Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 1
§ 53 bestimmt, dass aus der Insolvenzmasse die Kosten des Insolvenzverfahrens sowie die sonstigen Masseverbindlichkeiten vorweg zu berichtigen sind. Dies gilt im gesamten Verfahren nahezu uneingeschränkt für Masseverbindlichkeiten, die nach Verfahrenseröffnung durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters begründet worden sind, sog. gewillkürte Masseverbindlichkeiten. Dem liegt die zutreffende Überlegung zugrunde, dass Beteiligte, die mit dem Verwalter kontrahieren, darauf vertrauen können, dass die dadurch begründeten Verpflichtungen der Insolvenzmasse auch erfüllt werden bzw. nach deren Titulierung auch in die Insolvenzmasse vollstreckt werden können. Eine Ausnahme hiervon gilt nur für die vom Verwalter begründeten Sozialplanforderungen der Arbeitnehmer, derentwegen während der gesamten Dauer des Insolvenzverfahrens nicht in die Masse vollstreckt werden kann (vgl. § 123 Abs. 3 Satz 2).
Rn 2
Dagegen war schon im bisherigen Konkursrecht durch Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass für sog. unechte oder oktroyierte Masseverbindlichkeiten, deren Rechtsgrund vor Verfahrenseröffnung gelegt wurde, eine Einschränkung der Vollstreckungsmöglichkeit vorzunehmen ist. Danach war für diese Massegläubiger während des gesamten Konkursverfahrens gemäß § 14 KO eine Vollstreckung wegen ihrer Ansprüche ausgeschlossen. Dieser bislang ungeschriebene Grundsatz wurde nunmehr in die vorliegende Vorschrift des § 90 übernommen, durch die der eingangs dargestellte Grundsatz des § 53 für die Zeitdauer von 6 Monaten ab Verfahrenseröffnung eingeschränkt wird. Dadurch soll bewirkt werden, dass dem Verwalter gerade in der wichtigen Anfangsphase des Insolvenzverfahrens eine verbesserte Möglichkeit zur Massebildung und Finanzierung der nun gesetzlich grundsätzlich vorgesehenen Fortführung des Schuldnerunternehmens gegeben wird. Es soll vermieden werden, dass die zu einer Betriebsfortführung oder Sanierung erforderliche Insolvenzmasse durch Vollstreckungsmaßnahmen zerpflückt und somit die Verfahrenszwecke durch Titelgläubiger gefährdet werden, deren Forderungen ohne Zutun des Verwalters entstanden sind. Dadurch entsteht in den ersten 6 Monaten des Insolvenzverfahrens ein erheblich größerer Bewegungsspielraum für den Verwalter bei der Verfahrensabwicklung. Durch dieses Instrumentarium wird auch die im bisherigen Konkursverfahren vereinzelt zu beobachtende Merkwürdigkeit beseitigt, mangels vorhandener barer Masse unmittelbar nach Verfahrenseröffnung Masseunzulänglichkeit anzeigen zu müssen, um einen Zugriff der unechten Massegläubiger auf die sukzessive gebildete Masse zu verhindern. Auch nach der neuen Insolvenzordnung steht dem Verwalter natürlich unabhängig von dem in der vorliegenden Vorschrift enthaltenen Vollstreckungsverbot daneben weiter die Möglichkeit der Anzeige einer Masseunzulänglichkeit nach § 208 zur Verfügung, um den daraus resultierenden Vollstreckungsschutz nach § 210 zu realisieren. Er hat aber wegen des Vollstreckungsverbots eine bessere Möglichkeit, nach einer mehrmonatigen Verfahrensdauer zu beurteilen, ob die zu erzielende Insolvenzmasse voraussichtlich zur Befriedigung sämtlicher Masseverbindlichkeiten ausreichen wird.
Rn 3
Die Vorschrift ist im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens mehrfach umgestaltet worden. Zunächst war von der Reformkommission vorgeschlagen worden, die Vollstreckungsmöglichkeit für die betreffenden Masseansprüche generell zu verneinen und den Gläubigern nur zuzubilligen, beim Insolvenzgericht im Einzelfall die Zulassung der Zwangsvollstreckung gegen den Insolvenzverwalter zu beantragen. Im Regierungsentwurf wurde dieser Vorschlag dann dahingehend umgekehrt, dass die Vollstreckung für alle Massegläubiger generell zugelassen, dem Insolvenzverwalter aber ein Antragsrecht gewährt wird, beim Insolvenzgericht die Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen einer Masseverbindlichkeit zu beantragen, wenn die Vollstreckung die Abwicklung des Insolvenzverfahrens wesentlich erschweren würde. Um das Insolvenzgericht zu entlasten, empfahl der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages dann im Gesetzgebungsverfahren das befristete generelle Vollstreckungsverbot, u.a. auch mit dem Ziel, dem Verwalter im ersten Verfahrensabschnitt einen größeren Bewegungsspielraum zu verschaffen.