Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlagebeschlüsse an den EuGH zur Vereinbarkeit der Regelung mit dem Assoziierungsabkommen der EWG mit der Türkei
Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt die Erteilung einer neuen Versicherungsnummer, in der als sein Geburtsjahr das Jahr 1946 ausgewiesen ist; er macht geltend, dieses Geburtsdatum entscheide auch über seine Lebensarbeitszeit.
Der in der Türkei geborene Kläger lebt seit 1972 in der Bundesrepublik Deutschland; er ist bei der beklagten Bundesknappschaft rentenversichert. Aufgrund seiner ursprünglichen Angabe, am 1. Mai 1950 geboren zu sein, führt ihn die Beklagte unter der Versicherungsnummer 80 010550 O 016.
Im Februar 1993 legte er der Beklagten ein Urteil des Landgerichts Balikesir/Türkei vom 9. November 1992 vor, mit dem sein beim zuständigen Einwohnermeldeamt verzeichnetes Geburtsdatum vom 1. Mai 1950 in das Datum 1. Mai 1946 berichtigt wird.
Das Urteil ist (nach der vom Kläger vorgelegten Übersetzung) wie folgt begründet:
"In der Klageschrift trug der Kläger beim hiesigen Gericht vor, daß sein richtiger Geburtsdatum 01.05.1946 sei, obwohl das so ist hat man ihn als geboren am 01.01.1950 eingetragen. Der Kläger beantragt die Berichtigung seines Geburtsdatums.
Antwort: Die beklagte Meldebehörde bestätigt bei ihrer Antwort, daß der Kläger seine Behauptungen beweisen müsse.
Anklage und Forderung: Die Familienmeldetabelle des Klägers wurde entnommen. Der linke Arm des Klägers wurde gestempelt und zum Staatskrankenhaus - Balikesir geschickt. Dort hat man uns mitgeteilt, daß der Kläger zwischen 45-46 Jahre alt sei.
Die Zeugen des Klägers sagten unter Eid aus, daß sie den Kläger ganz gut kennen, weil sie im selben Dorf gewohnt haben. Die Eltern des Klägers haben jahrelang zusammen gelebt, bevor sie getraut wurden. Im Dorf haben alle, bevor sie getraut wurden, zusammen gelebt und Kinder gehabt. Der Kläger war, als die Eltern getraut wurden schon 4-5 Jahre alt. Der Zeuge M. G. sagte, daß seine Tochter H. auch 1946 geboren sei, aber beim Meldeamt ist sie als geboren 1948 angemeldet.
Der Staatsanwalt spricht sich in seiner Äußerung dafür, daß der Kläger seine Behauptungen bewiesen hat. Deshalb wird der Antrag des Klägers angenommen."
Weiterhin fügte der Kläger eine Bescheinigung bei, daß er seinen Wehrdienst von Juli 1970 bis März 1972 absolviert habe und teilte mit, er habe in der Türkei keine Schule besucht.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 14. Juni 1993 sowie Widerspruchsbescheid vom 14. September 1993 den "Antrag auf Änderung des Geburtsdatums sowie der Versicherungsnummer" ab.
Die Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts [SG] Gelsenkirchen vom 15. Juni 1994). In der Berufungsinstanz hat der Kläger beantragt, in der an ihn vergebenen Versicherungsnummer das Geburtsdatum zu berichtigen. Er hat vorgetragen, es gehe ihm nicht nur um die Versicherungsnummer, sondern auch um das tatsächliche Geburtsdatum, das ganz entscheidende Bedeutung u.a. auch für seine Lebensarbeitszeit habe.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat mit Urteil vom 25. November 1994 die Berufung zurückgewiesen und sich - ebenso wie das SG - auf die Rechtsprechung des 5. Senats des Bundessozialgerichts [BSG] (Urteile vom 4. Oktober 1992 - 5 RJ 24/92 und vom 9. September 1993 - 5 RJ 52/92) gestützt. Die Versicherungsnummer habe nur eine Ordnungsfunktion und diene lediglich dazu, die personenbezogene Zuordnung der Daten für die Erfüllung von gesetzlichen Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch zu ermöglichen. Deshalb sei der Versicherungsträger nicht gehalten, das Geburtsdatum in der Versicherungsnummer aufgrund des vom Kläger vorgelegten Urteils zu ändern. Soweit der Kläger hervorhebe, daß es nicht nur um die Versicherungsnummer gehe, sondern um das tatsächliche Geburtsdatum in der Versicherungsnummer, das korrigiert werden solle, habe gerade für diesen Fall das BSG ausgeführt, das "richtige" Geburtsdatum sei das im Zeitpunkt der Vergabe der Versicherungsnummer im Geburtenbuch eingetragene Geburtsdatum.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 147 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch (SGB VI) i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung über die Vergabe und Zusammensetzung der Versicherungsnummer (VNrV). Er habe Anspruch auf Korrektur des Geburtsdatums in der Versicherungsnummer, da es unrichtig sei, wie sich aus dem Urteil des Landgerichts Balikesir ergebe. Der Versicherungsnummer komme nicht nur eine Ordnungsfunktion zu, sondern sei für ihn insbesondere für seine Lebensarbeitszeit von entscheidender Bedeutung. Die rechtskräftige Entscheidung des türkischen Landgerichts binde auch die Beklagte. Im übrigen führe die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Krankenversicherungsträger ihn unter seinem geänderten Geburtsdatum.
II
Der Senat hält die aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Fragen für i.S. von Art 177 des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) klärungsbedürftig.
Dem türkischen Kläger geht es um die Berichtigung seines Geburtsdatums in der für die deutsche gesetzliche Rentenversicherung maßgebenden Versicherungsnummer und darum, in der Zukunft aus diesem berichtigten Datum entsprechende Ansprüche (zB auf Altersrente) ableiten zu können.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 2. Dezember 1997 (C-336/94 - Dafeki - ABl EG 1998, Nr. C 41, 4 = EuZW 1998, 47) entschieden, daß die nationalen Sozialversicherungsträger und Gerichte eines Mitgliedstaats im Verfahren über sozialrechtliche Leistungsansprüche eines Wanderarbeitnehmers aus der Gemeinschaft verpflichtet sind, von den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Urkunden und ähnliche Schriftstücke über den Personenstand zu beachten, sofern deren Richtigkeit nicht durch konkrete, auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Anhaltspunkte ernstlich in Frage gestellt ist.
Streitgegenstand des entsprechenden Ausgangsverfahrens war der Anspruch einer griechischen Klägerin auf das für Frauen ab Vollendung des 60. Lebensjahres vorgesehene vorgezogene Altersruhegeld. Das entsprechende Lebensalter hatte sie nach dem in ihren ursprünglichen Personenstandsurkunden angegebenen Geburtsdatum, dem 3. Dezember 1933, im Zeitpunkt des Antrags (Dezember 1988) oder in unmittelbarer Zukunft nicht erfüllt gehabt, wohl aber aufgrund des durch Urteil eines griechischen Gerichts vom 4. April 1986 in "20. Februar 1929" berichtigten Geburtsdatums. In dem zitierten Urteil sah es der EuGH als Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht (Art 48 Abs. 2 EG-Vertrag) an, wenn das nationale Recht in einem derartigen Fall von folgender generellen und abstrakten Beweisregel ausgehe: Im Fall eines Widerspruchs zwischen mehreren nacheinander ausgestellten Urkunden geht die dem zu beweisenden Ereignis zeitlich am nächsten liegende vor, wenn keine anderen ausreichenden Beweise vorhanden sind. Hiermit sei die Weigerung, eine von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats vorgenommene Berichtigung zu berücksichtigen, nicht zu rechtfertigen.
Von der Fallgestaltung im oben genannten Urteil weicht der vorliegende Fall in zweierlei Hinsicht ab. Zum einen ist der Kläger kein Wanderarbeitnehmer aus der Gemeinschaft, sondern Türke; zum anderen ist ab 1. Januar 1998 eine gesetzliche Regelung (§ 33a Erstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB I]) in Kraft getreten, die für Zwecke des Sozialrechts nachträgliche Berichtigungen des Geburtsdatums ausschließt. Auf dieser Grundlage ist zunächst zu klären, ob dem türkischen Kläger ein ähnliches Diskriminierungsverbot zur Seite steht, wie für die griechische Klägerin im Urteil vom 2. Dezember 1997 angenommen, (1) und, wenn das zutrifft, ob dieses verbietet - wie dies § 33a SGB I anordnet (2) -, das vom Kläger vorgelegte türkische Urteil über die Berichtigung seines Geburtsdatums für die Zusammensetzung seiner Versicherungsnummer (2a) und im - späteren - Leistungsfall (2b) von vornherein unbeachtet zu lassen.
(Zu 1) Bisher fehlt eine Rechtsprechung des EuGH konkret dazu, ob die in dem Recht betreffend die Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei enthaltenen Nichtdiskriminierungsregelungen der Art 9 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei vom 12. September 1963 (BGBl. II 1964, 509), Art 37 des Zusatzprotokolls vom 23. November 1970 (BGBl. II 1972, 385) zu diesem Abkommen oder Art 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (insoweit abgedruckt in ANBA 1/1981, S. 4) bzw. Art 3 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ABl EG Nr. C 110 vom 25. April 1983, S. 60) Recht darstellt, das auf den einzelnen türkischen Arbeitnehmer unmittelbar anzuwenden ist. Im Urteil vom 30. September 1987 (12/86, EuGHE 1987, 3719, 3753 - Demirel) hat der EuGH einzelnen Bestimmungen des Abkommens und des Zusatzprotokolls nur Programmcharakter zuerkannt; entsprechend hat er auch Regelungen des Assoziationsratsbeschlusses 3/80 beurteilt (Urteil vom 10. September 1996, C-277/94, EuGHE 1996 I-4085, 4110ff. - Taflan-Met). Einzelnen Bestimmungen des Assoziationsratsbeschlusses 1/80 hat er jedoch eine unmittelbare Anwendbarkeit zuerkannt (EuGH vom 20. September 1990, C-192/89, EuGHE 1990 I-3461, 3503f. - Sevince; ebenso EuGH vom 5. Oktober 1994, C-355/93, EuGHE 1994 I-5113, 5137f., 5139f. - Eroglu; zu Art 3 des Beschlusses Nr. 3/80 ist vor dem Europäischen Gerichtshof [EuGH] das Verfahren C-262/96 - Sürül anhängig).
(Zu 2) Sollte aus einer oder mehreren der genannten Regelungen ein unmittelbar anwendbares Diskriminierungsverbot folgen, so wäre zu prüfen, inwieweit der am 1. Januar 1998 in Kraft getretene § 33a SGB I (eingefügt durch das Erste Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 16. Dezember 1997 [BGBl. I 2970]) hierzu im Widerspruch steht.
Die Vorschrift lautet:
"§ 33a
Altersabhängige Rechte und Pflichten
Sind Rechte oder Pflichten davon abhängig, daß eine bestimmte Altersgrenze erreicht oder nicht überschritten ist, ist das Geburtsdatum maßgebend, das sich aus der ersten Angabe des Berechtigten oder Verpflichteten oder seiner Angehörigen gegenüber einem Sozialleistungsträger oder, soweit es sich um eine Angabe im Rahmen des Dritten oder Sechsten Abschnitts des Vierten Buches handelt, gegenüber dem Arbeitgeber ergibt.
Von einem nach Absatz 1 maßgebenden Geburtsdatum darf nur abgewichen werden, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, daß
1. ein Schreibfehler vorliegt oder
sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der Angabe nach Absatz 1 ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt.
Die Absätze 1 und 2 gelten für Geburtsdaten, die Bestandteil der Versicherungsnummer oder eines anderen in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs verwendeten Kennzeichens sind, entsprechend."
Diese Vorschrift ist zwar nicht geeignet, Wanderarbeitnehmer unmittelbar zu diskriminieren; sie gilt unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Damit kann sie ein - unterstelltes - Diskriminierungsverbot nicht unmittelbar verletzen. Sie trifft jedoch vor allem Personen, die außerhalb Deutschlands in solchen Gebieten geboren wurden, in denen es kein ähnlich zuverlässiges Personenstandswesen gab. Hierzu gehören einerseits - aus den im Urteil des EuGH vom 2. Dezember 1997 (C-336/94 - Dafeki - a.a.O.) dargelegten Gründen - Wanderarbeitnehmer (bekannt sind insoweit Fälle der Mittelmeeranrainerstaaten Griechenland, Türkei und Marokko). In der Gesetzesbegründung heißt es (BT-Drucks 13/8994, S. 85, zu Art 1a) : "Die Regelung soll die mißbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen … vermeiden … . Verschiedene ausländische Rechtsordnungen sehen die Möglichkeit vor, das Geburtsdatum durch eine gerichtliche Entscheidung zu ändern … diese Rechtsordnungen erkennen die Änderungen von Geburtsdaten für den Bereich der sozialen Sicherung überwiegend nicht an… . Die vorliegende Regelung soll … sicherstellen, daß derartige Änderungen von Geburtsdaten auch im deutschen Sozialrecht grundsätzlich nicht berücksichtigt werden." Vorstellbar ist jedoch andererseits, daß auch außerhalb Deutschlands geborene deutsche Staatsbürger - z.B. Vertriebene oder Spätaussiedler - in ähnlicher Weise betroffen sind.
Das Berücksichtigungsverbot kann zu Nachteilen der von dem Verbot Betroffenen führen: Geht man davon aus, daß das Personenstandswesen in verschiedenen ausländischen Staaten nicht in gleichem Maße zuverlässig ist wie etwa das deutsche, so sind Falscheintragungen des Geburtsdatums durchaus denkbar. Solche können den Betroffenen älter oder jünger erscheinen lassen, als er in Wirklichkeit ist. Dies kann zum einen dazu führen, daß die ihm erteilte Versicherungsnummer der gesetzlichen Rentenversicherung nicht das sachlich zutreffende Geburtsdatum enthält. Das Geburtsdatum beeinflußt aber auch Leistungsansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Macht eine entsprechende Falscheintragung den Betroffenen jünger, als es seinem wahren Lebensalter entspricht, so konnte er z.B. bereits vor Geltung des § 33a SGB I seinen Anspruch auf Rente ab einem bestimmten Lebensalter (zB der Vollendung des 65. Lebensjahres) nicht in gleichem Maße verwirklichen wie ein in Deutschland Geborener. Denn für ihn galt schon damals, daß nach allgemeinen Regeln der Antragsteller die ihm günstigen Leistungsvoraussetzungen nachzuweisen hat, also auch das ihm günstigere (wahre) Geburtsdatum. Die Beweisführung wurde ihm auch dann nicht entscheidend erleichtert, wenn die Beweisregel des Inhalts, daß eine näher am zu beweisenden Ereignis liegende Urkunde verläßlicher sei als eine später errichtete, insoweit nicht anzuwenden war (hierzu das Urteil Dafeki). Nach allgemeinen Erkenntnissen ist es kaum möglich, aufgrund medizinischer Befunde das Geburtsdatum eines Menschen in vorgerücktem Lebensalter zu bestimmen (Benker, AmtlMittLVA Rheinpr 1996, 63, 72). Kaum zuverlässiger dürften im Regelfall Zeugenaussagen über das Datum einer Jahrzehnte zurückliegenden Geburt sein. Der dem Betroffenen nach früherem Recht jedoch grundsätzlich mögliche Nachweis eines anderen als des bisher verzeichneten Geburtsdatums wird ihm nunmehr allerdings durch § 33a SGB I weitgehend abgeschnitten.
Sollte dem Assoziationsrecht ein unmittelbar anwendbares Diskriminierungsverbot zu entnehmen sein und sollte die Neuregelung des § 33a SGB I vor allem Wanderarbeitnehmer betreffen, so bliebe dennoch zu prüfen, ob diese Vorschrift durch objektive, von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer unabhängige Erwägungen gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck steht, der mit ihr zulässigerweise verfolgt wird. Auch dann läge kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vor (vgl. EuGH vom 23. Mai 1996, C-237/94, EuGHE 1996, I-2617, 2638 - O'Flynn).
(Zu 2a) Für die Nichtabänderbarkeit des Geburtsdatums in der Versicherungsnummer des Arbeitnehmers bestehen nach Auffassung des Senats hinreichend jene eine verbotene Diskriminierung ausschließenden Gründe.
Die Vorschrift des § 33a SGB I soll der Verhinderung einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme von Sozialleistungen - oder eines entsprechenden Versuchs - und der Verwaltungsvereinfachung dienen (s die Gesetzesbegründung, BT-Drucks 13/8994 S. 85, zu Art 1a).
Zwar kann aus dem in der Versicherungsnummer angegebenen Geburtsdatum kein unmittelbarer Leistungsanspruch abgeleitet werden; durch eine insoweit vorgenommene Änderung ist daher ein Leistungsmißbrauch nicht zu befürchten. Allenfalls werden durch die Neuregelung Versuche eines Leistungsmißbrauchs von vornherein unterbunden; dies wiederum trägt zum Rechtsfrieden bei.
Jedenfalls aber verursacht die Zubilligung eines Anspruchs auf Neuvergabe einer Versicherungsnummer bei Nachweis der Richtigkeit eines (gerichtlich) geänderten Geburtsdatums einen nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand.
Dabei geht der Senat davon aus, daß - vor Geltung des § 33a SGB I - nach deutschem Recht zwar ein Anspruch darauf bestand, eine neue Versicherungsnummer zugeteilt zu bekommen, wenn ein konkretes anderes als das bisher zugrunde gelegte Geburtsdatum bewiesen werden konnte. Dies schließt der Senat aus den nationalen Regelungen des § 84 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. § 1 Abs. 5 Satz 2 VNrV. Dagegen bestand kein Anspruch darauf, ein von ausländischen Behörden (oder Gerichten) geändertes Geburtsdatum eines Ausländers als im deutschen Rechtsverkehr verbindlich zu übernehmen (s auch die Feststellungen zum nationalem Recht im Urteil des EuGH vom 2. Dezember 1997 - Dafeki - a.a.O.). Vielmehr war jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob jene Änderung den Tatsachen entsprach. Insoweit hat die Erfahrung gezeigt, daß die in vielen Fällen vorgelegten (insbesondere türkischen) Urteile über die Änderung des Geburtsdatums und die hierzu gegebenen Begründungen allein hiervon nicht zu überzeugen vermochten.
Damit aber waren die deutschen Behörden und Gerichte darauf angewiesen, eigene Ermittlungen zum wahren Geburtsdatum der entsprechenden Antragsteller durchzuführen. Diese Ermittlungen sind naturgemäß aufwendig. Wenn das wahre Geburtsdatum mit Hilfe eines - auf eingehender Befunderhebung und ausführlicher Beurteilung beruhenden - medizinischen Gutachtens nicht festgestellt werden kann, müßte z.B. im vorliegenden Fall überlegt werden, ob die Zeugen, auf deren Aussagen das türkische Gericht u.a. seine Überzeugung gestützt hat, daß der Kläger nicht am 1. Mai 1950, sondern am 1. Mai 1946 geboren sei, noch einmal zu hören sind; das könnte erforderlich sein, um sich ein Bild davon zu machen, an welche Umstände sie im einzelnen sich noch erinnern können und ob sie glaubwürdig sind. Dabei wird es mit großer Wahrscheinlichkeit kaum jemals dazu kommen, daß statt des in die Versicherungsnummer aufgenommenen Geburtsdatums ein konkretes anderes Geburtsdatum bewiesen werden kann. Dies gälte selbst dann, wenn die Unrichtigkeit des eingetragenen Datums naheliegen sollte. Der Nachweis eines solchen konkreten anderen Datums aber ist Voraussetzung für die Vergabe einer neuen Versicherungsnummer.
Auf der anderen Seite aber hat die Neuregelung des § 33a SGB I (s dessen Abs. 3) die Funktion des Geburtsdatums als Bestandteil der Versicherungsnummer geändert: War bisher das wahre Geburtsdatum Bestandteil der Versicherungsnummer, so enthält diese nunmehr dasjenige - hiervon uU abweichende - Datum, das bei erstmaliger Meldung des Versicherten bei einem Sozialleistungsträger als Geburtsdatum in Urkunden verzeichnet war. Allein der Nachteil aber, mit einer Versicherungsnummer - also im Ergebnis einer reinen Ordnungsnummer, einem Aktenzeichen vergleichbar - leben zu müssen, die als Bestandteil ein derartiges Datum enthält, zwingt nach Auffassung des Senats nicht dazu, unter Anwendung von Nichtdiskriminierungsregelungen die beschriebenen verwaltungsaufwendigen Ermittlungen zu veranlassen.
(Zu 2b) Die Rechtslage ist jedoch im Ergebnis auch hinsichtlich der Leistungsansprüche nicht anders zu beurteilen, die sich aus dem Geburtsdatum ergeben, insbesondere also hinsichtlich des Anspruchs auf Altersrente (nach zur Zeit geltendem Recht zB: Regelaltersrente ab Vollendung des 65. Lebensjahres; Altersrente für langjährig Versicherte bei Vollendung des 63. Lebensjahres; Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige bzw. wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit ab Vollendung des 60. Lebensjahres [§§ 35 bis 38 SGB VI]).
Auch die Vorabklärung derartiger Ansprüche ist im vorliegenden Fall streitig. Der Kläger hat zwar im Gerichtsverfahren ausdrücklich lediglich eine Berichtigung des Geburtsdatums in der Versicherungsnummer beantragt. Er hat jedoch durch seinen Vortrag gleichzeitig deutlich gemacht, daß es ihm nicht nur darum geht, sondern auch um die Bedeutung des tatsächlichen Geburtsdatums für seine Lebensarbeitszeit, also für die Möglichkeit, Altersrente zu beantragen. Insoweit aber kann er über eine Berichtigung der Versicherungsnummer keine abschließende Klärung erreichen. Denn im Leistungsfall mögen sich die Rentenversicherungsträger zwar regelmäßig nach dem Geburtsdatum in der Versicherungsnummer richten; sie sind jedoch hieran nicht gebunden. Das Begehren des Klägers war daher von vornherein - und ist es auch jetzt noch - dahingehend auszulegen, daß er für einen künftigen Rentenanspruch die Vorabklärung seines Geburtsdatums anstrebt. Dadurch, daß SG und LSG seine Klage in vollem Umfang abgewiesen haben, ist der Kläger auch mit diesem Begehren erfolglos geblieben.
Dem vom Kläger insoweit verfolgten Ziel mag zwar ein Urteil des 5. Senats des BSG entgegenstehen; dieser hat (am 18. Januar 1995, SozR 3-2600 § 149 Nr. 3) entschieden, daß der Versicherte weder im Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 3 und 5 SGB VI noch im Wege eines Feststellungsverfahrens die Vorabklärung seines Geburtsdatums für Rentenzwecke erreichen könne. Der beschließende Senat wird jedoch - falls § 33a SGB I insoweit nicht anwendbar wäre - zu entscheiden haben, ob er sich dieser Rechtsprechung anschließt oder von ihr (ggfs. auf dem Wege nach § 41 SGG) abweichen will. Dabei wird er berücksichtigen müssen, daß dem Kläger für die Vorabklärung seines Geburtsdatums für einen künftigen Rentenanspruch auch das Rechtsinstitut der Zusicherung (§ 34 SGB X) zur Verfügung stehen könnte, deren Abgabe allerdings im Ermessen der Verwaltung liegt.
Es begegnet zwar - im Vergleich zu den unter 2a geschilderten Umständen - stärkeren Bedenken, Versicherten bei der Inanspruchnahme von Rentenleistungen - und der Vorabklärung entsprechender Anspruchsvoraussetzungen - von vornherein den Nachweis abzuschneiden, sie seien älter, als es das einem Sozialleistungsträger zuerst angegebene Geburtsdatum aufweist, wenn sich dessen Fehlerhaftigkeit noch nicht zur Zeit jener Angabe aus einer Urkunde ergab (§ 33a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 SGB I). Ebenso erscheint es eher möglich, ein "Mindestalter" nachzuweisen, als ein konkretes, von früheren Angaben abweichendes Geburtsdatum (wie nach der Rechtslage bis zum 31. Dezember 1997 für die Neuerteilung einer Versicherungsnummer erforderlich). Ein derartiges "Mindestalter" wäre durchaus imstande, den Anspruch auf eine lebensalterabhängige Leistung selbst dann zu begründen, wenn das konkrete Geburtsdatum nicht bekannt ist. Wenn im vorliegenden Fall - auf welchem Wege auch immer - z.B. nachgewiesen werden könnte, daß der Kläger jedenfalls vor dem 1. Januar 1949 geboren ist, stünde ihm danach ab dem 1. Januar 2014 die Regelaltersrente nach Vollendung des 65. Lebensjahres zu (vorausgesetzt, er erfüllt die übrigen Voraussetzungen für diese Leistung).
Demgegenüber bestehen jedoch auch bedeutsame Gesichtspunkte, die dafür sprechen, die Regelung des § 33a SGB I als nicht diskriminierend anzusehen. Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Neuregelung - auch auf die hiervon vornehmlich betroffenen Wanderarbeitnehmer - grundsätzlich neutral wirkt. Diese Vorschrift erklärt die zunächst eingetragenen Geburtsdaten für auch weiterhin maßgeblich, ohne Rücksicht darauf, ob geltend gemacht wird, sie wiesen ein zu hohes oder ein zu niedriges Lebensalter aus. Das bedeutet, daß sich ein unrichtiges Geburtsdatum für den Versicherten auch günstig auswirken kann: Ist er nach seinem ursprünglich eingetragenen Geburtsdatum älter als es den Tatsachen entspricht, bewirkt die hier zu prüfende Vorschrift des § 33a SGB I, daß er früher eine Altersrente erhält, als ihm nach seinem wirklichen Lebensalter zustünde. Ebenso kann sich ein höheres Lebensalter für Leistungsansprüche aus der Rentenversicherung negativ auswirken, z.B. dadurch, daß bei einer Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit die bis zum 55. oder 60. Lebensjahr anzurechnende Zurechnungszeit (§ 59 SGB VI) nicht berücksichtigt wird.
Im übrigen legitimiert auch der Zweck, Verwaltungsaufwand zu ersparen, die pauschalierende Regelung des § 33a SGB I. Für den Nachweis, das wahre Geburtsdatum liege jedenfalls früher (oder später) als das bisher angegebene, ist ein ähnlicher Verwaltungs- und Ermittlungsaufwand erforderlich wie zur Überprüfung, ob ein konkretes anderes als das bisher angegebene Geburtsdatum festzustellen ist. Und auch der verläßliche Nachweis eines früheren (oder späteren) Geburtsdatums dürfte allenfalls in Ausnahmefällen möglich sein. Diese tatsächlichen Umstände rechtfertigen eine Regelung, die verhindert, daß in einer Vielzahl von Fällen umfangreiche Ermittlungen angestellt werden, die allenfalls in einem Bruchteil davon tatsächliche Vorteile für einen Anspruchsteller bewirken.
Hinzu kommt der Gesichtspunkt, daß dasjenige Geburtsdatum, mit dem eine Person erstmalig einem Sozialleistungsträger gemeldet wurde, in aller Regel ein Datum ist, dessen sich der Betreffende - war es falsch: wider besseres Wissen - selbst bedient hat. Dann aber erscheint es auch nicht unbillig, ihn daran festzuhalten (Gedanke des "venire contra factum proprium"). Dies gilt erst recht dann, wenn ihm das ursprünglich angegebene Geburtsdatum zum damaligen Zeitpunkt bestimmte Vorteile (Sozialleistungen, Möglichkeit der Einreise im Wege der Familienzusammenführung, Einstellung bei einem Arbeitgeber) gebracht hat, die er nicht hätte erlangen können, hätten ihn damals bereits seine Unterlagen in dem Maße älter ausgewiesen, wie er es jetzt geltend macht.
Zudem mag im Verhältnis zur Türkei beachtlich sein, daß nach türkischem Rentenversicherungsrecht - ähnlich wie nach § 33a SGB I - dasjenige Geburtsdatum maßgebend bleibt, welches beim Eintritt in die Versicherung angegeben wurde (vgl. Semperowitsch, MittLVA Ofr 1989, 164, 169 unter Hinweis auf Art 120 des türkischen Sozialversicherungsgesetzes [Gesetz Nr. 506]), wobei allerdings zT darauf hingewiesen wird, daß dies nach der Praxis nur im Falle eines erstmaligen Eintrags in das Geburtenbuch gelte, nicht jedoch im Falle der Berichtigung aufgrund einer G erichtsentscheidung, die auf den Zeitpunkt des Ersteintrages zurückwirke (Benker, AmtlMittLVA Rheinpr 1993, 205, 212 unter Hinweis auf Art 83 der türkischen Verordnung zu den Verfahren der Sozialversicherung). Sollte es hierauf ankommen, wären insoweit noch Ermittlungen zum türkischen Recht anzustellen.
Der Senat weist abschließend auf den thematischen Zusammenhang der vorliegenden Vorlage mit der des 13. Senats des BSG vom 17. Februar 1998 (B 13 RJ 31/96 R) hin. Im Ausgangsfall des 13. Senats geht es u.a. um Leistungsansprüche (dem dortigen Kläger stünde nach seinem geänderten Geburtsdatum bereits seit dem Jahre 1991 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres zu), während der Kläger im vorliegenden Fall - neben der Änderung seiner Versicherungsnummer - lediglich die Vorabklärung des Geburtsdatums für spätere Leistungsansprüche begehrt; diese Fallkonstellation dürfte zum gegenwärtigen Zeitpunkt die häufigste sein (insgesamt haben die deutschen Versicherungsträger seit dem Beginn verbreiteter Vorruhestandsmaßnahmen Mitte der 80er Jahre eine "Flut" solcher Anträge zu verzeichnen [Benker, AmtlMittLVA Rheinpr 1993, 205]; nach Angaben der Beklagten waren allein bei ihr - als einem der über 20 Rentenversicherungsträger der Bundesrepublik Deutschland - in den Jahren 1993/94 über 600 Widerspruchsverfahren in Fällen der vorliegenden Art anhängig).B 8 KN 7/95 R
BUNDESSOZIALGERICHT
Verkündet am 31. März 1998
Beschluß
Fundstellen
Haufe-Index 518452 |
ArbuR 1998, 202 |
SozSi 1999, 120 |