Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung aus einer widerrufenen und sodann ergänzten Blankobürgschaft für später aufgenommene Kredite.
Verbürgt ein Handlungsbevollmächtigter, der eine GmbH anstelle eines Geschäftsführers leitet, von ihm aufgenommene Kredite an die Gesellschaft, um ein gewinnversprechendes Geschäft zu fördern und seinen Arbeitsplatz zu sichern, so ist die Bürgschaft nicht allein deswegen sittenwidrig, weil sie den Bürgen bei Vertragsschluß ungewöhnlich stark belastet.
Die formularmäßige Globalbürgschaft eines Handlungsbevollmächtigten, der anstelle eines Geschäftsführers eine GmbH leitet und für diese die verbürgten Kredite aufnimmt, ist grundsätzlich nicht nach §§ 3, 9 AGBG unwirksam.
Normenkette
BGB § 765; ZPO § 440 Abs. 2; BGB § 138 Abs. 1; AGBG §§ 3, 9
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 24. September 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die klagende Bank nimmt den Beklagten als Bürgen in Anspruch. Dazu legt sie ein vom Beklagten unterschriebenes Formular über eine „unbegrenzte Bürgschaft” vor, das maschinenschriftliche Einfügungen der N. GmbH als „Hauptschuldner” (im folgenden: GmbH, Gesellschaft oder Hauptschuldnerin) und des Beklagten als „Bürgen” sowie die handschriftliche Angabe „München, den 20.01.1992” enthält.
Die Klägerin räumte der GmbH, deren Gesellschafter der frühere Geschäftsführer Sch. und der Vater des Beklagten waren, im Juli 1990 auf dem Kontokorrentkonto Nr. …74 einen Kredit von 60.000 DM ein. Am 29. Januar 1991 wurde Sch. als Geschäftsführer abberufen. Danach führte der Beklagte als Handlungsbevollmächtigter die Geschäfte der GmbH.
Nach Verhandlungen mit dem Beklagten im Dezember 1991 sagte die Klägerin zu, eine Überziehung des Kredits durch die GmbH bis zu 100.000 DM zu dulden. Während dieser Verhandlungen übergab der Beklagte der Klägerin eine formularmäßige Blankobürgschaft, die diesen Kredit sichern sollte. Ende 1991 betrug die Kreditschuld 70.000 DM. Am 7. Januar 1992 schrieb der Beklagte der Klägerin u. a. folgendes:
„Die Außerkraftsetzung Ihrer Zusage wurde uns erst heute telefonisch auf Nachfrage zur Kenntnis gegeben. Die Ihnen bei Ihrem Besuch im guten Glauben auf den zu errichtenden Kreditrahmen übergebene Blankobürgschaft widerrufe ich bis auf weiteres, hoffe jedoch, daß für die Gesellschaft eine finanziell tragbare Regelung erreicht werden kann”.
In der Folgezeit verhandelte der Beklagte mit der Klägerin über weitere Kredite für die GmbH, insbesondere zur Durchführung von Verträgen mit der B. L. M. (BLM). Am 16. Januar 1992 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, daß „weitere Inanspruchnahmen für das Projekt BLM” u. a. eine unbegrenzte Bürgschaft des Beklagten voraussetzten. Mit Schreiben vom 9. März 1992 gewährte die Klägerin der GmbH auf dem Unterkonto Nr. …00 einen Betriebsmittelkredit von 120.000 DM und auf dem weiteren Unterkonto Nr. …01 ein Darlehen von 150.000 DM zur „Projektfinanzierung für Aufträge der Firma BLM”; als Sicherheit wurde u. a. eine unbegrenzte, unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaft des Beklagten verlangt. Dieser unterzeichnete dieses Schreiben, sandte es der Klägerin zurück und erteilte ihr eine Selbstauskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse.
Die Hauptschuldnerin wurde im September 1993 wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht. Am 9. Februar 1994 kündigte die Klägerin die Kredite zum 14. Februar 1994. Zu diesem Zeitpunkt bestanden Kreditschulden auf dem Unterkonto mit der Endnummer 00 in Höhe von 150.161,40 DM und auf dem Unterkonto mit der Endnummer 01 in Höhe von 190.628,31 DM. Aus dem „Gesamtsaldo” abzüglich 20.204 DM aus der Verwertung einer Lebensversicherung des Beklagten hat die Klägerin gegen den Beklagten einen Teilbetrag von 100.000 DM nebst Zinsen geltend gemacht sowie Ersatz von 86,25 DM verlangt, die für die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beklagten aufgewendet wurden.
Land- und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte weiter die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache (§§ 564, 565 Abs. 1 ZPO).
I.
Das Berufungsurteil läßt nicht erkennen, auf welche der Einzelforderungen aus den Konten das Berufungsgericht den hauptsächlichen Teilanspruch von 100.000 DM zuerkannt hat. Die Klägerin hat in der Revisionsverhandlung – in zulässiger Weise (vgl. BGHZ 11, 192, 194 ff) – klargestellt, daß sie mit dem Klageanspruch in erster Linie eine Forderung aus dem Konto mit der Endnummer 74, hilfsweise aus dem Unterkonto mit der Endnummer 00 und äußerst hilfsweise aus dem Unterkonto mit der Endnummer 01 geltend macht (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
In den Vorinstanzen hat die Klägerin ihren Klageanspruch allerdings allein auf eine Teilforderung aus den Unterkonten gestützt (GA I 6, 11). Der entsprechende Streitgegenstand liegt den folgenden Ausführungen zugrunde. Im weiteren Berufungsverfahren kann die Klägerin noch erläutern, daß auch eine Forderung aus dem Konto mit der Endnummer 74 Streitgegenstand sei. Möglicherweise ist ein Sollsaldo aus diesem Konto auf das Unterkonto mit der Endnummer 00, das einen Betriebsmittelkredit betraf, übernommen worden.
II.
1. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Inanspruchnahme des Beklagten aus der behaupteten Bürgschaft nicht schon die Löschung der Hauptschuldnerin im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit entgegensteht (BGHZ 82, 323, 326 f).
2. Die Revision rügt jedoch mit Erfolg die tatrichterliche Feststellung, die Klägerin nehme den Beklagten nicht aus einer Blankobürgschaft, die formunwirksam wäre (§§ 125 Satz 1, 766 Satz 1 BGB; BGHZ 132, 119, 122 ff), in Anspruch.
Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt: Der Vortrag des Beklagten, nicht zu wissen, wie es zu dem Datum auf der Bürgschaftsurkunde gekommen sei, sei eine prozessual unzulässige Erklärung mit Nichtwissen zum Vorbringen der Klägerin, der Beklagte habe die Bürgschaftsurkunde am 20. Januar 1992 in ihren Geschäftsräumen mit Datum und Unterschrift versehen. Nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde stammten die Angaben des Ortes und des Datums sowie die Unterschrift von derselben Hand. Soweit das Landgericht ausgeführt habe, der Beklagte räume nunmehr ein, die Bürgschaft vermutlich selbst auf den 20. Januar 1992 datiert zu haben, habe dieses zu Recht angenommen, daß sich der Beklagte dann die Blankounterschrift wieder zu eigen gemacht habe.
Diese Erwägungen werden dem Vorbringen der Parteien nicht gerecht und stützen ohne die erforderliche Sachaufklärung nicht die Annahme, der Beklagte habe sich formwirksam verbürgt (§ 286 ZPO).
a) Die Klägerin hat unter Beweisantritt behauptet: Der Beklagte habe am 19. Dezember 1991 eine Bürgschaftsurkunde blanko unterzeichnet. Nach Widerruf dieser Bürgschaft mit Schreiben vom 7. Januar 1992 habe sie – die Klägerin – die Bürgschaftsurkunde dem Beklagten am 9. Januar 1992 zurückgegeben. Am 20. Januar 1992 habe der Beklagte in ihren Geschäftsräumen diese Bürgschaftsurkunde ausgefüllt und ihr übergeben.
Bei Richtigkeit dieses Vorbringens hat sich der Beklagte formwirksam verbürgt (§§ 765, 766 BGB). Die Schriftform des § 766 Satz 1 BGB ist dann eingehalten, wenn die Bürgschaftsurkunde den Verbürgungswillen des Bürgen sowie die Bezeichnung des Gläubigers, des Hauptschuldners und der verbürgten Hauptschuld enthält. Nach dem Klagevortrag hat der Beklagte das von ihm bereits unterschriebene und von der Klägerin zurückgegebene Bürgschaftsformular am 20. Januar 1992 wiederum der Klägerin übergeben, nachdem er entweder selbst die hand- und maschinenschriftlichen Angaben in diese Urkunde eingesetzt hatte oder nachdem die Klägerin in Gegenwart und mit Zustimmung des Beklagten die maschinenschriftlichen Einfügungen vorgenommen hatte. In beiden Fällen hat der Beklagte der Klägerin – unter Benutzung und Ausfüllung eines früheren Blanketts – eine neue formwirksame Bürgschaft erteilt, die die bis dahin fehlende Angabe des Hauptschuldners enthält.
b) Der Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin habe seine widerrufene Blankobürgschaft nicht zurückgegeben und bezüglich der Hauptschuldnerin ohne sein Einverständnis ausgefüllt. Sollte diese Behauptung des Beklagten richtig sein, so ist der Bürgschaftsvertrag nichtig, weil die Bürgschaftserklärung nicht der Schriftform des § 766 Satz 1 BGB genügt (§ 125 Satz 1 BGB; BGHZ 132, 119, 122 ff). Diese Form war nicht entbehrlich; die Bürgschaft war für den Beklagten kein Handelsgeschäft im Sinne des § 350 HGB, auch wenn er damals als Handlungsbevollmächtigter die GmbH – anstelle des abberufenen Geschäftsführers – geleitet hat (vgl. BGHZ 121, 224, 228). Von den erforderlichen Angaben in der Bürgschaftsurkunde fehlte in dem vom Beklagten blanko unterschriebenen Bürgschaftsformular die Bezeichnung des Hauptschuldners. Aus dem Urkundeninhalt ergibt sich kein ausreichender Anhaltspunkt für eine Auslegung, daß die vom Beklagten damals geführte GmbH Hauptschuldnerin sein sollte (vgl. BGH, Urt. v. 2. Februar 1989 – IX ZR 99/88, WM 1989, 559, 560 f; v. 5. Januar 1995 – IX ZR 101/94, WM 1995, 331). Dafür bietet auch die formularmäßige Festlegung der verbürgten Hauptschuld keinen hinreichenden Hinweis; die Sicherungsklausel erschöpft sich darin, daß die Bürgschaft für alle bestehenden und künftigen Ansprüche der Klägerin aus der Geschäftsverbindung „gegen den Hauptschuldner” übernommen werden soll.
Fehlt eine nach § 766 Satz 1 BGB erforderliche Angabe in der Bürgschaftsurkunde, die nur mit einer Blankounterschrift des Bürgen versehen ist, so kann nach dem – von der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichenden – Senatsurteil vom 29. Februar 1996 (IX ZR 153/95, BGHZ 132, 119, 122 ff) die Formvorschrift ihren Zweck, das Bürgschaftsrisiko dem Bürgen vor der Bürgschaftserklärung vor Augen zu führen und ihn vor einer übereilten Verpflichtung zu warnen, nur dann in dem notwendigen Maße erfüllen, wenn der Bürge einen anderen schriftlich zur Ergänzung der Urkunde bevollmächtigt oder ermächtigt hat. Dies ist im vorliegenden Falle unstreitig nicht geschehen. Verfassungsrechtliche Gründe stehen einer Rückwirkung der geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung auf die vom Beklagten behauptete Blankobürgschaft nicht entgegen (vgl. BGHZ 132, 119, 129 ff).
c) Die Erwägungen des Berufungsgerichts erübrigen nicht die Beweisaufnahme darüber, ob der Beklagte eine Bürgschaftserklärung erteilt hat, die die Bezeichnung des Hauptschuldners enthielt.
Entgegen der Wertung des Berufungsgerichts hat der Beklagte nicht vorgetragen, er wisse nicht, wie es zu dem Datum gekommen sei. Vielmehr hat er im Berufungsverfahren behauptet, die Klägerin habe auch das Datum des 20. Januar 1992 eingesetzt (GA I 75). Soweit der Beklagte damit sein entsprechendes Vorbringen in den Vorinstanzen geändert haben sollte, kann das Berufungsgericht dies bei der Würdigung eines Beweisergebnisses berücksichtigen (BGH, Urt. v. 5. Juli 1995 – KZR 15/94, GRUR 1995, 700, 701). Er hat auch den Klagevortrag zum Zustandekommen eines Bürgschaftsvertrages nicht mit Nichtwissen bestritten, sondern eine rechtserhebliche Gegendarstellung vorgebracht.
Soweit das Berufungsgericht sich den Ausführungen des Landgerichts angeschlossen hat, der Beklagte habe sich in seinem Vorbringen „die zuvor widerrufene Blankobürgschaft noch einmal ausdrücklich zu eigen gemacht”, hat es wohl an eine Genehmigung des Bürgschaftsvertrages gedacht (vgl. §§ 179, 181, 184 BGB). Es kann dahinstehen, ob eine solche Genehmigung rechtswirksam wäre (dafür Keim NJW 1996, 2274, 2275 f; dagegen Gerfried Fischer JuS 1998, 205, 208). Jedenfalls ist eine solche Wertung des Vortrags des Beklagten, der sich in erster Linie auf eine Formunwirksamkeit der Bürgschaft beruft, verfehlt.
d) Die Klärung der Streitfrage, ob der Beklagte der Klägerin die vorgelegte Bürgschaftserklärung unter Angabe des Hauptschuldners erteilt hat, ist auch nicht aus anderen Gründen entbehrlich.
Die vom Beklagten unterschriebene Urkunde begründet nach § 416 ZPO den vollen Beweis dafür, daß die in ihr enthaltenen Erklärungen vom Beklagten abgegeben worden sind. Dieser hat jedoch mit seiner Behauptung, er habe die Urkunde blanko unterschrieben und diese sei von der Klägerin nachträglich zumindest hinsichtlich des Hauptschuldners ohne seinen Willen ergänzt worden, die Echtheit des Urkundentextes bestritten. Diese Echtheit hat grundsätzlich die Klägerin zu beweisen, die sich auf die Urkunde beruft (§ 440 Abs. 1 ZPO; vgl. BGHZ 104, 172, 176; BGH, Urt. v. 17. April 1986 – III ZR 215/84, NJW 1986, 3086).
Im vorliegenden Falle begründet § 440 Abs. 2 ZPO keine – vom Beklagten durch Beweis des Gegenteils zu widerlegende (§ 292 ZPO) – Vermutung dafür, daß der über der Unterschrift des Beklagten stehende Urkundentext echt ist, also vom Beklagten stammt oder mit seinem Willen dort steht. Diese Vorschrift gilt auch für eine Blankounterschrift und einen – vom Beklagten behaupteten – Blankettmißbrauch (BGHZ 104, 172, 176; BGH, Urt. v. 17. April 1986, aaO 3087; v. 11. Mai 1989 – III ZR 2/88, NJW-RR 1989, 1323 f). Zwischen den Parteien ist es jedoch unstreitig, daß die vorgelegte Bürgschaftsurkunde hinsichtlich des Hauptschuldners ergänzt worden ist, nachdem die Urkunde vom Beklagten im Dezember 1991 mit seiner Blankounterschrift versehen und diese durch den Widerruf vom 7. Januar 1992 gegenstandslos gemacht worden war. In einem solchen Falle liegt nicht der Rechtsschein vor, der die Vermutung des § 440 Abs. 2 ZPO begründet (vgl. in diesem Sinne BGH, Urt. v. 17. Juni 1965 – III ZR 257/64, WM 1965, 1062, 1063; BayObLG DNotZ 1985, 220, 222). Nach dem Vortrag der Klägerin hat der Beklagte nicht das frühere, inzwischen gegenstandslose Blankett wiederverwendet, sondern ihr – unter Benutzung und nach Ausfüllung des bereits unterschriebenen Formulars – eine neue Bürgschaftserklärung erteilt. Das hat die Klägerin zu beweisen (vgl. BGH, Urt. v. 18. Mai 1995 – IX ZR 129/94, NJW 1995, 2161, 2162; v. 2. Juli 1998 – IX ZR 255/97, WM 1998, 1675, 1676).
Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung obliegt dem Beklagten nicht die Beweislast, weil die Vertragsurkunde grundsätzlich die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Abreden für sich hat. Diese Vermutung hat derjenige zu widerlegen, der die inhaltliche Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Urkunde behauptet. Darum geht es aber hier nicht. Vielmehr streiten die Parteien darüber, ob zwischen ihnen ein Bürgschaftsvertrag zustande gekommen ist (vgl. BGH, Urt. v. 11. Mai 1989, aaO 1324).
e) Sollte die Klägerin nicht beweisen können, daß der Beklagte ihr gemäß ihrem Vorbringen bei der Besprechung der Parteien am 20. Januar 1992 eine neue Bürgschaftserklärung erteilt hat, so wird das Berufungsgericht die – bisher im Rechtsstreit nicht erörterte – Frage zu prüfen haben, ob sich der Beklagte ausnahmsweise nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf den Formmangel berufen darf (vgl. BGHZ 132, 119, 128 f m.w.N.).
III.
1. Sollte der Beklagte eine formwirksame Bürgschaft übernommen haben oder trotz Formunwirksamkeit an seine Bürgschaftserklärung nach Treu und Glauben gebunden sein, so verstößt der Bürgschaftsvertrag entgegen der Ansicht der Revision nicht gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB).
Das Berufungsgericht hat angenommen, die Bürgenhaftung habe den Beklagten mit Rücksicht auf sein Einkommen ungewöhnlich stark belastet. Dennoch fehle ein strukturelles Ungleichgewicht im Sinne ungleicher Verhandlungsstärke, weil der Beklagte als Handlungsbevollmächtigter die Hauptschuldnerin seit der Abberufung des Geschäftsführers am 29. Januar 1991 verantwortlich geführt habe und für ihn als Geschäftsmann das persönliche Bürgschaftsrisiko erkennbar gewesen sei.
Ein Bürgschaftsvertrag ist grundsätzlich dann gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn der Bürge sich in einem Umfang verpflichtet, der seine gegenwärtigen und künftig zu erwartenden Vermögensverhältnisse übersteigt, und durch weitere, dem Gläubiger zurechenbare Umstände – insbesondere durch Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit – zusätzlich so erheblich belastet wird, daß ein unerträgliches Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern hervorgerufen wird (BGHZ 132, 328, 329 f; 136, 347, 350 f; 137, 329 f, 332 f). Ist Hauptschuldnerin eine Gesellschaft, die aus wirtschaftlicher Sicht einem Angehörigen des Bürgen gehört, so kann dieser sich in einer für Verwandten- oder Ehegattenbürgschaften typischen Konfliktlage befinden (BGHZ 137, 329, 336). Bürgen Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter für Verbindlichkeiten „ihrer” Gesellschaft, so wird die Bürgschaft in der Regel nicht sittenwidrig sein, weil ein solcher Bürge die Entstehung von Gesellschaftsschulden beeinflussen kann (BGH, Urt. v. 15. Februar 1996 – IX ZR 245/94, WM 1996, 588, 592).
a) Die Bürgschaft mag den Beklagten im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses ungewöhnlich stark belastet haben. Nach eigenem Vorbringen konnte der Beklagte aber für einen erheblichen Teil der Kredite von insgesamt 270.000 DM, die er für die GmbH zu einem Zinssatz von 13,5 % jährlich aufgenommen hat, einstehen. Nach seinem Vortrag hat er der Klägerin bei den Vertragsverhandlungen eine Selbstauskunft erteilt, aus der sich monatliche Einkünfte von 6.900 DM, ein Barvermögen von 8.000 DM, der Rückkaufswert einer Versicherung von 16.000 DM sowie an Verbindlichkeiten ein Ratenkredit von 50.000 DM und ein Darlehen von 50.000 DM für den Kauf des Pkw's ergaben. Vom pfändungsfreien Teil seines monatlichen Einkommens konnte er über die monatlichen Kreditzinsen hinaus noch erhebliche Tilgungsleistungen erbringen.
b) Umstände, die den Bürgen bei Vertragsschluß zusätzlich belastet haben und der Klägerin als Gläubigerin zuzurechnen sind, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Der Beklagte hat nicht geltend gemacht, eine emotionale Bindung an seinen Vater, der Gesellschafter der Hauptschuldnerin war, habe ihn unabhängig von wirtschaftlichen Überlegungen zur Bürgschaftsübernahme veranlaßt. Vielmehr hat den Beklagten dazu unstreitig ein besonderes Interesse an dem gewinnversprechenden Projekt „BLM” verleitet.
Die Revision macht geltend, der Beklagte, der bei der GmbH monatlich 5.000 DM netto verdiente, habe mit der Aufnahme der verbürgten Kredite für die Gesellschaft seinen Arbeitsplatz sichern wollen. Insoweit kann dem Beklagten aber keine ausweglose Zwangslage bei Vertragsschluß zugebilligt werden. Es war damals die freie Entscheidung des geschäftserfahrenen Beklagten, ob er als derjenige, der die Geschäfte der Gesellschaft anstelle eines Geschäftsführers leitete, mit von ihm verbürgten Krediten die GmbH und damit seinen Arbeitsplatz, möglicherweise – wie geschehen – nur kurzfristig, festigte oder ob er das damit für ihn verbundene Risiko nicht übernahm.
2. Vergeblich wendet sich die Revision auch gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, die formularmäßige Globalbürgschaft sei nicht nach §§ 3, 9 AGBG unwirksam.
Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt: Im vorliegenden Falle sei die weite Zweckerklärung in der Bürgschaftsurkunde nicht unwirksam, weil sich derjenige verbürgt habe, der wie ein Geschäftsführer die Geschäfte der Hauptschuldnerin geführt habe. Der Beklagte habe Einfluß auf Art und Höhe der Kreditverbindlichkeiten der Hauptschuldnerin gehabt. Er habe die Entwicklung der Hauptschuld gekannt und hätte deswegen die Bürgschaft rechtzeitig kündigen können, wenn er eine Ausdehnung des Bürgschaftsrisikos hätte vermeiden wollen. Da der Beklagte die Lage kontrolliert und beherrscht habe, sei er einem Geschäftsführer gleichzustellen.
a) Dagegen macht die Revision zunächst geltend, die umfassende Sicherungsklausel sei nach § 3 AGBG nicht Vertragsbestandteil geworden. Bei Bürgschaftsübernahme hätten die Kreditverbindlichkeiten der Hauptschuldnerin nur 70.000 DM und der verhandelte Kreditrahmen 100.000 DM zur Überbrückung eines Liquiditätsengpasses betragen. Der Beklagte sei wie ein Kommanditist insoweit schutzbedürftig, weil er damals als Handlungsbevollmächtigter nicht habe erwarten können, künftig Art und Höhe der Verbindlichkeiten der GmbH beeinflussen zu können. Dieser Ansicht kann nicht zugestimmt werden.
Nach § 3 AGBG werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen so ungewöhnlich sind, daß der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil. Überraschend in diesem Sinne ist eine solche Regelung dann, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (BGHZ 130, 19, 24 ff m.w.N.). Bürgt ein Geschäftsführer, Allein- oder Mehrheitsgesellschafter, der Art und Höhe der Verbindlichkeiten „seiner” Gesellschaft beeinflussen kann, für deren Schulden, so wird er in der Regel durch eine umfassende formularmäßige Zweckerklärung seiner Bürgschaft nicht überrascht (BGHZ 130, 19, 30).
Unstreitig ist die vorgelegte Bürgschaftsurkunde erst nach dem Widerruf der Blankobürgschaft am 7. Januar 1992 vervollständigt worden. Nach eigenem Vorbringen hat der Beklagte in der Folgezeit bis zum 16. Januar 1992 mehrmals mit der Klägerin über einen Kredit zur Fortführung des Projekts „BLM” verhandelt, wobei „ein Kreditvolumen von 250.000 DM … avisiert” worden sei; darauf bezieht sich das Schreiben der Klägerin an den Beklagten vom 16. Januar 1992 über „weitere Inanspruchnahmen für das Projekt BLM”, die u. a. von einer unbegrenzten Bürgschaft des Beklagten abhängig gemacht worden ist. Danach ging es zu diesem Zeitpunkt nicht nur um einen Kreditrahmen von 100.000 DM zur Verbesserung der Liquidität. Vielmehr sind damals nach dem Vorbringen des Beklagten künftige, von ihm zu verbürgende Kredite der Klägerin an die GmbH, die am 9. März 1992 eingeräumt worden sind, nach ihrem Grund und ihrem wesentlichen Umfang ausreichend umrissen worden.
Der Beklagte ist auch durch die weitere Entwicklung nicht überrascht worden. Nach dem vorinstanzlichen Vorbringen der Parteien hat er als Handlungsbevollmächtigter (§ 54 HGB) – anders als ein Kommanditist (vgl. § 170 HGB; BGHZ 130, 19, 30) – gleichsam wie ein Alleingeschäftsführer mit Zustimmung der Gesellschafter (vgl. dazu BGH, Urt. v. 14. Oktober 1968 – III ZR 82/66, WM 1969, 43; v. 8. Mai 1978 – II ZR 208/76, WM 1978, 1046, 1047) die Geschäfte der GmbH geführt und diese vertreten; dementsprechend hat er auch den Kreditvertrag vom 9. März 1992 für die GmbH mit der Klägerin geschlossen. Soweit die Revision erstmals in der Revisionsverhandlung geltend gemacht hat, dem Beklagten habe gemäß § 54 Abs. 2 HGB die Befugnis zur Kreditaufnahme gefehlt, können die Parteien dies im weiteren Berufungsverfahren klarstellen.
Falls der Beklagte dennoch behaupten will, die umfassende Zweckerklärung der Bürgschaft gehe über das Ergebnis seiner Verhandlungen mit der Klägerin hinaus, hat er dafür keinen Beweis angetreten, obwohl er insoweit die Beweislast trägt (vgl. BGH, Urt. v. 28. März 1995 – XI ZR 151/94, WM 1995, 790, 791).
b) Entgegen der Ansicht der Revision ist die formularmäßige Erstreckung der Bürgenhaftung auf die beiden geltend gemachten Verbindlichkeiten aus dem Kreditvertrag vom 9. März 1992 nicht nach § 9 AGBG unwirksam.
Im vorliegenden Falle entfällt eine unangemessene Benachteiligung schon deswegen, weil der Beklagte aufgrund seiner Verhandlungen mit der Klägerin Art und Umfang der von ihm verbürgten künftigen Kredite kannte (vgl. BGH, Urt. v. 2. Juli 1998 – IX ZR 255/97, WM 1998, 1675).
Außerdem wird der Beklagte durch die umfassende Zweckerklärung seiner formularmäßigen Bürgschaft nicht in seinen schutzwürdigen Belangen unbillig beeinträchtigt, weil er als Handlungsbevollmächtigter anstelle eines Geschäftsführers die GmbH tatsächlich geleitet und vertreten hat. Dementsprechend hat er den Kreditvertrag für die Gesellschaft mit der Klägerin geschlossen, aus dem die beiden verbürgten Verbindlichkeiten stammen. Geschäftsführer einer GmbH sind – ebenso wie deren Allein- oder Mehrheitsgesellschafter – insoweit nicht schutzwürdig, weil sie regelmäßig Art und Höhe der von ihnen verbürgten Gesellschaftsverbindlichkeiten beeinflussen und eine Ausdehnung ihres Bürgschaftsrisikos vermeiden können, indem sie vor der Entstehung neuer Gesellschaftsschulden ihre Bürgschaft rechtzeitig kündigen (BGHZ 130, 19, 30; 132, 6, 9; BGH, Beschl. v. 24. September 1996 – IX ZR 316/95, NJW 1996, 3205; Urt. v. 11. Dezember 1997 – IX ZR 274/96, WM 1998, 235, insoweit nicht abgedr. in BGHZ 137, 292; v. 15. Juli 1999 – IX ZR 243/98, WM 1999, 1761 f, z.V.b. in BGHZ). Maßgeblich ist, daß der Beklagte die tatsächliche Entscheidungsbefugnis hatte, obwohl er nicht die rechtliche Stellung eines Geschäftsführers besaß. Er hätte die Inanspruchnahme aus seiner Bürgschaft verhindern können, wenn er den Kreditvertrag nicht abgeschlossen oder vor der Kreditaufnahme seine Bürgschaft gekündigt hätte.
3. Die übrigen Ausführungen des Berufungsgerichts werden von der Revision nicht angegriffen und lassen keinen Rechtsfehler erkennen.
Unterschriften
Paulusch, Kirchhof, Fischer, Zugehör, Ganter
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 16.12.1999 durch Preuß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 556418 |
BB 2000, 532 |
DB 2000, 614 |
DStR 2000, 566 |
NJW 2000, 1179 |
NWB 2000, 2698 |
EBE/BGH 2000, 76 |
GmbH-StB 2000, 95 |
KTS 2000, 283 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 514 |
WuB 2001, 379 |
ZIP 2000, 451 |
MDR 2000, 714 |
GmbHR 2000, 326 |
ZBB 2000, 133 |