Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. keine Durchführung eines Revisionsverfahrens wegen Kürzungsregelung des § 95d Abs 3 SGB 5. Honorarkürzung. keine nachträgliche Verminderung. sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlung zwischen Vertragsärzten und Fachärzten an zugelassenen Krankenhäusern
Orientierungssatz
1. Zur Klärung der grundsätzlichen Vereinbarkeit der Kürzungsregelung des § 95d Abs 3 SGB 5 mit den Art 3 Abs 1, 12 Abs 1 GG und 14 Abs 1 GG bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Diese ist - wie sich aus der zu anderen Konstellationen ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt - ohne Weiteres gegeben.
2. Gibt das Gesetz - wie durch § 95d Abs 3 S 3 SGB 5 bei Nichterfüllung der Fortbildungspflicht - vor, dass das an den Vertragsarzt zu zahlende Honorar aus vertragsärztlicher Tätigkeit zwingend zu kürzen ist, wird der Vergütungsanspruch von vornherein nur in entsprechend verminderter Höhe "konkretisiert" und nicht nachträglich vermindert (vgl zB BSG vom 03.02.2010 - B 6 KA 30/08 R = BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 § 85 Nr 52 RdNr 33f stRspr).
3. Die Ungleichbehandlung von Vertragsärzten und den in § 137 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB 5 angesprochenen Fachärzten an zugelassenen Krankenhäusern hinsichtlich der Sanktionierung von Verletzungen der Fortbildungspflicht ist sachlich gerechtfertigt.
Normenkette
SGB 5 § 85 Abs. 1, § 95d Abs. 3 S. 3, § 137 Abs. 3 S. 1 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Thüringer LSG (Urteil vom 10.07.2014; Aktenzeichen L 11 KA 1292/13) |
SG Gotha (Entscheidung vom 13.03.2013; Aktenzeichen S 2 KA 7160/10) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 10. Juli 2014 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 11 403 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Im Streit steht eine Honorarkürzung für die Quartale III/2009 und IV/2009 wegen Nichterfüllung der Fortbildungsverpflichtung.
Die Klägerin ist eine aus zwei Ärzten - Dipl.-Med. D. und Dr. N. - bestehende Gemeinschaftspraxis (Berufsausübungsgemeinschaft), die im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt. Dr. N., der seit November 2001 an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, hatte am 30.6.2009 keine 250 Fortbildungspunkte erworben und nachgewiesen. Die Beklagte kürzte daraufhin mit Bescheid vom 18.3.2010 das vertragsärztliche Honorar der Klägerin für das Quartal III/2009 - entsprechend dem Honoraranteil von Dr. N. - um einen Betrag von 5418,04 Euro. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.8.2010 zurück. Im nachfolgenden Klageverfahren hat die Klägerin ihre Klage auf die im Honorarbescheid für das Quartal IV/2009 verfügte weitere Honorarkürzung in Höhe von 5985,26 Euro sowie die Ablehnung des hiergegen erhobenen Widerspruchs durch Widerspruchsbescheid vom 5.12.2011 erweitert. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 13.3.2013, Urteil des LSG vom 10.7.2014). Das LSG hat unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des SG ausgeführt, die Beklagte sei in Anbetracht des nicht erbrachten Fortbildungsnachweises gesetzlich zur Honorarkürzung verpflichtet gewesen. Die gesetzliche Regelung sei auch verfassungsgemäß. Der Bundesgesetzgeber sei zur Regelung von Qualitätssicherungsmaßnahmen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt. Die Vorschrift stehe auch mit Art 12 Abs 1 GG in Einklang; die Honorarkürzung sei nicht statusrelevant. Die Verknüpfung der Nichterfüllung der Fortbildungsverpflichtung mit der Honorarkürzung sei auch nicht unverhältnismäßig. Auch ein Verstoß gegen Art 3 GG und Art 14 GG liege nicht vor. Der Gesetzgeber habe sehr wohl Regelungen für die Qualitätssicherung in Krankenhäusern getroffen; Honorarkürzungen ließen sich aber nur im Vertragsarztrecht regeln.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
II. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerde in vollem Umfang den Begründungsanforderungen genügt, denn jedenfalls ist sie unbegründet.
Die Revisionszulassung setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 5 RdNr 3). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt (hierzu s zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f sowie BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die Bedeutung über den Einzelfall hinaus ist nicht gegeben, wenn die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des vorliegenden Einzelfalls einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl zB BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 50/07 B - RdNr 6 iVm 11). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s die BVerfG-Angaben in BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 sowie BVerfG ≪Kammer≫ SozR 4-1500 § 160a Nr 16 RdNr 4 f).
Zur Klärung der grundsätzlichen Vereinbarkeit der Kürzungsregelung des § 95d Abs 3 SGB V mit Art 12 Abs 1 GG und Art 14 Abs 1 GG bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Diese ist - wie sich aus der zu anderen Konstellationen ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt - ohne Weiteres gegeben. Das nach Ablauf der für die Klägerin hier maßgeblichen Beschwerdebegründungsfrist ergangene Senatsurteil vom 11.2.2015 - B 6 KA 19/14 R - hat diese Auffassung bestätigt, ohne dass daraus der Schluss gezogen werden kann, bis zur Verkündung dieses Urteils hätten die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG vorgelegen. Das SG hatte im Verfahren B 6 KA 19/14 R die Revision zur Klärung von Rechtsfragen der Berechnung der Fristen des § 95d Abs 3 Sätze 3 und 5 SGB V zugelassen und keinen Zweifel an der prinzipiellen Verfassungsmäßigkeit einer Honorarkürzung wegen Verletzung der Fortbildungspflicht angeführt.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Honoraranspruch des Vertragsarztes mit der Erbringung der Leistung noch nicht konkret bestimmt, sondern wird erst durch den auf der Grundlage des Honorarverteilungsmaßstabs bzw -vertrages zu erteilenden Honorarbescheid konkretisiert (stRspr, zB BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 4 RdNr 12; BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 § 85 Nr 52 RdNr 33 f). Gibt das Gesetz - wie durch § 95d Abs 3 Satz 3 SGB V bei Nichterfüllung der Fortbildungspflicht - vor, dass das an den Vertragsarzt zu zahlende Honorar aus vertragsärztlicher Tätigkeit zwingend zu kürzen ist, wird der Vergütungsanspruch von vornherein nur in entsprechend verminderter Höhe "konkretisiert" und nicht - wie die Klägerin meint - nachträglich vermindert. So gesehen betrifft § 95d Abs 3 Satz 3 SGB V im Ergebnis allein die Verdienstchancen des Vertragsarztes, deren Erhaltung weder aus Art 12 Abs 1 GG noch aus Art 14 Abs 1 GG abgeleitet werden kann (vgl zB BSGE 96,1 = SozR 4-2500 § 85 Nr 22, RdNr 30; BSGE 96, 53 = SozR 4-2500 § 85 Nr 23; RdNr 27).
Selbst wenn von einem Eingriff auszugehen wäre, wäre dieser jedenfalls verhältnismäßig, weil die in § 95d Abs 3 Satz 3 SGB V normierten Sanktionen zur Durchsetzung der Fortbildungspflicht als Maßnahmen der Qualitätssicherung (vgl FraktE-GMG, BT-Drucks 15/1525 S 109) zur Aufrechterhaltung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung und damit eines hohen Gemeinschaftsgutes erforderlich ist (s hierzu auch das Urteil des Senats vom 11.2.2015 - B 6 KA 19/14 R).
Auch eine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG durch die Honorarrückforderung scheidet aus, ohne dass es hierzu einer Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG schreibt unter stetiger Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken vor, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend unterschiedlich zu behandeln (vgl hierzu zB BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 2.5.2006 - 1 BvR 1275/97 - NJW 2006, 2175, 2177; BVerfGE 115, 381, 389; BVerfGE 132, 72, 81). Damit ist dem Normgeber aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (stRspr des BVerfG, vgl hierzu zB BVerfG 107, 133, 141; BVerfGE 132, 72, 81).
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Ungleichbehandlung von Vertragsärzten und den in § 137 Abs 3 Nr 1 SGB V angesprochenen Fachärzten an zugelassenen Krankenhäusern hinsichtlich der Sanktionierung von Verletzungen der Fortbildungspflicht sachlich gerechtfertigt. Auf Verletzungen der ärztlichen Fortbildungspflicht kann der Bundesgesetzgeber durch gesetzliche Regelungen reagieren, die er auf der Basis seiner Gesetzgebungskompetenz für die Sozialversicherung (Art 74 Abs 1 Nr 12 GG) erlassen darf. Das hat der Senat in seinem Urteil vom 11.2.2015 - B 6 KA 19/14 R - näher dargelegt. Das Kompetenzgeflecht für das Krankenhauswesen - Art 74 Abs 1 Nr 19a GG - ist sehr viel differenzierter, und auch die Erbringung von Krankenhausleistungen durch eine Vielzahl von Ärzten schließt eine unmittelbare Übertragung der Kürzungsregelung des § 95d Abs 3 SGB V auf Krankenhausleistungen von vornherein aus.
Schließlich ist nicht erkennbar, inwiefern für den Fall der Feststellung eines Verstoßes gegen Art 3 GG die Chance besteht, eine für den eigenen Rechtsstreit günstige Regelung durch den Normgeber zu erreichen (vgl BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 21/07 B - RdNr 16 - Juris, unter Hinweis auf BFH Urteil vom 11.9.2008 - VI R 13/06 - Juris RdNr 17 - mwN zur Rspr auch des BVerfG). Selbst wenn sich ergäbe, dass Sanktionen für die Nichterfüllung der Fortbildungspflicht durch angestellte Krankenhausärzte gegenüber dem zugelassenen Krankenhaus erforderlich wären, führte deren Fehlen nicht dazu, dass sie (auch) im vertragsärztlichen Bereich zu unterbleiben hätten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat die Klägerin auch die Kosten des von ihr ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts entspricht den Festsetzungen der Vorinstanz vom 10.7.2014, die von keinem der Beteiligten in Frage gestellt worden ist (§ 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG).
Fundstellen