Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Verletzung der normierten Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung durch Berufungsgericht. vertragsärztliche bzw -psychotherapeutische Versorgung. Zulassungsentziehung. Berücksichtigung etwaigen Wohlverhaltens
Orientierungssatz
1. Ein Berufungsgericht hat seine in § 103 SGG normierte Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verletzt, wenn es den vom Vertragspsychotherapeuten in seiner Berufungsbegründung gestellten Beweisanträgen ohne hinreichende Begründung nicht entsprochen hat. Auf diesem Verfahrensmangel kann eine Entscheidung des Berufsgerichts beruhen, denn es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach weiteren Ermittlungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
2. Für die Frage, ob eine Begründung "hinreichend" ist, kommt es darauf an, ob das Berufungsgericht objektiv im Rahmen der Amtsermittlungspflicht zu weiterer Sachaufklärung gehalten war, ob es sich also zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr des BSG, vgl zB BSG vom 19.10.2011 - B 13 R 290/11 B).
3. Zur Berücksichtigung etwaigen Wohlverhaltens nach einer Zulassungsentziehung.
Normenkette
SGG §§ 103, 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 5; SGB 5 § 95 Abs. 6
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. November 2011 wird dieses Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I. Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Zulassung zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung.
Der 1951 geborene Kläger ist seit 1999 als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung in F. zugelassen. Seit Januar 2003 unterhielt der Kläger zunächst freundschaftliche Beziehungen zu der am 2.12.1987 geborenen, von ihm seit 2000 behandelten K.A. Von April bis Anfang Mai 2003 kam es nach den Feststellungen des LSG zwischen dem Kläger und K.A. zu sexuellen Kontakten der Art, dass der Kläger der K.A. während der Therapiestunde unter der Bekleidung an die Brüste fasste sowie diese küsste, über der Bekleidung das Geschlechtsteil der K.A. berührte sowie mit K.A. Zungenküsse austauschte. Wegen acht tatmehrheitlicher Vergehen des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses wurde der Kläger mit (rechtskräftigem) Strafbefehl vom 23.10.2003 zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen verurteilt. Die Approbationsbehörde teilte dem Kläger daraufhin mit, dass sie diese Verurteilung nicht zum Anlass für die Einleitung eines berufsrechtlichen Verfahrens wegen Unzuverlässigkeit nehmen werde, jedoch ein weiteres auffälliges Verhalten die Gefahr eines Widerrufs der Approbation nach sich ziehen würde.
Der Zulassungsausschuss entzog dem Kläger auf Antrag der Krankenkasse der K.A. sowie nachfolgend auch der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung die Zulassung zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der beklagte Berufungsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 18.1.2007 zurück; es liege eine besonders schwerwiegende gröbliche Pflichtverletzung vor, die auch zur Annahme der Ungeeignetheit führe. Klage und Berufung, mit denen der - weiterhin psychotherapeutisch tätige - Kläger insbesondere geltend gemacht hat, ein Rückfallrisiko sei nach dem vom SG eingeholten Sachverständigengutachten von Prof. Dr. F. als gering anzunehmen, zumal er im Dezember 2009 eine Psychotherapie bei dem Psychotherapeuten J.T. begonnen habe, sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 24.11.2010, Urteil des LSG vom 30.11.2011).
Das LSG hat ausgeführt, die sexuellen Handlungen an der fünfzehnjährigen Patientin, die gerade seit Ende 2002 besondere Probleme auch aufgrund der Trennung von ihrem Vater gehabt habe, stellten gröbliche Pflichtverstöße dar, so dass wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Patienten von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten nur die Zulassungsentziehung in Betracht gekommen sei. Auch wenn diese Verstöße nunmehr mehr als acht Jahre zurücklägen, habe der Senat weiterhin ernstliche Zweifel an einer nachhaltigen - eine positive Prognose rechtfertigenden - Verhaltensänderung. Dem Kläger fehle bis heute die Einsicht in den Unrechtsgehalt insbesondere seiner Täterrolle und in die damit verbundene Notwendigkeit der Einstellungs- und Verhaltensänderung. Er habe lediglich auf Entwicklungen während des Verfahrens reagiert, hingegen eine Supervision bis heute nicht konsequent durchgeführt. Auch im Übrigen habe eine Außenkontrolle der Therapie von Mädchen nicht stattgefunden; stattdessen habe der Kläger seine Behandlungen auf Jungen beschränkt, wozu er nicht berechtigt gewesen sei. Therapeutische Hilfe zum Schutz seiner Patienten habe der Kläger seit Ende 2003 nicht mehr in Anspruch genommen; die Therapie bei Herrn T. im Jahr 2009 stelle sich als Reaktion auf die vom SG angeordnete Begutachtung durch Prof. Dr. F. dar. Dieser Sachverständige habe darauf verwiesen, dass der Kläger zwar das Unrecht der Tat erkannt, sich dabei aber nicht als der aktiv Planende und Handelnde erlebt habe, sondern als das Opfer einer emotionalen Überflutung. Der Kläger nehme zudem nicht wahr, dass der Sachverständige sein - des Klägers - Rückfallrisiko im Vergleich zu anderen Sexualstraftätern als sehr gering bewertet, im Vergleich zu anderen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten jedoch zumindest ein so deutlich erhöhtes Risiko gesehen habe, dass er es als problematisch angesehen habe, dass dem Kläger im Falle der Entziehung der Kassenzulassung privat versicherte Kinder und Jugendliche ohne ausreichende Kontrolle anvertraut würden.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG), Rechtsprechungsabweichungen (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sowie Verfahrensmängel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend.
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Der vom Kläger unter Beachtung der Darlegungsanforderungen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht liegt vor und führt gemäß § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist ua begründet, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Das Berufungsgericht hat seine in § 103 SGG normierte Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts dadurch verletzt, dass es den vom Kläger in seiner Berufungsbegründung gestellten Beweisanträgen ohne hinreichende Begründung nicht entsprochen hat. Auf diesem Verfahrensmangel kann die Entscheidung des LSG beruhen, denn es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach weiteren Ermittlungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre (s hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 23 mwN).
Der Verfahrensrüge steht nicht entgegen, dass die in der Berufungsbegründungsschrift formulierten Beweisanträge in der Sitzungsniederschrift vom 30.11.2011 nicht protokolliert worden sind. Zwar muss ein Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten worden sein, doch steht der Annahme des Aufrechterhaltens die fehlende Protokollierung zumindest dann nicht entgegen, wenn das LSG den Beweisantrag im Tatbestand aufgeführt und/oder in den Entscheidungsgründen behandelt hat und damit selbst davon ausgegangen ist, dass der Antrag bis zum Schluss aufrechterhalten wurde (BSG Beschluss vom 7.2.2012 - B 13 R 392/10 B, juris RdNr 10 mwN; Becker, SGb 2007, 328, 332). Dies ist vorliegend der Fall.
Der Kläger hat in seiner Berufungsbegründungsschrift zum einen die Einvernahme des Psychotherapeuten T. zum Beweis dafür beantragt, dass der deliktsorientierte Teil der Therapie abgeschlossen und damit auch nach den Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. F. keine Wiederholungsgefahr mehr gegeben sei, zum anderen die Anhörung des Gutachters Prof. Dr. F. dazu, dass seine - des Klägers - charakterlichen Mängel durch einen inneren Reifeprozess inzwischen kompensiert seien. Diesen Beweisanträgen ist das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), denn es hätte sich - auf der Grundlage seiner eigenen materiell-rechtlichen Auffassung - gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen.
Für die Frage, ob eine Begründung "hinreichend" ist, kommt es darauf an, ob das LSG objektiv im Rahmen der Amtsermittlungspflicht zu weiterer Sachaufklärung gehalten war, ob es sich also zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr des BSG, vgl zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 290/11 B - juris RdNr 12 mwN; BSG Beschluss vom 16.2.2012 - B 9 V 17/11 B - juris RdNr 12; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 103 RdNr 20 sowie § 160 RdNr 18d mwN). Soweit der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt ist, muss das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch machen, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen (BSG aaO). Einen Beweisantrag darf es nur dann ablehnen, wenn es aus seiner rechtlichen Sicht auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn diese Tatsache als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen ist oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 10; BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 290/11 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 16.2.2012 - B 9 V 17/11 B - juris RdNr 12). Keiner dieser Gründe liegt vor.
Das LSG hat ausgeführt, angesichts des vorgelegten Attestes des Herrn T. vom 16.11.2011, dem sich entnehmen lasse, dass die psychotherapeutische Behandlung noch nicht abgeschlossen sei, und in diesem der Therapeut T. auch von der Notwendigkeit spreche, dass der Kläger zukünftig keine weiblichen Jugendlichen behandele, um ein geringes Wiederholungsrisiko zu minimieren, sehe der Senat keine Notwendigkeit, bei Prof. Dr. F. ein weiteres Gutachten zum Beweis dafür einzuholen, dass die charakterlichen Mängel des Klägers durch einen inneren Reifeprozess inzwischen kompensiert seien. Dessen bedürfe es auch aus Rechtsgründen nicht, denn selbst wenn das Vorbringen des Klägers zuträfe, wofür das Attest des Herrn T. gerade nicht spreche, zudem die deliktsorientierte Therapie abgeschlossen wäre und dem Kläger von einem Sachverständigen bescheinigt würde, dass er inzwischen die charakterlichen Mängel ausreichend aufgearbeitet habe, würde erst danach - mit dem Abschluss der eigentlichen Heilbehandlung - die Zeit des Wohlverhaltens im Sinne der Rechtsprechung des BSG beginnen.
Soweit das LSG die Ablehnung des Beweisantrages damit begründet hat, dass dieser ins Leere gehe, weil die Zeit des Wohlverhaltens grundsätzlich erst mit Abschluss der Heilbehandlung beginne, steht diese Rechtsauffassung nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG. Zu Recht macht der Kläger geltend, dass der vom LSG aufgestellte Rechtssatz nicht mit der Rechtsprechung des BSG vereinbar ist, wonach die Zeitspanne des sogenannten "Wohlverhaltens" mit der letzten Verwaltungsentscheidung - dh ab Entscheidung des Berufungsausschusses - beginnt.
Das BSG hat mit seiner Rechtsprechung zur Berücksichtigung etwaigen Wohlverhaltens nach einer Zulassungsentziehung den Zeitpunkt der für die Beurteilung maßgeblichen Sach- und Rechtslage von dem bei Anfechtungsklagen üblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung auf einen späteren Zeitpunkt - dem der letzten Verhandlung vor dem Tatsachengericht - verlagert (vgl BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, RdNr 13 f). Nach dieser Rechtsprechung (BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 12 RdNr 16 ff; vgl dazu auch BSG SozR 4-5520 § 21 Nr 1 RdNr 19 sowie - zuletzt - BSG Urteil vom 21.3.2012 - B 6 KA 22/11 R - RdNr 54 f) ist bei einer Zulassungsentziehung - jedenfalls im Fall noch nicht sofort vollzogener Entziehung - zu prüfen, ob sich die Sachlage während des Prozesses durch ein Wohlverhalten des Leistungserbringers in einer Weise zu seinen Gunsten geändert hat, dass eine Grundlage für eine erneute Vertrauensbasis zwischen dem Betroffenen und den vertragsarztrechtlichen Institutionen wieder aufgebaut worden ist und somit eine Entziehung nicht mehr als angemessen erscheint (zu dieser Ausnahme vom sonst maßgeblichen Zeitpunkt vgl zB BSGE 73, 234, 236 = SozR 3-2500 § 95 Nr 4 S 11 f; BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, RdNr 13, 15 f).
Danach beginnt die Wohlverhaltensfrist mit dem Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl zB BSG Beschluss vom 27.6.2007 - B 6 KA 20/07 B - juris RdNr 13: im Regelfall nach ca fünf Jahren ab der Verhandlung des Berufungsausschusses). Indem das LSG den Beginn des Wohlverhaltenszeitraums auf den Abschluss eines Heilverfahrens verlegt, verknüpft es in nicht mit der Rechtsprechung des Senats in Einklang stehender Weise den Beginn des Wohlverhaltenszeitraums und die inhaltliche (prognostische) Überprüfung des Wohlverhaltens. Zwar mag es Fälle geben, in denen einer positiven Prognose der Umstand entgegensteht, dass eine begonnene und erforderliche Therapie noch nicht zum Abschluss gekommen ist und der bisherige Verlauf des Heilverfahrens noch keine Beurteilung zulässt. Es wäre aber unverhältnismäßig (zur Verhältnismäßigkeit s zB BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 12 RdNr 16), auch nach Abschluss einer Therapie und damit unabhängig von einer ggf zu prognostizierenden (positiven) Verhaltensänderung regelhaft das Verstreichen einer (erst) daran anschließenden fünfjährigen "Bewährungszeit" zu fordern. Im Übrigen führte dies vom Ausgangspunkt der Senatsrechtsprechung - dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage - fort.
Zwar ist die Frage, ob ein Mangel des Verfahrens vorliegt, nach der materiell-rechtlichen Entscheidung des Berufungsgerichts zu beurteilen (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 90 mwN), sodass ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht nur dann in Betracht kommt, wenn sich das LSG aufgrund seiner eigenen (materiell-rechtlichen) Rechtsauffassung gedrängt sehen musste, den beantragten Beweis zu erheben (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5, 9; Becker, SGb 2007, 328, 332). Dies führt jedoch nicht zu dem Ergebnis, dass das LSG ohne Verfahrensverstoß von einer weiteren Beweiserhebung absehen durfte, weil es aus seiner - wenn auch insoweit fehlerhaften - Sicht auf deren Ergebnis nicht ankam und somit die Begründung der Ablehnung "hinreichend" ist. Denn auch wenn es - zum einen - die Ablehnung der Beweisanträge auf die (unzutreffende) Auffassung gestützt hat, dass der erforderliche Wohlverhaltenszeitraum noch nicht abgelaufen sei, hat es gleichwohl den materiell-rechtlichen Teil seiner Entscheidung - die Zurückweisung der Berufung und damit die Bestätigung der die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung entziehenden Entscheidung des Beklagten - nicht hierauf, sondern - im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats - auf fortbestehende Zweifel an einer nachhaltigen, eine positive rechtfertigende Verhaltensänderung gestützt. Nach der vom LSG in Bezug genommenen Rechtsprechung des BSG ist das Wohlverhalten nicht an einen bloßen Zeitablauf geknüpft (vgl BSG SozR 4-5520 § 21 Nr 1 RdNr 10), sondern ein Wohlverhalten setzt eine zweifelsfreie nachhaltige Verhaltensänderung während eines Zeitraums von mehreren Jahren sowie eine zweifelsfreie Prognose künftig rechtmäßigen Verhaltens voraus (vgl BSG SozR 4-5520 § 21 Nr 1 RdNr 19 mwN zum Erfordernis zweifelsfreier Prognose; ebenso BSG vom 27.6.2007 - B 6 KA 20/07 B - Juris RdNr 13). Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass die vom Kläger beantragten Beweiserhebungen zu Ergebnissen geführt hätten, die für diese Prognose von Bedeutung wären und auch die Entscheidung des LSG beeinflusst hätten. Dies gilt umso mehr, als auch der Sachverständige Prof. Dr. F. in seinem - zum Zeitpunkt der Entscheidung des LSG gut zwei Jahre zurückliegenden - Gutachten ausgeführt hat, dass "evtl. nach zwei bis drei Jahren, bezugnehmend auf die Einschätzung durch den behandelnden forensischen Therapeut" eine abschließende Entscheidung erfolgen könne.
Soweit das Berufungsgericht das Attest des Herrn J.T. dahingehend interpretiert hat, dass die Behandlung des Klägers noch andauere, und aus diesem Grund von seiner Einvernahme zu der Frage abgesehen hat, ob der deliktsorientierte Teil der Therapie abgeschlossen ist, stellt dies im Übrigen keine hinreichende Begründung für das Nichtbefolgen des Beweisantrags, sondern eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar. Denn selbst wenn das Attest in dem vom LSG angenommenen Sinne zu interpretieren wäre, wäre damit nicht die Frage beantwortet, ob dies ggf für den deliktsorientierten Teil der Therapie anders zu sehen ist.
Der Senat hat zur Beschleunigung des seit sechs Jahren anhängigen Verfahrens von der durch § 160a Abs 5 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Dem steht nicht entgegen, dass sich der Kläger auch auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenz beruft. Denn das BSG kann die angefochtene Entscheidung auch in diesen Fällen wegen eines Verfahrensmangels aufheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverweisen, wenn der Verfahrensmangel selbst bei Zulassung der Revision voraussichtlich zur Zurückweisung führen würde (BSG Beschluss vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B, juris RdNr 5 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160a RdNr 19d mwN).
|
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten. |
|
|
|
Fundstellen
Haufe-Index 3335434 |
GesR 2013, 59 |