Entscheidungsstichwort (Thema)
Überprüfungsantrag. Vorruhestandsgeld. Rücknahme eines rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt. Gewährung der Altersrente. Vollendung des 60. Lebensjahres Frauen. Invalidenrente. Rentenantrag. Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen. Anspruchsberechtigung. Beginnzeitpunkt. Nahtlosigkeit. Anspruchshöchstdauer. 5 Jahre
Leitsatz (amtlich)
Der nach DDR-Recht vor dem 3.10.1990 entstandene und danach von der Bundesanstalt für Arbeit zu erfüllende Anspruch auf Vorruhestandsgeld entfällt nicht schon mit Erreichen des Rentenalters, sondern erst mit der tatsächlichen Gewährung einer Rente. Unabhängig hiervon entfällt der Anspruch spätestens mit Ablauf von fünf Jahren seit Beginn der Zahlung durch den Betrieb.
Normenkette
VRGeldV DDR §§ 2, 5; SozPflVRV § 3 Abs. 1; SozPflVRV § 49 Abs. 1, § 66 Abs. 1, § 76 Abs. 3; EinigVtr Anl II Kap VIII E III Nr. 5; VRG § 5 Abs. 1 Nr. 2; ATG § 5 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1990-08-31; AFG § 105c Abs. 2, § 118 Abs. 1 Nrn. 3-4; SGB X § 44 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 25.11.1993; Aktenzeichen L 2 Ar 47/93) |
SG Dessau (Entscheidung vom 24.06.1993; Aktenzeichen S 3 Ar 39/93) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 25. November 1993 und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau vom 24. Juni 1993 insoweit aufgehoben, als sie die Zahlung von Vorruhestandsgeld über den 31. August 1995 hinaus betreffen. Insoweit wird die Klage abgewiesen. Im übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt die Weitergewährung von Vorruhestandsgeld (Vog) über Juni 1993 hinaus.
Die am 6. Juli 1933 geborene Klägerin war seit 1950 bei der F.… W.… (Sachsen-Anhalt) beschäftigt. Am 20. August 1990 traf sie mit ihrer Arbeitgeberin eine “Vereinbarung zur Gewährung von Vorruhestandsgeld”. Danach ging sie zum 1. September 1990 in den Vorruhestand. Die Höhe des Vog belief sich auf monatlich 1.139,00 DM (70 vH des durchschnittlichen Nettoentgelts in Höhe von 1.627,20 DM; das Bruttoentgelt betrug 2.293,00 DM). Die Arbeitgeberin zahlte Vog in dieser Höhe bis zum 31. Dezember 1990. Auf Antrag der Klägerin übernahm die Beklagte die Zahlung des Vog ab 1. Januar 1991 unter Wahrung des bisherigen Zahlbetrages, “längstens jedoch bis zum Juni 1993” (Bescheid vom 15. März 1991). Zum 1. Januar 1991 erfolgte eine Dynamisierung des Vog auf 1.217,00 DM (Bescheid vom 27. Mai 1991).
Mit Schreiben vom 28. Oktober 1992 beantragte die Klägerin, die bislang weder Rente beantragt noch erhalten hat, die Weiterzahlung des Vog bis zum 31. August 1995. Die Beklagte lehnte dies mit dem Hinweis ab, § 2 Abs 2 der Verordnung über die Gewährung von Vog (Vog-VO) schließe für Frauen den Bezug von Vog über das 60. Lebensjahr hinaus aus (Bescheid vom 1. Dezember 1992; Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 1992).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin solange Vog nach den gesetzlichen Vorschriften zu zahlen, bis dieser eine Rente wegen Alters oder Erwerbsunfähigkeit gezahlt werde, und im übrigen die Klage (auf Vog ggf neben einer Rente) abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 24. Juni 1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verpflichtet wird, ihren Bescheid vom 15. März 1991 iS des Gerichtsbescheides zu ändern (Urteil vom 25. November 1993).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Voraussetzungen für einen sog Zugunstenbescheid seien gegeben (§ 44 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – ≪SGB X≫). Die Begrenzung der Vog-Leistungen bis zum 30. Juni 1993 sei rechtswidrig. Das ergebe sich aus Wortlaut, Zweck und Systematik des § 2 Vog-VO. Der Wortlaut dieser Vorschrift sei eindeutig. Denn der Wegfall des Vog sei von der “Gewährung” der Alters- oder Invalidenrente, nicht vom “Erreichen des Rentenalters” oder von der “Erfüllung der Voraussetzungen” für die Inanspruchnahme der Rente abhängig. Der Zweck des Vog liege in der Sicherung des Lebensunterhaltes zwischen dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis und der Rentengewährung. Ein Wahlrecht zwischen Vog und Rente bestehe nicht. Vielmehr habe der Empfänger von Vog die Pflicht zur rechtzeitigen Rentenantragstellung. Dafür spreche die Systematik der Vog-VO. Ihr sei keine zeitlich feststehende Anspruchshöchstdauer zu entnehmen. Die Regelungslücke, die entstehe, wenn der Vog-Bezieher keinen Rentenantrag stelle, lasse sich in Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Arbeitsförderungsrechts schließen, die in den §§ 105c Abs 2, 249e Abs 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) Ausdruck gefunden hätten. Hieraus folge, daß die Beklagte die Klägerin auch ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage zur Stellung eines Rentenantrags hätte auffordern können. Vorliegend fehle es an einer solchen Aufforderung, so daß der Vog-Anspruch nicht zum Ruhen gekommen sei. Schließlich könne der Klägerin nicht der Vorwurf fehlender Mitwirkung (§ 66 Abs 3 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – ≪SGB I≫) oder eines Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫) gemacht werden.
Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung von § 2 Abs 2 Vog-VO. Die Auffassung des LSG vertrage sich nicht mit Sinn und Zweck der Vorruhestandsregelung. Der Einigungsvertrag (EinigVtr) enthalte keine Maßgaben hinsichtlich des Erlöschens des Vog-Anspruchs. Deshalb seien die Vorschriften der Vog-VO und der dazu ergangenen Durchführungsbestimmungen weiter anzuwenden. Daß nach dem Willen des DDR-Verordnungsgebers für das Ende des Vog-Anspruchs der frühestmögliche Rentenbeginn maßgebend gewesen sei, folge daraus, daß das DDR-Rentenrecht kein vorgezogenes Altersruhegeld gekannt habe und in § 2 Abs 2 Satz 2 Vog-VO auch sonstige Tatbestände aufgeführt worden seien, die zu einem früheren Rentenbezug berechtigten (zB Invalidenrente). Für Frauen habe sich an der Möglichkeit ab Vollendung des 60. Lebensjahres Altersrente zu beziehen, durch das Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) nichts geändert. Könne die Altersrente im Anschluß an den Vog-Bezug nicht nahtlos gewährt werden, habe der Rentenversicherungsträger zu leisten. Die Zahlung eines Vorschusses stehe der Gewährung der Altersrente mit der Folge gleich, daß der Vog-Anspruch erlösche. Die Klägerin habe aufgrund des Bewilligungsbescheides das Ende des Vog-Bezuges gekannt. Das Unterlassen der Rentenantragstellung dürfe nicht zu Lasten der Beklagten gehen. Im übrigen hätten auch die Regelungen des Vorruhestandsgesetzes (VRG) vorgesehen, daß Frauen längstens bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres Anspruch auf Vog hätten. Auch insoweit komme es allein auf den Bestand des Anspruchs als solchen an.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin ist nicht anwaltlich vertreten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist in bezug auf die Zeit von Juli 1993 bis August 1995 unbegründet, hinsichtlich der Zeit ab September 1995 begründet.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 1. Dezember 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 1993 (§ 95 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), durch den die Beklagte es abgelehnt hat, den Bescheid vom 15. März 1991, der bindend geworden war (§ 77 SGG), in dem Sinne zu ändern, daß der Klägerin Vog über Juni 1993 hinaus bewilligt wird.
Das Klagebegehren der Klägerin beschränkt sich nicht auf die Zeit von Juli 1993 bis August 1995. Es erstreckt sich auf die Zeit über August 1995 hinaus. Allerdings hatte die Klägerin in Zusammenhang mit ihrem Überprüfungsantrag vom 28. Oktober 1992 erklärt, sie erstrebe die Weiterzahlung von Vog lediglich bis August 1995, weil sie dann Vog für insgesamt fünf Jahre (seit September 1990) bezogen habe. Indes enthielt ihre Klageschrift eine solche Leistungsbegrenzung nicht mehr. Auf diesem Hintergrund hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin solange Vog nach den gesetzlichen Vorschriften zu zahlen, bis dieser eine Rente wegen Alters oder Erwerbsunfähigkeit gezahlt werde. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ebenfalls nicht zu erkennen gegeben, daß sie mit einer Leistungsbegrenzung einverstanden sei. Demgemäß hat das LSG, das die Berufung der Klägerin mit der Maßgabe zurückgewiesen hat, daß die Beklagte verpflichtet wurde, ihren Bescheid vom 15. März 1991 iS des erstinstanzlichen Gerichtsbescheides zu ändern, keine Veranlassung zum Ausspruch einer Leistungsbegrenzung bis August 1995 gesehen. Schließlich hat die Klägerin im Revisionsverfahren nicht die Absicht einer Leistungsbegrenzung deutlich werden lassen. Ihr Klagebegehren ist deshalb in dem Sinne zu verstehen, daß sie Vog auch noch über August 1995 hinaus erstrebt (§ 123 SGG).
Die Berufung der Beklagten war statthaft (§ 143 SGG). Es bedurfte nicht der Zulassung der Berufung. Denn die Berufung betraf wiederkehrende bzw laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs 1 Satz 2 SGG idF des Art 8 Nr 5 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 – BGBl I 50, 53).
Richtige Klageart ist, wie vom LSG zutreffend erkannt, die verbundene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG). Sie ist auf die Verpflichtung der Beklagten gerichtet, ihren Bescheid vom 15. März 1991 in dem Sinne zu ändern, daß Vog für einen nicht näher spezifizierten Zeitraum über Juni 1993 hinaus zugebilligt wird.
In der Sache selbst hat die Revision der Beklagten keinen Erfolg, soweit die Entscheidung des LSG die Zeit von Juli 1993 bis August 1995 betrifft.
Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ist § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X. Danach ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen.
Gegen die Anwendbarkeit dieser Norm ergeben sich keine Bedenken aus § 1 Abs 1 Satz 1 SGB X, wonach die Vorschriften dieses Kapitels, mithin auch § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X, für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden gelten, die nach diesem Gesetzbuch, dh dem SGB, ausgeübt wird. Zwar hat der Gesetzgeber die hier maßgebliche Vog-VO vom 8. Februar 1990 (GBl I Nr 7 S 42), die mit bestimmter Maßgabe über den 2. Oktober 1990 hinaus weitergilt (Anl II Kap VIII Sachgebiet E Abschn III Nr 5 des EinigVtr ≪Nr 5 Anl zum EinigVtr≫ iVm Art 1 des Gesetzes vom 23. September 1990 ≪BGBl II 885, 889, 1210≫), nicht ausdrücklich als den besonderen Teilen des SGB zugehörig bezeichnet (Art II § 1 SGB I). Jedoch gilt das AFG als besonderer Teil des SGB (Art II § 1 Nr 2 SGB I). Dieses erfaßt auch den streitigen Anspruch; denn die Gewährung von Vog ist zumindest mittelbar als öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Beklagten nach dem SGB anerkannt worden. Dies folgt aus der Regelung in der oa Nr 5 Anl zum EinigVtr, die in verschiedener Weise auf die Anwendung von Vorschriften des AFG verweist.
Das Klagebegehren betrifft die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Zukunft iS des § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X. Ein Fall des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X, wonach unter bestimmten Voraussetzungen ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, ist hier nicht, auch nicht teilweise gegeben. Ob ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit oder mit Wirkung für die Zukunft (ganz oder teilweise) zurückzunehmen ist, hängt vom Zeitpunkt der Stellung des Überprüfungsantrags ab. Das folgt ua aus § 44 Abs 4 Satz 3 SGB X, wonach, wenn die Rücknahme auf Antrag erfolgt, bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag tritt. Zudem kann nicht der Zeitpunkt einer Gerichtsentscheidung dafür ausschlaggebend sein, ob ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft oder mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist. Vorliegend datiert der Überprüfungsantrag der Klägerin vom 28. Oktober 1992. Folglich ist § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X einschlägig.
Die Bestimmung des § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X wird nicht durch § 152 AFG modifiziert. Zweifelhaft ist bereits, ob die letztgenannte Vorschrift mit ihren Sonderregelungen über die Rücknahme von Verwaltungsakten im Bereich des AFG in Fällen der vorliegenden Art überhaupt zum Tragen kommt. Selbst wenn dies anzunehmen sein sollte, führt das zu keiner anderen Folgerung. Denn § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X ist – im Unterschied zu § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X – weder durch § 152 AFG idF des KOV-AnpG 1989 vom 30. Juni 1989 (BGBl I 1288), in Kraft ab 8. Juli 1989, noch durch § 152 AFG idF einer späteren Gesetzesänderung (vgl ua das 1. SKWPG vom 21. Dezember 1993 – BGBl I 2353, 2359) einer Einschränkung unterworfen worden.
Die Voraussetzungen des § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X sind im vorliegenden Fall verwirklicht. Die Beklagte durfte die Rücknahme des Bescheides vom 15. März 1991 für die Zeit von Juli 1993 bis August 1995 nicht ablehnen. Denn der Bescheid vom 15. März 1991 erweist sich, soweit die Gewährung von Vog für diesen Zeitraum versagt wurde, als rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt.
Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Vog für die Zeit von Juli 1993 bis August 1995 leitet sich aus § 2 Vog-VO iVm Nr 5 Anl zum EinigVtr ab. Gemäß § 2 Abs 1 Vog-VO haben Arbeiter und Angestellte bei Beendigung des Arbeitsrechtsverhältnisses ab 5. Jahr vor Erreichen des Rentenalters Anspruch auf Vog, wenn
- sie die vereinbarte Arbeitsaufgabe wegen ärztlich festgestellter gesundheitlicher Nichteignung, infolge Rationalisierungsmaßnahmen oder Strukturveränderungen oder wegen anderer von ihnen nicht zu vertretender Gründe nicht mehr ausüben können,
- ihnen keine zumutbare andere Arbeit im Betrieb oder in einem anderen Betrieb oder keine zumutbare Umschulung angeboten werden kann und
- sie mindestens 25 Jahre (Männer) bzw. 20 Jahre (Frauen) versicherungspflichtig tätig waren, davon mindestens fünf Jahre vor Ausscheiden aus dem Arbeitsrechtsverhältnis.
Nach § 2 Abs 2 Vog-VO wird das Vog vom Betrieb auf Antrag des Werktätigen gewährt. Die Zahlung erfolgt bis zur Gewährung der Alters- oder Invalidenrente. Nr 5 Anl zum EinigVtr bestimmt: Die Vog-VO gilt für Arbeitnehmer, die bis zum Wirksamwerden des Beitritts die Voraussetzungen dieser VO erfüllen, weiter mit der Maßgabe, daß
- das Vorruhestandsgeld und die darauf entsprechend den Vorschriften über das Arbeitslosengeld zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge auf Antrag von der Bundesanstalt für Arbeit aus Mitteln des Bundes gezahlt werden,
- das Vorruhestandsgeld 65 v.H. des durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts der letzten drei Monate beträgt,
- die Höhe des Nettoarbeitsentgeltes nach Buchstabe b) durch die für das in Art 3 des Vertrages genannte Gebiet geltende Bemessungsgrenze in der Arbeitslosenversicherung begrenzt wird,
- §§ 112a, 115 des Arbeitsförderungsgesetzes vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 582) entsprechend anzuwenden sind,
- eine Neufeststellung des Vorruhestandsgeldes nach Buchstabe b) solange unterbleibt, bis der nach Buchstabe b) festzulegende Betrag das vor dem Tag des Wirksamwerdens des Beitritts zuletzt gezahlte Vorruhestandsgeld übersteigt.
Einzelheiten dazu, ob die Klägerin die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Vog-VO vor dem 3. Oktober 1990 erfüllte, hat das LSG nicht ausdrücklich angeführt. Aus dem Gesamtzusammenhang seiner Feststellungen geht indessen hervor, daß diese Voraussetzungen gegeben sind. Der Antrag der Klägerin auf Weiterzahlung des Vog (und der darauf entsprechend den Vorschriften über das Arbeitslosengeld ≪Alg≫ zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge) ist somit für die Zeit ab 1. Januar 1991 unter Wahrung des bis dahin maßgebenden Zahlbetrages (Nr 5 Buchst e Anl zum EinigVtr), dh in Höhe von zunächst 1.039,00 DM, von der Beklagten zu Recht positiv beschieden worden (vgl dazu Urteil des Senats vom 1. Juni 1994 – 7 RAr 14/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Vog nicht mit Beginn des Monats Juli 1993 entfallen, obwohl die Klägerin vom 1. Juli 1993 an Altersrente hätte beanspruchen können (§ 3 Abs 1 Satz 1, § 66 Abs 1 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung – Rentenverordnung – vom 23. November 1979 ≪GBl I Nr 43 S 401≫), dies jedoch nicht getan hat. Dem steht die Vorschrift des § 2 Abs 2 Satz 2 Vog-VO entgegen. Sie gestattet weder dem Wortlaut noch der Rechtssystematik noch dem Sinn und Zweck nach eine Auslegung iS der Beklagten.
Das Ende der Zahlung des Vog ist gemäß § 2 Abs 2 Satz 2 Vog-VO von der “Gewährung der Altersrente” abhängig. Dieser Begriff ist nicht mit “Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen der Altersrente” gleichzusetzen. Denn “Gewähren” beinhaltet nach allgemeinem und juristischem Sprachgebrauch, daß eine Leistung durch den betreffenden Leistungsträger “bewilligt”, “zuerkannt” oder “erbracht” wird. Der Hinweis der Beklagten auf § 5 Abs 1 Nr 2 VRG (vom 13. April 1984 – BGBl I 601 – idF des Art 2 Eingliederungsanpassungsgesetz vom 22. Dezember 1989 – BGBl I 2398) führt zu keiner anderen Erkenntnis. Denn nach dieser Vorschrift erlischt der Anspruch (des Arbeitgebers) auf Zuschuß (zu den Aufwendungen für Vog) im Gegensatz zur Regelung des § 2 Abs 2 Satz 2 Vog-VO schon mit Beginn des Monats, für den der ausgeschiedene Arbeitnehmer eine der in § 2 Abs 1 Nr 1 Buchst b VRG genannten Altersrenten oder Altersbezüge oder eine Leistung beanspruchen kann, die nach § 2 Abs 2 VRG den Altersrenten oder Altersbezügen gleichgestellt ist. “Gewähren” und “beanspruchen können” haben eine völlig unterschiedliche Bedeutung. Erst recht läßt sich zwischen § 2 Abs 2 Satz 2 Vog-VO und § 5 Abs 1 Satz 1 Altersteilzeitgesetz (AltTZG ≪vom 20. Dezember 1988 – BGBl I 2343, 2348 – idF des EinigVtr – BGBl II 885, 1038≫) keine Parallele ziehen. Die Vorschrift des § 5 Abs 1 Satz 1 AltTZG lautet: “Der Anspruch auf die Leistungen nach § 4 (Aufstockungsbetrag, Beiträge) erlischt (1.) mit Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer die Altersteilzeitarbeit aufgibt oder das 65. Lebensjahr vollendet, (2.) mit Beginn des Monats, für den der Arbeitnehmer Altersrente, Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art bezieht.” Den Begriffen “Gewähren”, “das 65. Lebensjahr vollenden” und “Altersrente beziehen” wohnen einem Vergleich nicht zugängliche Bedeutungsinhalte inne. Hätte der Verordnungsgeber eine Beendigung des Vog-Zahlungsanspruchs an das Vorliegen rentenrechtlicher Anspruchsvoraussetzungen anknüpfen wollen, hätte er § 2 Abs 2 Satz 2 Vog-VO anders formulieren müssen (etwa: Die Zahlung erfolgt, bis die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der Alters- oder Invalidenrente vorliegen).
Rechtssystematische Erwägungen stützen die bisherigen Überlegungen. Wenn es in § 2 Abs 2 Satz 1 Vog-VO heißt: “Das Vog wird vom Betrieb auf Antrag des Werktätigen gewährt”, kann der Begriff “gewähren” nur iS von “bewilligen”, “zuerkennen”, zu verstehen sein, wie nicht näher begründet werden muß. Daß der Verordnungsgeber mit demselben Terminus im nächsten Satz desselben Absatzes einen anderen begrifflichen Inhalt (“in Anspruch nehmen können”) verbunden haben sollte, erscheint kaum vorstellbar. Überdies hatte die Rentenverordnung bereits vor ihrer Änderung durch Art 35 RÜG vom 25. Juli 1991 – BGBl I 1006 – zwischen “Bestehen eines Anspruchs” und “Gewähren einer Leistung” unterschieden (vgl § 3 Abs 1, § 49 Abs 1, § 76 Abs 3 Rentenverordnung). Es ist nicht erkennbar, daß den in der Vog-VO verwendeten Begriffen andere als die bis dahin gebräuchlichen Bedeutungsinhalte zugrunde gelegt werden sollten. Insbesondere ist nicht zu übersehen, daß § 2 Abs 2 Satz 2 Vog-VO sowohl an die “Gewährung der Altersrente” als auch an die “Gewährung der Invalidenrente” ein und dieselbe Rechtsfolge knüpft. Das schließt ein Gleichsetzen von “Gewährung” mit “Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen” aus. Denn für die Gewährung der Invalidenrente (Erwerbsunfähigkeitsrente) gibt es keinen von vornherein ermittelbaren Beginnzeitpunkt. Nicht selten sind langwierige Ermittlungen (medizinische Gutachten) erforderlich, ehe eine Invalidenrente zugesprochen werden kann. Stellt aber die “Gewährung der Invalidenrente” iS des § 2 Abs 2 Satz 2 Vog-VO einen eigenständigen Tatbestand für das Ende der Vog-Zahlung dar, kann für die im selben Zusammenhang erwähnte “Gewährung der Altersrente” nichts anderes gelten.
Sinn und Zweck des Vog bestätigen das Ergebnis. Sie gehen dahin, die Zeitspanne zwischen Eintritt der Arbeitslosigkeit und Bezug der Alters- oder Invalidenrente nahtlos zu überbrücken. Diese Zielsetzung ist kein Spezifikum der Vog-VO. Sie findet sich sowohl im AFG vom 25. Juni 1969 idF späterer Änderungen (zB § 118 Abs 1 Nrn 3 und 4) als auch im AFG vom 22. Juni 1990 – GBl I Nr 36 S 403 – (zB § 118 Abs 1 Nrn 3 und 5). Sie ist charakteristisch auch für andere Gebiete des Sozialrechts (zB § 50 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung –). Die Ansicht der Beklagten, der Vog-Anspruch erlösche bereits dann, wenn ein Anspruch auf Altersrente (unabhängig von der Antragstellung) gegeben sei, steht hierzu in diametralem Gegensatz.
Es mag sein, daß der (DDR-)Verordnungsgeber bei Schaffung der Vog-VO von der Vorstellung getragen wurde, Vog werde durch die Betriebe (§ 2 Abs 2 Satz 1, § 6 Vog-VO) maximal fünf Jahre zu zahlen sein; spätestens dann werde ein Bezieher von Vog seine Rente beantragt haben. Möglicherweise sah sich der Verordnungsgeber in seiner Auffassung dadurch bestärkt, daß der Bezug von Vog wie ein Arbeitsrechtsverhältnis im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung einzutragen war und bei der Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialversicherung als versicherungspflichtige Tätigkeit galt (§ 5 Abs 2 und 3 Vog-VO). Wenig vorstellbar mag ihm schließlich erschienen sein, daß ein Vog-Bezieher – anders als der normale Arbeitnehmer – von der Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Altersrente keinen Gebrauch machen werde. Doch helfen diese Mutmaßungen nicht darüber hinweg, daß der Anspruch auf Zahlung des Vog nach Wortlaut, Rechtssystematik, Sinn und Zweck des § 2 Vog-VO erst mit der “Zuerkennung” (“Bewilligung”) der Altersrente entfällt.
Offenbleiben kann, ob die Beklagte die Klägerin – sei es in analoger Anwendung der für das Altersübergangsgeld (Alüg) geltenden Regelung (§ 249e Abs 4 AFG idF des EinigVtr), sei es aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze (§ 66 SGB I, § 105c Abs 2 AFG) – zur Stellung eines Antrags auf Altersrente innerhalb bestimmter Frist hätte auffordern können, mit der Folge, daß bei Nichtbefolgung etwa ein Ruhen des Vog-Anspruchs vom Tage nach Ablauf der Frist an bis zu dem Tage eingetreten wäre, an dem die Klägerin Altersrente beantragt hätte. Eine derartige Aufforderung mit unmißverständlichem Hinweis auf die zu erwartenden Rechtsfolgen (vgl dazu etwa BSG SozR 1200 § 66 Nr 13) ist der Klägerin nicht erteilt worden.
Der Senat vermag in der Unterlassung der Rentenantragstellung durch die Klägerin keinen Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu erblicken. Anerkannt ist, daß die Gewährung von Alg nicht deshalb verweigert werden darf, weil der Arbeitslose durch Antragsrücknahme, Verzicht oder auf andere gesetzlich vorgesehene Weise bewirkt, daß ihm zuerkanntes Altersruhegeld nicht mehr ausgezahlt wird (BSGE 70, 51, 53 = SozR 3-4100 § 118 Nr 3). Keine anderen Maßstäbe dürfen eingreifen, wenn ein möglicher Rentenantrag erst gar nicht gestellt wird.
Die Klägerin hat sonach ihren Vog-Anspruch über Juni 1993 hinaus behalten.
Begründet ist die Revision der Beklagten jedoch, soweit die Klägerin der Zahlung von Vog über den 31. August 1995 hinaus beansprucht.
Weder der in Nr 5 Anl zum EinigVtr enthaltenen Maßgabe noch der Vog-VO ist eine eindeutige Aussage zur Höchstdauer des Vog zu entnehmen. Die in der erstgenannten Vorschrift enthaltene Maßgabe betrifft die Berechnung des von der Beklagten zu übernehmenden Vog. Die Vog-VO selbst beschränkt sich auf den Hinweis, daß Arbeiter und Angestellte bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab 5. Jahr vor Erreichen des Rentenalters (bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen) Anspruch auf Vog haben (§ 2 Abs 1 Vog-VO). Anspruch auf Altersrente hatten im Beitrittsgebiet (Art 3 EinigVtr), wie angesprochen, Frauen ab Vollendung des 60. Lebensjahres und Männer ab Vollendung des 65. Lebensjahres, soweit sie mindestens 15 Jahre eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt hatten (§ 3 Abs 1 Satz 1 Rentenverordnung). Die Zahlung der Altersrente begann mit dem Ersten des Kalendermonats, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch auf Rente erfüllt wurden, wenn der Antrag innerhalb von drei Jahren gestellt wurde (§ 66 Abs 1 Rentenverordnung). Nach Auffassung des Senats sollte der Anspruch auf Vog dem in Betracht kommenden Personenkreis keinesfalls zeitlich unbegrenzt zustehen. Dies könnte, da das Vog nicht selten höher als die Altersrente ist und die Vog-Bezugszeit der Rentenversicherungspflicht unterliegt (§ 3 Satz 1 Nr 4, § 229a Abs 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung –), dazu führen, daß Vog-Bezieher lange Zeit über das Regel-Rentenalter hinaus von der Stellung eines Rentenantrags absehen. Deshalb sieht der Senat in der Bestimmung über den frühestmöglichen Beginn des Vog-Anspruchs (§ 2 Abs 1 Vog-VO), im Begriff des Vog als einer “Vorruhestands”-Leistung sowie nicht zuletzt in Sinn und Zweck des Vog, die Zeitspanne zwischen Eintritt der Arbeitslosigkeit und Bezug der Altersrente nahtlos zu überbrücken, den hinreichend manifestierten Willen des Verordnungsgebers, daß Vog jedenfalls nicht über eine Anspruchshöchstdauer von insgesamt fünf Jahren hinaus, beginnend mit der Zahlung durch den früheren Arbeitgeber, erbracht werden sollte. Das entspricht der Regel-Dauer des Altersübergangsgeldes, das für vergleichbare ältere Arbeitnehmer ab 3. Oktober 1990 an die Stelle des Vog getreten ist (§ 249e Abs 3 Nr 1 AFG idF des AFG ua ÄndG vom 21. Juni 1991 – BGBl I 1306; vgl auch § 249 f Abs 1 AFG). Zudem fällt auf diese Weise kein Vorruheständler durch das Netz der sog sozialen Sicherheit. Denn der frühestmögliche Vog-Empfänger (1. Februar 1990) kann Vog bis zum 31. Januar 1995 erhalten. Es ist ihm zuzumuten, bis dahin einen Rentenantrag zu stellen.
Die Auslegung, die der Senat dem § 2 Abs 2 Satz 2 Vog-VO beimißt, unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie trägt insbesondere dem Umstand Rechnung, daß Frauen und Männer Vog gleich lang in Anspruch nehmen können (Art 3 Grundgesetz).
Sollte der Klägerin in der Zeit von Juli 1993 bis August 1995 Altersrente oder Invalidenrente (iS der Vog-VO) gewährt werden, entfällt die Leistungsverpflichtung der Beklagten. Dies bedarf keiner Betonung. Bereits die Vorinstanzen hatten darauf hingewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 911864 |
BSGE, 225 |
Breith. 1995, 374 |