Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufklärungsrüge als unzulässiger Angriff auf die Beweiswürdigung
Leitsatz (amtlich)
Eine Aufklärungsrüge stellt sich als unzulässiger Angriff auf die Beweiswürdigung dar, wenn sie ausschließlich auf die Überprüfung der Schlüsse gerichtet ist, die der medizinische Sachverständige aus den festgestellten Gesundheitsstörungen auf das Leistungsvermögen eines Rentenantragstellers gezogen hat.
Normenkette
SGG § 103 S. 1, § 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LSG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 29.03.2006; Aktenzeichen L 7 R 187/05) |
SG Rostock (Entscheidung vom 16.03.2005; Aktenzeichen S 8 RA 288/03) |
Gründe
Mit Urteil vom 29.3.2006 hat das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (LSG) einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen teilweiser bzw voller Erwerbsminderung verneint. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin könne noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten unter Beachtung qualitativer - im Einzelnen aufgeführter - Einschränkungen verrichten. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bestehe nicht, da die Klägerin noch die frühere Tätigkeit im Wagendienst bei der Bahn ausüben könne und im Übrigen auch auf Bürotätigkeiten auf Anlernebene zumutbar verweisbar sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich auf das Vorliegen eines Verfahrensmangels iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG) .
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) , so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Soweit - wie vorliegend - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt wird, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, auf Grund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4, 5) . Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin hat bereits nicht aufgezeigt, dass sie einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt habe. Zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN) . Diesen Anforderungen genügt der laut der Beschwerdebegründung gestellte Antrag nicht.
Mit diesem Antrag wollte die Klägerin "die diskrepanten Ergebnisse von Dr. S. einerseits und Dr. L. und Prof. B. andererseits" geklärt wissen; nach den weiteren Ausführungen in der Beschwerdebegründung kam es der Klägerin letztlich nur darauf an, die von den anderen Gutachtern abweichende Beurteilung ihres Leistungsvermögens durch den Sachverständigen Dr. S. von einem weiteren Sachverständigen überprüfen zu lassen. Damit hat die Klägerin keine entscheidungserhebliche Tatsache unter Beweis gestellt und somit auch keinen prozessordnungsmäßigen Beweisantrag aufgezeigt. Vielmehr sollte die weitere Begutachtung lediglich dazu dienen, die Schlussfolgerungen in Frage zu stellen, die der Sachverständige als Gehilfe des Gerichts aus den erhobenen Befunden gezogen hatte; sie war nicht auf die Feststellung bisher etwa unberücksichtigt gebliebener Gesundheitsstörungen gerichtet. Unter diesen Umständen stellt sich die angebliche Aufklärungsrüge in Wirklichkeit als ein durch § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 Alternative 1 SGG ausgeschlossener Angriff auf die Beweiswürdigung dar.
Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtensergebnisse gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zur Einholung eines sog Obergutachtens (zu diesem Begriff Pawlak in Hennig, SGG Stand August 2007, § 128 RdNr 73) besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtensergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen (Meyer-Ladewig in ders/Keller/Leitherer, SGG 8. Aufl 2005, § 128 RdNr 7d mwN). Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen (Pawlak aaO § 128 RdNr 71) . Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum.
Gründe für eine Ausnahme sind hier nicht dargelegt. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9 mwN) . Derartige Umstände hat die Klägerin nicht vorgetragen; sie hat insbesondere nicht aufgezeigt, dass sich die den verschiedenen Gutachten zu Grunde gelegten Tatsachen widersprechen.
Der Beschwerde ist schließlich auch sinngemäß keine andere Verfahrensrüge zu entnehmen. Nach den Ausführungen der Beschwerdeführerin hat das Berufungsgericht sich im angefochtenen Urteil mit den unterschiedlichen Gutachten auseinandergesetzt und Gründe angegeben, weshalb es in der Leistungsbeurteilung dem Sachverständigen Dr. S. und nicht den anderen Gutachtern folge. Soweit die Klägerin meint, das LSG habe hierbei zu anderen Schlussfolgerungen kommen müssen, kann darauf - wie bereits erwähnt - eine Nichtzulassungsbeschwerde nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht gestützt werden.
Die nicht formgerecht begründete Beschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen