Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung eines Steuerbevollmächtigten für Systemmängel in der Buchhaltung seines Mandanten
Leitsatz (redaktionell)
1. Rechte und Pflichten eines Steuerberaters sind den jeweiligen Sonderabmachungen zu entnehmen, die den Aufgabenkreis erweitern oder einschränken können.
2. Ein mit der Überwachung der Buchhaltung und Erstellung der Steuererklärungen beauftragter Steuerbevollmächtigter ist dafür verantwortlich, daß ein ordnungsgemäßes Kassenbuch geführt wird.
3. Bei einem entsprechenden Mangel im System der Buchhaltung kann er sich nicht auf eine mangelhafte Aufmerksamkeit des Auftraggebers berufen.
Normenkette
StBerG § 2 Abs. 1; BGB §§ 675, 254
Tatbestand
Der Kläger ist seit 1949 selbständiger Tanzlehrer. Über seine Einnahmen und Ausgaben führte er ursprünglich ein unvollständiges Journal, ein Postscheckbuch und ein Teilnehmerverzeichnis mit Angabe der Kursgebühren. In einem Prüfungsbericht des Finanzamts vom 29. April 1954 wurde er darauf hingewiesen, daß er seine Betriebseinnahmen einzeln, fortlaufend und richtig aufzuzeichnen habe. Daraufhin trug er seine Bareinnahmen laufend in dem Wochenkalender (Tageskladde) ein. Die weiteren Buchführungsarbeiten erledigte für ihn ein Fräulein P., die bei einem Steuerberater angestellt war. Sie verbuchte in regelmäßigen Abständen die vorgefundenen Belege und übertrug die Eintragungen von der Tageskladde in das Journal. Seit April 1955 machte die bei dem Kläger beschäftigte Tanzlehrerin B. die laufenden Eintragungen in die Tageskladde.
Als der Umfang der Tanzschule zunahm, beauftragte der Kläger, um Fräulein P. zu entlasten und um als Flüchtling die Steuervorteile der §§ 7a und 10a EStG zu erlangen, den beklagten Steuerbevollmächtigten, sich um die Buchführung zu kümmern; insbesondere die Arbeiten des Fräulein P. zu überwachen, und die Steuererklärungen für ihn anzufertigen. 1959 übernahm der Beklagte auch noch die Arbeiten des Fräulein P. (Journalführung). Der Kläger erhielt auf Grund der von dem Beklagten gefertigten Steuererklärungen für die Jahre 1956 bis 1960 antragsgemäß Steuervergünstigungen gem. den §§ 7a und 10a EStG. Im April 1962 fand eine Betriebsprüfung durch das Finanzamt statt. In dem Bericht des Steuerprüfers vom 27. April 1962 wird auf eine Reihe von Mängeln in der Buchführung hingewiesen, mit dem Ergebnis, daß sie als nicht ordnungsgemäß angesehen werden und der Kläger deshalb die Vergünstigungen der §§ 7a und 10a EStG nicht in Anspruch nehmen könne. Weiter heißt es unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BStBl 1953 III S. 157 und 1954 III S. 72, 83 und 298), bei einer ordnungsgemäßen kaufmännischen Buchführung seien Bargeschäfte in einem Kassenbuch einzutragen, das ermögliche, für jeden Tag den buchmäßigen Bestand mit dem tatsächlichen Kassenbestand zu vergleichen. Der buchmäßige Bestand sei aus den Kassenbüchern nicht zu ermitteln; das Journal könne die geforderte Kassenbuchführung nicht ersetzen, weil es nicht chronologisch geführt sei. Es liege deshalb ein unheilbarer Systemfehler in der Buchführung vor; auch wenn weitere Mängel nicht vorlägen, sei die Buchführung nicht ordnungsgemäß. Der Kläger wurde, da die ihm für 1956 bis 1960 gewährten Steuervergünstigungen nachträglich versagt wurden, aufgefordert, 32 847,43 DM an das Finanzamt nachzuzahlen. Er ist der Auffassung, der Beklagte müsse hierfür einstehen. Er habe seine Pflicht zur Uberwachung der Buchführung schuldhaft verletzt und sei ihm deshalb zum Schadensersatz in Höhe der nachzuzahlenden Beträge verpflichtet. Die ihm entgangenen Steuervorteile beziffert der Kläger mit 9261,55 DM für 1956, 8125,91 DM für 1958, 9681,10 DM für 1959 und 1190,12 DM für 1960. Mit der Klage hat der Kläger einen Teilbetrag seines Schadens in Höhe von 6200 DM geltend gemacht, und zwar 3200 DM für 1956 und je 1 000 DM für die Jahre 1958 – 1960.
Das Landgericht hat der Klage zu 2/3 stattgegeben und sie zu 1/3 abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Der Beklagte hat in der Berufungsinstanz Widerklage erhoben mit dem Antrag, festzustellen, daß dem Kläger auch über die geltend gemachten 6200 DM hinaus ein weiterer Betrag nicht zustehe, und zwar 4 000 DM für 1956, 5 000 DM für 1958 und 3 000 DM für 1959. Das Oberlandesgericht hat der Klage voll stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hat es zurückgewiesen und seine Widerklage abgewiesen.
Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
1. Das Berufungsgericht hält den Beklagten für voll schadensersatzpflichtig, weil er seine Pflichten als Steuerbevollmächtigter, wie sie in § 2 Abs. 1 des Steuerberatungsgesetzes vom 16. August 1961 niedergelegt seien, schuldhaft verletzt habe. Er habe sich nicht vergewissert und dafür gesorgt, daß die Kasseneinnahmen und -ausgaben täglich aufgezeichnet wurden. (§ 4 Abs. 1 und § 162 Abs. 7 AO). Seine Behauptung, er habe den Kläger auf die Notwendigkeit einer ordentlichen Kassenbuchführung wiederholt hingewiesen, sieht es als widerlegt an. Es stellt fest, daß der Beklagte die hier gehandhabte Art und Weise der Buchführung für ausreichend gehalten habe, um die Voraussetzungen der Steuervergünstigungen zu erfüllen. Das Fehlen der täglichen Aufzeichnungen der Kasseneinnahmen und -ausgaben sei ursächlich für den Schaden des Klägers gewesen. Ein ursächliches Mitverschulden des Klägers hat das Berufungsgericht verneint.
2. Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die in dem Bericht des Finanzamtes aufgezeigten Mängel, so insbesondere das Fehlen eines ordnungsmäßigen Kassenbuchs, werden von dem Beklagten nicht in Abrede gestellt; ebensowenig, daß diese zur Versagung der Vergünstigungen nach den §§ 7a, 10a EStG geführt haben. Der Beklagte wendet sich jedoch dagegen, daß er dafür verantwortlich gemacht wird. Seine Revisionsangriffe gegen die Feststellungen des Berufungsgerichts über den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtungen sind im Ergebnis nicht begründet.
a) Der Beklagte beanstandet allerdings mit Recht den Hinweis des Oberlandesgerichts auf das Steuerberatungsgesetz vom 16. August 1961. Denn er ist nur bis 1960 für den Kläger tätig gewesen. Abgesehen hiervon umreißt die Aufzählung in § 2 Abs. 1 dieses Gesetzes nur das allgemeine Berufsbild des Steuerberaters; seine Rechte und Pflichten sind den jeweiligen Sonderabmachungen zu entnehmen, die den Aufgabenkreis erweitern oder einschränken können (vgl. Bühring, StBerG, § 2 Anm. 2; Maaßen, Das Recht des Steuerberaters S. 2 u. 12). Diese Ungenauigkeit hat aber keinen Einfluß auf das Ergebnis. Denn das Berufungsgericht stellt es ebenfalls auf die Besonderheiten des Falles ab und entnimmt aus ihnen ohne Rechtsfehler, daß der Beklagte verpflichtet war, auf die ordnungsgemäße Führung des Kassenbuchs hinzuwirken.
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts gehörte es zu den Aufgaben des Beklagten, sich um die Buchführung zu kümmern, die Arbeiten von Fräulein P. zu überwachen und im Rahmen der von ihm gefertigten Steuererklärungen die Vergünstigungsanträge gem. den §§ 7a und 10a EStG zu stellen. Diesen Verpflichtungen ist er, wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt, nicht hinreichend nachgekommen.
Es ist zwar richtig, daß es nicht seine Aufgabe war, das Kassenbuch zu führen oder die Belege über die Bareinnahmen und -ausgaben auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit nachzuprüfen. Darauf kommt es aber nicht an. Der Vorwurf, der ihm vom Berufungsgericht gemacht wird, geht dahin, daß er nicht dafür gesorgt und veranlaßt hat, ein ordnungsgemäßes Kassenbuch zu führen. Dazu wäre er aber, was das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler annimmt, verpflichtet gewesen, denn insoweit handelte es sich um einen Mangel im S y s t e m der Buchhaltung. Dieses System zu überwachen und etwaige ihm innewohnende Mängel abzustellen, war – wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei annimmt – seine eigentliche Aufgabe. Das gilt um so mehr, als er auch den Auftrag hatte, die Steuererklärungen anzufertigen und die Anträge auf Steuervergünstigungen gem. den §§ 7a und 10a EStG zu stellen. Als Fachmann mußte er die einschlägigen Bestimmungen und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs kennen. Deshalb mußte er wissen, daß eine dem System nach ordnungsgemäße Buchhaltung unerläßliche Voraussetzung für eine Bewilligung der Steuervergünstigungen war. Gerade aus diesem Grunde hatte der Kläger, von dem als Laie eine solche Kenntnis nicht erwartet werden konnte, seine Hilfe in Anspruch genommen.
b) Das Berufungsgericht sieht die Behauptung des Beklagten, er habe den Kläger mehrere Male darauf hingewiesen, ein Kassenbuch zu führen, als w i d e r l e g t an.
In seiner Gesamtheit läßt die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts und seine Feststellung, der Beklagte habe den Kläger nicht auf die Notwendigkeit der Führung eines Kassenbuchs hingewiesen, keinen Rechtsfehler erkennen,
c) Der Beklagte kann sich zu seiner Entlastung auch nicht darauf berufen, daß der Kläger schon durch den Prüfungsbericht des Finanzamtes von 1954 auf die Notwendigkeit einer Kassenbuchführung hingewiesen worden sei. Das Berufungsgericht hat mit rechtsfehlerfreier Begründung das Gegenteil festgestellt. Insbesondere hat es darauf hingewiesen, daß die Verhältnisse des Jahres 1954 nicht mit der späteren Zeit verglichen werden könnten. Denn ursprünglich genügte die Buchführung des Klägers gem. § 4 Abs. 3 EStG. Erst die spätere Vergrößerung seines Betriebes und die Inanspruchnahme der Steuervergünstigungen der §§ 7a und 10a EStG machten eine Änderung notwendig. Das zu erkennen und das hiernach Notwendige zu veranlassen, war eine Hauptaufgabe des Beklagten.
d) Darauf, ob die von dem Finanzamt beanstandeten weiteren Mängel auch für sich allein zu einer Verwerfung der Buchhaltung und Versagung der Steuervergünstigungen geführt hätten und ob und inwieweit der Beklagte auch für diese Mängel verantwortlich gemacht werden kann, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Das Finanzamt hat unstreitig die Buchführung des Klägers deshalb verworfen, weil kein Kassenbuch geführt worden ist. Etwaige gleichwertige „Nebenursachen” können deshalb die Ursächlichkeit dieses Mangels für die Versagung der Steuervorteile nicht ausschließen (vgl. das Urteil des Senats vom 10. Oktober 1966 – VII ZR 152/64).
3. Das Berufungsgericht hat ein ursächliches Mitverschulden des Klägers (§ 254 BGB) verneint. Auch die hiergegen gerichteten Revisionsrügen des Beklagten sind nicht begründet. Der Kläger war zwar, wenn er die Vergünstigungen der §§ 7a und 10a EStG erhalten wollte, verpflichtet, sich darum zu kümmern, daß die Voraussetzungen hierfür erfüllt wurden. Dieser Verpflichtung ist er aber dadurch nachgekommen, daß er den Beklagten zugezogen hat. Der Kläger hatte ihm als Fachmann diese Aufgaben übertragen, um sich als Laie von der Notwendigkeit zu entlasten, sich über die einschlägigen Vorschriften zu unterrichten. Dann ist es dem Beklagten nach Treu und Glauben verwehrt, sich insoweit auf eine mangelhafte Aufmerksamkeit des Klägers zu berufen (Urteil des Senats vom 25. Mai 1964 – VII ZR 246/62 –; RGZ 129, 109, 114; RGRK BGB 11. Aufl., § 254 Anm. 95).
Der Beklagte meint zwar, der Kläger sei bereits durch den Prüfungsbericht des Finanzamtes von 1954 „gewarnt” worden; wenn er nicht dementsprechend gehandelt habe, sei ihm das zum (Mit)verschulden anzurechnen. Das geht jedoch, wie bereits zu 2 c) ausgeführt, fehl.
Fundstellen