Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtbarkeit von Verrechnungen im Kontokorrent. Gleichwertigkeit eines Kredits zur Ablösung von Verbindlichkeiten. Freiwerden der Bank von ihrer Bürgschaftsverpflichtung
Leitsatz (amtlich)
a) Verrechnungen im Kontokorrent zur Erfüllung eigener Ansprüche der Bank sind nicht als Bardeckung unanfechtbar.
b) Ein Kredit zur Ablösung von Verbindlichkeiten des Schuldners, für welche die Bank sich verbürgt hat, stellt keine gleichwertige Gegenleistung für die Verrechnung von Zahlungseingängen dar, wenn und soweit die Bank endgültig von ihrer Bürgschaftsverbindlichkeit frei geworden ist.
Normenkette
InsO § 142
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Koblenz vom 21.9.2004 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu seinem Nachteil erkannt ist.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des LG Koblenz vom 22.1.2004 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Der Kläger ist Verwalter in dem am 22.3.2002 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der M. GmbH (fortan: Schuldnerin). Die Beklagte war ihre Hausbank. Sie hatte ihr einen Kontokorrentkredit eingeräumt. Am 16.3.2001 stellte sie ihr einen Avalkredit i.H.v. 50.000 EUR gegen Sicherheiten zur Verfügung. Bis zur Höhe dieses Betrages verpflichtete sie sich, ggü. der U. GmbH (fortan: U.) eine Bürgschaft für die Gewährung von Warenkrediten zu leisten. Die Bürgschaft wurde an die U. ausgereicht. Die Bürgschaftsurkunde ist später zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt an die Beklagte zurückgegeben worden.
[2] In dem letzten Monat vor Eingang des Insolvenzantrags am 14.2.2002 wurde der - ungekündigte - Kontokorrentkredit durch Verrechnung eingehender Zahlungen zurückgeführt. Der Kläger focht Verrechnungen von knapp 103.000 EUR als inkongruente Deckungen an. Im vorliegenden Rechtsstreit macht er einen Teilbetrag von 50.000 EUR geltend. Das LG hat der Klage insoweit stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 18.020,17 EUR zzgl. Zinsen zu zahlen. Es hat eine Abbuchung vom 22.1.2001 über 37.821,25 EUR an die U. als nicht anfechtbares Bargeschäft behandelt. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
[3] Die Revision ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
I.
[4] Das Berufungsgericht hat die Rückführung des ungekündigten Kontokorrentkredits als inkongruentes Deckungsgeschäft gewertet, das im letzten Monat vor Stellung des Insolvenzantrags unter den erleichterten Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar ist. Dies trifft zu. Die Beklagte hat durch die angefochtenen Verrechnungen die Gesamtheit der Insolvenzgläubiger auch i.S.v. § 129 Abs. 1 InsO benachteiligt, weil sie an den verrechneten Eingängen nicht insolvenzfest gesichert war. Ein etwaiges Pfandrecht nach den AGB-Banken an den Zahlungseingängen im letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag wäre für sich genommen als inkongruente Sicherheit ebenfalls anfechtbar (BGHZ 150, 122, 125 f.).
II.
[5] Das Berufungsgericht meint weiter, die Verrechnung von Zahlungseingängen im offenen Kontokorrentkonto sei kongruent und darüber hinaus als Bargeschäft (§ 142 InsO) der Deckungsanfechtung grundsätzlich entzogen, soweit die Bank zugleich neue Auszahlungen zugelassen habe, durch welche die Gegenleistung wieder ausgeglichen worden sei. Der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang von zwei Wochen zwischen Ein- und Auszahlungen sei - wie sich aus der vorgelegten "Kontoverdichtung" ergebe - gewahrt. Auf die genaue Reihenfolge der Ein- und Auszahlungen komme es nicht an. Auch diese Ausführungen sind richtig und entsprechen der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. BGHZ 150, a.a.O., S. 128 f, 131; 167, 190, 199; BGH, Urt. v. 25.2.1999 - IX ZR 353/98, ZIP 1999, 665, 666 f.).
III.
[6] Die Anfechtung von Verrechnungen, welche eine Bank im Rahmen eines dem Schuldner eingeräumten Kontokorrentkredites vornimmt, ist jedoch nur solange und so weit gem. § 142 InsO eingeschränkt, wie die Entgegennahme der Leistungen durch die Duldung von Verfügungen ausgeglichen wird, die der Bankkunde zur Tilgung der Forderungen von Fremdgläubigern trifft. Belastungsbuchungen, die eigene Forderungen der Bank betreffen, erfüllen diese Voraussetzungen nicht (BGHZ 150, a.a.O., S. 128; BGH, Urt. v. 17.6.2004 - IX ZR 2/01, WM 2004, 1575, 1576; v. 17.6.2004 - IX ZR 124/03, WM 2004, 1576, 1577; Beschl. v. 24.5.2005 - IX ZR 46/02, NZI 2005, 630).
[7] 1. Das Berufungsgericht hat die Belastung des Kontos der Schuldnerin vom 22.1.2001i.H.v. 37.821,25 EUR als Verfügung zugunsten eines Dritten gewertet und folgerichtig von der angefochtenen Verrechnung der Eingänge in Abzug gebracht. Ihr liege eine Überweisung auf das Konto der U. zugrunde, mit der eine Treibstofflieferung bezahlt worden sei. Die Beklagte habe sich allerdings für diese Verbindlichkeit verbürgt. Das Stellen einer Sicherheit stehe jedoch dem Charakter der Kontobelastung als Fremdverfügung nicht entgegen. Der Kläger habe nicht vorgetragen, dass die U. die Bürgschaft bereits gezogen hätte. Damit könne nicht festgestellt werden, dass mit der Belastung des Girokontos der Schuldnerin eine eigene Forderung der Beklagten getilgt worden sei. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Zahlung der Erfüllung einer Zahlungsverpflichtung ggü. dem Treibstofflieferanten und damit dem Ausgleich einer Drittgläubigerrechnung gedient habe.
[8] 2. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Sie verkennen die Anforderungen, die bei Verrechnungen im Kontokorrent an das Bargeschäft i.S.v. § 142 InsO zu stellen sind.
[9] a) Die für ein Bargeschäft erforderliche vertragliche Grundlage des Leistungsaustauschs liegt in dem Girovertrag oder der Kontokorrentabrede. Voraussetzung eines Bargeschäfts i.S.v. § 142 InsO ist, dass der Leistung des Schuldners eine gleichwertige Gegenleistung gegenüber steht. Nur dann ist das Geschäft für die (spätere) Masse wirtschaftlich neutral. Im hier fraglichen Fall der Verrechnung einer auf einem debitorischen Konto eingehenden Gutschrift liegt die Leistung des Schuldners in der Rückführung seiner Verbindlichkeit ggü. der Bank. Die Gegenleistung der Bank besteht in der erneuten Gewährung von Kredit. Die Bank erfüllt eine gleichwertige Pflicht aus dem Kontokorrentvertrag jedoch nur dann, wenn die Verfügung des Schuldners fremdnützig wirkt, der finanzielle Vorteil daraus also grundsätzlich allein einem Dritten zufließt. Daher begründet eine Zahlung aus dem Kontokorrent, die mittelbar auch der Bank zugute kommt, in der Regel kein Bargeschäft.
[10] b) Hat sich die Bank für die Erfüllung einer Verbindlichkeit verbürgt, erfüllt sie mit der Gewährung von Kredit zur Ablösung der gesicherten Forderung nicht nur ihre Verpflichtung ggü. dem Schuldner, ihm im vereinbarten Rahmen Kredit zu gewähren. Sie wird vielmehr unabhängig davon, ob sie schon aus der Bürgschaft in Anspruch genommen worden ist, von ihrer eigenen Verbindlichkeit ggü. dem Bürgschaftsgläubiger aus § 765 Abs. 1 BGB befreit. Der BGH hat bereits entschieden, dass es sich bei einer Belastung, durch welche die Bank dem Schuldner eine Rückgriffsforderung aus der Inanspruchnahme wegen einer Bürgschaft (§ 774 Abs. 1 BGB) in Rechnung stellt, nicht um eine grundsätzlich unanfechtbare Bardeckung handelt (BGH, Urt. v. 17.6.2004 - IX ZR 124/03, WM 2004, 1576, 1577). Die Gewährung von Kredit zur Ablösung der durch die Bürgschaft gesicherten Forderung kann nicht anders behandelt werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine erneute Inanspruchnahme der Bürgin aus dem Avalkreditvertrag ausgeschlossen werden kann. Ob die Bank ihren Rückgriffsanspruch aus § 774 Abs. 1 BGB durchsetzt oder die Ablösung der gesicherten Verbindlichkeit durch Gewährung weiteren Kredits ermöglicht, spielt bei wertender Betrachtung keine Rolle. Der Kredit zur Erfüllung einer durch eine Bürgschaft der Bank gesicherten Forderung ist keine gleichwertige Gegenleistung für die Rückführung des Kredits. Ein Bargeschäft (§ 142 InsO) scheidet aus.
IV.
[11] Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben. Weil die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt und die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat selbst in der Sache zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Berufung des Klägers gegen das der Klage insoweit stattgebende Urteil des LG ist zurückzuweisen. Der Anfechtungsanspruch ist jedenfalls in Höhe der Klageforderung begründet.
Fundstellen
Haufe-Index 1874910 |
DStR 2008, 679 |
BGHR 2008, 311 |
EBE/BGH 2008 |
WM 2008, 222 |
WuB 2008, 469 |
ZIP 2008, 237 |
DZWir 2008, 116 |
NZI 2008, 175 |
NZI 2008, 23 |
ZInsO 2008, 163 |
NJW-Spezial 2008, 277 |
ZBB 2008, 55 |
Kreditwesen 2008, 911 |