§ 356 Sekundärinsolvenzverfahren
(1) Die Anerkennung eines ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens schließt ein Sekundärinsolvenzverfahren über das inländische Vermögen nicht aus. Für das Sekundärinsolvenzverfahren gelten ergänzend die §§ 357 und 358.
(2) Zum Antrag auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens ist auch der ausländische Insolvenzverwalter berechtigt.
(3) Das Verfahren wird eröffnet, ohne dass ein Eröffnungsgrund festgestellt werden muss.
1. Überblick
Rn 1
§ 356 InsO normiert das besondere Partikularinsolvenzverfahren, das nach Eröffnung eines ausländischen Hauptinsolvenzverfahren im Inland eröffnet werden kann. Dieses Verfahren wird Sekundärinsolvenzverfahren genannt, um seine sekundäre Stellung im Vergleich zum Hauptinsolvenzverfahren auszudrucken. Durch dieses Verfahren wird das grundsätzlich universell wirkende Hauptinsolvenzverfahren beschränkt, da das inländische Vermögen der Beschlagnahmewirkung des Hauptverfahrens entzogen wird, Das im Inland eröffnete Sekundärinsolvenzverfahren unterliegt dem deutschen Recht.
Rn 2
Der negativen Formulierung des Wortlauts ("schließt nicht […] aus") kann jedoch entnommen werden, dass die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens eher unerwünscht ist. Diese Durchbrechung des Universalitätsprinzips sollte nur dann zur Anwendung kommen, wenn es eine besondere Situation erfordert.
Rn 3
Durch die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens werden hauptsächliche zwei Ziele verfolgt:
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Auf der einen Seite bewirkt die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens die Anwendung des deutschen Insolvenzrechts und damit einer den lokalen Gläubigern bekannten Rechtsordnung. Das Sekundärinsolvenzverfahren gewährleistet somit die Interessen inländischer Gläubiger. |
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Auf der anderen Seite kann die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens auch für den ausländischen (Haupt-) Insolvenzverwalter von Interesse sein, etwa um die Abwicklung des inländischen Vermögens zu vereinfachen. |
Rn 4
Darüber hinaus kann durch das Sekundärinsolvenzverfahren vermieden werden, dass die Sekundärinsolvenzmasse zwecks Zahlung der Hauptinsolvenzmasseverbindlichkeiten aufgebraucht wird.
Rn 5
§ 356 InsO regelt das Sekundärinsolvenzverfahren nur rudimentär. Abs. 1 postuliert die Zulässigkeit eines solchen Verfahrens und Abs. 2 und 3 enthalten jeweils besondere Regelungen in Bezug auf die Antragsbefugnis und den Eröffnungsgrund. Die Durchführung des Sekundärinsolvenzverfahrens wird in §§ 357 und 358 InsO weiter präzisiert, wie sich aus dem Verweis in § 356 Abs. 1 Satz 2 InsO ergibt ("gelten ergänzend"). Diese Vorschriften regeln die Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter im Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren sowie das Schicksal eines eventuellen Überschusses nach der Schlussverteilung im Sekundärinsolvenzverfahren.
Rn 6
Aufgrund der systematischen Stellung des § 356 InsO und der Natur der Sekundärinsolvenzverfahren als Untergruppe des Partikularverfahrens sind auch die §§ 354 und 355 InsO anwendbar. Dies ist insbesondere für die Eröffnungsvoraussetzungen und die besonderen Regelungen zur Restschuldbefreiung und zum Insolvenzplan von Belang.
Rn 7
§ 356 Abs. 1 und 3 InsO entspricht Art. 27 EuInsVO, während § 356 Abs. 2 mit Art. 29 EuInsVO korrespondiert.
2. Eröffnungsvoraussetzungen des Sekundärinsolvenzverfahrens
Rn 8
Die Voraussetzungen der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens ergeben sich aus der kumulierten Anwendung der §§ 354 und 356 InsO.
2.1 Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens
Rn 9
Die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens setzt das Vorhandensein eines ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens voraus. Ein Eröffnungsantrag reicht nicht aus. Ist ein solches Verfahren noch nicht eröffnet, kommt lediglich die Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens nach § 354 InsO infrage.
2.2 Anerkennung des Hauptinsolvenzverfahrens
Rn 10
Die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens kommt nur dann in Frage, wenn das ausländische Hauptinsolvenzverfahren im Inland überhaupt anerkennungsfähig gemäß § 343 InsO ist. Dies ergibt direkt aus der Formulierung des § 356 Abs. 1 Satz 1 InsO ("Die Anerkennung eines ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens"). Hierfür muss das Eröffnungsgericht nach deutschem Recht zuständig sein und die Anerkennung darf nicht zu einem Ergebnis führen, das gegen den deutschen ordre public verstößt.
Rn 11
Sollte das ausländische Hauptinsolvenzverfahren nicht anerkennungsfähig sein, so kann wiederum nur ein Partikularinsolvenzverfahren eröffnet werden.