Rn 33
Grob fehlerhaft ist eine soziale Auswahl, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich, insbesondere bei der Gewichtung der Auswahlkriterien, jede Ausgewogenheit vermissen lässt oder tragende Gesichtspunkte nicht in die Bewertung einbezogen worden sind.[68] Die getroffene Auswahl muss sich mit Blick auf den klagenden Arbeitnehmer im Ergebnis als grob fehlerhaft erweisen; nicht entscheidend ist, ob das Auswahlverfahren zu beanstanden ist.[69] Auch ein mangelhaftes Auswahlverfahren kann zu einem richtigen, jedenfalls aber vertretbarem Auswahlergebnis führen, dass nicht grob fehlerhaft ist.[70]
4.2.3.3.1. Auswahlrelevanter Personenkreis
Rn 34
Ein grober Fehler liegt vor, wenn bei der Bestimmung des Kreises vergleichbarer Arbeitnehmer die Austauschbarkeit offensichtlich verkannt worden ist oder bei der Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG die betrieblichen Interessen augenfällig überdehnt worden sind.[71] Daneben kann ein grober Fehler vorliegen, wenn der auswahlrelevante Personenkreis offensichtlich zu eng gezogen wurde.[72] Die Betriebsparteien haben zwar eine Einschätzungsprärogative unter anderem hinsichtlich der tatsächlichen Austauschbarkeit der Arbeitnehmer und der zumutbaren Dauer der Einarbeitungszeit (oben Rdn. 30). Eine Beschränkung der Vergleichbarkeit auf Arbeitnehmer, die ohne jede Einarbeitungszeit sofort austauschbar sind, ist aber in der Regel grob fehlerhaft.[73]
4.2.3.3.2. Betriebsbegriff
Rn 35
Ein Unterfall der Verkennung des auswahlrelevanten Personenkreises ist die Verkennung des für die Sozialauswahl relevanten Betriebsbegriffs (§ 23 KSchG).[74] Die Sozialauswahl ist nur grob fehlerhaft, wenn im Interessenausgleich der Betriebsbegriff selbst grob verkannt worden ist, seine Fehlerhaftigkeit also "ins Auge springt".[75] Sprechen dagegen gut nachvollziehbare und ersichtlich nicht auf Missbrauch zielende Überlegungen für die Eingrenzung des auswahlrelevanten Personenkreises, ist die Grenze der groben Fehlerhaftigkeit nicht erreicht.[76] Bewerten die Betriebspartner, zumal unter dem Druck eilbedürftiger Entscheidungen in der Insolvenz, die tatsächlichen Verhältnisse bei der Abgrenzung, ob ein eigenständiger Betrieb im Sinne des Betriebsbegriffs des § 23 KSchG vorliegt, in nachvollziehbarer und ersichtlich nicht auf Missbrauch zielender Weise falsch, liegt kein grober Fehler vor.[77]
4.2.3.3.3. Fehlende Interessenabwägung
Rn 36
Ebenfalls kein grober Fehler ist gegeben, wenn der Interessenausgleich eine Interessenabwägung aller Gesamtumstände vorsieht und diese unterbleibt, aber gleichwohl die Sozialauswahl im Ergebnis vertretbar ist. Denn in diesem Fall liegt nur ein Fehler im Auswahlverfahren vor, der für sich betrachtet keine grobe Fehlerhaftigkeit begründen kann (oben Rdn. 33).[78]
4.2.3.3.4. Punktesystem
Rn 37
Ferner genügt es für einen groben Fehler nicht, dass bei einem Punktesystem auf den gekündigten Arbeitnehmer nur geringfügig mehr Punkte (z.B. 51 Punkte) als auf einen nicht gekündigten Arbeitnehmer (z.B. 49 Punkte) entfallen, weil es sich hierbei nur um einen unerheblichen Unterschied handelt.[79]
4.2.3.3.5. Ausgewogene Personalstruktur
Rn 38
Keine grobe Fehlerhaftigkeit liegt nach § 125 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 vor, wenn durch die Sozialauswahl eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird. Dies ist ein gesetzlich geregelter Sonderfall der berechtigten betrieblichen Bedürfnisse i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG.[80]
4.2.3.3.5.1. Begriff der Personalstruktur
Rn 39
Der Begriff der Personalstruktur ist nicht mit dem der Altersstruktur gleichzusetzen, sondern, da dem Schuldner oder Betriebserwerber ein funktions- und wettbewerbsfähiges Arbeitnehmerteam zur Verfügung stehen soll, in einem umfassenderen Sinn zu verstehen.[81] Zulässige Kriterien bei der Sozialauswahl sind somit auch die Ausbildung und Qualifikation der Arbeitnehmer. Im Rahmen der Sozialauswahl dürfen somit neben Altersgruppen auch Qualifikationsgruppen gebildet werden; auch eine Altersgruppenstaffelung innerhalb der Qualifikationsgruppen ist zulässig.[82] Die Funktionsfähigkeit eingespielter Teams darf ebenfalls berücksichtigt werden.[83]
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