Leitsatz (amtlich)
Aus der Inkongruenz einer Deckungshandlung ist ein Indiz für die Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners und für die Kenntnis des Empfängers ausnahmsweise dann nicht abzuleiten, wenn die Wirkungen der Handlung zu einer Zeit eintreten, in welcher noch keine ernsthaften Zweifel an der Liquidität des Schuldners bestehen oder – aus der Sicht des Empfängers – zu bestehen scheinen.
Normenkette
GesO § 10 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Brandenburgisches OLG (Aktenzeichen 8 U 97/95) |
LG Frankfurt (Oder) (Aktenzeichen 12 O 397/94) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden die Urteile des 8. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 11. September 1997 und der 2. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. Mai 1995 aufgehoben und wie folgt neu gefaßt:
Die Beklagte wird verurteilt,
- die ihr am 20. Januar 1992 abgetretenen Forderungen der A. GmbH B. gegenüber den Firmen D. H. Handels-GmbH und M. R. GmbH an den Kläger in seiner Eigenschaft als Verwalter in der Gesamtvollstreckung über das Vermögen der A. GmbH B. abzutreten;
- an den Kläger 142.286,37 DM nebst 12 % Zinsen seit 6. Dezember 1993 zu zahlen.
Wegen des weitergehenden Zinsanspruchs wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt. Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die A. GmbH B. (nachfolgend: Gesamtvollstreckungsschuldnerin oder Schuldnerin) hatte Grundstücke vermietet. Der Beklagten schuldete sie aus Warenlieferungen mehr als 245.000 DM. Die Beklagte hielt 8,96 % der Gesellschaftsanteile der Schuldnerin. Am 20. Januar 1992 unterzeichnete der Geschäftsführer der Schuldnerin zwei Urkunden, in denen die Mietzinsansprüche der Schuldnerin gegen zwei Mieter an die Beklagte abgetreten wurden. In den Urkunden hieß es jeweils:
„Die Gläubigerin kann die Abtretung gegen die Drittschuldnerin jederzeit anzeigen, jedoch nicht vor dem 1.6.1992, und die monatlichen Mietzahlungen einziehen.”
Aufgrund dieser Abtretungen zog die Beklagte vom 2. Juni bis 1. Dezember 1992 insgesamt 142.286,37 DM an Mietzinsen bei den Mietern ein.
Am 27. März 1992 wurde die Auflösung der Schuldnerin beschlossen, spätestens am 8. Dezember 1992 die Gesamtvollstreckung über ihr Vermögen beantragt. Nach der Verfahrenseröffnung am 1. April 1993 hat der Kläger die Abtretung mit der Behauptung angefochten, die Schuldnerin sei 1991 zahlungsunfähig geworden. Ein erstes klageabweisendes Urteil des Berufungsgerichts hat der Senat durch Urteil vom 30. Januar 1997 (IX ZR 89/96, ZIP 1997, 513 f) aufgehoben. Nach der Zurückverweisung hat das Berufungsgericht durch das nunmehr angefochtene Urteil die Klage erneut abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Rückabtretung sowie Zahlung der eingezogenen Mietzinsraten weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Verurteilung der Beklagten.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Das Vorbringen des Klägers ergebe keinen vor dem 1. Dezember 1992 liegenden Zeitpunkt der Zahlungseinstellung (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO).
Auch zu einer Benachteiligungsabsicht im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 1 GesO habe der Kläger nicht genügend vorgetragen. Das Berufungsgericht bleibe bei seiner Auffassung, daß die Entgegennahme einer inkongruenten Deckung im Zeitpunkt der Abtretungserklärung – Januar 1992 – kein Beweisanzeichen für die Kenntnis des Gläubigers von einer Benachteiligungsabsicht des Schuldners sei, wenn es an einer Zahlungsunfähigkeit fehle. Der Schuldner könne ja die ohne Benachteiligungsabsicht abgegebene Abtretungserklärung nicht mehr einseitig rückgängig machen und werde daran häufig genug nicht einmal denken, wenn später die Zahlungsunfähigkeit eintrete. Jedenfalls fehle es an einem Nachweis der Kenntnis der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt vor dem 1. Dezember 1992.
II.
Das hält den Rügen der Revision nicht stand.
1. Es spricht schon viel dafür, daß das Berufungsgericht den Rechtsbegriff der Zahlungseinstellung im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO verkannt sowie die einzelnen Anhaltspunkte für ihr Vorliegen jeweils nur isoliert und einseitig betrachtet hat, ohne zu der erforderlichen Gesamtwürdigung zu gelangen. Letztlich kommt es darauf ebensowenig entscheidend an wie auf die Frage, ob die Klage aus §§ 30, 31 GmbH gerechtfertigt ist.
2. Jedenfalls hat das Berufungsgericht eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht der Schuldnerin im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 1 GesO rechtsfehlerhaft verneint.
a) Seine Auffassung, die Gewährung einer inkongruenten Deckung sei hier kein Beweisanzeichen für eine Benachteiligungsabsicht, weil insoweit der Abschluß des Abtretungsvertrags vom 20. Januar 1992 maßgeblich und zu dieser frühen Zeit die Liquiditätsentwicklung noch nicht krisenhaft gewesen sei, verstößt gegen § 565 Abs. 2 ZPO. Der Senat hat in seinem vorangegangenen Urteil vom 30. Januar 1997 (IX ZR 89/96, aaO) dem Berufungsgericht für die erneute Prüfung vorgegeben, daß auch insoweit auf den Zeitpunkt des Entstehens der abgetretenen Forderungen – also Juni bis Dezember 1992 – abzustellen ist.
b) Darüber hinaus verkennt das Berufungsgericht mit seiner abweichenden Ansicht die Grundlage jeder „Absichtsanfechtung”. Weder § 31 KO noch § 10 Abs. 1 Nr. 1 GesO noch § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AnfG soll etwa ein „Handlungsunrecht” des Schuldners sanktionieren (vgl. BGH, Urt. v. 25. September 1952 - IV ZR 13/52, § 30 KO Nr. 1; Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 31 Rdnr. 1); nur bei einer solchen Zielrichtung müßte der Zeitpunkt der Handlung entscheidend sein. Angefochten wird vielmehr stets allein die durch eine Rechtshandlung ausgelöste gläubigerbenachteiligende Wirkung (BGH, Urt. v. 16. März 1995 - IX ZR 72/94, ZIP 1995, 630, 634; Henckel, in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch S. 239, 240 f). Entscheidend dafür, ob diese in der Insolvenz Bestand haben soll oder nicht, ist die gesetzgeberische Abwägung der Interessen der einzelnen Begünstigten gegenüber dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger in der Insolvenz, der durch die Anfechtungsnormen zeitlich vorverlegt wird. Aus dieser wertenden Sicht steht es dem Gesetzgeber frei, die Belange des einzelnen Begünstigten schon dann für weniger schutzwürdig zu halten, wenn sein Rechtserwerb im Zeitpunkt der Vollendung (vgl. künftig § 140 Abs. 1 InsO) auf mißbilligenswerten Umständen beruht. Eine solche Schwäche des Rechtserwerbs wird insbesondere dadurch begründet, daß wenigstens im abschließenden Erwerbszeitpunkt ein Benachteiligungsvorsatz des Schuldners vorliegt und der Leistungsempfänger das auch weiß. Nur auf diesen, maßgeblichen Zeitpunkt kann sich zugleich die jeweilige Indizwirkung einer inkongruenten Deckung beziehen.
Dem steht nicht die Erwägung des Berufungsgerichts entgegen, der Schuldner könne die einmal abgegebene Abtretungserklärung nicht einseitig rückgängig machen; häufig werde er daran nicht einmal mehr denken, wenn später die Zahlungsunfähigkeit eintrete. Bis zum Entstehen der im voraus abgetretenen Forderung haben die Vertragsteile es in ihrer Macht, die Abtretungsvereinbarung wieder aufzuheben, so daß sie folgenlos bleibt. Genau das und nicht mehr bewirkt – im Verhältnis zu den Gesamtvollstreckungsgläubigern – die Anfechtung. Der Schuldner, der durch seine Insolvenz die Gläubiger schädigt, darf sich jedenfalls vom Eintritt seiner wirtschaftlichen Krise an nicht mit Recht darauf berufen, er habe nicht mehr an das weggegebene Vermögensgut gedacht, mit dem er die Zahlungsunfähigkeit möglicherweise hätte vermeiden können. Der Empfänger einer Vorausabtretung andererseits, welcher der Aufhebung zuzustimmen vermag, ist in seiner erlangten Rechtsposition gerade für den Insolvenzfall erst schutzwürdig, wenn die abgetretene Forderung entsteht (vgl. BGHZ 30, 238, 240; 64, 312, 313; BGH, Urt. v. 5. Januar 1955 - IV ZR 154/54, NJW 1955, 544 f; und für die Zukunft Amtliche Begründung der Bundesregierung zu § 159 des Entwurfs einer Insolvenzordnung, BT-Drucks. 12/2443 S. 166). Vorher darf er sich aus wertender Sicht für den Fall der Insolvenz des Abtretenden unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 GesO nicht dem Außerkrafttreten widersetzen. Damit soll zugleich verhindert werden, daß ein Schuldner sich seines Vermögens im voraus in einem Maße entäußert, welches im Insolvenzfall für nicht bevorzugte Gläubiger nichts übrig läßt.
3. Die Abweisung der Klage beruht somit auf Rechtsfehlern (§ 564 Abs. 1 ZPO).
III.
Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Die Verteidigung der Beklagten gegen die schlüssige Klage ist für den gesamten hier fraglichen Zeitraum jedenfalls insoweit unerheblich, als die Klage auf § 10 Abs. 1 Nr. 1 GesO gestützt ist.
1. Die Inkongruenz der von der Beklagten erlangten Deckung bedeutet ein erhebliches Beweisanzeichen sowohl für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Gesamtvollstreckungsschuldnerin als auch für eine Kenntnis der Beklagten davon.
a) Zwar kann die bezeichnete Indizwirkung einer inkongruenten Deckung entfallen, wenn sie bereits zu einer Zeit vereinbart wird, in welcher der Schuldner zweifelsfrei liquide ist oder – aus Sicht des Gläubigers – zu sein scheint. Praktisch kann das bedeutsam werden, wenn zwischen dem Beginn der angefochtenen Rechtshandlung und ihrer endgültigen Vornahme ein längerer Zeitraum liegt. Verdächtig wird die Inkongruenz aber schon, sobald erste, ernsthafte Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Schuldners auftreten. Erfahrungsgemäß lösen bereits diese oft Gegenmaßnahmen gut informierter und durchsetzungskräftiger Gläubiger aus, welche in einer späteren Insolvenz die Gleichbehandlung aller Gläubiger durchbrechen. Aufgabe der Anfechtung ist es gerade, solche Sondervorteile – unter bestimmten weiteren Voraussetzungen – rückgängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts beschränkt sich dieser Schutz der Gläubigergesamtheit nicht erst auf den Zeitpunkt der materiellen Insolvenz des Schuldners oder auch nur seiner objektiv drohenden Zahlungsunfähigkeit (im Sinne von § 18 InsO). Vielmehr kann er – insbesondere im Rahmen der „Absichtsanfechtung” – zeitlich wesentlich weiter zurückreichen. Gerade die Anfechtung wegen Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes soll auch diejenigen inkongruenten Deckungen erfassen, die besonders gut informierte Gläubiger im Hinblick auf eine von den Beteiligten für die Zukunft befürchtete unregelmäßige Zahlungsweise des Schuldners erlangen. Auslösender Umstand für die von einer inkongruenten Deckung vermittelte Indizwirkung kann danach schon jede ernsthafte Besorgnis bevorstehender Zahlungskürzungen oder -stockungen des Schuldners sein, weil sich damit die Gefährdung der anderen, nicht in gleicher Weise begünstigten Gläubiger aufdrängt.
b) Derartige Umstände lagen hier aufgrund des unstreitigen Sachverhalts bereits bei Abschluß des Abtretungsvertrages am 20. Januar 1992 und in der gesamten Folgezeit vor. Den Gesellschafter-Gläubigern der Schuldnerin war im Herbst 1991 eine Überschuldung von jedenfalls 1,5 Mio. DM offengelegt worden; die Bilanz der Gesamtvollstreckungsschuldnerin zum 31. Dezember 1991 wies eine solche von fast 2,37 Mio. DM aus. Die Beklagte und eine andere Gesellschafterin haben daraufhin Forderungen von zusammen rund 425.000 DM ausgesetzt, weil Forderungen in dieser Höhe ohne eine erhoffte, aber ungewisse zusätzliche Hilfe der Treuhandanstalt nicht zu bezahlen waren.
Die Beklagte räumt auch ein, daß die Gesamtvollstreckungsschuldnerin „im Laufe des Jahres 1991 insolvent geworden ist und die Gläubiger über die bestehende Zahlungsunfähigkeit unterrichtet worden sind”. Die in der Gesellschafterversammlung vom 15. November 1991 vom neuen Geschäftsführer W. eingeleiteten Maßnahmen waren offensichtlich allein nicht geeignet, die wirtschaftliche Krise zu beseitigen. Das Protokoll zu Punkt 2 der Tagesordnung der Gesellschafterversammlung vom 15. November 1991 weist ausdrücklich aus, daß nach Erkenntnis der Gesellschafterversammlung „für die Gesellschaft eine Stützungshilfe von DM 1,5 Mio. zwingend erforderlich ist”. Zu einer Liquiditätshilfe waren nur zwei der Gesellschafter-Gläubiger mit Forderungen von 425.000 DM bereit, und diese bewirkte auch lediglich einen Aufschub bis März 1992. Die als Ausgleich vereinbarte, hier angefochtene Abtretung entzog der Gesamtvollstreckungsschuldnerin zudem ab 1. Juni 1992 zwangsläufig weitere Einkünfte. Die Hoffnung auf eine weitere Hilfe der Treuhandanstalt verwirklichte sich nicht. Irgendein sonstiger Zufluß an liquiden Mitteln ist nicht dargetan.
Das sind typische Umstände, deretwegen Gläubiger die Sicherung ihrer gefährdeten Forderungen in inkongruenter Weise suchen.
2. Die Beklagte hat nichts vorgetragen, was das Beweisanzeichen erschüttern könnte, das aus der Inkongruenz der von ihr erlangten Deckung für den Zeitpunkt ihrer späteren Verwirklichung folgt. Erheblichen Beweis zu diesem Punkt hat sie nicht angetreten.
a) Der Umstand, daß im Januar 1992 der damalige Geschäftsführer W. der Schuldnerin noch auf ihre Sanierung gehofft haben mag, ist schon deshalb unerheblich, weil im hier allein maßgeblichen Zeitraum ab Juni 1992 bereits die Liquidation der Schuldnerin beschlossen war.
Im übrigen schließt eine bloße Sanierungshoffnung den Benachteiligungsvorsatz nicht ohne weiteres aus. § 10 Abs. 1 Nr. 1 GesO setzt – wie § 31 Nr. 1 KO und § 3 Abs. 1 Nr. 1 AnfG – nicht voraus, daß die Benachteiligung das Ziel des Schuldners war; vielmehr genügt es, daß er sie als notwendige Folge seines Handelns erkannt und billigend in Kauf genommen hat (BGZ 130, 314, 319; 131, 189, 195; BGH, Urt. v. 18. Februar 1993 - IX ZR 129/92, WM 1993, 738, 739, jeweils m.w.N.). Für den Geschäftsführer W. der Schuldnerin lag es infolge ihrer krisenhaften Lage auf der Hand, daß die Abtretung der Mietzinsforderungen an die Beklagte das haftende Vermögen der Schuldnerin und damit zugleich zwangsläufig die Befriedigungsaussichten der übrigen, nicht durch Gewährung von Sicherheiten begünstigten Gläubiger verringerte. Zwar kann der ernsthafte Versuch eines Schuldners, seine Sanierung zu erreichen, seinen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ausschließen. Das setzt aber voraus, daß der Schuldner damit rechnete, infolge der Anlage und Einleitung des Sanierungsversuchs in absehbarer Zeit alle Gläubiger befriedigen zu können (vgl. Senatsurt. v. 4. Dezember 1997 - IX ZR 47/97, WM 1998, 248, 251). Derartiges ist hier nicht behauptet. Das in der Gesellschafterbesprechung vom 15. November 1991 erörterte Rettungsbemühen bot keinerlei greifbare Grundlage für eine solche Erwartung: Es erschöpfte sich im Hinweis auf steigende Auftragszahlen. Die Liquiditätskrise sollte zu mehr als der Hälfte durch die bloße, ungesicherte Hoffnung auf einen Zuschuß der Treuhandanstalt überwunden werden. Zur Rentabilität der Betriebsfortführung fehlen ebenso alle Hinweise wie zum hier entscheidenden Punkt einer Befriedigung der vorhandenen Gläubiger. In Ermangelung konkreter Anhaltspunkte ist das für eine Benachteiligungsabsicht sprechende Anzeichen der Inkongruenz nicht zu erschüttern.
b) Allerdings hat die Gesamtvollstreckungsschuldnerin während der Monate Juni bis Dezember 1992 aufgrund der hier angefochtenen Abtretungen noch monatlich bis zu 24.000 DM mittelbar an die Beklagte geleistet. Ferner hat die Schuldnerin an fünf weiterbeschäftigte Arbeitnehmer regelmäßig den Lohn bezahlt. Die Höhe der Lohnzahlungen ist allein für die Mitarbeiterin U. G. genannt; sie erhielt monatlich Nettobeträge von rund 1.200 DM. Zahlungen in vergleichbarer Größenordnung zuzüglich Steuern und Sozialabgaben schlossen den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gegenüber der Gesamtheit aller Gläubiger nicht aus. Im Vergleich mit der Summe der Schulden stellten sämtliche laufenden Zahlungen der Schuldnerin nur eine Ausnahme dar.
Daß die Gesamtvollstreckungsschuldnerin ihren Betrieb bis Dezember 1992 irgendwie aufrechterhalten hat, ist für sich unerheblich. Weiter führt auch nicht die unwidersprochen gebliebene Behauptung der Beklagten, die Gesamtvollstreckungsschuldnerin habe in den Monaten Juni bis Dezember 1992 noch Ersatzteile gekauft und aus den laufenden Geschäftseinnahmen beglichen. Ein wesentlicher Umfang dieser Einkäufe und Schuldtilgungen ist damit nicht dargetan.
Schließlich ist es in diesem Zusammenhang bedeutungslos, daß die Treuhandanstalt noch bis 12. November 1992 beabsichtigt hat, Zahlungen auf einen von der Gesatmvollstreckungsschuldnerin vereinbarten Sozialplan zu leisten. Die versprochenen, rein zweckgebundenen Zahlungen nutzten den anderen Gläubigern nichts. Auch die Größenordnung war begrenzt: Nach dem am 4. Juni 1992 gestellten ersten Gesamtvollstreckungsantrag standen 36 entlassenen ehemaligen Arbeitnehmern entsprechende Forderungen von zusammen rund 168.000 DM zu.
c) Das weitere Vorbringen der Beklagten in ihren Schriftsätzen vom 23. Juni und 11. Juli 1997 ist nicht geeignet, den für eine Benachteiligungsabsicht sprechenden Anhaltspunkt der inkongruenten Deckung zu erschüttern. Ob die Schuldnerin zwischen Juni und Dezember 1992 bereits zahlungsunfähig war, ist hierfür nicht entscheidend; im übrigen könnten die rechtlichen Voraussetzungen dafür auch nicht durch die pauschale Einschätzung einzelner Zeugen ausgeräumt werden. Über die Weiterbeschäftigung einzelner Arbeitnehmer (s.o. b) und die Hoffnung auf eine Hilfe durch die Treuhandanstalt (s.o. a) gehen die mitgeteilten tatsächlichen Grundlagen für jene Einschätzung nicht hinaus.
d) Die von der Beklagten in der mündlichen Revisionsverhandlung erhobene Aufklärungsrüge ist nicht hinreichend ausgeführt (§ 554 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b ZPO). Die Beklagte gibt nicht an, daß sie noch irgendwelche Tatsachen hätte vortragen können, die geeignet wären, die Gläubigerbenachteiligungsabsicht der Schuldnerin zu erschüttern. Zudem entfällt eine Verletzung des § 139 Abs. 1 ZPO in der letzten Tatsacheninstanz, weil der Senat bereits in seinem ersten Urteil vom 9. Januar 1997 (IX ZR 89/96) alle diejenigen Gesichtspunkte aufgezeigt hat, die auch jetzt weiterhin entscheidend sind.
e) Das alles gilt zugleich für eine Kenntnis der Beklagten von der Benachteiligungsabsicht. An der Gesellschafterversammlung hat sie teilgenommen.
3. Gemäß § 10 Abs. 1 GesO und entsprechend § 37 KO hat die Beklagte die im Wege der Abtretung erworbenen Forderungen an die Insolvenzmasse zu Händen des Klägers zurückzugewähren. Soweit die Forderungen eingezogen wurden, hat sie entsprechenden Wertersatz zu leisten.
Der zuerkannte Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 2, 286 Abs. 1, 284 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Da das Berufungsgericht gegen § 565 Abs. 2 ZPO verstoßen hat (s.o. II 2 a), sind Gerichtskosten für das Revisionsverfahren nach § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG nicht zu erheben. Ohne den Verfahrensfehler des Berufungsgerichts hätte diese Revision nicht eingelegt zu werden brauchen.
Unterschriften
Paulusch, Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof, Fischer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.01.1999 durch Preuß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539323 |
DB 1999, 631 |
EWiR 1999, 465 |
KTS 1999, 237 |
Nachschlagewerk BGH |
VIZ 1999, 431 |
WM 1999, 456 |
WuB 1999, 891 |
ZAP-Ost 1999, 613 |
InVo 1999, 169 |
MDR 1999, 503 |
NJ 1999, 535 |
NZI 1999, 152 |
VersR 2000, 241 |
ZInsO 1999, 165 |