Leitsatz (amtlich)
1. Der Sicherungszweck der Bürgschaft für ein Gesellschafterdarlehen umfaßt das Kapitalersatzrisiko regelmäßig jedenfalls dann, wenn der Bürge bei Übernahme der Bürgschaft weiß, daß der Darlehensgeber Gesellschafter einer GmbH ist und diese sich in einer finanziellen Krise befindet.
2. Der Eigenkapitalersatzcharakter eines Darlehens steht dem Zinslauf auch während einer Rückzahlungssperre nicht entgegen.
Zur Sittenwidrigkeit der Bürgschaften von Gesellschaftergeschäftsführern einer GmbH für eigenkapitalersetzende Darlehen des ausscheidenden Mehrheitsgesellschafters.
Orientierungssatz
Zitierungen: Abgrenzung BVerfG, 1993-10-19, 1 BvR 567/89, BVerfGE, 89, 214; BVerfG, 1993-10-13, 1 BvR 1044/89, BVerfGE 89, 214; BVerfG, 1994-08-05, 1 BvR 1402/89, WM IV 1994, 1837; BGH, 1994-02-24, IX ZR 93/93, BGHZ 125, 206; BGH, 1994-02-24, IX ZR 227/93, WM IV 1994, 680 und BGH, 1994-04-26, XI ZR 184/93, WM IV 1994, 1022 und BGH, 1995-11-02, IX ZR 222/94, WM IV 1996, 53.
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 1. Juni 1994 aufgehoben und das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 7. Juni 1993 abgeändert.
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 70.225 DM zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, eine kapitalstarke Holdinggesellschaft, übernahm Ende 1988 durch einen Treuhänder einen Anteil von 75.000 DM an dem von 50.000 DM auf 125.000 DM erhöhten Stammkapital der im Jahre 1985 gegründeten Mediengesellschaft „l. H. und F., R. und P. GmbH” (im folgenden: GmbH), die zur Verbesserung ihrer Liquidität einen finanzkräftigen Investor gesucht hatte und deren weitere Gesellschafter mit Geschäftsanteilen von je 25.000 DM und alleinige Geschäftsführer die im Jahre 1959 geborenen Beklagten waren. In den folgenden Monaten erbrachte die Klägerin zugunsten der GmbH Zahlungen von mehr als 1 Mio DM, zuletzt am 21. April 1989 eine Zahlung von 100.000 DM. Sodann entschloß sie sich, wieder aus der GmbH auszuscheiden. Mit Vertrag vom 10. Mai 1989 berechneten die Klägerin und die GmbH die Zahlungen nebst Zinsen auf 1,39 Mio DM und vereinbarten für dieses Darlehen eine Laufzeit vom 1. Juni 1989 bis zum 31. Mai 1997 sowie monatlich nachschüssig zu zahlende Zinsen von 4,3 % p.a. über dem jeweiligen Bundesbankdiskontsatz; es war in den ersten 18 Monaten tilgungsfrei, danach sollte über eine mögliche weitere Stundung verhandelt werden. Am 12. Mai 1989 unterzeichneten die beiden Beklagten jeweils eine schriftliche Erklärung, mit der sie „die Bürgschaft unter Verzicht auf die Einrede der Vorausklage sowie aller sonstigen gesetzlich zulässigen Einreden” für das Darlehen der Klägerin über 1,39 Mio DM und für ein weiteres, noch zu gewährendes Darlehen der Klägerin über 200.000 DM übernahmen; Zahlungen sollten auf erstes schriftliches Auffordern geleistet werden. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 6. Juni 1989 verkaufte die Klägerin sodann ihren Anteil an der GmbH zum Preis von 1 DM je zur Hälfte an die Beklagten. Die GmbH ihrerseits verkaufte ihren Anteil von 70.000 DM des 100.000 DM betragenden Stammkapitals der T. GmbH in Gründung (fortan: T.) zum Preis von 800.000 DM an die Klägerin. Davon waren 250.000 DM für die Ablösung einer Bürgschaft zu verwenden, die von der Klägerin für Verbindlichkeiten der GmbH übernommen worden war. Die Klägerin verpflichtete sich ferner, der GmbH ein Darlehen in Höhe von 200.000 DM zu gewähren, das am 31. August 1989 zur Auszahlung fällig und wie das frühere Darlehen mit 4,3 % p.a. über dem Bundesbankdiskontsatz verzinslich und 18 Monate lang tilgungsfrei sein sollte. Die Beklagten schließlich übernahmen die selbstschuldnerische, zeitlich unbegrenzte Bürgschaft für die von der Klägerin gewährten „Kredite in Höhe von 1.390.000 DM sowie für alle Ansprüche aus diesem Vertrag”. Die GmbH zahlte die monatlich fälligen Darlehenszinsen zunächst annähernd regelmäßig, blieb jedoch die Raten für die Monate Oktober 1989, September 1990 und Juni bis August 1991 in Höhe von insgesamt 70.225 DM schuldig. Seit Ende 1991 berief sie sich darauf, daß die Darlehen der Klägerin eigenkapitalersetzenden Charakter hätten. Die Klägerin nahm daraufhin wegen der genannten rückständigen Zinsen die Beklagten aus den Bürgschaften in Anspruch. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen (vgl. OLG Köln NJW 1994, 2553 mit Anm. Weipert in EWiR 1994, 743). Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die von der Klägerin gewährten Kredite seien als eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen zu behandeln. Durch die Bürgschaften der Beklagten habe sich die Klägerin auch das Eigenkapitalersatzrisiko absichern lassen. Das verstoße gegen die guten Sitten, jedenfalls aber gegen Treu und Glauben.
II.
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Zu Recht haben die Vorinstanzen allerdings die Klage nicht wegen der in den schriftlichen Bürgschaftserklärungen vom 12. Mai 1989 enthaltenen Einredeverzichte und der Klausel, daß auf erstes schriftliches Anfordern zu zahlen sei, für unbegründet gehalten. Dies folgt bereits daraus, daß die erneute Vereinbarung der Bürgschaften im notariellen Vertrag vom 6. Juni 1989 diese Einschränkungen nicht mehr enthält. Das Landgericht hat darin eine Aufhebung der ursprünglich vereinbarten, die Rechte der Bürgen beschränkenden Bestimmungen gesehen. Diese vom Berufungsgericht stillschweigend übernommene Auslegung wird von den Parteien nicht in Zweifel gezogen und ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Ohne Rechtsverstoß sind Land- und Oberlandesgericht ferner davon ausgegangen, mit den Bürgschaften werde auch ein Eigenkapitalersatzrisiko der Klägerin abgesichert.
a) Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts war die GmbH sowohl zu den Zeitpunkten der bis zum 21. April 1989 erfolgten Kapitalzufuhr als auch bei den Bürgschaftsübernahmen kreditunwürdig, wenn nicht überschuldet. Ein wirtschaftlich vernünftig denkender, das Risiko nach den üblichen Maßstäben prüfender Geldgeber hätte der GmbH einen Kredit zu marktüblichen Bedingungen nicht gewährt, und die GmbH hätte – so sind die Ausführungen des Berufungsgerichts nach ihrem Sinnzusammenhang zu verstehen – ohne die Leistungen der Klägerin liquidiert werden müssen. Damit liegen – da die Klägerin als Treugeberin der wahre Inhaber des für sie gehaltenen Geschäftsanteils und deshalb als Gesellschafterin im Sinn der §§ 30 ff GmbHG anzusehen war (vgl. BGHZ 31, 258, 264 ff; 75, 334, 335 f) – jedenfalls für das Darlehen von 1,39 Mio DM die Voraussetzungen vor, unter denen der eigenkapitalersetzende Charakter eines Gesellschafterdarlehens zu bejahen ist (vgl. BGHZ 76, 326, 329 f; 81, 252, 255; 109, 55, 62; 121, 31, 34). Das Ausscheiden der Klägerin aus der GmbH durch Übertragung ihres Geschäftsanteils an die Beklagten vermochte daran nichts zu ändern (vgl. Hachenburg/Ulmer, GmbHG 8. Aufl. § 32 a, b Rdn. 40; Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG 8. Aufl. §§ 32 a, 32 b Rdn. 32).
b) Auch das Darlehen in Höhe von 200.000 DM hat das Berufungsgericht als kapitalersetzend angesehen, obwohl dieses Darlehen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der GmbH erst im September 1989, d.h. zu einem Zeitpunkt ausgezahlt wurde, zu dem die Klägerin nicht mehr Gesellschafterin der GmbH war. Diese rechtliche Einordnung erscheint möglich und wird von der Revision nicht angegriffen. Eine Finanzierungsleistung, die ein ehemaliger Gesellschafter in einer finanziellen Krise der Gesellschaft nach seinem Ausscheiden erbringt, kann als Kapitalersatz behandelt werden, wenn die rechtliche Grundlage für die Leistung bereits geschaffen wurde, als der Finanzierungsgeber noch Gesellschafter war (vgl. BGHZ 81, 252, 258; BGH, Urt. v. 6. Mai 1985 – II ZR 132/84, WM 1985, 1028, 1029; auch BGH, Urt. v. 9. Oktober 1986 – II ZR 58/86, WM 1986, 1554, 1555; Hachenburg/Ulmer aaO § 32 a, b Rdn. 39; Scholz/Karsten Schmidt aaO §§ 32 a, 32 b Rdn. 31, 32). Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie im Streitfall – bei der verbindlichen Zusage eines Darlehens durch einen Gesellschafter, der vor der Auszahlung dieses Darlehens aus der Gesellschaft ausscheidet, die Krise der Gesellschaft bereits bestand und über diesen und den Zeitpunkt der Auszahlung hinaus andauert (vgl. BGH, Urt. v. 9. Oktober 1986 aaO).
3. a) Das Berufungsgericht hat im Anschluß an die Auslegung des Landgerichts die Bürgschaften der Beklagten dahin verstanden, daß sie nicht nur das Konkursrisiko der GmbH, sondern auch das Eigenkapitalersatzrisiko abdeckten. Anders als bei der Bürgschaft eines außenstehenden Dritten sei bei der Bürgschaft eines Mitgesellschafters für ein als Krisenfinanzierung zur Verfügung gestelltes Gesellschafterdarlehen auch ohne ausdrückliche Regelung grundsätzlich die Annahme gerechtfertigt, daß sich der Bürge dem Gläubiger gegenüber nicht auf ein der Gesellschaft zustehendes Rückzahlungsverbot solle berufen können. In der gegebenen Situation wären die Bürgschaften der Beklagten für die Klägerin von vornherein ins Leere gegangen, wenn sie nicht auch für den Fall der Darlehenshaftung als Eigenkapitalersatz hätten gelten sollen. Obgleich die Frage des Kapitalersatzes bei Abschluß der Darlehens- und Bürgschaftsverträge nicht ausdrücklich angesprochen worden sei, habe die Klägerin den Beklagten jedenfalls klar gemacht, daß sie die GmbH für liquidationsreif halte und nur dann bereit sei, auf eine Liquidation zu verzichten, der GmbH durch Ankauf ihres Anteils an der T. kurzfristig Liquidität zu verschaffen, die gewährten Darlehen stehen zu lassen und noch ein weiteres Darlehen zu geben, wenn sie die Bürgschaften der Beklagten als Sicherheit erhalte.
b) Diese Ausführungen lassen Rechtsfehler nicht erkennen. Hat ein Gesellschafterdarlehen eigenkapitalersetzenden Charakter, darf die schuldende GmbH nach den sogenannten Rechtsprechungsregeln zu §§ 30, 31 GmbHG die Darlehenssumme nicht an den Darlehensgeber zurückzahlen, soweit das Darlehen verlorenes Stammkapital oder eine über diesen Verlust hinaus bestehende Überschuldung abdeckt (BGHZ 76, 326, 335; 90, 370, 376, 378; BGH, Urt. v. 6. April 1995 – II ZR 108/94, ZIP 1995, 816, 819; Hachenburg/Ulmer aaO § 32 a, b Rdn. 165; Lutter/Hommelhoff, GmbHG 13. Aufl. §§ 32 a/b Rdn. 69). Dieses Verbot kann einem Rückzahlungsanspruch des Gläubigers von der Gesellschaft als Einwendung (Stimpel, Festschrift 100 Jahre GmbH-Gesetz 1992 S. 335, 356) entgegengehalten werden. Nach dem insbesondere in § 767 Abs. 1, § 768 Abs. 1 BGB zum Ausdruck gebrachten Grundsatz der Akzessorietät, wonach der Gläubiger gegen den Bürgen keine besseren Rechte haben soll als gegen den Schuldner (vgl. MünchKomm-BGB/Pecher, 2. Aufl. § 767 Rdn. 1; Staudinger/Horn, BGB 12. Aufl. Vorbem. 10 zu §§ 765 bis 768), könnte sich der Bürge auf den kapitalersetzenden Charakter der Hauptverbindlichkeit berufen (a.A. wohl Karsten Schmidt ZIP 1981, 689, 696). Da bei Gesellschafterdarlehen der Kapitalersatzcharakter jedoch in aller Regel ein Durchgangsstadium auf dem Weg zur Insolvenz ist, würde dies oft dem Sicherungsinteresse des Gläubigers und dem Sicherungszweck einer Bürgschaft nicht entsprechen. Es kann auf sich beruhen, ob dieser Umstand es rechtfertigen könnte, bei kapitalersetzenden Darlehen ganz allgemein den Grundsatz der Akzessorietät hinter dem Sicherungszweck zurücktreten zu lassen (vgl. in diesem Zusammenhang Staudinger/Horn aaO Vorbem. 68 bis 70 zu §§ 765 bis 768; § 767 Rdn. 21; Kühn/Rotthege NJW 1983, 1233, 1235 f). Dies muß jedenfalls dann gelten, wenn ein Bürge weiß, daß der Darlehensgeber Gesellschafter der darlehensnehmenden GmbH ist und daß diese sich in einer finanziellen Krise befindet. In einem solchen Fall wird regelmäßig davon auszugehen sein, daß die Bürgschaft auch das Kapitalersatzrisiko abdecken soll. Andernfalls wäre das Sicherungsmittel für den Gläubiger fast immer wertlos. Für ihn ist die Absicherung des Kapitalersatzrisikos oft von noch größerer Bedeutung als die des Konkursrisikos, weil eigenkapitalersetzende Darlehen im Konkursfall nicht geltend gemacht (§ 32 a Abs. 1 GmbHG), d.h. nicht zur Konkurstabelle angemeldet werden können (vgl. Lutter/Hommelhoff aaO §§ 32 a/b Rdn. 66). Im Streitfall war den Beklagten nicht nur die Gesellschafterstellung der darlehensgebenden Klägerin und die finanzielle Krise der GmbH bekannt. Vielmehr hatte die Klägerin zusätzlich davon gesprochen, daß sie in einem Konkurs der GmbH wegen ihrer Darlehensansprüche nicht einmal mit einer Quote bedient werde. Im Vertrag vom 6. Juni 1989 ist unter Nr. III, 4 im Zusammenhang mit der Veräußerung des Geschäftsanteils der Klägerin an die Beklagten ausdrücklich vermerkt, daß den Vertragschließenden die wirtschaftliche und rechtliche Lage der GmbH bekannt sei und die Klägerin keine Gewährleistung für die Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens übernehme. Nach alledem ist gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Bürgschaften erfaßten auch das Kapitalersatzrisiko, aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.
c) Die Revisionserwiderung macht demgegenüber geltend, die Beklagten hätten das Eigenkapitalersatzrisiko nicht abdecken wollen. Indem die Klägerin erklärt habe, sie werde – sollten die Bürgschaften nicht akzeptiert werden – die Gesellschaft liquidieren und ihre Darlehen nicht stehenlassen, habe sie unzutreffend vorgegeben, die Darlehen abziehen zu können, obwohl sie bereits kapitalersetzenden Charakter gehabt hätten. Dies habe aus der Sicht der Beklagten dafür gesprochen, daß es gar kein durch eine Bürgschaft zu sicherndes Eigenkapitalersatzrisiko der Klägerin gegeben habe. Hätten die Beklagten dieses Risiko der Klägerin gekannt, hätten sie – da die Klägerin an der Durchsetzung ihrer Rückzahlungsansprüche gehindert gewesen sei – keinen Anlaß zur Übernahme der Bürgschaften gehabt.
Dem ist nicht zu folgen. Die Revisionserwiderung gibt der angezogenen Stelle des Berufungsurteils, die Klägerin sei nur dann bereit gewesen, auf eine Liquidation zu verzichten, der Gesellschaft durch Ankauf der Anteile an der T. kurzfristig Liquidität zu verschaffen, die gewährten Darlehen stehen zu lassen und noch ein weiteres Darlehen zu geben, wenn sie die Bürgschaften der Beklagten als Sicherheit erhalte, einen Sinn, der ihr nicht zukommt. In den Schriftsätzen und dem sonstigen aus den Akten ersichtlichen Vorbringen der Parteien ist an keiner Stelle davon die Rede, die Klägerin habe sich gegenüber den Beklagten darauf berufen, sie könne die Darlehen unabhängig von einer Liquidation abziehen. Auch den Ausführungen des Berufungsgerichts ist dies nicht zu entnehmen. Diese sind nach ihrem Begründungszusammenhang vielmehr dahin zu verstehen, daß das Stehenlassen der Darlehen die Alternative zu einer Liquidation der GmbH bildete, so daß der wiedergegebene Satz hinter den Worten „die gewährten Darlehen stehenzulassen” dem gemeinten Sinne nach um den Zusatz zu ergänzen ist „und die GmbH nicht zu liquidieren”. Bei diesem Verständnis unterliegt es keinem ernstlichen Zweifel, daß die Bürgschaftserklärungen der Parteien nach ihrem maßgeblichen objektiven Erklärungswert (vgl. BGH, Urt. v. 18. Februar 1993 – IX ZR 108/92, WM 1993, 1141 f) das Eigenkapitalersatzrisiko miterfaßten. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Klägerin im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ungeachtet des Kapitalersatzcharakters der Darlehen einen Anspruch auf deren vollständige oder teilweise Rückzahlung hatte. Dies träfe dann zu, wenn es – was nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht auszuschließen ist – an einer Überschuldung der GmbH fehlte und das Stammkapital durch eine Rückzahlung der Darlehen nicht oder nur zu einem Teil angegriffen worden wäre.
d) Als Bürgen schulden die Beklagten auch die geltend gemachten Zinsen. Durch den eigenkapitalersetzenden Charakter eines Darlehens wird der Rückzahlungsanspruch in seinem Bestand nicht berührt, und zwar auch dann nicht, wenn er von der Gesellschaft entsprechend § 30 Abs. 1 GmbHG nicht erfüllt werden darf (vgl. Janssen JR 1995, 180, 183); in diesem Fall verliert er lediglich seine Durchsetzbarkeit (vgl. Hachenburg/Ulmer aaO § 32 a, b Rdn. 167); das Darlehen bleibt für die Gesellschaft Fremdkapital (BGHZ 124, 282, 284; BFH ZIP 1992, 620, 622 m.w.N.; Maser ZIP 1995, 1319, 1320). Demzufolge wird durch die Rückzahlungssperre der Zinslauf nicht gehindert (zutreffend BFH aaO; Scholz/Karsten Schmidt aaO §§ 32 a, 32 b Rdn. 96; Wassermeyer, Steuerberater-Jahrbuch 1991/1992 S. 345, 357, 380; Thiel, das. S. 383; auch Röhricht, das. S. 380; Janssen aaO; Maser aaO). Unbefugt ist nur eine Auszahlung, sofern diese auf Kosten des Stammkapitals ginge (vgl. BGHZ 67, 171, 179 f; Hachenburg/Ulmer aaO). Die Zinshöhe ist zwischen den Parteien unstreitig.
4. a) Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Versuch der Klägerin, die Folgen des eigenkapitalersetzenden Charakters ihrer Darlehen durch die Bürgschaften auf die Beklagten abzuwälzen, stehe im Widerspruch zu der Verantwortung, welche die Klägerin mit ihren Finanzierungsentscheidungen zum Schutz der bereits vorhandenen und zukünftigen Gläubiger der Gesellschaft übernommen habe. Ihr Verhalten lasse sich nicht damit rechtfertigen, daß die als Eigenkapitalersatz haftenden Finanzierungshilfen höher gewesen sein möchten als diejenigen der Beklagten. Bei der Klägerin handele es sich um eine kapitalstarke Holdinggesellschaft, für die das hier gebundene Kapital und dessen teilweiser Verlust bei einer Mitte 1989 betriebenen Liquidation der GmbH wirtschaftlich nicht maßgeblich ins Gewicht gefallen wären. Die Beklagten, die aus ihrer Geschäftsführertätigkeit bei der Gesellschaft ein Monatsgehalt von jeweils rund 24.000 DM bezogen, die GmbH zunächst erfolgreich aufgebaut und sicherlich nicht annähernd über das finanzielle „know-how” und Krisenmanagement der Klägerin verfügt hätten, wären durch eine Liquidation unverhältnismäßig härter getroffen worden. Für sie sei ihr persönliches und finanzielles Engagement in der Gesellschaft Lebensinhalt und nicht ein bloßer wirtschaftlicher Rechnungsfaktor wie für die Klägerin und deren Treuhänder gewesen. Die Bürgschaftsverpflichtungen hätten im wesentlichen bereits früher gewährte Darlehen und nur in Höhe von 200.000 DM eine zusätzliche Darlehenszusage zum Gegenstand gehabt. Das von den Beklagten übernommene Haftungsrisiko sei außerordentlich hoch gewesen, weil nicht nur diese langfristigen Kredite selbst, sondern auch deren Verzinsung in den von den Eigenkapitalersatzregeln gezogenen Grenzen von der GmbH nicht hätten bedient werden dürfen. Infolge Wegfalls weiterer Kapitalzufuhr durch die Klägerin sei die GmbH zudem zur Veräußerung ihrer von den Beklagten als „Filetstück” angesehenen Beteiligung an der T. gezwungen worden, weil ohne den Erlös nicht einmal ein kurzfristiges Überleben der GmbH gewährleistet gewesen wäre. Daß die Beklagten trotz der objektiv schlechten Zukunftserwartung die unbeschränkten Bürgschaften für alle Ansprüche aus dem Vertragswerk vom 6. Juni 1989 übernommen hätten, spreche dafür, daß dies aus einer von der Klägerin ausgenutzten psychischen Zwangslage heraus geschehen sei. Bei Beachtung der auch von einem ausscheidenden Gesellschafter in einer Krisensituation der Gesellschaft zu fordernden Rücksichtnahme auf die Mitgesellschafter verstoße das Verhalten der Klägerin gegen die guten Sitten, jedenfalls aber gegen Treu und Glauben.
b) Diesen Ausführungen ist aus Rechtsgründen nicht zu folgen.
aa) Wegen des der GmbH von der Klägerin neu gewährten Darlehens von 200.000 DM besteht für die Annahme einer Sittenwidrigkeit der Bürgschaften (§ 138 Abs. 1 BGB) oder auch nur eines treuwidrigen Verhaltens (§ 242 BGB) der Klägerin von vornherein kein Grund. Die Klägerin war zur Gewährung dieses Darlehens – auch als bisherige Gesellschafterin – nicht verpflichtet (vgl. etwa BGHZ 90, 381, 389; 105, 168, 175). Es entsprach ihrem berechtigten Interesse an einer wirksamen Sicherung des Rückzahlungsanspruchs, wenn sie von den Beklagten Bürgschaften verlangte, die auch ein Kapitalersatzrisiko dieses Darlehens abdeckten. Die Klägerin steht insoweit nicht anders als ein Nichtgesellschafter. Auch wenn das Darlehen von einem Dritten gewährt worden wäre, hätten die Beklagten das Kapitalersatzrisiko getragen. Sie hätten dem Dritten aus zu seinen Gunsten übernommenen Bürgschaften uneingeschränkt gehaftet und bei der GmbH wegen des dann eigenkapitalersetzenden Charakters der Bürgschaften keinen Regreß nehmen können, solange die Krise der Gesellschaft andauerte und bei einer Erfüllung der Ansprüche das Stammkapital angegriffen oder eine vorhandene Überschuldung vertieft worden wäre (§ 32 a Abs. 2 GmbHG, §§ 30, 31 GmbHG analog; vgl. BGH, Urt. v. 25. November 1985 – II ZR 93/85, WM 1986, 447 ff; Scholz/Karsten Schmidt aaO §§ 32 a, 32 b Rdn. 148).
bb) Die Annahme einer Sitten- und Treuwidrigkeit scheidet aber auch insoweit aus, als die Bürgschaften das Darlehen von 1,39 Mio DM betreffen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin die Beklagten vor die Alternative gestellt, entweder die GmbH zu liquidieren oder die Darlehen stehen zu lassen und der GmbH durch Ankauf ihres Anteils an der T. und die Gewährung eines weiteren Darlehens von 200.000 DM kurzfristig Liquidität zu verschaffen, freilich unter der Voraussetzung umfassender Bürgschaften der Beklagten. Dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt ist nichts zu entnehmen, was dieses Verhalten als anstößig erscheinen ließe. Daß die Klägerin (wahrheitswidrig) damit gedroht habe, ihre Darlehen unabhängig von einer Liquidation abzuziehen, obwohl sie in Wirklichkeit nicht abziehbar waren, läßt sich den Feststellungen des Berufungsgerichts – wie dargelegt – nicht entnehmen. Als Mehrheitsgesellschafterin konnte die Klägerin ohne weiteres die Liquidation beschließen, ohne dadurch Treupflichten gegenüber der GmbH oder den Beklagten als Minderheitsgesellschaftern zu verletzen (vgl. BGHZ 76, 352, 353 f; 103, 184, 189 ff). Besondere Umstände, die einen Liquidationsbeschluß als das Ergebnis einer mißbräuchlichen Stimmrechtsausübung hätten erscheinen lassen können, sind nicht festgestellt. Insbesondere steht nicht fest, daß die GmbH bei Abschluß der Verträge im Mai/Juni 1989 offensichtlich derart überschuldet war, daß die Klägerin nicht mit einem Liquidationserlös hätte rechnen können. Ferner fehlen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, ein Überleben der GmbH sei – zumal bei den weiteren Finanzierungshilfen der Klägerin – von vornherein erkennbar aussichtslos gewesen. Dagegen spricht der Umstand, daß erst im Februar 1994 Konkursantrag gestellt wurde und die GmbH – mit Ausnahme von zwei Monaten – bis einschließlich Mai 1991, d.h. für die Dauer von zwei Jahren, die nicht unerheblichen Zinsen für die Darlehen aufgebracht hat.
Es ist nicht davon auszugehen, die Klägerin habe sich auf Kosten der GmbH und sonach mittelbar der Beklagten in unzulässiger Weise bereichert, weil sie deren mißliche Lage ausgenutzt hätte, um den Anteil der GmbH an der T. im Vergleich zu seinem Marktwert zu günstig zu erwerben, und verlangte, mit einem Teil des Kaufpreises eine von ihr für Gesellschafterschulden übernommene Bürgschaft über 250.000 DM abzulösen. Die Darlegungen des vom Landgericht gehörten Sachverständigen (GA 316) lassen eher den Schluß zu, daß der Anteil über Wert bezahlt wurde. Der spätere Erwerb des Anteils des Mitgesellschafters der T. durch die Klägerin (GA 331) steht dem nicht notwendig entgegen.
Die Klägerin hat die Beklagten nicht irregeführt und nicht in unzulässiger Weise unter Druck gesetzt. Den Beklagten stand die beengte finanzielle Lage der GmbH klar vor Augen. Darauf, ob sie sich der mit dem Charakter der Darlehen als Eigenkapitalersatz verbundenen Rechtsfolgen im einzelnen bewußt waren, kommt es nicht entscheidend an. Die Beklagten waren bei Übernahme der Bürgschaften 30 Jahre alt, seit vier Jahren für die Geschicke einer Handelsgesellschaft als Gesellschaftergeschäftsführer verantwortlich und demnach im Geschäftsleben erfahren. Daß sie sich nur infolge eines unerträglichen Ungleichgewichts gegenüber der kapitalstarken Klägerin zur Eingehung der Bürgschaftsverträge bereiterklärt hätten, ist nicht anzuerkennen. Vielmehr ist davon auszugehen, daß sie in der Lage waren, das Für und Wider der Bürgschaftsübernahmen eigenständig abzuwägen. Wenn sie sich dafür entschieden, das Risiko einer persönlichen Inanspruchnahme in Höhe von insgesamt 1,59 Mio DM nebst Zinsen einzugehen, um die Klägerin von einer Liquidation abzuhalten und die GmbH ungeachtet der ihnen bekannten Risiken fortzuführen, weil sie ihren „Lebensinhalt”, aber auch erhebliche Geschäftsführergehälter nicht verlieren wollten, lag dies allein in ihrem Verantwortungsbereich. Von einem anstößigen Ausnutzen einer psychischen Zwangssituation durch die Klägerin kann unter den gegebenen Umständen nicht die Rede sein.
Wegen der gänzlich unterschiedlichen Fallgestaltung kommt eine Anwendung der neuen Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof zu Bürgschaften unbemittelter junger Erwachsener und Ehefrauen (vgl. BVerfGE 89, 214; BVerfG, Beschl. v. 5. August 1994, WM 1994, 1837; BGHZ 125, 206; BGH, Urt. v. 24. Februar 1994 – IX ZR 227/93, WM 1994, 680; v. 26. April 1994 – XI ZR 184/93, WM 1994, 1022; v. 2. November 1995 – IX ZR 222/94, WM 1996, 53) auf den Streitfall nicht in Betracht.
III.
Die Urteile der Vorinstanzen können danach keinen Bestand haben. Nach dem festgestellten Sachverhalt ist die Sache im Sinn der Klägerin zur Endentscheidung reif. Gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO hat das Revisionsgericht die Verurteilung der Beklagten selbst auszusprechen.
Fundstellen
Haufe-Index 650070 |
BB 1996, 708 |
NJW 1996, 1341 |
ZIP 1996, 538 |
GmbHR 1996, 285 |
ZBB 1996, 143 |