Rn 20
Die Belastung des Gesellschafters mit einer Finanzierungsfolgenverantwortung setzt voraus, dass ihm die negativen Folgen seiner Finanzierung auch tatsächlich zurechenbar sind. Letzteres ist grundsätzlich dann der Fall, wenn die Gewährung der Hilfe auf einem entsprechenden Willen des Gesellschafters beruht, er also im Angesicht der Krise für die Fortführung des Unternehmens anstelle der Liquidation optiert hat. Eine derartige Finanzierungsentscheidung setzt freilich voraus, dass der Gesellschafter in der Krise auch tatsächlich die Möglichkeit hatte, zwischen den beiden Handlungsoptionen (Kapitalzufuhr und Unternehmensfortführung einerseits und Liquidation des Unternehmens andererseits) zu wählen.
Rn 21
Im Regelfall kann eine Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters unterstellt werden. Nur ausnahmsweise fehlt es – im Falle der Darlehensgewährung – hieran; denn nach § 490 BGB steht dem Kreditgeber ein außerordentliches Kündigungsrecht (schon vor Auszahlung des Darlehens) zu, wenn sich nach Vertragsschluss die Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers wesentlich verschlechtern. Damit bleibt dem Gesellschafter-Kreditgeber unabhängig davon, wann er den Darlehensvertrag geschlossen hat, grundsätzlich die Möglichkeit erhalten, zwischen Unternehmensfortführung durch Kreditgewährung einerseits und der Liquidation andererseits zu wählen. Denkbar ist aber u.U., dass der Gesellschafter bereits vor Eintritt der Krise eine unwiderrufliche Kreditzusage (und zwar auch für eine eventuell spätere Krise) gegeben und sich dadurch seines außerordentlichen Kündigungsrechts begeben hat. Streng genommen kann der Gesellschafter hier mit Eintritt der Krise – zumindest mit rechtsgeschäftlichen Mitteln – nicht mehr (objektiv) zwischen Unternehmensfortführung und Liquidation wählen. Allein eine solche Vertragsgestaltung schließt jedoch h.M. zufolge eine Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters nicht ohne weiteres aus. Um Umgehungen zu verhindern, lässt die Rechtsprechung nämlich auch eine antizipierte Finanzierungsentscheidung genügen. Eine solche liegt vor, wenn der Gesellschafter seine Hilfe von vornherein auf eine Krisenfinanzierung angelegt hat, d.h. sich im Anblick der Krise seines außerordentlichen Kündigungsrechts nach § 490 BGB begeben hat. Darüber hinaus stellt die Rechtsprechung darauf ab, ob der Gesellschafter unabhängig von der Darlehensgewährung, d.h. auf andere Weise auf die Liquidation der Gesellschaft hinwirken (und damit weiterhin zwischen Unternehmensfortführung und Liquidation wählen) kann. In Betracht kommen hier insbesondere gesellschaftsrechtliche Instrumente, etwa der Beschluss der Gesellschafterversammlung, die Gesellschaft aufzulösen. Hierfür bedarf der Gesellschafter freilich grundsätzlich einer 3/4-Mehrheit. Verfügt er hierüber nicht, stellt sich die Frage, ob er im Zusammenwirken mit den anderen Gesellschaftern die erforderliche Mehrheit erreichen kann. Wie weit diese Obliegenheit des Gesellschafters geht, die Liquidation der Gesellschaft mit Hilfe der übrigen Gesellschafter durchzusetzen, ist fraglich und noch weitgehend ungeklärt. Höchstrichterlich entschieden sind nur die Eckpunkte eines breiten Spektrums, nämlich einerseits dass eine Beteiligung von 26 % am Stammkapital nicht ausreicht, um eine Obliegenheit des Gesellschafters anzunehmen, die Liquidation der Gesellschaft zu betreiben. Andererseits bilden nach Ansicht des BGH die an einer Kreditierung beteiligten Gesellschafter eine Risikogemeinschaft mit der Folge, dass diese jedenfalls zusammenwirken müssen, um die Liquidation der Gesellschaft herbeizuführen.
Rn 22
Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob im Einzelfall eine Finanzierungsentscheidung auch aus subjektiven Gründen ausgeschlossen sein kann. Die wohl überwiegende Meinung ist heute der Ansicht, dass eine Finanzierungsentscheidung nur dann vorliegt, wenn der Gesellschafter auch subjektiv von der Krise und damit von der Notwendigkeit, zwischen Sanierung und Liquidation wählen zu müssen, wusste. Freilich stellt dieses subjektive Erfordernis im Regelfall keine hohe Hürde dar; denn die h.M. arbeitet hier mit Typisierungen. Danach wird die Kenntnis des Gesellschafters um die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft widerlegbar vermutet. Grundlage dieser typisierenden Betrachtungsweise ist in aller Regel der individuelle (und nicht abdingbare) Informationsanspruch des Gesellschafters nach § 51a GmbHG. Wer mithin die Möglichkeit hat, sich von der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft umfassend Kenntnis zu verschaffen, von dem wird auch vermutet, dass er von dieser Möglichkeit im Rahmen seiner Finanzierungsentscheidung auch Gebrauch macht. Nur in ganz besonderen Ausnahmesituationen kann sich folglich der Gesellschafter mit Erfolg auf eine fehlende Kenntnis der Krise und damit auf das Nichtvorliegen einer Finanzierungsentscheidung berufen.