Leitsatz (amtlich)
Die Voraussetzungen der Zahlungseinstellung gelten nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung als bewiesen, wenn der Geschäftsführer einer GmbH, der von einem Gesellschaftsgläubiger wegen Insolvenzverschleppung in Anspruch genommen wird, seine Pflicht zur Führung und Aufbewahrung von Büchern und Belegen verletzt hat und dem Gläubiger deshalb die Darlegung näherer Einzelheiten nicht möglich ist.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1-2; GmbHG § 64 Abs. 1 a.F.; InsO § 15a; GmbHG § 41; HGB §§ 238, 257
Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 09.06.2010; Aktenzeichen 9 U 113/09) |
LG Verden (Aller) (Entscheidung vom 27.10.2009; Aktenzeichen 7 O 141/09) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des OLG Celle vom 9.6.2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin schloss am 18.5.2005 einen Frachtvertrag mit der D. S. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), aus dem ihr - nach Abzug einer Teilzahlung von 2.500 EUR - ein am 26.5.2005 fällig gewordener Vergütungsanspruch i.H.v. 36.500 EUR zusteht. Ein am 14.7.2005 gestellter Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin wurde mit der Begründung abgelehnt, die Schuldnerin habe bei Verbindlichkeiten i.H.v. 452.000 EUR keinerlei Aktivvermögen, so dass die Kosten des Verfahrens nicht gedeckt seien.
Rz. 2
Der Beklagte ist - neben seiner Ehefrau - Geschäftsführer der Schuldnerin. Die Klägerin nimmt ihn wegen verspäteter Insolvenzantragstellung und Eingehungsbetrugs auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 36.500 EUR nebst Zinsen und Anwaltskosten verurteilt, das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
Über die Revision der Klägerin ist, da der Beklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung im Termin nicht vertreten war, durch Versäumnisurteil zu entscheiden, das aber inhaltlich nicht auf der Säumnis, sondern auf einer sachlichen Prüfung des Revisionsantrags beruht (vgl. BGH, Urt. v. 4.4.1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81 f.).
Rz. 4
Die Revision ist erfolgreich und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 5
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 6
Eine zur Ersatzpflicht gegenüber der Klägerin führende Insolvenzverschleppung liege nur dann vor, wenn die Schuldnerin spätestens drei Wochen vor dem Vertragsschluss mit der Klägerin insolvenzreif gewesen sei, also am 27.4.2005. Denn dem Geschäftsführer stehe ein Zeitraum von drei Wochen für Sanierungsbemühungen zur Verfügung.
Rz. 7
Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass die Schuldnerin am 27.4.2005 zahlungsunfähig gewesen sei. Die von der Klägerin angeführten Verbindlichkeiten der Schuldnerin seien dafür nicht aussagekräftig, weil die Klägerin - teilweise - nicht vorgetragen habe, wann diese entstanden und fällig geworden seien. Das vorzutragen, sei ihr zumutbar gewesen. Denn sie habe die anderen Gläubiger, die sich aus den polizeilichen Ermittlungsakten ergeben hätten, dazu befragen können. Zudem hätten noch zwei Kreditlinien offen gestanden, und die Schuldnerin habe aufgrund einer Geschäftsbeziehung mit dem Dauerkunden G. mit monatlichen Einnahmen i.H.v. rund 90.000 EUR rechnen können.
Rz. 8
Aus dem Vortrag der Klägerin ergebe sich auch nicht, dass die Schuldnerin am 27.4.2005 überschuldet gewesen sei. Eine Überschuldung könne nur durch einen Überschuldungsstatus nachgewiesen werden. Diesen habe die Klägerin nicht vorgelegt. Auch die polizeilichen Ermittlungen hätten keinen Schriftverkehr zu Tage gefördert, aus dem sich die Vermögenssituation der Schuldnerin hätte ableiten lassen. Dass der Beklagte bereits am 14.7.2005 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt habe und zu diesem Zeitpunkt nur noch Verbindlichkeiten i.H.v. 452.000 EUR offen gestanden hätten, aber kein Aktivvermögen mehr vorhanden gewesen sei, belege angesichts des Geschäftszweigs der Schuldnerin als einer Frachtführerin im Seeschiffsverkehr nicht, dass die Schuldnerin auch schon am 27.4.2005 überschuldet gewesen sei.
Rz. 9
Eine Haftung des Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB scheide aus, weil jedenfalls ein Vorsatz des Beklagten nicht festgestellt werden könne.
Rz. 10
II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Kontrolle nicht stand. Nach dem festgestellten und dem im Revisionsverfahren als wahr zu unterstellenden Sachverhalt hat die Klägerin einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. (jetzt § 15a InsO). Die Schuldnerin war zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Klägerin zahlungsunfähig und damit insolvenzreif, und der Beklagte hat seine daraus folgende Pflicht zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrags schuldhaft verletzt.
Rz. 11
1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. bei Eintritt der Insolvenzreife grundsätzlich sofort zu stellen. Die höchstens dreiwöchige Frist des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. ist nur dann eröffnet, wenn eine rechtzeitige Sanierung "ernstlich zu erwarten ist" (BGH, Urt. v. 9.7.1979 - II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 111 f.). Die Voraussetzung dieser Ausnahme hat nach allgemeinen Grundsätzen derjenige darzulegen, der sich darauf beruft (BGH, Urt. v. 26.6.1989 - II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 144 f.; Urt. v. 6.6.1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 200), hier der Beklagte. Dass der Beklagte dazu Vortrag gehalten hätte, hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht festgestellt. Revisionsrechtlich ist daher davon auszugehen, dass eine rechtzeitige Sanierung der Schuldnerin nicht zu erwarten war.
Rz. 12
2. Die Schuldnerin war jedenfalls am 18.5.2005, dem somit maßgebenden Tag des Vertragsschlusses mit der Klägerin, zahlungsunfähig.
Rz. 13
Das ergibt sich schon aus § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO. Danach ist Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Dafür reicht ein nach außen hervortretendes Verhalten, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus, auch wenn noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. Sogar die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist. Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht beglichen worden sind, ist regelmäßig von Zahlungseinstellung auszugehen (BGH, Urt. v. 30.6.2011 - IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rz. 12; Urt. v. 11.2.2010 - IX ZR 104/07, ZIP 2010, 682 Rz. 42, jeweils m.w.N.).
Rz. 14
Diese Voraussetzungen waren hier am 18.5.2005 erfüllt.
Rz. 15
a) Allerdings muss - wie das Berufungsgericht zutreffend gesehen hat - die Voraussetzungen der Zahlungseinstellung grundsätzlich derjenige darlegen und beweisen, der daraus Rechte für sich herleiten will (BGH, Urt. v. 6.6.1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 200; Urt. v. 25.7.2005 - II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 57). Das ist hier die Klägerin. Sie hat nach der Feststellung des Berufungsgerichts teilweise keine substantiierten Angaben zu den Entstehens- und Fälligkeitszeitpunkten der bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens offenen Verbindlichkeiten gemacht.
Rz. 16
Dessen bedurfte es aber auch nicht. Denn nach der Rechtsprechung des Senats gelten die Voraussetzungen der Insolvenzreife nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung als bewiesen, wenn der Geschäftsführer die ihm obliegende Pflicht zur Führung und Aufbewahrung von Büchern und Belegen nach §§ 238, 257 HGB, § 41 GmbHG verletzt hat und dem Gläubiger deshalb die Darlegung näherer Einzelheiten nicht möglich ist (BGH, Urt. v. 12.3.2007 - II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rz. 14 zur Überschuldung). So liegt der Fall hier.
Rz. 17
aa) Bei der im Rahmen des gegen den Beklagten eingeleiteten Ermittlungsverfahrens erfolgten Durchsuchung wurden zu den folgenden vom Beklagten anlässlich des Insolvenzantrags als offen stehend bezeichneten Verbindlichkeit der Schuldnerin keine Unterlagen aufgefunden:
Rz. 18
M. |
90.270 EUR |
Do. |
17.806,25 EUR |
T. |
41.666 EUR. |
Rz. 19
Damit ist davon auszugehen, dass der Beklagte jedenfalls insoweit seine Pflicht aus § 257 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 HGB verletzt hat, die empfangenen Handelsbriefe und die Abschriften der abgesandten Handelsbriefe sowie Buchungsbelege - wie Rechnungen und Quittungen - aufzubewahren. Hätte er diese Unterlagen aufbewahrt, hätte die Klägerin nach Einsichtnahme in die Ermittlungsakte entsprechenden Vortrag halten können. Das ist ihr aufgrund der Verletzung der Aufbewahrungspflicht durch den Beklagten unmöglich. Dagegen spricht - anders als das Berufungsgericht gemeint hat - nicht, dass die Klägerin die Möglichkeit hatte, die ihr aus der Ermittlungsakte bekannten Gläubiger hinsichtlich der Fälligkeitszeitpunkte ihrer jeweiligen Forderungen und etwaiger Stundungen zu befragen. Denn das Interesse der Gläubiger ist vorrangig auf die Durchsetzung ihrer eigenen Forderungen gerichtet, und sie sind der Klägerin nicht zur Auskunft verpflichtet, wie die Revision zu Recht geltend macht.
Rz. 20
bb) Weiter ist in dem Polizeivermerk vom 19.8.2008 die Forderung der B. Inc. i.H.v. 110.843,64 EUR aufgrund der insoweit vorgefundenen Unterlagen als am 15.4.2005 - also vor dem hier streitigen Vertragsschluss vom 18.5.2005 - fällig geworden bezeichnet. Auch insoweit hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, dass der Beklagte zur Fälligkeit dieser Forderung etwas Erhebliches vorgetragen hätte.
Rz. 21
b) Die Behauptung des Beklagten, mit den Gläubigern M. und T. seien Stundungs- oder Ratenzahlungsvereinbarungen getroffen worden, führt nicht dazu, dass die Klägerin das Gegenteil darlegen und beweisen müsste. Der Vortrag des Beklagten ist schon nicht ausreichend substantiiert. Der Beklagte hat nicht vorgetragen, aus welchen Tatsachen sich die Stundungen oder Ratenzahlungsvereinbarungen ergeben sollen.
Rz. 22
c) Auch der Vortrag des Beklagten, der Forderung der B. Inc. über 110.843,64 EUR habe eine höhere Schadensersatzforderung wegen eines von B. zu verantwortenden Maschinenausfalls entgegengestanden, reicht nicht aus, um diese Forderung als für die Feststellung der Zahlungseinstellung unbeachtlich ansehen zu können. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass der Beklagte erklärt hätte, wieso er die Forderung gegenüber dem Insolvenzgericht ohne diese Einschränkung als offen bezeichnet und keine Gegenforderung angegeben hat. Die Mutmaßung des Berufungsgerichts, die Forderung sei zunächst konkludent gestundet gewesen und dann habe man sich über den Gegenanspruch geeinigt, entbehrt jeder Grundlage im Parteivortrag.
Rz. 23
d) Aufgrund der Zahlungseinstellung jedenfalls zum 18.5.2005 wird gem. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO vermutet, dass die Schuldnerin zu diesem Termin zahlungsunfähig und damit insolvenzreif war. Es ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich, dass der Beklagte Vortrag zur Widerlegung dieser Vermutung gehalten hätte. Insbesondere spricht nichts dafür, dass der Beklagte damit hätte rechnen können, die fälligen Forderungen jeweils in einem Zeitraum von längstens drei Wochen erfüllen zu können, so dass eine bloße Zahlungsstockung in Betracht käme (vgl. BGH, Urt. v. 24.5.2005 - IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 139 f.). Die Geschäftsverbindung mit dem Kunden G. und die daraus zu erwartenden monatlichen Zahlungsansprüche i.H.v. jeweils 90.125 EUR reichen dafür ebenso wenig aus wie der Zahlungseingang i.H.v. 70.000 EUR am 13.7.2005 und die teilweise noch offenen Kreditlinien bei der D. Bank und der B. Bank. Denn der Beklagte hat nicht dargelegt, warum er die offenen Verbindlichkeiten der Schuldnerin trotz dieser Vermögenswerte nicht beglichen hat.
Rz. 24
3. Damit braucht nicht entschieden zu werden, ob die Schuldnerin am 18.5.2005 auch wegen Überschuldung i.S.d. § 19 Abs. 2 InsO insolvenzreif war.
Rz. 25
4. Das für die Ersatzpflicht aus § 823 Abs. 2 BGB erforderliche Verschulden des Geschäftsführers wird vermutet (BGH, Urt. v. 6.6.1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 200). Dass der Beklagte diese Vermutung widerlegt hätte, ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich.
Rz. 26
III. Die Sache ist danach an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die noch erforderlichen Feststellungen getroffen werden können.
Rz. 27
Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft, ob die Klageforderung in voller Höhe begründet ist. Nach § 823 Abs. 2 BGB, § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. ist nur das negative Interesse des Gläubigers zu ersetzen. Dazu gehört der entgangene Gewinn grundsätzlich nicht. Nach der Rechtsprechung des Senats ist aber auch dieser zu ersetzen, wenn dem Gläubiger wegen des mit dem Schuldner abgeschlossenen Geschäfts ein anderes Geschäft entgangen ist (BGH, Urt. v. 27.4.2009 - II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rz. 15 f.). Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob der - ggf. ergänzte - Vortrag der Klägerin insoweit ausreicht. Andernfalls wird es einen Abzug von der Klageforderung vornehmen müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 2947019 |
BB 2012, 909 |
BB 2013, 2245 |
DB 2012, 794 |