Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtteilsverzichtsvertrag
Leitsatz (amtlich)
Ein Pflichtteilsverzichtsvertrag kann nur zu Lebzeiten des Erblassers wirksam geschlossen werden.
Normenkette
BGB §§ 2346, 130 Abs. 2, § 153
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 8. Dezember 1995 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin macht im Wege der Stufenklage Pflichtteilsansprüche geltend.
Sie ist die einzige Tochter der am 21. Februar 1991 verstorbenen Erblasserin. Diese war österreichische Staatsangehörige. Auch die Klägerin und der Beklagte besitzen die österreichische Staatsangehörigkeit. Mit dem von einem deutschen Notar beurkundeten Testament vom 15. Juni 1990 setzte die Erblasserin den Sohn der Klägerin aus deren geschiedener erster Ehe, den am 9. März 1981 geborenen Beklagten, als alleinigen Erben ein. In der Urkunde wählte die Erblasserin für ihr gesamtes in der Bundesrepublik Deutschland belegenes unbewegliches Vermögen gemäß Art. 25 Abs. 2 EGBGB deutsches Recht. Mit notarieller Urkunde vom 19. Dezember 1990 bot die Erblasserin der Klägerin den Abschluß eines Pflichtteilsverzichtsvertrages an; dies Angebot konnte nur bis zum 28. Februar 1991 angenommen werden.
Ebenfalls am 19. Dezember 1990 genehmigte die Erblasserin einen Übertragungsvertrag, den die Klägerin hatte beurkunden lassen. Darin übertrug die Klägerin ihren hälftigen Miteigentumsanteil an einem Grundstück in K. in Bayern an die Erblasserin, der schon die andere Hälfte des Grundstücks gehörte. Als Gegenleistung verpflichtete sich die Erblasserin, der Klägerin ihren hälftigen Miteigentumsanteil an einem Anwesen in A. in Österreich zu übertragen; als Wertausgleich sollte der Klägerin überdies eine Grundschuld an einem Münchener Grundstück der Erblasserin bestellt werden. Die Erblasserin wies den beurkundenden Notar an, von ihrer Genehmigung des Übertragsvertrages erst Gebrauch zu machen, wenn ihm eine Ausfertigung der Annahme des von ihr angebotenen Pflichtteilsverzichtsvertrages vorliege. Am 27. Dezember 1990 und am 4. Januar 1991 unterzeichneten die Erblasserin und die Klägerin eine als Kaufvertrag überschriebene Vereinbarung, in der die Erblasserin ihren ideellen Häfteanteil an dem Anwesen in A. an die Klägerin überträgt. In diesem Vertrag heißt es, daß er als nicht vereinbart gelte, wenn das Pflichtteilsverzichtsabkommen nicht zustande komme.
Am 4. Januar 1991 unterschrieb die Klägerin den ihr angebotenen Pflichtteilsverzichtsvertrag, um damit ihre Annahme auszudrücken; ihre Unterschrift wurde von einem österreichischen Notar beglaubigt. Nachdem der Erbfall eingetreten war, erklärte die Klägerin (in Kenntnis des Erbfalls) noch am 21. Februar 1991 zu Protokoll eines österreichischen Notars die Annahme des Pflichtteilsverzichtsvertrages.
Die Klägerin meint, ihre Annahme vom 4. Januar 1991 sei mangels Beurkundung formunwirksam. Nach dem Tod der Erblasserin habe sie das Angebot auch zu notariellem Protokoll nicht mehr annehmen können. Sie hat deshalb in Wien u.a. auf Feststellung geklagt, daß ihre notarielle Annahmeerklärung vom 21. Februar 1991 unwirksam sei. Insoweit hat das Oberlandesgericht Wien das stattgebende Urteil des dortigen Landgerichts bestätigt. Im vorliegenden Verfahren hat das Landgericht dagegen die Stufenklage in vollem Umfang abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr jedoch für den auf der ersten Stufe gestellten Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg,
I.
Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß die deutschen Gerichte international zuständig sind und der Beklagte für das vorliegende Verfahren durch seinen Ergänzungspfleger richtig vertreten ist; insoweit erhebt auch die Revision keine Einwände.
II.
1. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist aufgrund der von der Erblasserin in ihrem Testament getroffenen Rechtswahl für das im Inland belegene unbewegliche Vermögen deutsches Erbrecht anzuwenden und im übrigen österreichisches Erbrecht. Das Recht beider Länder führe im vorliegenden Fall zu demselben, schon vom Oberlandesgericht Wien angenommenen Ergebnis. Deshalb bedürfe es keiner Klärung der Frage, ob der vorliegende Rechtsstreit bereits vor Beginn des österreichischen Verfahrens rechtshängig geworden und deshalb möglicherweise dem österreichischen Urteil die Anerkennung zu versagen sei.
Die Annahmeerklärung der Klägerin vom 4. Januar 1991 genüge mangels notarieller Beurkundung nicht der sowohl in Deutschland wie in Österreich erforderlichen gesetzlichen Form. Die Erklärung der Klägerin in der notariellen Urkunde vom 21. Februar 1991 sei zwar formgerecht, aber deswegen unwirksam, weil sie erst nach dem Tod der Erblasserin abgegeben worden sei. Nach den überzeugenden Ausführungen der österreichischen Gerichte und des vom Berufungsgericht für die Ermittlung des österreichischen Rechts beauftragten Sachverständigen stehe der Pflichtteilsverzicht im österreichischen Recht dem Erbverzicht noch näher als im deutschen Recht, so daß für beide gleichermaßen gelte, daß sie nur zu Lebzeiten des Erblassers vereinbart werden könnten.
Allerdings sei im deutschen wie im österreichischen Recht nach dem Erbfall der Abschluß eines Erlaßvertrages mit dem Erben möglich. Eine solche Vereinbarung sei hier jedoch nicht zustande gekommen. Selbst wenn man die notarielle Erklärung der Klägerin vom 21. Februar 1991 als Angebot auf Abschluß eines Erlaßvertrages auslegen oder in ein solches Angebot umdeuten könne, fehle es an einer Annahmeerklärung des Erben.
Diese Ausführungen halten jedenfalls im Ergebnis den Angriffen der Revision stand.
2. Mit Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß die Erblasserin als österreichische Staatsangehörige gemäß Art. 25 Abs. 1 EGBGB nach ihrem Heimatrecht beerbt wird, daß aber aufgrund der in ihrem wirksamen Testament getroffenen Rechtswahl gemäß Art. 25 Abs. 2 EGBGB für das im Inland belegene unbewegliche Vermögen das deutsche Erbrecht gilt. Obwohl es aufgrund dieser Rechtswahl zu einer Nachlaßspaltung kommt, schließt dies eine materiell-rechtlich einheitliche Beurteilung des Pflichtteilsrechts hier nicht aus, weil es um die gleichen Personen geht und der Erblasser über sein gesamtes Vermögen letztwillig verfügt hat (vgl. MünchKomm/Birk, EGBGB, 2. Aufl. Art. 25 Rdn. 135). Das Erbstatut ist auch für die hier streitigen Fragen zum Zustandekommen eines Pflichtteilsverzichtsvertrages heranzuziehen, der ein Vertrag auf dem Gebiet des Erbrechts ist (vgl. MünchKomm/Birk, Art. 26 Rdn. 138 zum Erbverzicht).
Fraglich ist dagegen, ob sich auch der Erlaß eines Pflichtteilsanspruchs nach den Erbfall noch nach den Erbstatut richtet. Der vom Berufungsgericht beauftragte Sachverständige hat diese Frage ausdrücklich ungeprüft gelassen. Da sowohl das deutsche wie das österreichische Recht auch insoweit zu demselben Ergebnis führen. Kann die Frage in der Revisionsinstanz offenbleiben (vgl. BGH. Urteil vom 7. Dezember 1977 – IV ZR 20/76 – NJW 1978. 1159 unter 2 vor a).
3. Die Revision zieht die Feststellung des Berufungsgerichts nicht in Zweifel. daß der Pflichtteilsverzicht nach österreichischen Recht der notariellen Beurkundung bedurft hatte und nach dem Tod der Erblasserin nicht mehr möglich war. Der Auffassung des Berufungsgerichts, auch nach deutschem Recht könne ein Pflichtteilsverzichtsvertrag – ebenso wie ein Erbverzichtsvertrag – nur zu Lebzeiten des Erblassers wirksam abgeschlossen werden, hält die Revision entgegen, da der Pflichtteilsverzichtsvertrag anders als der Erbverzichtsvertrag die Erbfolge unberührt lasse, seien die allgemeinen Vorschriften der §§ 130, 153 BGB uneingeschränkt anzuwenden. Dem ist nicht zu folgen.
a) Es ist anerkannt, daß ein Erbverzichtsvertrag rechtswirksam nur zu Lebzeiten des Erblassers abgeschlossen werden kann (BGHZ 37, 319, 329). Die Sicherheit des Rechtsverkehrs fordert, daß die mit den Tod des Erblassers eintretende Erbfolgeregelung auf einer festen Grundlage steht und nicht noch nach beliebig langer Zeit verändert werden kann (BGH, Urteil vom 7. Dezember 1977, aaO unter 2a). Der Pflichtteilsverzicht erscheint zwar in § 2346 Abs. 2 BGB als Beschränkung eines Erbverzichts auf das Pflichtteilsrecht und steht insofern den Erbverzicht nahe. Die Vorschriften über den Erbverzicht werden zum Teil auch auf den Pflichtteilsverzicht angewandt (vgl. MünchKomm/Strobel, BGB, 2. Aufl. § 2346 Rdn. 19). Der auf das Pflichtteilsrecht beschränkte Verzicht ändert aber im Gegensatz zum Erbverzicht die gesetzliche Erbfolge nicht. Dementsprechend erhöht der bloße Pflichtteilsverzicht – anders als der Erbverzicht gemäß § 2310 Satz 2 BGB – das Pflichtteilsrecht anderer Pflichtteilsberechtigter nicht (BGH, Urteil vom 17. März 1982 – IVa ZR 27/81 – NJW 1982, 2497 unter 2). Die Auffassung des Berufungsgerichts, ähnlich wie für die Frage der gesetzlichen Erbfolge müsse auch für die Entstehung eines Pflichtteilsanspruchs bereits im Zeitpunkt des Erbfalls abschließend feststehen, ob der Nachlaß mit einer derartigen Verbindlichkeit belastet ist, überzeugt nicht. Im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gemäß § 1922 BGB gehen auf den Erben auch noch werdende und schwebende Rechtsbeziehungen des Erblassers über; Erblasserschulden sind auch die erst in der Person des Erben entstehenden Verbindlichkeiten, die als solche schon dem Erblasser entstanden waren, wenn er nicht vor Eintritt der zu ihrer Entstehung nötigen weiteren Voraussetzungen verstorben wäre (BGH, Urteil vom 7. Juni 1991 – V ZR 214/89 – NJV 1991, 2558 unter II).
b) Indessen hebt die Revisionserwiderung mit Recht hervor, daß mit dem Tod der Erblasserin ein Pflichtteilsrecht, auf das die Klägerin hätte verzichten können, nicht mehr bestand. Vielmehr hatte die Klägerin bereits einen Anspruch auf ihren Pflichtteil. Pflichtteilsrecht und Pflichtteilsanspruch sind in verschiedener Hinsicht von einander zu unterscheiden (vgl. Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB 12. Aufl. Einl. zu §§ 2303 ff. Rdn. 64 ff.). Sie unterscheiden sich insbesondere in ihrem wirtschaftlichen Wert:
Zu Lebzeiten des Erblassers ist unsicher, in welcher Höhe der Pflichtteilsberechtigte einmal einen Anspruch aufgrund seines Pflichtteilsrechts haben wird. Das ist sein Risiko, wenn er gegen eine bestimmte Abfindung auf das Pflichtteilsrecht verzichtet. Nach dem Erbfall ist dagegen der Wert des Nachlasses ohne derartige Unsicherheiten feststellbar und damit auch die Höhe des Pflichtteilsanspruchs. Deshalb ist der Geschäftsgegenstand des Erlasses eines Pflichtteilsanspruchs ein ganz anderer als der des Pflichtteilsverzichts gemäß § 2346 Abs. 2 BGB. Hinzu kommt, daß es beim Pflichtteilsverzicht darum gehen kann, dem Erblasser freie Hand für von ihm beabsichtigte Vermögensdispositionen sowohl unter Lebenden wie von Todes wegen zu schaffen. Derartige Gesichtspunkte spielen keine Rolle, wenn es nach dem Erbfall um die Frage geht, ob der Pflichtteilsberechtigte durch einen Erlaßvertrag mit den Erben auf einen bereits entstandenen und der Höhe nach bestimmbaren Pflichtteilsanspruch verzichtet.
Mithin betrifft der Pflichtteilsverzicht gemäß § 2346 Abs. 2 BGB ein Rechtsgeschäft, das seinem Gegenstand und seiner Eigenart nach nur mit dem Erblasser zu dessen Lebzeiten abgeschlossen werden kann, aber nicht mehr nach seinem Tode.
4. Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe nicht geprüft, ob das Angebot der Erblasserin auf Abschluß eines Pflichtteilsverzichtvertrages etwa im Wege der Auslegung oder der Umdeutung für den Fall ihres Todes vor Annahme dieses Angebots als Angebot auf Abschluß eines Erlaßvertrages bezüglich des mit dem Erbfall entstehenden Pflichtteilsanspruchs der Klägerin zu verstehen sei; dieses Angebot habe die Klägerin jedenfalls durch ihre notarielle Erklärung vom 21. Februar 1991 angenommen. Eine ergänzende Auslegung darf jedoch nicht zu einer unzulässigen Erweiterung des Vertragsgegenstands über die rechtlichen Beziehungen hinaus führen, die die Parteien regeln wollten (vgl. etwa BGHZ 92, 363, 370; MünchKomm/Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl. § 157 Rdn. 47). Auch die Umdeutung setzt voraus, daß der insbesondere aus den wirtschaftlichen Zielen der Beteiligten abzuleitende hypothetische Parteiwille das Ersatzgeschäft umfaßt hätte (MünchKomm/Mayer-Maly § 140 Rdn. 17, 18). Wie oben dargelegt, unterscheidet sich der Pflichtteilsverzicht hinsichtlich seines Geschäftsgegenstands und dessen wirtschaftlicher Bedeutung so wesentlich vom Erlaß eines Pflichtteilsanspruchs, daß eine Auslegung oder Umdeutung des Angebots auf einen Pflichtteilsverzicht in ein Angebot auf Erlaß eines Pflichtteilsanspruchs im allgemeinen nicht in Betracht kommt.
Denkbar wäre allenfalls, daß der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs eine Abfindungsvereinbarung entgegenstehen könnte, wenn im Zusammenhang mit dem geplanten Pflichtteilsverzicht vereinbart worden wäre, daß der – auch der Höhe nach absehbare – Pflichtteilsanspruch noch vor dem Erbfall abgegolten werden sollte (vgl. aber BGHZ 37, 319, 329 f.). Dafür ist hier nichts vorgetragen worden. Vielmehr sollten die etwa gleichzeitig mit dem Angebot des Pflichtteilsverzichts abgeschlossenen Grundstücksgeschäfte nicht wirksam werden, wenn der Pflichtteilsverzicht nicht zustande kam.
5. Ferner rügt die Revision, das Berufungsgericht habe auch im Hinblick auf das österreichische Recht versäumt, das Angebot der Erblasserin auf Abschluß eines Pflichtteilsverzichtsvertrages darauf zu prüfen, ob es als Angebot eines Erlaßvertrages im Sinne von § 1444 ABGB auszulegen oder in einen solchen Vertrag umzudeuten sei. Der vom Berufungsgericht beauftragte Sachverständige hat in seinem Gutachten aber hervorgehoben, daß der Pflichtteilsverzicht im österreichischen Recht schon systematisch nur als Unterfall des Erbverzichts verstanden und anders als im deutschen Recht vom Erbverzicht nicht unterschieden werden könne. Hinzu komme, daß der Pflichtteilsberechtigte im österreichischen Recht aus historischen Gründen als „Noterbe” bezeichnet werde und auch daher für die österreichische Lehre und Rechtsprechung die Gleichbehandlung mit dem Erbverzicht selbstverständlich sei. Danach liegt die Auslegung oder Umdeutung des Pflichtteilsverzichts in einen Schulderlaß, wie er in § 1444 ABGB geregelt ist, noch ferner als im deutschen Recht.
6. Soweit die Revision schließlich rügt, die Annahme der Klägerin vom 21. Februar 1991 sei zumindest als neues Angebot zum Abschluß eines Erlaßvertrages auszulegen, hat das Berufungsgericht mit Recht darauf hingewiesen, daß der Beklagte jedenfalls die Annahme eines derartigen Angebots nicht substantiiert dargelegt habe. Eine Annahme setzt, auch wenn sie dem Anbietenden nicht erklärt zu werden braucht, immerhin ein nach außen hervortretendes Verhalten voraus, aus dem sich eine Betätigung des Annahmewillens unzweideutig ergibt (BGH, Urteil vom 6.2.1990 – X ZR 39/89 – NJW 1990, 1656 unter II 2a)
Fundstellen
Haufe-Index 604918 |
BGHZ, 60 |
NJW 1997, 521 |
JR 1997, 424 |
JZ 1997, 851 |
MDR 1997, 260 |
IPRspr. 1996, 120 |