Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungsrechtliche Beurteilung der Bezirksstellenleiter von Lottogesellschaften
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob Bezirksstellenleiter des Süd-Lotto München selbständig Tätige sind oder eine abhängige Beschäftigung ausüben.
Leitsatz (redaktionell)
1. Bezirksstellenleiter von staatlichen Lottounternehmen, die über das für ihre Bezirksstelle erforderliche Betriebskapital verfügen müssen bzw bei Übernahme einer Bezirksstelle nachzuweisen haben, ihre Bezirksstelle jederzeit (mit Zustimmung der Lotterieverwaltung) veräußern können und dem Unternehmen für Schäden durch Fehlverhalten der ihnen unterstellten Inhaber von Annahmestellen haften, tragen zu einem erheblichen Teil ein eigenes Betriebsrisiko und stehen deshalb nicht in einem die Sozialversicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis.
2. Ein Beschäftigungsverhältnis setzt voraus, daß der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer und Ort der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Das kann allerdings - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerechten dienenden Teilhabe am Arbeitsprozeß" verfeinert sein. Andererseits kennzeichnen vornehmlich das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit eine selbständige Tätigkeit.
3. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Daher sind alle Umstände des Falles zu berücksichtigen. Maßgebend hat stets das Gesamtbild der jeweiligen Arbeitsleistung unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zu sein.
4. An diesen Beurteilungsmerkmalen ändert sich auch für die Zeit ab 1.7.1977 aufgrund des SGB 4 § 7 Abs 1 vom 23.12.1976 (BGBl I 1976, 3845) nichts. Diese am 1.7.1977 nach SGB 4 Art 2 § 21 Abs 1 S 1 in Kraft getretene Vorschrift hebt, wie die Worte: "Beschäftigung ist nichtselbständige Arbeit" erkennen lassen, die bisherige Unterscheidung zwischen der nichtselbständigen Arbeit und der selbständigen Tätigkeit nicht auf.
Normenkette
AFG § 169 Nr. 1 S. 1 Fassung: 1969-06-25; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; SGB IV § 7 Abs. 1 Fassung: 1976-12-23
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. September 1974 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat den Beigeladenen zu 8), 13), 14), 16), 20), 21), 25), 26), 32), 36), 37), 39), 41) und 42) auch deren außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte als Einzugsstelle verpflichtet ist, Beiträge zur Arbeitslosenversicherung (ArblV) für die Beigeladenen zu 8), 13), 14), 16), 20), 21), 25), 26), 32), 36), 37), 39), 41) und 42) – im folgenden als Beigeladene zu 8 ff) bezeichnet – einzuziehen.
Der Freistaat Bayern – Beigeladener zu 1) – betreibt unter der Bezeichnung "Süd-Lotto" eine Staatliche Zahlenlotterie, die von der dazu beauftragten Staatlichen Lotterie-Verwaltung in M durchgeführt wird. Die Beigeladenen zu 8 ff) sind Bezirksstellenleiter des Süd-Lotto. Mit Ausnahme des Beigeladenen zu 14) sind die Bezirksstellenleiter des Süd-Lotto zugleich Inhaber einer Wett-Annahmestelle des Bayerischen Fußball-Toto. Jeder Inhaber einer Wett-Annahmestelle des Bayerischen Fußball-Toto steht in einem Vertragsverhältnis zum Freistaat Bayern, vertreten durch die Staatliche Lotterie-Verwaltung in München. Für die Bezirksstellenleiter des Süd-Lotto gilt die Allgemeine Geschäftsanweisung, in der die Einzelheiten der Geschäftsbeziehungen geregelt sind. Die Bezirksstellenleiter erhalten einen "Vorläufigen Geschäftsauftrag".
Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 30. Dezember 1970 vom Freistaat Bayern – Beigeladener zu 1) – für den Beigeladenen zu 8) sowie weitere, hier nicht mehr am Rechtsstreit beteiligte Bezirksstellenleiter ab 1. August 1968 Beiträge zur ArblV gefordert hatte, erklärte der Beigeladene zu 1) ua, er sehe die Bezirksstellenleiter nach wie vor als Selbständige an und bestreite deren Versicherungspflicht. Daraufhin hob die Beklagte mit den Bescheiden vom 3. November 1971 ihren Bescheid vom 30. Dezember 1970 auf; sie stellte ua fest, daß die Beigeladenen zu 8 ff) neben anderen hier nicht mehr Beteiligten ab 22. März 1971 nicht der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) unterliegen.
Auf die Klage der BA hob das Sozialgericht (SG) Nürnberg die Bescheide der Beklagten vom 3. November 1971 auf und verurteilte die Beklagte ua, Beiträge zur ArblV für den Beigeladenen zu 8) ab 1. Januar 1968 und für die Beigeladenen zu 13) bis 42) ab 22. März 1971 einzuziehen (Urteil vom 10. Oktober 1972). Auf die Berufungen des Beigeladenen zu 1) sowie der Beigeladenen zu 8 ff) hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 19. September 1974).
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 56 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) und der §§ 168 ff des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufungen des Beigeladenen zu 1) und der Beigeladenen zu 8 ff) gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte stellt keinen Antrag.
Der Beigeladene zu 1) und die Beigeladenen zu 8 ff) beantragen,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil nach § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des LSG ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Mit Recht hat das LSG, ohne daß es eines Vorverfahrens bedurfte (§ 81 Nr 3 SGG aF), die beigeladenen Bezirksstellenleiter des Süd-Lotto, die Beigeladenen zu 8 ff), für die streitige Zeit in der ArblV nicht für beitragspflichtig erklärt, weil sie selbständig tätig waren und sind. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Beschäftigungsverhältnis zugrunde gelegt. Auf diese Rechtsprechung, in der zwischen abhängig Beschäftigten und selbständig Tätigen unterschieden wird, durfte es zurückgreifen. Denn für die hier streitige Beitragspflicht nach § 56 Abs 1 Nr 2 AVAVG (1. Januar 1968 bis 30. Juni 1969), § 168 Abs 1 AFG sowie ab 1. Januar 1975 aufgrund des Art 2 § 4 des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter vom 7. Mai 1975 – BGBl I 1061 – nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG ist jedenfalls entscheidend, ob die Bezirksstellenleiter abhängig Beschäftigte oder selbständig Tätige waren oder sind.
Ein Beschäftigungsverhältnis setzt voraus, daß der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist (BSGE 20, 6, 8 = SozR Nr 41 zu § 165 RVO; 35, 20, 21 = SozR Nr 34 zu § 539 RVO; 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1; SozR Nrn 62, 68, 71, 72 zu § 165 RVO; SozR 2200 § 1227 Nr 4; Urteil des 12. Senats vom 16. Dezember 1976 – 12/3 RK 4/75 –, zur Veröffentlichung bestimmt). Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer und Ort der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt (BSGE 13, 196, 197, 201 f = SozR Nr 5 zu § 1 AVG aF; BSGE 35, 20, 21 = SozR Nr 34 zu § 539 RVO; SozR Nr 68 zu § 165 RVO; SozR 2200 § 1227 Nr 4). Das kann allerdings – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur "funktionsgerechten dienenden Teilhabe am Arbeitsprozeß" verfeinert sein (BSGE 16, 289, 294 = SozR Nr 30 zu § 165 RVO; SozR Nr 68 aaO; SozR 2200 § 1227 Nr 4).
Andererseits kennzeichnen vornehmlich das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit eine selbständige Tätigkeit (BSGE 13, 196, 201 = SozR Nr 5 zu § 1 AVG aF; 16, 289, 293 = SozR Nr 30 zu § 165 RVO; 35, 20, 21 = SozR Nr 34 zu § 539 RVO; 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1; SozR Nr 68 zu § 165 RVO; SozR Nr 7 zu § 2 AVG = SGb 1973, 274 mit Anm Bley; SozR 2200 § 1227 Nr 4; Urteil des 12. Senats vom 16. Dezember 1976 – 12/3 RK 4/75 –, zur Veröffentlichung bestimmt).
Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Daher sind alle Umstände des Falles zu berücksichtigen. Maßgebend hat stets das Gesamtbild der jeweiligen Arbeitsleistung unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zu sein (BSG SozR Nrn 8 und 51 zu § 65 RVO; BSG SozR Nrn 4 und 7 zu § 2 AVG). Bedeutsam können dabei auch vertragliche oder sonstige Vereinbarungen zwischen den Beteiligten sein. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben diese den Ausschlag (BSGE 35, 20, 21 = SozR Nr 34 zu § 539 RVO; BSGE 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1; SozR 2000 § 1227 Nr 4; Urteil des 12. Senats vom 16. Dezember 1976 – 12/3 RK 4/75 –, zur Veröffentlichung bestimmt).
An diesen Beurteilungsmerkmalen ändert sich auch für die Zeit ab 1. Juli 1977 aufgrund des § 7 Abs 1 der Gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs vom 23. Dezember 1976 (BGBl I 3845) – SGB IV – nichts. Diese am 1. Juli 1977 nach Art II § 21 Abs 1 Satz 1 SGB IV in Kraft getretene Vorschrift hebt, wie die Worte: "Beschäftigung ist nichtselbständige Arbeit" erkennen lassen, die bisherige Unterscheidung zwischen der nichtselbständigen Arbeit und der selbständigen Tätigkeit nicht auf.
Auf diese Unterscheidung ist, wie bisher, abzuheben. Ob und wie sich möglicherweise aus den Worten in § 7 Abs 1 SGB IV: "insbesondere in einem Arbeitsverhältnis" zusätzliche Gesichtspunkte für den Begriff der abhängigen Beschäftigung ergeben können, kann in diesem Zusammenhang offen bleiben.
Das LSG hat unangefochten und daher für das Revisionsgericht bindend festgestellt (§ 163 SGG), daß die tatsächliche Gestaltung der Beziehungen zwischen den Bezirksstellenleitern und der Staatlichen Lotterie-Verwaltung von der Allgemeinen Geschäftsanweisung für Bezirksstellenleiter nicht abweicht. Es hat ferner bindend festgestellt, daß ein Bezirksstellenleiter seine Bezirksstelle mit Zustimmung der Lotterie-Verwaltung an einen Dritten veräußern kann, und daß die Bezirksstelle nach dem Tode des Bezirksstellenleiters auf die gesetzlichen Erben übergeht. Die Allgemeine Geschäftsanweisung und die bezeichneten zusätzlichen Feststellungen durfte daher das Berufungsgericht zur Grundlage seiner Beurteilung machen.
Das LSG hat insbesondere den Bestimmungen der Allgemeinen Geschäftsanweisung ohne Rechtsirrtum entnommen, daß die Beigeladenen zu 8 ff) selbständig Tätige ohne Beitragspflicht zur ArblV sind. Zu Unrecht nimmt die Klägerin unter Hinweis auf frühere Entscheidungen des BSG zur Versicherungspflicht von Bezirksstellenleitern anderer Lotto- und Toto-Veranstaltungen (SozR Nr 39 zu § 537 RVO aF – Niedersächsische Fußball-Toto GmbH; BSGE 35, 20 = SozR Nr 34 zu § 539 RVO – Nordwest Lotto und Toto Hamburg; SozR Nr 10 zu § 2 AVG – Sport-Toto-GmbH Rheinland-Pfalz) an, auch diejenigen des Süd-Lotto seien als abhängig Beschäftigte und daher in der ArblV als beitragspflichtig anzusehen.
Der 2. Senat des BSG hat allerdings in seinem Urteil vom 31. Oktober 1972 – 2 RU 186/69 – (BSGE 35, 20 = SozR Nr 34 zu § 539 RVO) bei der Beurteilung der Rechtsverhältnisse zwischen dem Nordwest-Lotto und Toto Hamburg und deren Bezirksstellenleitern aufgrund der dort gültigen Allgemeinen Geschäftsanweisung für die Bezirksstellenleiter unter gleichzeitigem Hinweis auf sein vorangegangenes Urteil vom 9. Dezember 1964 – 2 RU 196/62 – (SozR Nr 39 zu § 537 RVO aF) eine Anzahl tatsächlicher Merkmale für eine abhängige Beschäftigung festgestellt. Es sind dies: Die Weisung an die Bezirksstellenleiter, keinen Beruf auszuüben, der sie örtlich und zeitlich von ihrer Tätigkeit als Inhaber einer Bezirksstelle abhält (BSGE 35, 20, 23); die Verpflichtung, ihren Wohnsitz und ständigen Aufenthalt in Hamburg zu haben, damit sie die Geschäfte der Bezirksstelle persönlich führen können (BSG 35, 23, 25); die Verpflichtung, für den Fall der Verhinderung einen Vertreter mit Zustimmung des Lotto-Veranstalters zu bestellen (BSG 35, 23, 25); die bis ins einzelne geregelte Durchführung des Wettgeschäfts (BSG 35, 24, 27, 28); die Bezirksstellenleiter haben die Wetteinnehmer termingerecht mit dem notwendigen Geschäftsmaterial zu versorgen; sie sind als Verbindungsleute für den technischen Ablauf des Wettgeschäfts verantwortlich (BSG 35, 24); Umfang, Zeitpunkt, Weg und Art der Zuleitung des Materials und der Wettunterlagen sind genau festgelegt (BSG 35, 24); die Bezirksstellenleiter haben den Ausbau der Vertriebsorganisation zu fördern und geeignete Annahmestellenleiter in ihren Bezirken vorzuschlagen, ohne daß sie auf die Verträge mit den Annahmestellenleitern unmittelbar Einfluß nehmen können, wenngleich sie gehört werden müssen (BSG 35, 24); die Bezirksstellenleiter wirken am Abschluß der Wettverträge nicht mit (BSG 35, 24); die Bezirksstellenleiter unterliegen einer umfassenden Prüfung (BSG aaO); der Lotto-Veranstalter ist berechtigt, die Bezirksgrenzen neu festzusetzen (BSG aaO); das Geschäftsverhältnis der Bezirksstellenleiter steht unter dem Vorbehalt des Lotto-Veranstalters, jederzeit die Allgemeine Geschäftsanweisung für die Bezirksstellenleiter sowie die Verfügungen, Anordnungen und sonstigen die Tätigkeit der Bezirksstellenleiter betreffenden Weisungen mit sofortiger Wirkung zu ändern (BSG aaO); für einen Urlaub von mehr als zwei Wochen haben die Bezirksstellenleiter die Einwilligung des Lotto-Veranstalters einzuholen (BSG 35, 25); die Bezirksstellenleiter haben die Namen und Anschriften ihrer Hilfskräfte dem Lotto-Veranstalter auf Verlangen mitzuteilen (BSG aaO); die Bezirksstellenleiter dürfen ohne Genehmigung nicht für andere Lotterie- oder Wettveranstaltungen tätig werden (BSG aaO). Der 2. Senat des BSG hat über diese Merkmale einer abhängigen Beschäftigung hinaus dem Umstand kein entscheidendes Gewicht im Hinblick auf eine selbständige Tätigkeit beigemessen, daß die Bezirksstellenleiter ihre tägliche Arbeitszeit im allgemeinen selbst bestimmen können, weil wegen der Natur des Lottospiels die Bezirksstellenleiter einen wesentlichen Teil ihrer Aufgaben unmittelbar vor oder nach Wettannahmeschluß durchführen müssen und sie daher insoweit nicht wirklich frei in der Bestimmung der Arbeitszeit sein können (BSG 35, 26). Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 17. Mai 1973 – 12 RK 9/72 – (SozR Nr 10 zu § 2 AVG) bei der Beurteilung des Rechtsverhältnisses der Bezirksstellenleiter der Sport-Toto-GmbH Rheinland-Pfalz im Anschluß an die beiden Urteile des 2. Senats vom 9. Dezember 1964 und 31. Oktober 1972 aufgrund gleicher Merkmale ebenfalls eine abhängige Beschäftigung der dortigen Bezirksstellenleiter angenommen.
Auch die hier zu beurteilende Allgemeine Geschäftsanweisung für die Bezirksstellenleiter des Süd-Lotto enthält Regelungen, die denjenigen der Niedersächsischen Fußball-Toto GmbH, des Nordwest Lotto und Toto Hamburg und der Sport-Toto GmbH Rheinland-Pfalz gleichen. Das gilt insbesondere für die in § 2 der Allgemeinen Geschäftsanweisung im einzelnen beschriebenen Obliegenheiten der Bezirksstellenleiter. Der Bezirksstellenleiter ist verpflichtet, die Inhaber der Annahmestellen in ihre Aufgaben einzuweisen, laufend zu beraten und ihren gesamten Geschäftsbetrieb zu beaufsichtigen (§ 2 Abs 1 Satz 3). Insbesondere hat er darauf zu achten – auch durch regelmäßige Besuche –, daß die amtlichen Spielbedingungen des Süd-Lotto, die Allgemeine Geschäftsanweisung für die Annahmestellen sowie die Besondere Geschäftsanweisung einwandfrei eingehalten werden (§ 2 Abs 1 Sätze 4, 5). Dem Bezirksstellenleiter obliegt es, die Annahmestellen seines Bezirks rechtzeitig und ausreichend mit Lottoscheinvordrucken, Nummernbanderolen, Formblättern, Werbematerialien usw sowie mit etwa benötigten Geldern zur Auszahlung von Spielgewinnen zu versorgen (§ 2 Abs 2 Satz 1). Er ist verpflichtet, sich über die bei den Annahmestellen seines Bezirks vorhandenen Bestände laufend zu unterrichten und seinen Bedarf beim Süd-Lotto oder der von diesem bestimmten Stelle anzumelden (aaO, Satz 2). Weitere Arbeitsanweisungen sind in § 2 Abs 2 Satz 4, Abs 3, Abs 4 Sätze 2 und 3 der Allgemeinen Geschäftsanweisung enthalten. Der Bezirksstellenleiter hat die Pflicht zur Werbung (§ 2 Abs 5), zur persönlichen Führung der Geschäfte und zur Vertreterbestellung und -benennung (§ 2 Abs 7 Sätze 1 bis 3), zur Einholung der vorherigen Zustimmung bei Verhinderung von mehr als zwei Wochen und zur Anzeige der Verhinderung im Krankheitsfall (§ 2 Abs 7 Satz 4). Der Bezirksstellenleiter, der die in § 4 Abs 2 genau umschriebenen persönlichen Voraussetzungen zu erfüllen hat, unterliegt dem Prüfungsrecht des Veranstalters (§ 2 Abs 8 Satz 1).
Würden die vorgenannten Merkmale einer abhängigen Beschäftigung dem Gesamtbild des Rechtsverhältnisses zwischen dem Süd-Lotto und seinen Bezirksstellenleitern und nicht solche einer selbständigen Tätigkeit das Gepräge geben, wie dies der 2. Senat (SozR Nr 39 zu § 537 RVO aF, insbesondere Bl Aa 40 ff; BSGE 35, 20, 25 f) und der erkennende Senat (SozR Nr 10 zu § 2 AVG, insbesondere Bl Aa 14 ff) in den drei entschiedenen Fällen von Lotto- und Toto-Veranstaltungen unter Verneinung eines wesentlichen Geschäftsrisikos angenommen haben, müßte die Beitragspflicht der hier zu beurteilenden Bezirksstellenleiter zur ArblV festgestellt werden. Im Unterschied zu den erwähnten drei Fällen stellt sich hier jedoch ein anderes Gesamtbild dar. Den festgestellten Merkmalen einer abhängigen Beschäftigung treten nämlich solche einer selbständigen Tätigkeit gegenüber, die in den drei erwähnten Fällen fehlten. Gerade diese Merkmale einer selbständigen Tätigkeit geben dem Gesamtbild des Rechtsverhältnisses des Süd-Lotto zu seinen Bezirksstellenleitern in entscheidendem Umfang das Gepräge: § 4 Abs 2 Satz 3 der Allgemeinen Geschäftsanweisung für Bezirksstellenleiter des Süd-Lotto verlangt: "Seine Vermögensverhältnisse müssen geordnet sein, insbesondere muß er über das für seine Bezirksstelle erforderliche Betriebskapital verfügen." Während die Forderung nach geordneten Vermögensverhältnissen ebenso wie diejenige der vorangehenden beiden Sätze daß der Bezirksstellenleiter deutscher Staatsangehöriger, volljährig sein und einen tadellosen persönlichen Leumund besitzen muß, auch bei der Beschäftigung eines Arbeitnehmers nichts außergewöhnliches sind, gilt das nicht mehr für die weitere Bestimmung, daß der Bezirksstellenleiter über das für seine Bezirksstelle erforderliche Betriebskapital verfügen muß Der Einsatz eigenen Kapitals ist für eine selbständige Tätigkeit typisch. Abgesehen davon, daß die Regelung über das Vorhandensein von Betriebskapital zwingend ist, wie die Wortwahl "muß" zeigt, ist jeder Möglichkeit, diese Tätigkeitsvoraussetzung zu umgehen, dadurch der Boden entzogen worden, daß der "Bewerber", also derjenige, der noch keine Bezirksstelle hat, "das erforderliche Betriebsvermögen ... nachzuweisen" hat (§ 4 Abs 2 Satz 7). Der Bezirksstellenleiter hat also vor der Übernahme einer Bezirksstelle einen eigenen wirtschaftlichen Einsatz zu leisten (anders bei Nord-West-Lotto und Toto Hamburg: BSGE 35, 20, 25).
Der so vermittelte Eindruck einer selbständigen Tätigkeit wird durch die Bürgschaftsanordnung und Haftungsübernahme des § 4 Abs 4 verstärkt. Dort heißt es:
"Der Unterzeichnete übernimmt in seiner Eigenschaft als Bezirksstellenleiter des Süd-Lottos gegenüber diesem die selbstschuldnerische Bürgschaft für die Befriedigung sämtlicher Forderungen des Süd-Lottos gegen die Inhaber von Annahmestellen seines Bezirkes aus nichtordnungsgemäßer Ablieferung der Spieleinsätze und Lottoscheine, nichtordnungsgemäßer Auszahlung der Spielgewinne an die Gewinner, nichtordnungsgemäßer Rückführung nichtausgezahlter Spielgewinne an das Süd-Lotto sowie aus dem Fehlen von Nummern-Banderolen. Dasselbe gilt für die einem Dritten durch die Annahmestelle zugefügten Schäden, für welche das Süd-Lotto dem Dritten haftet."
Die hier getroffenen Regelungen passen nicht in das Bild eines Arbeitnehmers. Allerdings haftet der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber unter bestimmten – hier nicht zu erörternden – Voraussetzungen für die Folgen von Nicht- und Schlechterfüllung der Arbeitspflicht (vgl Beuthien, ZfA 1972, 73; JuS 1971, 478; RdA 1972, 20; Lieb, Schwerpunkte, Arbeitsrecht, 1975, S 18 ff mit Nachweisen). Jedoch unterscheidet sich § 4 der Allgemeinen Geschäftsanweisung von einer derartigen Haftung wesentlich. Denn dort wird innerhalb des Rechtsverhältnisses zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer gehaftet. Abgesehen davon, daß die mit dem Verzicht der Vorausklage verbundene strenge Bürgschaftsform der selbstschuldnerischen Bürgschaft (§ 773 Abs 1 Nr 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) zwischen der Staatlichen Lotterie-Verwaltung und dem Bezirksstellenleiter vereinbart ist, wird der Haftungsrahmen beträchtlich ausgeweitet, indem dem Bezirksstellenleiter die weitreichende Bürgschaftshaftung eines selbstschuldnerischen Bürgen für mannigfaches Fehlverhalten von Dritten, nämlich von Inhabern von Annahmestellen, aufgebürdet wird. Die Bürgschaftshaftung ist umfassend. Sie schließt ein die Befriedigung sämtlicher Forderungen des Süd-Lotto gegen die Inhaber von Annahmestellen im Bezirk des Bezirksstellenleiters aus nichtordnungsmäßiger Ablieferung der Spieleinsätze und Lottoscheine, nichtordnungsgemäßer Auszahlung der Spielgewinne an die Gewinner, nichtordnungsgemäßer Rückführung nichtausgezahlter Spielgewinne an das Süd-Lotto sowie aus dem Fehlen von Nummern-Banderolen und die einem Dritten durch die Annahmestelle zugefügten Schäden, für welche das Süd-Lotto dem Dritten haftet. Die Haftung setzt also kein eigenes Verschulden des Bezirksstellenleiters voraus.
Der Sache nach folgt aus der Bürgschafts- und Haftungsregelung des § 4 der Allgemeinen Geschäftsanweisung, daß der Bezirksstellenleiter ein beträchtliches Geschäftsrisiko trägt. Diese Regelung ist nach Inhalt und Umfang nicht mit einer vertraglich ausbedungenen Konventionalstrafe bei schuldhafter Vertragsverletzung zu vergleichen, die als noch mit einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis vereinbar hingenommen werden kann (so § 9 des Vertrags der Sport-Toto-GmbH Rheinland-Pfalz: Urteil des erkennenden Senats vom 17. Mai 1973 – 12 RK 9/72 – SozR Nr 10 zu § 2 AVG, Bl Aa 15).
Die Klägerin möchte die Selbständigkeit der Bezirksstellenleiter deshalb verneinen, weil nach § 5 Abs 2 der Allgemeinen Geschäftsanweisung der Geschäftsauftrag mit Ablauf des Tages erlischt, an welchem der Bezirksstellenleiter verstirbt. Die Übernahme der Bezirksstelle im Todesfalle durch einen Erben, wie dies bei selbständigen Unternehmern üblich sei, vermißt sie. Der Klägerin kann hierzu zugegeben werden, daß die Allgemeine Geschäftsanweisung einen Geschäftsübergang auf Erben nicht kennt. Sie übersieht indes die in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 19. September 1974 abgegebenen Erklärungen des Vertreters des Beigeladenen zu 1), denen sie nicht widersprochen hat. Danach hat sich der Freistaat Bayern im Falle des Todes eines Bezirksstellenleiters verpflichtet, die Bezirksstelle auf den gesetzlichen Erben zu übertragen; er hat diese Verpflichtung zumindest – vom Tage der mündlichen Verhandlung vor dem LSG an gerechnet – in den letzten 10 Jahren auch erfüllt. Außerdem ist es möglich, daß ein Bezirksstellenleiter mit – stets erteilter – Zustimmung der Staatlichen Lotterie-Verwaltung die Bezirksstelle an einen Dritten veräußern kann. Gerade diese vom LSG bindend festgestellte (§ 163 SGG) gefestigte Übung im Erb- und Veräußerungsfall spricht ebenfalls dafür, daß die Bezirksstellenleiter selbständig tätig waren und sind.
Der Senat sieht auch keinen Anlaß, der Anregung zu folgen, durch Vorlegungsbeschluß zu der Rechtsfrage, ob Bezirksstellenleiter des Süd-Lotto abhängig Beschäftigte oder Selbständige sind, die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach §§ 11, 1 ff des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (BGBl I 661) herbeizuführen. Eine solche Vorlage würde nur zulässig sein, wenn der erkennende Senat in einer Rechtsfrage von einer Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen wollte (§ 2 Abs 1 des Gesetzes). Da andere oberste Gerichtshöfe des Bundes Bezirks- und Annahmestellenleiter von Lotto- und Toto-Veranstaltungen als Selbständige behandelt haben (zB BFHE BStBl 1968 II 718: Bremer Toto- und Lotto-GmbH – Gewerbesteuer; BFHE 90, 193 = BStBl II 1968, 193: Nordwest Lotto und Toto Hamburg – Umsatzsteuer; BFHE 90, 201 = BStBl II 1968 244: Niedersächsische Fußball-Toto GmbH und Niedersächsische Zahlen-Lotto GmbH – Umsatzsteuer; BFHE 89, 49: Staatliche Sport-Wetten GmbH Hessen und Staatliches Zahlen-Lotto GmbH Hessen – Umsatzsteuer; BGHZ 43, 108: Lotto-Annahmestelle in Berlin – selbständige Handelsvertreter), würde eine Vorlage voraussetzen, daß der erkennende Senat die Selbständigkeit der Bezirksstellenleiter des Süd-Lotto verneint hätte. Gerade das Gegenteil ist aber der Fall.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 662682 |
BSGE, 199 |