Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Grundsätze der Auslegung von Vergütungstatbeständen. richtige oder falsche Anwendung dieser Grundsätze auf einzelne Gebührennummern. keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
Orientierungssatz
Der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf es nicht, wenn die Grundsätze der Auslegung von Vergütungstatbeständen in der Rechtsprechung des Senats geklärt sind. Aus der richtigen oder falschen Anwendung dieser Grundsätze auf einzelne Gebührennummern kann sich eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Regelfall nicht ergeben (vgl BSG vom 16.5.2001 - B 6 KA 15/01 B und BSG vom 13.12.2000 - B 6 KA 30/00 B).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1; SGB 5 § 87 Abs. 1-2; EBM-Ä Nrn. 4950-4951, 19331; EBM-Ä 2005 Nr. 19331; EBM-Ä Nr. 19311; EBM-Ä 2005 Nr. 19311; EBM-Ä 2008 Nrn. 19331, 19311
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 29.05.2012; Aktenzeichen L 3 KA 29/10) |
SG Hannover (Entscheidung vom 03.02.2010; Aktenzeichen L 24 KA 71/05) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 29. Mai 2012 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 95 614 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Im Streit ist eine sachlich-rechnerische Richtigstellung und Honorarrückforderung für die Quartale II/2001 bis II/2003. Die Klägerin ist eine gynäkologische Gemeinschaftspraxis, die ein zytologisches Labor betreibt. Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung stellte in einer Plausibilitätsprüfung einen deutlichen Anstieg der nach der Nummer 4950 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) abgerechneten Leistungen fest. Sie kürzte daher mit Bescheid vom 1.3.2004 die Honoraransprüche der Klägerin für die streitbefangenen Quartale um insgesamt 95 613,77 Euro. Es sei festzustellen, dass in allen Quartalen zu nahezu 100 % die Nummer 4950 EBM-Ä (zytologische Untersuchung eines oder mehrerer speziell gefärbter Abstriche zur Diagnostik der hormonellen Funktion) zusammen mit der Nummer 4951 EBM-Ä (zytologische Untersuchung eines oder mehrerer Abstriche, auch Bürstenabstriche, von Ekto- und/oder Endozervix) abgerechnet worden sei. Aus dem eindeutigen Wortlaut der Leistungslegende der Nummer 4951 EBM-Ä ergebe sich, dass auch mehrere Abstriche von Ekto- und/oder Endozervix nur ein "Material" darstellten. Bei Untersuchungen an demselben Material sei aber die Leistung nach Nr 4950 EBM-Ä neben der Leistung nach Nr 4951 EBM-Ä nicht berechnungsfähig. Widerspruch, Klage und Berufung hiergegen sind erfolglos geblieben. In dem angefochtenen Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG führt das LSG aus, der Begriff "dasselbe Material" in der Nummer 4951 EBM-Ä den Stoff meine, der bereits Gegenstand der Abrechnung unter der Nummer 4950 EBM-Ä gewesen sei. Nach dieser Ziffer werde die "zytologische Untersuchung eines oder mehrerer Abstriche … von Ekto- und/oder Endozervix " zusammenfassend mit 140 Punkten bewertet. Der Anregung der Klägerin, zur Frage "desselben Materials" ein Sachverständigengutachten einzuholen, sei nicht nachzugehen gewesen, weil es nicht entscheidend auf medizinische Gesichtspunkte, sondern auf die rechtlichen Vorgaben des EBM-Ä ankomme.
Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, zu deren Begründung sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) sowie einen Verfahrensfehler rügt (§ 160 Abs 1 Nr 3 SGG).
II. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung oder eines Verfahrensmangels sind nicht gegeben.
1. Bei einer die Amtsermittlungspflicht des Gerichts nach § 103 SGG betreffenden Beanstandung muss ein Beweisantrag genannt und dazu ausgeführt werden, dass das LSG diesem ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Darzulegen ist ferner, dass der Beweisantrag im Berufungsverfahren noch zusammen mit den Sachanträgen gestellt oder sonst aufrechterhalten worden ist. Die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde erfordert die genaue Bezeichnung des Beweisantrages, die schlüssige Darstellung des den Mangel ergebenden Sachverhalts und Ausführungen zur Aufklärungspflicht des Gerichts (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 18 ff). Ausgehend von einem prozessordnungsgerechten Beweisantrag liegt eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nicht vor. Das LSG hat vielmehr zu Recht ausgeführt, dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht bedurfte, weil es sich bei der Auslegung der Leistungslegende um eine Rechtsfrage und nicht um eine medizinische Frage handelt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats, auf die auch das LSG Bezug genommen hat, ist für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich (vgl zuletzt BSG, Urteil vom 15.8.2012 - B 6 KA 34/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG SozR 4-5531 Nr 7120 Nr 1 RdNr 11). Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände ist dann, wenn der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben (BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 4 RdNr 12; SozR 4-2500 § 87 Nr 5 RdNr 11 und Nr 10 RdNr 10, jeweils mwN). Sind danach allein maßgeblich juristische Auslegungsmethoden, tritt die medizinische Beurteilung in den Hintergrund. Selbst im medizinischen Sinne unterschiedliche Materialien können im maßgeblichen rechtlichen Sinne als dasselbe Material angesehen werden. Die Ergebnisse eines medizinischen Sachverständigengutachtens wären damit nicht entscheidungserheblich gewesen.
2. Auch der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor. Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss gemäß den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet (vgl BVerfGE 91, 93, 107 = SozR 3-5870 § 10 Nr 5 S 31; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 f) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig ist. Es muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt.
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Die von der Klägerin aufgeworfene Frage: |
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"Ist bei der Entnahme von Abstrichen der Endo- und Ektozervix eine parallele Abrechnung der Ziffern 4950 und 4951 möglich, weil es sich nicht um dasselbe Material im Sinne des EBM-Ä handelt?" |
ist zwar noch nicht ausdrücklich höchstrichterlich geklärt. Angesichts der Nachfolgeregelungen in Nr 19331 und 19311 EBM-Ä betrifft sie auch nicht nur sog ausgelaufenes Recht. Der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf es aber nicht, weil die Grundsätze der Auslegung von Vergütungstatbeständen in der Rechtsprechung des Senats geklärt sind. Aus der richtigen oder falschen Anwendung dieser Grundsätze auf einzelne Gebührennummern kann sich eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Regelfall nicht ergeben (vgl Beschlüsse vom 16.5.2001 - B 6 KA 15/01 B - und vom 13.12.2000 - B 6 KA 30/00 B - Juris). Darüber hinaus kann die Frage anhand der Auslegungskriterien eindeutig beantwortet werden. Das LSG hat insofern zutreffend aus dem Wortlaut der Nummer 4951 EBM-Ä gefolgert, dass die Leistung auch dann nur einmal abgerechnet werden kann, wenn mehrere Abstriche von Ekto- und Endozervix untersucht wurden. Werden diese somit rechtlich durch die EBM-Ä-Ziffer zusammengefasst, sind sie - unabhängig von der medizinischen Klassifizierung - rechtlich als "dasselbe Material" im Sinne des Zusatzes zu Nr 4951 anzusehen. |
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).
4. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Seine Bemessung erfolgt entsprechend dem streitigen Regressbetrag.
Fundstellen