Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarzt. Zulassung. Erlöschen. Entziehung. Verlängerung. Verwaltungsakt. Bestandskraft. Rücknahme
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Regelungen des § 95 Abs. 6 und 7 SGB V enthalten i.V.m. §§ 27 und 28 Ärzte-ZV eine abschließende Regelung über das Erlöschen und die Entziehung der Zulassung, die den allgemeinen Regeln über die Bestandskraft und die Rücknahme von Verwaltungsakten nach §§ 45 und 48 SGB X vorgeht.
2. Wie bei einer regulären Zulassung muss auch bei einer nach § 95 Abs. 7 S. 3 Nr. 2 SGB V “verlängerten” Zulassung weder diese selbst noch ein etwaiger “Verlängerungsbescheid” beseitigt werden, bevor die Beendigungstatbestände des § 95 Abs. 6 oder 7 SGB V zur Anwendung kommen.
3. Der Umstand, dass eine Zulassung “verlängert” worden ist, schließt nicht aus, dass die Zulassungsgremien diese entziehen können, wenn die Voraussetzungen nach § 95 Abs. 6 SGB V vorliegen, bzw. ihr Erlöschen feststellen können, wenn § 95 Abs. 7 S. 1 oder 2 SGB V erfüllt sind.
4. Die “Verlängerung” einer Zulassung verändert deren Charakter als statusbegründende Regelung prinzipiell nicht.
5. Wenn die Zulassungsgremien trotz einer gesetzwidrigen, aber bestandskräftigen “Verlängerung” der Zulassung nicht grundsätzlich gehindert sind, das Ende der Zulassung wegen Überschreitung der Altersgrenze festzustellen, müssen sie gleichwohl den mit dieser (sachlich unrichtigen) “Verlängerung” ausgelösten Vertrauensschutz berücksichtigen.
Normenkette
SGB V § 95 Abs. 6-7; Ärzte-ZV §§ 27-28; SGB X §§ 45, 48
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. April 2003 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die außergerichtlichen Kosten des Beklagten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die im Januar 1932 geborene Klägerin ist Diplom-Psychologin. Mit Bescheid des Zulassungsausschusses vom 1. April 1999 wurde sie antragsgemäß als Psychologische Psychotherapeutin zugelassen. Auf ihren Antrag verlängerte der Zulassungsausschuss im November 1999 ihre Zulassung zur vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit bis zum 31. März 2019. Der Zulassungsausschuss begründete dies damit, dass die Klägerin von der auch für Psychologische Psychotherapeuten geltenden gesetzlichen Altersgrenze von 68 Jahren nicht erfasst werde, weil sie zum Zeitpunkt der Vollendung des 68. Lebensjahres noch nicht 20 Jahre psychotherapeutisch tätig gewesen sei.
Im Dezember 2000 wurde dem Zulassungsausschuss die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG – (Urteil vom 8. November 2000 – B 6 KA 55/00 R –) bekannt, wonach Zeiten, in denen ein Psychologischer Psychotherapeut bis 1998 bereits im Wege des Delegations- oder Kostenerstattungsverfahrens an der ambulanten Versorgung der Versicherten der Krankenkassen mitgewirkt hat, auf die Frist von 20 Jahren im Sinne von § 95 Abs 7 Satz 3 Nr 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) anzurechnen seien. Da die Klägerin seit Mai 1975 am Delegationsverfahren teilgenommen habe, habe sie bereits 20 Jahre lang Versicherte der Krankenkassen behandelt. Ein Grund dafür, ihr eine Tätigkeit über das vollendete 68. Lebensjahr hinaus zu ermöglichen, bestehe nicht, wie der Zulassungsausschuss der Klägerin in einem Anhörungsschreiben mitteilte. Nachdem sich die Klägerin dazu nicht geäußert hatte, stellte der Zulassungsausschuss am 19. Januar 2001 fest, dass die Zulassung der Klägerin am 31. März 2001 ende. Der beklagte Berufungsausschuss wies den Widerspruch der Klägerin zurück. Der vom Beklagten angeordnete Sofortvollzug seiner Entscheidung ist vom Landessozialgericht (LSG) bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren ausgesetzt worden.
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das LSG hat seine Entscheidung damit begründet, der Zulassungsausschuss habe die Zulassung der Klägerin über den Zeitpunkt der Vollendung des 68. Lebensjahres hinaus zunächst zu Unrecht verlängert. Das Urteil des BSG vom 8. November 2000 habe geklärt, wie § 95 Abs 7 Satz 3 SGB V in Fällen auszulegen sei, in denen Psychologen bereits vor Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) am 1. Januar 1999 an der Versorgung von Versicherten der Krankenkassen mitgewirkt hätten. Etwaigen Vertrauensschutzaspekten der Klägerin werde dadurch Rechnung getragen, dass ihr eine Auslauffrist für die Abwicklung der Praxis bis zum 31. Dezember 2003 zugebilligt werde (Urteil vom 30. April 2003).
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin einen Verfahrensfehler (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) sowie die grundsätzliche Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfrage (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Eine auf das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat nur dann Erfolg, wenn eine konkret bezeichnete Rechtsfrage in dem damit angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die zutreffende Beantwortung der Rechtsfrage nach dem Inhalt der maßgeblichen Rechtsvorschriften bzw der dazu bereits vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegen kann (vgl zB BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6 und § 160a Nr 21 S 38). So verhält es sich hier.
Gemäß § 95 Abs 7 Satz 2 SGB V endet ab dem 1. Januar 1999 die Zulassung am Ende des Kalendervierteljahres, in dem der Vertragsarzt sein 68. Lebensjahr vollendet. Diese auch für Psychotherapeuten geltende Regelung hat grundsätzlich zur Folge, dass die Zulassung der Klägerin am 31. März 2000 geendet hätte. Die sinngemäß auch für Vertragspsychotherapeuten geltende Ausnahmevorschrift des § 95 Abs 7 Satz 3 Nr 2 SGB V kommt der Klägerin nicht zugute. Danach verlängert der Zulassungsausschuss die Zulassung bei Vertragsärzten, die zum Zeitpunkt der Vollendung des 68. Lebensjahres weniger als 20 Jahre vertragsärztlich tätig waren, längstens bis zum Ablauf dieser Frist. Diese Regelung greift nicht zu Gunsten solcher Psychotherapeuten ein, die vor dem 1. Januar 1999 über 20 Jahre lang im Delegations- bzw Kostenerstattungsverfahren an der psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der Krankenkassen beteiligt waren, wie der Senat mit Urteil vom 8. November 2000 – B 6 KA 55/00 R – entschieden hat (BSGE 87,184 = SozR 3-2500 § 95 Nr 26). Die Verfassungsbeschwerde der damaligen Klägerin gegen dieses Urteil hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht zur Entscheidung angenommen, weil das BSG in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise begründet habe, dass und warum die freiberufliche psychotherapeutische Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen des sog Delegationsverfahrens auf den 20-Jahres-Zeitraum nach § 95 Abs 7 Satz 3 Nr 2 SGB V anzurechnen ist (Beschluss ≪Kammer≫ vom 18. Mai 2001 – 1 BvR 522/01 –).
Danach hat die Zulassung der Klägerin spätestens zum 31. März 2001 kraft Gesetzes geendet. Das haben der Zulassungsausschuss und der beklagte Berufungsausschuss zutreffend festgestellt. An dieser Feststellung waren sie durch den bestandskräftigen, wenngleich sachlich falschen Bescheid des Zulassungsausschusses vom 16. November 1999 nicht gehindert. Mit diesem Bescheid ist die Zulassung der Klägerin auf der Grundlage des § 95 Abs 7 Satz 3 Nr 2 SGB V bis Ende 2019 verlängert worden. Diesen Bescheid mussten die Zulassungsgremien vor ihrer Feststellung über das kraft Gesetzes eintretende Erlöschen der Zulassung nicht nach Maßgabe der §§ 45 ff SGB X aufheben oder zurücknehmen. Diese Vorschriften finden auf die Beendigung der vertragsärztlichen Zulassung keine Anwendung. § 95 Abs 6 und 7 SGB V enthalten iVm §§ 27, 28 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) eine abschließende Regelung über das Erlöschen und die Entziehung der Zulassung (BSGE 86, 121, 124 = SozR 3-5520 § 24 Nr 17 S 4; Beschluss des Senats vom 10. Mai 2000 – B 6 KA 56/99 B –), die den allgemeinen Regeln über die Bestandskraft und die Rücknahme von Verwaltungsakten vorgeht. Nichts anderes gilt im Übrigen hinsichtlich der strukturell vergleichbaren Rücknahme einer Beamtenernennung nach § 12 Bundesbeamtengesetz (BBG). Die Rücknahmetatbestände sind dort abschließend normiert, die Anwendung des § 48 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) ist ausgeschlossen (BVerwGE 81, 282, 284; Plog/Wiedow/Beck/Lehmhöfer, BBG, § 6 RdNr 25 und § 12 RdNr 1a).
Wie bei einer regulären Zulassung muss auch bei einer nach § 95 Abs 7 Satz 3 Nr 2 SGB V „verlängerten” Zulassung weder diese selbst noch ein etwaiger „Verlängerungsbescheid” beseitigt werden, bevor die Beendigungstatbestände des § 95 Abs 6 bzw Abs 7 SGB V zur Anwendung kommen. Der Umstand, dass eine Zulassung „verlängert” worden ist, schließt nicht aus, dass die Zulassungsgremien diese entziehen können, wenn die Voraussetzungen nach Abs 6 vorliegen, bzw ihr Erlöschen feststellen können, wenn Abs 7 Sätze 1 oder 2 erfüllt sind. Die „Verlängerung” einer Zulassung verändert deren Charakter als statusbegründende Regelung prinzipiell nicht.
Wenn danach die Zulassungsgremien trotz einer gesetzwidrigen, aber bestandskräftigen „Verlängerung” der Zulassung der Klägerin bis zum Alter von 87 Jahren nicht grundsätzlich gehindert sind, das Ende der Zulassung wegen Überschreitung der Altersgrenze festzustellen, müssen sie gleichwohl den mit dieser (sachlich unrichtigen) „Verlängerung” ausgelösten Vertrauensschutz berücksichtigen. Das hat das LSG nicht verkannt. Es hat der Klägerin eine Auslauffrist bis zum Ende des Jahres 2003 zugebilligt. Darüber hinaus hat es festgestellt, dass die Klägerin nichts dazu vorgetragen habe, welche nicht mehr rückgängig zu machenden Dispositionen sie in Bezug auf ihre Praxis in dem hier allein relevanten Zeitraum zwischen November 1999 (Verlängerungsentscheidung des Zulassungsausschusses) und Dezember 2000 (Anhörung durch den Zulassungsausschuss zur Beendigung der Zulassung) getroffen hat. Ob das LSG auf dieser Basis den der Klägerin zu Gute kommenden Vertrauensschutz wegen der fehlerhaften Verlängerungsentscheidung des Zulassungsausschusses zutreffend mit Gemeinwohlbelangen abgewogen hat, die nach der Rechtsprechung des BVerfG und des Senats für eine Beendigung der vertragsärztlichen bzw vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit mit der Vollendung des 68. Lebensjahres sprechen (BVerfG ≪Kammer≫, NJW 1998, 1776 = MedR 1998, 323; BSGE 83, 135, 141 ff = SozR 3-2500 § 95 Nr 18 S 69, 71; BSGE 87, 184, 187 f = SozR 3-2500 § 95 Nr 18 S 69, 71; BSGE 86, 184, 187 f = SozR 3-2500 § 95 Nr 26 S 135), hat keine Bedeutung über den Einzelfall hinaus. Deshalb ist unter diesem Gesichtspunkt kein Raum für eine Zulassung der Revision.
Unbegründet ist die Beschwerde schließlich auch hinsichtlich des geltend gemachten Verfahrensfehlers. Diesen sieht die Klägerin darin, dass das Berufungsgericht bei der Gewährung der „Auslauffrist” hinsichtlich ihrer Tätigkeit nicht berücksichtigt habe, dass sie berechtigt gewesen sei, auch neue Patienten zu behandeln, nachdem das LSG die vom Beklagten ausgesprochene Anordnung des Sofortvollzugs seiner Entscheidung aufgehoben habe. Die Klägerin sieht darin eine Verletzung des § 123 SGG, weil das Berufungsgericht über ihren Antrag hinausgegangen sei. Diese Beurteilung ist unzutreffend. Der 5. Senat des LSG Baden-Württemberg hat den vom Beklagten angeordneten Sofortvollzug seiner Entscheidung vom 30. Mai 2001 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage der Klägerin gegen diesen Beschluss des Berufungsausschusses „bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren” angeordnet (L 5 KA 4532/01 ER-B bzw L 5 KA 2893/02 ER-B). Dieser Beschluss erledigt sich, ohne dass es näherer Ausführungen dazu im Berufungsurteil bedarf, mit Eintritt der Bestandskraft des Bescheides des Beklagten. Von diesem Tag an ist die Klägerin nicht mehr berechtigt, vertragspsychotherapeutisch tätig zu sein, und darf, soweit keine abweichende Anordnung seitens der Zulassungsgremien ergangen ist, auch angefangene Behandlungen nicht mehr fortführen. Wenn eine Psychotherapeutin im Hinblick auf die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die von den Zulassungsgremien ausgesprochene Entziehung der Zulassung bzw die Feststellung der kraft Gesetzes eingetretenen Beendigung der Zulassung neue Patienten zur Behandlung annimmt, berechtigt sie das grundsätzlich nicht dazu, diese Behandlungen auch nach Eintritt der Bestandskraft der Entscheidung über das Ende der Zulassung fortzuführen.
Bereits der Zulassungsausschuss hatte mit seinem Bescheid vom 19. Januar 2001 der Klägerin auf der Grundlage des § 31 Abs 1b Ärzte-ZV die Ermächtigung zur Fortführung der begonnenen Kurz- und Langzeittherapien mit Wirkung vom 1. April 2001 erteilt. Daraus ergibt sich, dass die Klägerin ab Zustellung dieser Entscheidung neue Patienten nur noch mit dem Risiko annehmen durfte, dass sie deren Behandlung ggf nicht würde zu Ende führen können. Nichts anderes ergibt sich aus der Rechtsfolgenanordnung, die das LSG in dem mit der Beschwerde angefochtenen Urteil vorgenommen hat. Die formale Berechtigung der Klägerin, nach Januar 2001 wegen der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage als Folge der Aufhebung der Vollzugsanordnung des Beklagten durch das LSG auch neue Patienten anzunehmen, ist vom Berufungsgericht nicht in Frage gestellt worden. Der Klägerin ist lediglich die Berechtigung zugesprochen worden, angefangene Behandlungen bis zum 31. Dezember 2003 fortzusetzen. Da der Klägerin weitergehende Rechte zu keinem Zeitpunkt zugestanden haben, ist sie durch diese Entscheidung des Berufungsgerichts nicht beschwert.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Absätze 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung.
Fundstellen