Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 17
Gem. Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG, § 4 Abs. 2 Nr. 2 RPflG kann nur der (Insolvenz-)Richter durch Beschluss anordnen, dass der Schuldner in Haft genommen werden soll. Schon aus dem bei hoheitlichen Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen stets zu beachtenden allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass Haft nicht angeordnet werden darf, wenn sie zu den Nachteilen, die durch die Verhaftung abgewendet werden sollen, außer Verhältnis steht. Aus diesem Grund wurde im Gesetzgebungsverfahren eine entsprechende ausdrückliche Vorschrift (§ 11 Abs. 1 Satz 2 RegE) als überflüssig aus dem Gesetzentwurf gestrichen.
Rn 18
Für das Verfahren bei der Verhaftung, für Fälle der Unzulässigkeit und des Aufschubs der Haft sowie für die Höchstdauer der Haft erklärt § 98 Abs. 3 Satz 1 nunmehr "§ 802g Abs. 2, §§ 802h und 802j Abs. 1 der Zivilprozessordnung" für entsprechend anwendbar. Aufgrund des Gesetzes vom 29. 7. 2009 zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung (BGBl. I S. 2258) treten diese Vorschriften seit dem 1.1.2013 an die Stelle der bisher in Bezug genommenen §§ 906, 909, 913 ZPO a. F. Die unbedeutenden §§ 904 f., 910 ZPO a. F., auf die bisher ebenfalls Bezug genommen wurde, sind ersatzlos entfallen. Ansonsten haben sich inhaltliche Änderungen für die Zwecke des § 98 Abs. 3 Satz 1 nicht ergeben; es handelt sich um eine bloße Folgeänderung.
Es wundert und ist bedauerlich, dass erneut die Chance vertan wurde, die partiell verunglückte, weil unvollständige Verweisung zu korrigieren. Ursprünglich wurde in § 98 Abs. 3 Satz 1 auch auf § 908 ZPO a. F. Bezug genommen, der die Notwendigkeit des Erlasses eines förmlichen und inhaltlich bestimmten Haftbefehls beinhaltete. Wie in der 17. Lieferung zu diesem Kommentar (§ 98 Rn. 18) und an anderer Stelle ausgeführt, wurde der Inhalt des § 908 ZPO a. F. aber just mit Inkrafttreten der InsO, also am 1. Januar 1999, in § 901 ZPO a. F. verschoben (und nun weiter in § 802g Abs. 1 ZPO). Die Verweisung in § 98 Abs. 3 Satz 1 auf den verwaisten § 908 a. F. hat der Gesetzgeber nicht angepasst, sondern ab dem 1. Juli 2007 schlicht gestrichen. Den für die InsO wesentlichen Inhalt des § 908 ZPO a.F. bzw. § 802g Abs. 1 ZPO, nämlich die Notwendigkeit des Erlasses eines förmlichen Haftbefehls, in dem der Schuldner und der Grund der Verhaftung zu bezeichnen sind, erschließt die gegenwärtige Verweisungskonstruktion nicht. Die Notwendigkeit des Erlasses eines förmlichen Haftbefehls kann daher nur höchst mittelbar aus der Verweisung auf § 802g Abs. 2 ZPO gefolgert werden: Wenn ein Haftbefehl bei der Verhaftung übergeben werden muss, muss er ja auch erlassen worden sein. Hinsichtlich der Notwendigkeit, den Verhaftungsgrund konkret zu bezeichnen, bemüht der BGH nach vergeblicher Fahndung in den §§ 904 ff. ZPO a. F. das Grundgesetz: Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (Unverletzlichkeit der Freiheit der Person) ergebe sich das Erfordernis, im Haftbefehl die Mitwirkungspflichten des Schuldners, die mit der Haft durchgesetzt werden sollen, so genau zu bezeichnen, dass der Schuldner ohne weiteres erkennen kann, durch welche konkreten Handlungen er den Vollzug des Haftbefehls vermeiden kann. Der Haftgrund müsse grundsätzlich auch sprachlich sowie optisch hervorgehoben und ähnlich einer Tenorierung vorangestellt werden. An der Geltung dieser Grundsätze hat sich durch die abermalige redaktionelle Korrektur des § 98 Abs. 3 Satz 1 selbstverständlich nichts geändert; auch in den nunmehr von § 98 Abs. 3 S. 1 in Bezug genommenen §§ der ZPO wäre der BGH nicht fündig geworden. – Die Verhaftung ist nach § 802g Abs. 2 ZPO von einem Gerichtsvollzieher unter Übergabe einer beglaubigten Abschrift des Haftbefehls vorzunehmen. Der Haftbefehl berechtigt auch ohne die in § 758a Abs. 1 ZPO vorgesehene besondere Durchsuchungsanordnung zum Betreten der Wohnung des Insolvenzschuldners zwecks dessen Verhaftung (§ 758a Abs. 2 ZPO), nicht aber zum Betreten der Wohnung eines Dritten. Nach § 802j Abs. 1 ZPO darf die Höchstdauer der Haft – darunter ist auch die Summe der Haftzeiten bei mehreren Verhaftungen innerhalb desselben Insolvenzverfahrens zu verstehen – den Zeitraum von 6 Monaten nicht überschreiten. § 802j Abs. 3 ZPO, der unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise eine erneute Verhaftung des Schuldners auch nach Vollstreckung der Höchsthaft von 6 Monaten vorsieht, ist von § 98 Abs. 3 Satz 1 bewusst nicht in Bezug genommen worden.
Rn 19
Neben der schon nach allgemeinen Grundsätzen notwendigen Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Erlass des Haftbefehls sieht das Gesetz in Abs. 3 Satz 2 für die Zeit der Geltung des Haftbefehls eine andauernde Prüfung der Haftvoraussetzungen und Verhältnismäßigkeitsgrundsätze durch das Insolvenzgericht von Amts wegen nunmehr ausdrücklich vor. Gibt also der Schuldner seinen Widerstand gegen die Erfüllung seiner nach der InsO bestehenden Pflichten auf oder entfallen die Besorgnisse einer Flucht oder von Verstößen gegen Unterlassungsverpflichtungen...