Entscheidungsstichwort (Thema)
Ertragswertberechnung
Leitsatz (amtlich)
Ertragswertberechnung bei Bemessung des Pflichtteils für unmittelbar an ein Kieswerk angrenzende Äcker (Fortführung von BGHZ 98, 382 = NJW 87, 1260).
Normenkette
BGB § 2312
Tatbestand
Die Parteien sind Geschwister; sie sind die einzigen Kinder der am 21. Dezember 1983 verstorbenen Witwe K. G. geborene P. (Erblasserin). Aufgrund Erbvertrages vom 30. Juni 1983 wurde diese vom Beklagten allein beerbt. Die Klägerin beansprucht ihren Pflichtteil und Pflichtteilsergänzung.
Die Parteien sind einig, daß der Nachlaß beim Erbfall einen Nettowert jedenfalls von 91.589 DM hatte. Darin ist der unstreitige Ertragswert des landwirtschaftlichen Anwesens der Erblasserin in A. mit 82.530 DM enthalten. Aus dem unstreitigen Nettonachlaß ergibt sich für die Klägerin ein Pflichtteil von 22.897,25 DM. Die Klägerin beansprucht jedoch weitere 74.000 DM nebst Zinsen. Sie ist der Auffassung, daß der Ertragswert nicht allein maßgebend sei. Vielmehr müßten für die Pflichtteilsberechnung Zuschläge von mindestens 320.000 DM und 500.000 DM zum Nettonachlaßwert von 91.589 DM gemacht werden. Teile des Anwesens enthielten nämlich wertvolle Kiesvorkommen und seien schon beim Erbfall von dem unmittelbar benachbarten Kieswerk benötigt worden; andere Teile seien bereits als Bauland nutzbar gewesen. Insoweit müsse auf den Verkehrswert abgestellt werden. Ferner stützt die Klägerin sich wegen des Mehrbetrages auf den Übertragungsvertrag vom 23. April 1981, aufgrund dessen die Erblasserin dem Beklagten Grundbesitz bereits unstreitig im Wege der gemischten Schenkung überlassen hatte.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Zahlungsklage nur in Höhe von. 22.897,25 DM nebst Zinsen für begründet gehalten und sie im übrigen abgewiesen. Mit ihrer Revision verlangt die Klägerin weiterhin zusätzliche 74.000 DM nebst Zinsen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
1.
Das Oberlandesgericht hat die Auffassung vertreten, das landwirtschaftliche Anwesen in A. könne der Pflichtteilsberechnung nur mit seinem Ertragswert zugrunde gelegt werden. Das habe die Erblasserin gemäß § 2312 BGB wirksam angeordnet. Diese Anordnung schließe es aus, nunmehr einzelne Flächen des landwirtschaftlichen Grundbesitzes gesondert mit dem Verkehrswert anzusetzen. Dieses Ergebnis stimmt mit der Rechtsprechung des Senats nicht überein.
2.
Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung BGHZ 98, 382 den Anwendungsbereich des § 2312 BGB erheblich eingeschränkt. Dazu hat der Senat hervorgehoben:
Der Ertragswert im Sinne von §§ 2312, 2049 BGB unterscheidet sich vom Verkehrswert (§ 2311 BGB) in aller Regel beträchtlich. Die Vorschriften führen daher zu einer bedeutenden Begünstigung desjenigen, der das Landgut erhält. Dem entspricht eine ebensolche Benachteiligung der zurückgesetzten Angehörigen. Diese Ungleichbehandlung bedarf der Rechtfertigung vor Art. 3 Abs. 1 GG. Diese Rechtfertigung liegt im Bereich des öffentlichen Interesses an der Erhaltung leistungsfähiger Höfe in bäuerlichen Familien. Sie kann und muß aber nicht in jedem einschlägigen Zivilprozeß über Pflichtteilsansprüche gesucht werden; derartige Verfahren sind nicht der geeignete Ort, festzustellen, ob die Benachteiligung der zurückgesetzten Angehörigen des Erblassers jeweils im Einzelfall etwa zur Abwehr (tatsächlicher oder bloß möglicher) nachteiliger Folgen für die Agrarstruktur erforderlich ist. Vielmehr erscheint es nach wie vor verfassungsrechtlich unbedenklich, den Erben, der ein Landgut übernimmt, gemäß §§ 2049, 2312 BGB "besser" zu stellen, als die weichenden Erben und die Pflichtteilsberechtigten.
Vorausgesetzt ist dabei aber, daß der Gesetzeszweck, nämlich die Erhaltung eines landwirtschaftlichen Betriebes in der Hand einer vom Gesetz begünstigten Person, im Einzelfall erreicht werden wird. Das ist nicht der Fall, wo ein Landgut nicht als geschlossene Einheit fortgeführt wird und nicht mehr lebensfähig ist, oder wo ein Betrieb zwar noch bewirtschaftet wird, aber abzusehen ist, daß er binnen kurzem nicht mehr als solcher wird gehalten werden können. Hier ist eine ''Privilegierung" des Erben nicht mehr vertretbar. Darüberhinaus können §§ 2049, 2312 BGB und die daraus folgende, vielfach schwerwiegende Benachteiligung von nahen Angehörigen nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 98, 382, 388) nicht mehr eingreifen, wo es sich um Grundstücke handelt, die praktisch baureif sind und die aus dem Landgut ohne Gefahr für dessen dauernde Lebensfähigkeit herausgelöst werden können. In Fällen dieser Art liegt die Veräußerung nicht selten schon aus Gründen der Wirtschaftlichkeit ohnehin nahe; dementsprechend erscheint ein dauernder Verbleib der betreffenden Grundstücke beim Hof hier im allgemeinen nicht gewährleistet. Den Erben gleichwohl auch insoweit mit Hilfe der Ertragswertrechnung zu "privilegieren", ginge über den Schutzzweck des Gesetzes hinaus. Dieser ist nicht auf den Erhalt der bisherigen Größe des Landgutes, sondern nur auf die Abwehr von Gefahren für dessen dauernde Leistungsfähigkeit gerichtet. Ein weiterreichender "Schutz" für den privilegierten Erben läßt sich dem Gesetz auch mit Rücksicht auf die Bedeutung des Gleichheitssatzes nicht mehr entnehmen.
Das hat das Berufungsgericht nicht gesehen.
3.
Was der erkennende Senat in BGHZ 98, 382 für baureife Grundstücke entschieden hat, gilt darüber hinaus aber auch für solche Grundstücke, bei denen wie bei den an die benachbarten Kieswerke unmittelbar angrenzenden Ackern der Erblasserin, anscheinend bereits beim Erbfall die amtliche Genehmigung zum Abbau der reichen Kiesvorkommen vorlag und die dafür benötigt werden sollen. Lassen sich derart auskiesungsreife und benötigte Grundstücke beim Erbfall ohne Gefahr für die dauernde Lebensfähigkeit des Landgutes aus diesem herauslösen, dann müssen auch diese für die Pflichtteilsberechnung gemäß § 2311 BGB mit ihrem Verkehrswert und nicht gemäß § 2312 BGB mit ihrem Ertragswert angesetzt werden. Das gilt unabhängig davon, ob der Erbe verkaufen will oder nicht, oder ob er damit auch nur vorerst zuwarten will. Auf diese Weise ist zugleich für solche Fälle vorgebeugt, in denen die Rechtsprechung sich anderenfalls bei späteren Grundstücksverkäufen des Erben genötigt sehen könnte, nach Wegen für "Nachabfindungen" zu suchen (vgl. BGHZ 98, 382, 388, 389).
4.
Das Berufungsgericht hat sich an der Zubilligung eines höheren Pflichtteilsbetrages auch deshalb gehindert gesehen, weil die Klägerin vor dem Landgericht unstreitig gestellt habe, daß die Höhe des Pflichtteils nach einem Ertragswert des Grundbesitzes von 82.530 DM zu berechnen sei. Die Klägerin könne diese Tatsachengrundlage nicht nachträglich wieder in Streit ziehen.
Auch das ist rechtsfehlerhaft.
Die Klägerin hatte sich bei Erhebung der Zahlungsklage auf den Standpunkt gestellt, es sei rechtskräftig entschieden, daß der Ertragswert für die Pflichtteilsberechnung maßgebend sei (Bl. 125 d.A.). Diese Auffassung der Klägerin traf nicht zu. Zwar hatte das Landgericht durch Teilurteil vom 29. Oktober 1986 (unter anderem) den im Wege der Stufenklage erhobenen Antrag der Klägerin rechtskräftig abgewiesen, den Beklagten zur Vorlage eines Sachverständigengutachtens über den Verkehrswert des Grundbesitzes der Erblasserin zu verurteilen. Die dafür gegebene Begründung, der Pflichtteil der Klägerin sei nur nach dem Ertragswert des Landgutes zu berechnen, und nicht nach dem Verkehrswert, war für das anschließende Verfahren über den Zahlungsantrag der Klägerin jedoch weder nach Rechtskraftgrundsätzen noch nach § 318 ZPO bindend. Das hat das Berufungsgericht nicht verkannt.
Die Klägerin war entgegen der Annahme des Berufungsgerichts aber auch nicht aus anderen Gründen gehindert, sich nunmehr für den vor dem Landgericht nur als Pflichtteilsergänzung geltend gemachten weiteren Zahlungsantrag vor dem Oberlandesgericht darauf zu berufen, daß auch für ihren ordentlichen Pflichtteilsanspruch auf einen höheren Verkehrswert abzustellen sei. Freilich war die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge gegen die Entscheidung des Landgerichts unbegründet. Denn ein solcher Mehrbetrag war vor dem Landgericht nicht Streitgegenstand gewesen. Jedoch hat die Klägerin vor dem Berufungsgericht deutlich zum Ausdruck gebracht, daß sie ihre weiterverfolgte Zahlungsklage nunmehr auch auf einen höheren Verkehrswert stützen wolle. Das war prozessual unbedenklich; einer Tatbestandsberichtigung bedurfte es dazu nicht.
5.
Das Berufungsgericht hat der Klägerin einen Pflichtteilsergänzungsanspruch wegen einer gemischten Schenkung der Erblasserin an den Beklagten aufgrund Übertragungsvertrages vom 23. April 1981 mit der Begründung versagt, die Klägerin ihrerseits habe aufgrund Überlassungsvertrages vom 3. August 1973 im Wege der gemischten (belohnenden) Schenkung selbst einen Schenkungsanteil von - auf den Todestag umgerechnet - 285.496,51 DM erhalten. Die Revision rügt demgegenüber, daß es sich nicht um eine belohnende Schenkung handele, sondern um die nachträgliche Vereinbarung einer Vergütung für umfangreiche Mitarbeit auf dem Hof.
Diese Rüge ist unbegründet. Die Revision vermag in diesem Zusammenhang keinen Rechtsfehler des Berufungsgerichts aufzuzeigen, auch nicht im Zusammenhang mit der vorgenommenen Auslegung des Vertrages vom 3. August 1973. Insbesondere ist es nicht richtig, daß eine belohnende Schenkung nur dann möglich sei, wenn der Empfänger bereits eine Vergütung erlangt habe und dann noch eine Zusatzleistung erhalte MK/Kollhosser (BGB 2. Aufl. § 516 Rdn. 19) vertritt insoweit keine andere Auffassung als der Senat.
Fundstellen