Leitsatz (amtlich)
Zur Feststellung der Zahlungseinstellung auf der Grundlage von Indizien.
Normenkette
InsO § 130 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 14.05.2012; Aktenzeichen 13 U 27/10) |
LG Darmstadt (Entscheidung vom 15.01.2010; Aktenzeichen 23 O 94/07) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der die Berufung zurückweisende Beschluss des 13. Zivilsenats in Darmstadt des OLG Frankfurt vom 14.5.2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Antrag eines Sozialversicherungsträgers vom 5.4.2005 am 1.9.2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. GbR (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin betrieb eine Großbäckerei mit mehreren Filialen und Verkaufsstellen. Sie geriet mehr als ein Jahr vor Insolvenzeröffnung gegenüber Sozialversicherungsträgern, Energieversorgungsunternehmen und anderen Gläubigern in Zahlungsrückstand. Im Zeitraum vom 26.1.2005 bis zum 12.7.2005 entrichtete sie nach dem Vortrag des Klägers durch Barzahlung und Überweisungen an die Beklagte, ihren Energielieferer, insgesamt 53.582 EUR.
Rz. 2
Der Kläger verlangt diesen Betrag unter dem Gesichtspunkt der Deckungsanfechtung zurück. Das LG hat seine Klage abgewiesen. Die von dem Kläger eingelegte Berufung ist durch einstimmigen Beschluss des Berufungsgerichts gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen worden. Mit seiner von dem erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die von der Schuldnerin geleisteten Zahlungen seien trotz der von der Beklagten angedrohten Sperre der Stromversorgung nicht inkongruent. Eine Anfechtung nach § 131 InsO komme deshalb nicht in Betracht. Auf § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO könne der Kläger seine Anfechtung nicht stützen, weil es ihm nicht gelungen sei, die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum Zeitpunkt der angefochtenen Handlungen darzulegen. Zwar halte der Senat an seiner im Hinweisbeschluss vom 27.1.2012 geäußerten Auffassung, dass es auch im Fall des Nachweises der Zahlungsunfähigkeit durch das Bestehen fälliger Verbindlichkeiten, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden seien, der Darlegung bedürfe, dass diese Verbindlichkeiten einen wesentlichen Teil der fälligen Verbindlichkeiten zum jeweiligen Stichtag darstellten, nicht fest. Ausreichend für die Annahme einer Zahlungseinstellung könne auch sein, dass zum fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden seien, wenn diese nicht einen wesentlichen Teil der Gesamtverbindlichkeiten ausmachten. Die Tatsache, dass die Schuldnerin noch in der Lage gewesen sei, erhebliche Zahlungen an die Beklagte zu leisten und ihre durchschnittlichen Tageseinnahmen von 8.000 EUR wenigstens rechnerisch ausgereicht hätten, den Rückstand bei der Beklagten auszugleichen, belege aber, dass sich hier eine pauschale Betrachtung verbiete. Abgesehen von den Rückständen bei Sozialversicherungsträgern, die mit 9.155,02 EUR zum 12.4.2005 und 16.762,96 EUR zum 22.7.2005 ebenfalls nicht erheblich gewesen seien, habe der Kläger nicht dargelegt, dass die Schuldnerin noch weitere Verbindlichkeiten gegenüber Dritten gehabt habe, die den Schluss auf massive Zahlungsschwierigkeiten zuließen. Dass die Schuldnerin nicht in der Lage gewesen sei, ihre Stromrechnungen zu bezahlen, falle aufgrund ihrer erheblichen Tageseinnahmen nicht ins Gewicht; gleiches gelte im Hinblick auf die Nichteinlösung von Lastschriften über zwei- und dreistellige Eurobeträge. Der Kläger habe im Übrigen auch nicht dargetan, dass die Beklagte Kenntnis von Umständen gehabt habe, aus denen sie bei zutreffender rechtlicher Würdigung auf eine Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung hätte schließen müssen. Dass sie die Belieferung der Schuldnerin fortgesetzt habe, zeige ihre Unkenntnis von der Zahlungseinstellung.
II.
Rz. 5
Mit dieser Begründung kann der Zurückweisungsbeschluss keinen Bestand haben. Auf der Grundlage des vom Berufungsgericht angenommenen Sachverhalts hätte es für den hier maßgeblichen Anfechtungszeitraum ab dem 21.1.2005 die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht verneinen dürfen, weil diese ihre Zahlungen eingestellt hatte und hieraus auf ihre Zahlungsunfähigkeit zu schließen war (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO).
Rz. 6
1. Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung gewährt hat, wenn entweder die Handlung innerhalb der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist, der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war und der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit kannte, oder die Handlung nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte. Gemäß § 130 Abs. 2 InsO steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen.
Rz. 7
a) Die Zahlungsunfähigkeit beurteilt sich im gesamten Insolvenzrecht und darum auch im Rahmen des Insolvenzanfechtungsrechts nach § 17 InsO (BGH, Beschl. v. 13.6.2006 - IX ZB 238/05, WM 2006, 1631 Rz. 6). Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO kann eine Liquiditätsbilanz aufgestellt werden. Dabei sind die im maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung zu setzen zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten. Im Insolvenzanfechtungsprozess ist die Aufstellung einer Liquiditätsbilanz oftmals nicht erforderlich, weil im eröffneten Verfahren auch auf andere Weise festgestellt werden kann, ob der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen konnte (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2006 - IX ZR 228/03, WM 2006, 2312 Rz. 28; ständig).
Rz. 8
b) Hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, begründet dies auch für die Insolvenzanfechtung gem. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit (BGH, Urt. v. 20.11.2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 184 f.; v. 21.6.2007 - IX ZR 231/04, WM 2007, 1616 Rz. 27; v. 30.6.2011 - IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rz. 10).
Rz. 9
aa) Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (BGH, Urt. v. 20.11.2001, a.a.O.). Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen (BGH, Urt. v. 21.6.2007, a.a.O., Rz. 28). Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus (BGH, Urt. v. 21.6.2007, a.a.O., Rz. 29; v. 20.12.2007 - IX ZR 93/06, WM 2008, 452 Rz. 21 jeweils m.w.N.). Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten erheblichen Umfangs bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, ist regelmäßig von Zahlungseinstellung auszugehen (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2006, a.a.O., Rz. 22, 28).
Rz. 10
bb) Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden. Sind derartige Indizien vorhanden, bedarf es einer darüber hinaus gehenden Darlegung und Feststellung der genauen Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder gar einer Unterdeckung von mindestens 10 vom Hundert nicht. Es obliegt vielmehr dem Tatrichter, ausgehend von den festgestellten Indizien eine Gesamtabwägung vorzunehmen, ob eine Zahlungseinstellung gegeben ist (BGH, Urt. v. 30.6.2011, a.a.O., Rz. 13 m.w.N.).
Rz. 11
2. Nach diesen Maßstäben rechtfertigen die von dem Berufungsgericht festgestellten Beweisanzeichen die Annahme einer Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) des Schuldners. Insoweit hat das Berufungsgericht den Prozessstoff nicht ausgeschöpft und eine rechtsfehlerfreie Gesamtwürdigung der einzelnen Indizien versäumt (vgl. BGH, Urt. v. 14.2.2008 - IX ZR 38/04, WM 2008, 698 Rz. 13).
Rz. 12
a) Im Streitfall bestanden nach dem "Aktenstand", auf den sich das Berufungsgericht ausdrücklich bezogen hat, bereits im Zeitpunkt der ersten von der Schuldnerin zugunsten der Beklagten innerhalb des Dreimonatszeitraums bewirkten Zahlung am 21.1.2005 erhebliche Zahlungsrückstände, die der Schuldner bis zu der Verfahrenseröffnung nicht mehr vollständig beglichen hat. Schon dieser Umstand begründet regelmäßig ein Indiz für eine Zahlungseinstellung (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2006, a.a.O., Rz. 28). Auch wenn vom Kläger lediglich dargelegt ist, dass damals Forderungen der Beklagten und eines Sozialversicherungsträgers offenstanden, fällt bei der Bewertung ins Gewicht, dass die Forderung der Beklagten im Hinblick auf den Geschäftsbetrieb der Schuldnerin existenzielle Bedeutung hatte, weil ohne eine Stromversorgung ein Bäckereibetrieb nicht zu unterhalten ist. Die mehr als halbjährige Nichtbegleichung von Sozialversicherungsbeiträgen bildet nach ständiger Rechtsprechung ein erhebliches Beweisanzeichen für eine Zahlungseinstellung (BGH, Urt. v. 20.11.2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 187; v. 10.7.2003 - IX ZR 89/02, WM 2003, 1776, 1778; v. 12.10.2006 - IX ZR 228/03, WM 2006, 2312 Rz. 24; vom 30.6.2011, a.a.O., Rz. 15). Zwar ist nicht festgestellt, ob gegen die Schuldnerin bei Verfahrenseröffnung weitere offene Verbindlichkeiten bestanden, die schon zum Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Zahlungen begründet waren, weil eine Auseinandersetzung mit der in den Vorinstanzen beigezogenen Akte des Insolvenzverfahrens durch das Berufungsgericht nicht erfolgt ist. Schon eine dauerhaft schleppende Zahlungsweise kann aber Indizwirkung für eine Zahlungseinstellung haben (vgl. BGH, Urt. v. 9.1.2003 - IX ZR 175/02, WM 2003, 400, 402; Beschl. v. 24.4.2008 - II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 Rz. 6). Dies hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, indem es übergangen hat, dass die Schuldnerin schon zuvor, nämlich in den Monaten November 2004 bis Januar 2005, die Forderungen der Beklagten, ihres Energieversorgers, nicht mehr beglichen hat, so dass es zu einer Vielzahl von Zahlungsaufforderungen und Mahnungen mit der Androhung von Stromsperren gekommen ist. Ihre Rückstände bei der Beklagten hat die Schuldnerin trotz eigener, nicht eingehaltener Zahlungszusagen nicht ausgeglichen. Vielmehr sind nach dem klägerischen Vortrag die Schulden sogar kontinuierlich angestiegen.
Rz. 13
b) Ferner hat das Berufungsgericht außer Acht gelassen, dass die Schuldnerin infolge der ständigen verspäteten Begleichung der Forderungen der Beklagten, wie auch anderer Gläubiger, einen Forderungsrückstand vor sich hergeschoben hat und demzufolge ersichtlich am Rande des finanzwirtschaftlichen Abgrunds operierte (vgl. MünchKomm/InsO/Eilenberger, 3. Aufl., § 17 Rz. 30). Die sich immer wieder erneuernden Forderungsrückstände widerlegen die Bewertung des Berufungsgerichts, dass kein wesentlicher Teil der Verbindlichkeiten betroffen war und es sich um lediglich geringfügige Liquiditätslücken handelte (vgl. BGH, Urt. v. 9.1.2003, a.a.O.; v. 11.2.2010 - IX ZR 104/07, WM 2010, 711 Rz. 43). Wären es tatsächlich geringfüge Liquiditätslücken gewesen, hätte es der Schuldnerin gelingen müssen, diese zu schließen. Tatsächlich war die Schuldnerin nach dem Gesamtbild, auf das sich das Berufungsgericht bezogen hat, nur noch darum bemüht, trotz fehlender Mittel den Anschein eines funktionstüchtigen Geschäftsbetriebs aufrechtzuerhalten. Dies folgt aus den Bekundungen der Zeugin P., nach denen es dem Gesellschafter der Schuldnerin nur noch darum ging, Löcher zu stopfen. Dass auch andere Gläubiger die Schuldnerin bedrängten, folgt bereits aus dem Umstand, dass nach Aussage der Zeugin neben etlichen Lieferanten, die Zahlung beanspruchten, auch Gerichtsvollzieher die Schuldnerin aufsuchten. Warum sich das Berufungsgericht dieser Erkenntnis verschließt und in seiner Begründung ausführt, dass es keine nennenswerten weiteren Verbindlichkeiten gegenüber Dritten gegeben habe, ist im Hinblick auf dieses Beweisergebnis unverständlich. Die Beweisaufnahme ergibt im Gegenteil das Bild eines Schuldners, der am finanziellen Abgrund wirtschaftet und nur noch darum bemüht ist, die Gläubiger zu befriedigen, die ihn am stärksten bedrängen. Nachdem sich diese Vorgänge über mehrere Monate erstreckten und damit deutlich über den Zeitraum von drei Wochen hinausgingen, kann nach den bisher getroffenen Feststellungen auch nicht von einem nur kurzfristigen Liquiditätsengpass ausgegangen werden. Die Annahme einer bloßen Zahlungsstockung ist nach dieser Indizienlage ausgeschlossen (vgl. BGH, Urt. v. 15.3.2012 - IX ZR 239/09, ZInsO 2012, 696 Rz. 18 ff.).
Rz. 14
c) Die durchschnittlichen Tagesumsätze der Schuldnerin haben entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts keine entlastende Wirkung. Allein aus dem Umstand, dass die Schuldnerin, die offenkundig nicht mehr in der Lage war, einen geordneten Zahlungsverkehr aufrechtzuerhalten, im Durchschnitt Tageseinnahmen von 8.000 EUR hatte, folgt nicht, dass eine Zahlungseinstellung ausschied. Mit diesen Tageseinnahmen konnten - soweit nicht ohnehin Privatentnahmen getätigt worden sind, wie die Zeugin P. bekundet hat - nur noch Löcher gestopft werden. Um sämtliche Gläubiger außer der Beklagten zu befriedigen, reichten sie nicht aus. Selbst wenn die Einnahmen, wie vom Berufungsgericht unterstellt, rechnerisch genügt hätten, um die Forderungen der Beklagten zu erfüllen, standen sie tatsächlich nicht zur Verfügung. So forderten die von der Beklagten entsandten Sperrkassierer höhere Beträge ein, als sie von der Zeugin P. - je nach Kassenlage - erhalten konnten, weil die Schuldnerin ungeachtet ihrer Tageseinnahmen, die aus den gesammelten Einnahmen sämtlicher Filialbetriebe stammten, nicht imstande war, mehr zu zahlen. Die absolute Höhe der Tageseinnahmen steht deshalb der durch eine Vielzahl von Indizien belegten Zahlungseinstellung nicht entgegen.
Rz. 15
d) Zwar hat das Berufungsgericht im Grundsatz richtig gesehen, dass die schon im Jahr 2004 zurückgegebenen Lastschriften und die nicht eingehaltene Zahlungszusage der Schuldnerin gravierende Indizien für die Annahme einer Zahlungseinstellung sein können. Mit seiner Auffassung, eine Zahlungsunfähigkeit sei auszuschließen, wenn ein Schuldner nur über hinreichend hohe Umsätze verfüge, ungeachtet aller sonstigen Anzeichen für eine Zahlungseinstellung und ohne Rücksicht auf die Frage, welche laufenden Aufwendungen er habe, um diese Umsätze zu erzielen, hat es sich aber den Blick auf diese weiteren maßgeblichen Indizien verstellt.
Rz. 16
3. Soweit das Berufungsgericht ausführt, selbst bei unterstellter Zahlungsunfähigkeit sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte nach § 130 Abs. 2 InsO Kenntnis von Umständen gehabt habe, aus denen sie bei zutreffender rechtlicher Beurteilung auf eine Zahlungsunfähigkeit oder jedenfalls Zahlungseinstellung zu schließen gehabt hätte, kann dies die Abweisung der Klage nicht rechtfertigen.
Rz. 17
a) Für die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners genügt es, wenn der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen und dem Verhalten des Schuldners bei natürlicher Betrachtungsweise den zutreffenden Schluss zieht, dass jener wesentliche Teile, also 10 v.H. oder mehr, seiner ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten im Zeitraum der nächsten drei Wochen nicht wird tilgen können (BGH, Urt. v. 12.10.2006 - IX ZR 228/03, WM 2006, 2312 Rz. 24; HK-InsO/Kreft, 6. Aufl., § 130 Rz. 25 f.). Der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit steht die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit hinweisen (BGH, Urt. v. 24.5.2007 - IX ZR 97/06, ZIP 2007, 1511 Rz. 25; v. 20.11.2008 - IX ZR 188/07, ZInsO 2009, 145 Rz. 10; v. 8.10.2009 - IX ZR 173/07, ZIP 2009, 2253 Rz. 10). Es genügt daher, dass der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Beurteilung die Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt (BGH, Urt. v. 19.2.2009 - IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 Rz. 13 f.; BGH, Urt. v. 8.10.2009, a.a.O., Rz. 10). Zahlungsunfähigkeit ist auch dann anzunehmen, wenn der Schuldner die Zahlungen eingestellt hat. Kennt der Gläubiger die Tatsachen, aus denen sich die Zahlungseinstellung ergibt, kennt er damit auch die Zahlungsunfähigkeit. Bewertet er das ihm vollständig bekannte Tatsachenbild falsch, kann er sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er diesen Schluss nicht gezogen hat (BGH, Urt. v. 20.11.2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 185; vom 19.2.2009, a.a.O., Rz. 14). Die Feststellung der subjektiven Voraussetzungen der Anfechtung - hier der Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Rechtshandlung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 InsO) - obliegt dabei in erster Linie dem Tatrichter (vgl. BGH, Urt. v. 19.2.2009, a.a.O., Rz. 15; BGH, Urt. v. 17.6.2010 - IX ZR 134/09, ZInsO 2010, 1324 Rz. 9). Erforderlich ist auch im Blick auf die Kenntnis der aufgrund der Zahlungseinstellung vermuteten Zahlungsunfähigkeit eine Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände, sofern aus ihnen ein zwingender Schluss auf die Kenntnis folgt (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2006 - IX ZR 228/03, WM 2006, 2312 Rz. 30; vom 15.5.2009 - IX ZR 201/08, WM 2009, 2322 Rz. 6; v. 19.5.2011 - IX ZR 9/10, WM 2011, 1085 Rz. 15).
Rz. 18
b) Die pauschalen Ausführungen des Berufungsgerichts, die Beklagte habe aus ihrem Wissen um die Vielzahl der Bäckereifilialen der Schuldnerin schließen dürfen, dass diese über beträchtliche Tageseinnahmen und damit hinreichende Liquidität verfügt habe, genügen diesen Anforderungen nicht. Das Berufungsgericht hat die gebotene Gesamtwürdigung hinsichtlich der Zahlungszeitpunkte bislang nicht vorgenommen. Es wird deshalb nach Zurückverweisung der Sache zu prüfen haben, ob die Beklagte zu den einzelnen Zahlungszeitpunkten aufgrund der ihr bekannten Indiztatsachen die erforderliche positive Kenntnis von der Zahlungseinstellung der Schuldnerin hatte. Dabei wird es sich insb. mit den zurückgegebenen Lastschriften, dem sich ständig vergrößernden Zahlungsrückstand, der Nichtzahlung der Stromrechnungen für die Monate November 2004 bis Januar 2005, den Mahnungen der Beklagten, der nicht erfüllten Zahlungszusage der Schuldnerin und den Beitreibungsversuchen des eigenen Sperrkassierers befassen müssen.
III.
Rz. 19
Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann deshalb keinen Bestand haben. Sie ist aufzuheben. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif und deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung (§ 563 Abs. 3 ZPO) kann der Senat auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht treffen, weil diese den Vortrag der Parteien nicht ausschöpfen.
Fundstellen
Haufe-Index 5517236 |
DB 2013, 2382 |
DB 2013, 6 |
DStR 2013, 12 |
DStR 2014, 42 |
EBE/BGH 2013 |
GmbH-StB 2014, 8 |
EWiR 2014, 53 |
NZG 2014, 151 |
WM 2013, 1993 |
ZAP 2013, 1146 |
ZIP 2013, 2015 |
BC 2013, 464 |
DZWir 2014, 35 |
JZ 2013, 679 |
MDR 2013, 1313 |
NZI 2013, 932 |
RdE 2014, 394 |
ZInsO 2013, 2109 |
GWR 2013, 475 |
GmbHR 2013, 1202 |
InsbürO 2013, 504 |
KSI 2014, 40 |
NJW-Spezial 2013, 726 |