entscheidung über den Rest des Anspruchs unabhängig ist, ist die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen (BGHZ 107, 236, 242; BGH, Urt. v. 10. Juli 1991 – XII ZR 109/90, NJW 1991, 3036; v. 10. Oktober 1991 – III ZR 93/90, NJW 1992, 511, jeweils m.w.N.).
Im vorliegenden Falle ist der Grund des einheitlichen Klageanspruchs streitig. Der Beklagte hat bestritten, sich gegenüber dem Kläger vertraglich verpflichtet zu haben, ihn bei einer Vermögensanlage zu beraten. Außerdem hat der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben, die den Grund des Schadensersatzanspruchs insgesamt betrifft. Ein Grundurteil über die restliche Klageforderung ist nicht ergangen.
Deswegen besteht, soweit der Beklagte verurteilt wurde, die Gefahr, daß sich das angefochtene Teilurteil und eine künftige Entscheidung über die restliche Klageforderung widersprechen, sowohl für das Zahlungsbegehren als auch für den festgestellten Anspruch auf Ersatz künftiger Schäden. Diese Gefahr ist ebenfalls gegeben, soweit das Berufungsgericht die Klage in Höhe von 8.613,76 DM abgewiesen hat. Es hat gemeint, der Kläger sei in dem Umfang nicht geschädigt worden, in dem er in den Jahren 1985 bis 1987 eine Steuerersparnis infolge der Verlustzuweisungen erhalten habe abzüglich der Einkünfte, die er bei anderweitiger Anlage der in diesem Zeitraum geleisteten Einlagen – nach Besteuerung der Zinserträge – erzielt hätte. Die Anschlußrevision macht zu Recht geltend, daß die noch ausstehenden Feststellungen des Berufungsgerichts für die vorbehaltene Entscheidung über die restliche Klage sich auch auf den abgewiesenen Teil des Klageanspruchs auswirken können. Das Berufungsgericht will noch prüfen, ob der Kläger durch seine Einlagen in den Jahren 1988 bis 1990 Steuerersparnisse erzielt hat, die im Wege der Vorteilsausgleichung auf seinen Schaden anzurechnen wären, und gegebenenfalls inwieweit diese durch entgangene Zinsen bei anderweitiger Geldanlage – nach Versteuerung – vermindert werden (vgl. zur Schadensberechnung BGHZ 53, 132, 134; 74, 103, 113; BGH, Urt. v. 27. Juni 1984 – IVa ZR 231/82, NJW 1984, 2524; v. 21. September 1987 – II ZR 265/86, NJW-RR 1988, 161; v. 9. Dezember 1987 – IVa ZR 204/86, NJW-RR 1988, 856, 857; v. 25. Februar 1988 – VII ZR 152/87, NJW-RR 1988, 788, 789). Da der Kläger für diesen Zeitraum – gemäß der unbeanstandeten tatrichterlichen Feststellung – bisher keine Verlustzuweisungen erhalten hat, ist es nicht ausgeschlossen, daß die vom Berufungsgericht festgestellte Steuerersparnis von 10.435,66 DM für die Jahre 1985 bis 1987 dadurch aufgezehrt wird, daß der Kläger in der Folgezeit keine Steuervorteile erlangt, aber Zinsverluste erleidet.
Der nach Verkündung des Teilurteils erlassene Beschluß des Berufungsgerichts vom 27. August 1993 räumt die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen nicht aus. In diesem Beschluß hat das Berufungsgericht die Parteien darauf hingewiesen, daß möglicherweise das Teilurteil nicht hätte ergehen dürfen, und angekündigt, über den noch in der Berufungsinstanz anhängigen Teil der Klageforderung sowie über die Kosten des Rechtsstreits erst dann durch Schlußurteil zu entscheiden, wenn dieses Revisionsverfahren abgeschlossen ist. Das Gericht ist an seinen Beschluß nicht gemäß § 318 ZPO gebunden (vgl. BGH, Urt. v. 4. Dezember 1991 – VIII ZR 32/91, NJW 1992, 982, 983). Das Zivilprozeßrecht schützt nicht das Vertrauen einer Partei, eine vom Gericht geäußerte Ansicht, die nicht in einer formellen Entscheidung niedergelegt ist, sei verbindlich und werde fortbestehen (vgl. BGH, Urt. v. 3. Juli 1986 – IX ZR 18/86, BGHR ZPO § 318 – Rechtsansicht, frühere 1).
2. Wegen der noch ausstehenden Feststellungen zur Schadensberechnung ist der Rechtsstreit entgegen der Ansicht der Anschlußrevision nicht entscheidungsreif. Ein Grundurteil des Senats über die noch im Berufungsverfahren anhängige restliche Klageforderung entfällt, weil nicht sicher ist, daß dieser Teil des Klageanspruchs mit hoher Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe besteht (vgl. BGHZ 97, 97, 109). Eine entsprechende Feststellung hat der Tatrichter beim derzeitigen Sach- und Streitstand ausdrücklich abgelehnt.
3. Danach ist das angefochtene Urteil aufzuheben, weil es auf einem Rechtsfehler beruht, und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 564, 565 Abs. 1 ZPO).
II.
Für das weitere Verfahren wird auf folgendes hingewiesen:
1. Die Revision wendet sich erfolglos dagegen, daß das Berufungsgericht eine Sekundärhaftung des Beklagten angenommen hat, so daß der – nach den unbeanstandeten tatrichterlichen Feststellungen bestehende – Schadensersatzanspruch des Klägers nicht gemäß § 68 StBerG verjährt ist (vgl. BGHZ 83, 17, 22 ff; 115, 213, 226; BGH, Urt. v. 7. Mai 1991 – IX ZR 188/90, WM 1991, 1303, 1305; v. 27. Januar 1994 – IX ZR 195/93, WM 1994, 503, 504 ff). Die Primärverjährung eines Ersatzanspruchs des Klägers gegen den Beklagten ist nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts am 6. November 1988 eingetreten. Entgegen der Ansicht der Revision war der Beklagte vor dieser Primärverjährung bei fortbestehendem Mandat aus den vom Berufungsgericht festgestellten begründeten Anlässen verpflichtet, den Kläger auf die Möglichkeit einer eigenen Regreßhaftung und die dafür maßgebliche Verjährungsregelung hinzuweisen. Die Erfüllung dieser Pflicht verstieß nicht, wie die Revision meint, gegen § 1 des Rechtsberatungsgesetzes, weil es sich nicht um die Besorgung einer fremden Rechtsangelegenheit im Sinne dieser Vorschrift handelte (vgl. BGHZ 83, 17, 24). Zur ordnungsgemäßen Unterrichtung des Klägers über die eigene Haftpflicht bedurfte der Beklagte keiner besonderen Kenntnisse des Verjährungsrechts; er brauchte nur über den Wortlaut des § 68 StBerG zu belehren, nicht aber über Beginn und Ende der Verjährung (vgl. BGHZ 114, 150, 159).
Entgegen der Ansicht der Revision ist nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand die Hinweispflicht des Beklagten nicht entfallen, weil der Kläger rechtzeitig vor Eintritt der Primärverjährung wegen eines Regreßanspruchs gegen den Beklagten anwaltlich beraten worden wäre oder auf anderem Wege von einem Schadensersatzanspruch und dessen Verjährung Kenntnis erhalten hätte (vgl. BGH, Urt. v. 14. November 1991 – IX ZR 31/91, NJW 1992, 836, 837). Selbst wenn der Kläger aus seinen Steuererklärungen für die Jahre 1985/86 den geringen Steuergewinn und aufgrund der Gesellschafterversammlungen von November 1987 und Mai 1988 das Risiko seiner Vermögensanlage hätte erkennen können, so blieb doch die Notwendigkeit bestehen, ihn über die Verantwortlichkeit des Beklagten für diese Umstände und über § 68 StBerG aufzuklären. Das gilt entsprechend, soweit die Revision darauf verweist, daß die Ehefrau des Klägers einer von den Gesellschaftern im Mai 1988 eingesetzten „Prüfungskommission” angehörte. Aus dem Vorbringen des Beklagten (GA I 39, II 17) ist nicht zu entnehmen, daß die Rechtsanwälte G. und N.-S. gerade den Kläger – im Unterschied zu anderen Gesellschaftern – über einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten wegen Empfehlung einer nachteiligen Vermögensanlage beraten haben. Ob insoweit die Verfahrensrüge aus § 139 ZPO durchgreift, kann dahinstehen, da der Beklagte noch Gelegenheit hat, sein Vorbringen zu vervollständigen.
Die Sekundärhaftung scheitert auch nicht, wie die Revision meint, an fehlendem Verschulden des Beklagten. Dieser hat nach seinem Vorbringen trotz gegebenen Anlasses seine Verantwortlichkeit gegenüber dem Kläger nicht geprüft, obwohl dies bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt geboten war (vgl. BGHZ 94, 380, 386). Zwar hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, daß der Beklagte dabei die Möglichkeit eines Regreßanspruchs des Klägers erkennen konnte und mußte. Es durfte jedoch davon ausgehen, daß die objektive Verletzung der Vertragspflicht auf einem Verschulden des Beklagten beruht. Dieser hat nämlich die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß dies nicht der Fall ist (vgl. BGH, Urt. v. 18. September 1986 – IX ZR 204/85, NJW 1987, 326, 327).
2. Im weiteren Verfahren wird zu prüfen sein, ob, wie die Anschlußrevision geltend macht, die Zinsverluste des Klägers in den Jahren 1985 bis 1987 höher sind als vom Berufungsgericht bisher angenommen wurde.
Gemäß der Ansicht der Anschlußrevision braucht der Tatrichter seine Feststellung der Schadenshöhe nicht hinauszuschieben, bis Finanzbehörden und -gerichte abschließend über steuerrechtliche Fragen entschieden haben, die für die Schadensermittlung bedeutsam sein können. Der Tatrichter hat über den Schadensumfang und die damit verbundene Ausgleichung von Steuerersparnissen gemäß § 287 ZPO zu entscheiden; diese Aufgabe verlangt nicht, anrechenbare Vorteile unter Gegenüberstellung der tatsächlichen und einer hypothetischen Vermögenslage des Geschädigten bis ins letzte genau zu berechnen, weil dies wegen der vielfältigen Besonderheiten und Möglichkeiten der Besteuerung im Einzelfalle und deren Entwicklung in verschiedenen Zeiträumen häufig einen unverhältnismäßigen, vom Gesetz nicht gewollten Aufwand erforderte (BGH, Urt. v. 27. Juni 1984 – IVa ZR 231/82 aaO). Die tatsächlichen Voraussetzungen der Vorteilsausgleichung hat der Schädiger darzulegen und zu beweisen (BGHZ 94, 195, 217). Der Geschädigte muß bei konkretem Sachvortrag des Gegners seinerseits ihm bekannte, steuerlich bedeutsame Tatsachen darlegen und darf sich nicht auf ein Bestreiten oder eine unklare Darstellung beschränken (BGH, Urt. v. 27. Juni 1984 – IVa ZR 231/82 aaO 2525).
Fundstellen
Haufe-Index 2016045 |
NJW 1995, 2106 |