Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 26.11.1985)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. November 1985 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU).

Der 1931 geborene Kläger erlernte bis 1952 den Beruf des Schreiners. Ab 1953 war er zunächst als Abfüller im Hofbräuhaus T. … beschäftigt. Nach Teilnahme an einem achtwöchigen Fachkursus für Mineralwasser- und Limonadenfabrikation am Institut für Gärungsgewerbe und Stärkefabrikation in B. im Jahre 1959 war er seit 1963 als Abfüllmeister im Angestelltenverhältnis tätig. Diese Tätigkeit war zuletzt in die Gehaltsgruppe VI („Ausführung von Tätigkeiten, die eine abgeschlossene Berufsausbildung sowie Spezialkenntnisse erfordern”) des maßgeblichen Tarifvertrages eingestuft. Dem Kläger unterstanden sechs ungelernte Abfüllkräfte.

Ab 15. August 1980 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Nach Beendigung seines Angestelltenverhältnisses mit dem Hofbräuhaus T. war er vom 8. Mai bis 31. August 1982 bei der Stadt T. als Arbeiter im Schwimmbad bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 13 Stunden und Entlohnung nach Lohngruppe II des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMTG II) beschäftigt. Seit dem 1. September 1982 ist er beim Stadtkrankenhaus T. im Fernsprechdienst und an der Pforte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden angestellt. Er erhielt zunächst Bezüge nach der Vergütungsgruppe (VG) IX des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT). 1984 erfolgte eine Höherstufung in die VG VIII.

Den Antrag des Klägers vom 18. Dezember 1980 auf Gewährung einer Versichertenrente wegen BU oder wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Mai 1981 ab, weil der Kläger nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen noch vollschichtig in seinem bisherigen Beruf tätig sein könne. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 17. September 1982).

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) München die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, beim Kläger ab Dezember 1980 das Vorliegen von BU anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen ab Januar 1981 zu gewähren (Urteil vom 11. April 1984). Auf die Berufung der Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 26. November 1985). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:

Der Kläger sei nicht berufsunfähig. Allerdings könne er nach den vom SG eingeholten ärztlichen Gutachten mit seinem eingeschränkten gesundheitlichen Leistungsvermögen den Beruf des Abfüllmeisters nicht mehr in einem Umfange ausüben, daß er die Hälfte des Gehaltes einer gesunden Vergleichsperson verdienen könnte. Bei dem Beruf des Abfüllmeisters handele es sich um eine Tätigkeit, welche nach dem in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelten und auch für Angestellte geltenden Drei-Stufen-Schema (ungelernt, angelernt, gelernt) in die obere Gruppe einzustufen sei. Zwar habe der Kläger für diese Tätigkeit eine dreijährige Ausbildung nicht benötigt. Sie sei allenfalls innerbetrieblich erfolgt und der achtwöchige Kurs am Institut für Gärungsgewerbe und Stärkefabrikation einer dreijährigen Ausbildung nicht gleichzusetzen. Aber eine Tätigkeit sei auch in der Angestelltenversicherung (AV) dann als „gelernt” einzustufen, wenn der Versicherte zwar eine dreijährige Ausbildung nicht durchlaufen habe, jedoch aufgrund seiner Fachkenntnisse eine Tätigkeit mit gleichem Wert ausübe, oder wenn ein von ihm ausgeübter Beruf, der keine oder eine geringere Ausbildung erfordere, so viele Qualitätsmerkmale aufweise, daß die Gleichstellung mit einem (höherwertigen) Ausbildungsberuf geboten sei. Letzteres treffe nach der wegen der Bedeutung für den Betrieb hohen tariflichen Einstufung und nach den vom Kläger erfüllten Tätigkeitsmerkmalen für die von ihm ausgeübte Tätigkeit des Abfüllmeisters zu. Dennoch sei er nicht berufsunfähig. Er müsse sich auf die derzeit verrichtete Tätigkeit eines Pförtners am Stadtkrankenhaus T. zumutbar verweisen lassen. Der Kläger, der nicht der Gruppe der „Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion” zuzurechnen sei, sondern lediglich den Berufsschutz eines gelernten Angestellten genieße, könne auf eine in die Gruppe der Anlernberufe einzustufende Tätigkeit verwiesen werden. Die Tätigkeit eines Pförtners am Stadtkrankenhaus T. sei eine Anlerntätigkeit. Zwar habe die Einarbeitungszeit nur zwei Monate betragen. Aber nach der von der Krankenhausverwaltung gegebenen Tätigkeitsbeschreibung handele es sich iS der Rechtsprechung des BSG nicht um eine einfache Pförtnertätigkeit, sondern um eine gehobene Position. Dem Kläger obliege auch die Fernsprechvermittlung mit je zehn nach außen gehenden und von außen kommenden Amtsanschlüssen und 450 Nebenstellen. Er sei in nicht unerheblichem Umfange mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt und benötige für den Umgang mit dem Publikum gewisse Umgangsformen. Die Tätigkeit sei nicht in VG X mit Bewährungsaufstieg nach VG IX b, sondern in VG VIII BAT eingestuft, was vom BSG als Beispiel für die Einstufung einer gehobenen Pförtnertätigkeit angesehen worden sei und der Bedeutung der Tätigkeit des Klägers entspreche. Der Kläger werde allerdings erst seit Anfang 1984 nach VG VIII bezahlt und sei vorher in die VG IX eingestuft gewesen. Da es jedoch einen „Bewährungsaufstieg” von VG IX nach VG VIII nicht mehr gebe, könne es sich bei der Höherstufung nur um einen qualifizierten Aufstieg gehandelt haben, so daß der Kläger auch schon vor Einstufung in die VG VIII die Tätigkeitsmerkmale dieser VG erfüllt gehabt habe. Er habe auch die bei einer Tätigkeit der VG VIII vorausgesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten erworben. Die Tätigkeit am Stadtkrankenhaus T. sei ihm auch nach seinen gesundheitlichen Verhältnissen zumutbar. In der Zeit vor dem 1. September 1982 sei er ebenfalls nicht berufsunfähig gewesen. Zwar sei ihm die damals verrichtete Halbtagstätigkeit als Arbeiter im Schwimmbad nicht zumutbar gewesen. Aber er hätte bereits seit Rentenantragstellung eine der jetzigen vergleichbare Tätigkeit verrichten können, welche nur eine zweimonatige Anlernzeit erfordert habe. Daß eine solche Stelle damals möglicherweise nicht frei gewesen sei, sei ein Problem der Arbeitsvermittlung.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzungen der § 23 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und § 128 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Mit dem Berufsschutz eines gelernten Angestellten könne er nicht auf andere Tätigkeiten zumutbar verwiesen werden. Die Frage der Verweisbarkeit sei im Spiegel der Qualität des bisherigen Berufes zu sehen und für letztere wiederum die tarifliche Einstufung der bisher ausgeübten Berufstätigkeit zu berücksichtigen. Die Merkmale seiner (des Klägers) Tätigkeit als Abfüllmeister seien Anlaß für die Einstufung in die Gehaltsgruppe VI gewesen. Diese unterscheide sich deutlich von der Gehaltsgruppe V. Insbesondere die in Gehaltsgruppe VI ausgewiesene Berufsbezeichnung des Vorarbeiters bringe klar zum Ausdruck, daß dessen Tätigkeitsmerkmale in der Überwachungsfunktion gegenüber Facharbeitern sich von dem in Gehaltsgruppe V wiedergegebenen Tätigkeitsfeld abhöben. Entgegen der Ansicht des LSG sei es nur von sekundärer Bedeutung, ob die ihm (Kläger) unterstellten Arbeiter Facharbeiter gewesen seien oder nicht. Ausschlaggebend sei nicht allein der Verantwortungsbereich hinsichtlich des unterstellten Personals, sondern der gesamte, den Arbeitsprozeß gestaltende Betriebsablauf. Das LSG habe auch verkannt, daß nicht seine (des Klägers) Einstufung in die Gehaltsgruppe VI als solche, sondern lediglich die Gewährung einer übertariflichen Zulage Ausdruck der langjährigen Zugehörigkeit zum Betrieb gewesen und damit die Einstufung in die Gehaltsgruppe VI allein Nachweis einer Qualifikation sei. Neben Dauer und Umfang der Ausbildung eines Versicherten müßten auch seine umfassenden Fähigkeiten im bisherigen Beruf und die darin erfüllten besonderen Voraussetzungen bei der Bestimmung zumutbarer Verweisungstätigkeiten Beachtung finden. Außerhalb eines klassischen beruflichen Ausbildungsganges durch die Länge der Berufsausübung in Verbindung mit den Fähigkeiten des Versicherten erworbenes Wissen dürfe bei der Beurteilung der für das Vorliegen einer BU erforderlichen Voraussetzungen nicht unbeachtet bleiben. Wissen und Fähigkeiten müßten in die Gesamtbeurteilung einbezogen werden. Die Qualifikationsmerkmale seines (des Klägers) bisherigen Berufes erlaubten nicht die Verweisung auf die Tätigkeit des Pförtners. Ein Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion seines Qualifikationsbildes und mit Einstufung in die Gehaltsgruppe VI könne nicht zumutbar auf Tätigkeiten in den untersten Gruppen des die Besoldung im öffentlichen Dienst regelnden BAT verwiesen werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. November 1985 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11. April 1984 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen;

hilfsweise: das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. November 1985 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Sie ist der Meinung, der bisherige Beruf des Klägers könne allenfalls in die Gruppe der angelernten Angestellten eingestuft werden. Bei der Zuordnung zu den Berufsgruppen könne nicht auf die Ausbildung als Qualifizierungsmaßstab völlig verzichtet und allein die tarifliche Einstufung zugrundegelegt werden. Letztere sei zwar zuverlässiges Indiz und wertvolles Hilfsmittel, aber nicht für sich allein bestimmendes Wesensmerkmal. Das LSG habe zu Unrecht den bisherigen Beruf des Klägers demjenigen eines Angestellten mit dreijähriger Berufsausbildung gleichgestellt. Es sei nicht nachgewiesen und vom LSG nicht aufgeklärt worden, ob der Kläger über entsprechende Fachkenntnisse verfügt, seine Tätigkeit die erforderlichen Qualitätsmerkmale aufgewiesen habe und er somit im Vergleich zu anderen Versicherten derselben Berufsgruppe wettbewerbsfähig gewesen sei. Im übrigen habe das LSG – ausgehend von der Einstufung des Hauptberufes des Klägers in die höchste Berufsgruppe der bis zur Beitragsbemessungsgrenze verdienenden Angestellten – die für die Klassifizierung des Verweisungsberufes erforderlichen Merkmale richtig bewertet und zu Recht die Pförtnertätigkeit als dem Kläger zumutbar erachtet.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) erteilt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Ihm steht ein Anspruch auf BU-Rente nicht zu.

Rechtsgrundlage des vom Kläger erhobenen Anspruchs ist § 23 AVG in seiner bis zum 31. Dezember 1983 geltenden und hier noch anwendbaren Fassung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I S 88). Danach erhält Rente wegen Berufsunfähigkeit der Versicherte, der berufsunfähig ist, wenn die Wartezeit erfüllt ist (Abs. 1). Berufsunfähig ist ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist (Abs. 2 Satz 1). Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Abs. 2 Satz 2).

Nach ständiger Rechtsprechung der für Angelegenheiten der Arbeiterrentenversicherung (ArV) zuständigen oder zuständig gewesenen Senate des BSG ist bei der Frage, ob ein Versicherter berufsunfähig ist, von seinem „bisherigen Beruf” auszugehen. Das gilt sowohl für die Frage, ob der Versicherte seine bisherige Berufstätigkeit weiterhin ausüben oder lediglich aus anderen als den in § 1246 Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aufgeführten gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann und bereits dadurch die Annahme von BU ausgeschlossen ist, als auch dann, wenn er die bisherige Berufstätigkeit gesundheitsbedingt nicht mehr ausüben kann und deswegen eine Verweisung auf andere Tätigkeiten in Betracht kommt. In letzterem Falle ist der bisherige Beruf im Rahmen des § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO von entscheidender Bedeutung für die Bestimmung desjenigen Kreises der Tätigkeiten, auf die der Versicherte unter Verneinung von BU zumutbar verwiesen werden kann. Dabei bestimmt sich der Kreis der zumutbaren Tätigkeiten hauptsächlich nach dem qualitativen Wert des bisherigen Berufes des Versicherten im Betrieb. Dieser qualitative Wert spiegelt sich relativ zuverlässig in der tariflichen Einstufung der jeweiligen Tätigkeit wider. Sie ist daher ein – wenn auch nicht notwendigerweise das einzige – geeignetes Hilfsmittel zur Feststellung der Qualität des bisherigen Berufes und damit zugleich zur Bestimmung des Kreises der beruflich zumutbaren Verweisungstätigkeiten. Dabei lassen sich in der Arbeitswelt auf der Grundlage der tariflichen Bewertung mehrere Gruppen von Arbeiterberufen auffinden, welche durch verschiedene „Leitberufe” charakterisiert werden. Das sind die Leitberufe des „Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion” bzw des „besonders hoch qualifizierten Facharbeiters”, des „Facharbeiters” (anerkannte Ausbildungsberufe mit einer Ausbildungszeit von mindestens zwei Jahren), des „angelernten Arbeiters” (sonstige Ausbildungsberufe mit einer Regelausbildungszeit von weniger als zwei Jahren) und des „ungelernten Arbeiters”. Grundsätzlich darf der Versicherte lediglich auf Tätigkeiten der jeweils niedrigeren Gruppe verwiesen werden, soweit sie ihn weder nach seinem beruflichen Können und Wissen noch hinsichtlich seiner gesundheitlichen Kräfte überfordern (so der erkennende Senat zuletzt in BSGE 55, 45, 46 f = SozR 2200 § 1246 Nr. 107 S 334; zum sogen „Vierstufenschema” vgl. im übrigen etwa BSG SozR aaO Nr. 138 S 444 und Nr. 140 S 453 mit umfangreichen Nachweisen).

Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 4. Oktober 1979 (BSGE 49, 54, 56 = SozR aaO Nr. 51 S 155 f) ausgesprochen hat, ist auch in der AV die tarifvertragliche Einstufung eines Berufes ein geeignetes Hilfsmittel zur Bestimmung der Qualität des „bisherigen Berufes” und damit zugleich der Breite der nach § 23 Abs. 2 Satz 2 AVG zumutbaren Verweisung des Versicherten auf eine andere Berufstätigkeit. Hingegen läßt sich das für die ArV entwickelte Vierstufenschema auf Angestelltenberufe wegen Fehlens einer der für Arbeiterberufe typischen Grundstruktur nicht übertragen. Andererseits hat es der Senat im Hinblick auf die übereinstimmende Formulierung des Begriffs der BU für alle Zweige der gesetzlichen Rentenversicherung mit Einschluß der Knappschaftsversicherung wegen der in allen drei Versicherungszweigen für die Begrenzung des Kreises zumutbarer Verweisungstätigkeiten gleichermaßen entscheidenden sozialen Schutzbedürftigkeit der Versicherten und im Interesse einer für die Massenverwaltung sinnvollen Anwendbarkeit des Begriffs der BU unter Wahrung der Ansprüche an Rechtssicherheit und gleichmäßige Sachbehandlung für zulässig und geboten erachtet, auch in der AV den Begriff der BU unter möglichst weitgehender Heranziehung der für die ArV maßgebenden rechtlichen Kriterien auszulegen und zu definieren. Demzufolge sind auch in der AV jedenfalls bei Pflichtversicherten Ausgangspunkt für die Frage der BU der bisherige Beruf des Versicherten und geeignetes Hilfsmittel für die qualitative Bewertung dieses bisherigen Berufes dessen tarifvertragliche Einstufung. Überdies lassen sich die tarifvertraglich erfaßten Angestelltentätigkeiten mit einem Bruttoarbeitsentgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze jedenfalls dahingehend schematisieren, daß sich – ausgehend von der geringsten Qualifikation – drei Gruppen mit den Leitberufen des „unausgebildeten Angestellten”, des Angestellten mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren und des Angestellten mit einer längeren Ausbildung bilden lassen. Dieses Schema ist aber nicht erschöpfend. Es erfaßt nicht diejenigen Angestelltenberufe, für die über eine längere (durchschnittlich dreijährige) Ausbildung hinaus zusätzliche Zugangsvoraussetzungen wie etwa die Ablegung einer Meisterprüfung, der erfolgreiche Besuch einer Fachschule oder das abgeschlossene Studium an einer Fach- oder wissenschaftlichen Hochschule erforderlich sind (vgl. zu alledem BSGE 55, 45, 47 ff = SozR 2200 § 1246 Nr. 107 S 334 ff). Diesen Ausführungen hat der 11. Senat des BSG im wesentlichen und mit der ausdrücklichen Ergänzung zugestimmt, daß in die beiden oberen Gruppen auch Angestellte einzuordnen seien, die nicht die erforderliche Berufsausbildung besäßen, jedoch eine Tätigkeit mit gleichem Wert ausübten (gleichgestellte Tätigkeiten). Dies treffe zu, wenn sie eine Tätigkeit, die an sich eine bestimmte Berufsausbildung erfordere, auch ohne diese „vollwertig”, dh im Besitz des dafür erforderlichen Wissens und Könnens, ausübten oder wenn ein von ihnen ausgeübter Beruf, der keine (oder eine geringere) Ausbildung erfordere, so viele Qualitätsmerkmale aufweise, daß die Gleichstellung mit einem (oder einem höherwertigen) Ausbildungsberuf geboten sei (vgl. BSGE 57, 291, 297 ff = SozR 2200 § 1246 Nr. 126 S 401 ff). Auch der 5a-Senat des BSG hat sich der Rechtsprechung des erkennenden Senats angeschlossen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 114 S 363) und in Fortentwicklung dieser Rechtsprechung anhand des Gehaltsgruppenverzeichnisses zum Manteltarifvertrag für die Angestellten des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus bestätigt, was der erkennende Senat in seinem Urteil vom 24. März 1983 bezüglich möglicher Unterscheidungskriterien für Angestellte angedeutet hat, die über eine längere Ausbildung hinaus zusätzliche Zugangsvoraussetzungen für die Ausübung ihres Berufes erfüllen müssen (vgl. BSGE 59, 249, 251 = SozR 2600 § 46 Nr. 18 S 41).

Der vorliegende Fall bietet keine Veranlassung, letztere Erwägungen aufzugreifen und zu vertiefen. Der vom Kläger bisher ausgeübte Beruf des „Abfüllmeisters” kann lediglich der Gruppe der Angestelltenberufe mit dem Leitberuf des Angestellten mit einer längeren als zweijährigen Ausbildung zugeordnet werden. Die Meinung der Revision, der bisherige Beruf des Klägers müsse in eine Gruppe mit einem Leitberuf eingeordnet werden, dem im Bereich der ArV der Leitberuf des „Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion” (hierzu grundlegend BSGE 43, 243, 246 = SozR 2200 § 1246 Nr. 16 S 49 f) bzw des „besonders hoch qualifizierten Facharbeiters” (grundlegend BSGE 45, 276, 278 = SozR aaO Nr. 27 S 78 f) entspreche, teilt der Senat nicht.

Ob die Bildung einer solchen Gruppe auch innerhalb der Angestelltenberufe möglich und geboten ist, läßt der Senat ausdrücklich offen. Eine Entscheidung darüber wäre nur dann veranlaßt, wenn die qualitativen Merkmale des bisherigen Berufes des Klägers die Einordnung in eine besonders qualifizierte Gruppe der Angestelltenberufe mit einem Leitberuf oberhalb desjenigen des Angestellten mit einer längeren als zweijährigen Ausbildung rechtfertigten. Das ist nicht der Fall. Innerhalb des Vierstufenschemas der ArV können als Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion nur Versicherte mit Leitungsfunktionen wie zB die des Meisters und Hilfsmeisters im Arbeitsverhältnis, des Hilfspoliers und bestimmter Vorarbeiter angesehen werden, deren Berufstätigkeit zufolge besonderer geistiger und persönlicher Anforderungen die des Facharbeiters in ihrer Qualität noch deutlich überragt. Hierfür müssen regelmäßig Weisungsbefugnisse nicht nur gegenüber Angelernten und Hilfsarbeitern, sondern gegenüber mehreren Facharbeitern und – wegen der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit und nicht etwa aufgrund des Lebensalters oder langjähriger Betriebszugehörigkeit – eine Einordnung in die Spitzengruppe der Lohnskala verlangt werden. Zu den besonders hoch qualifizierten Facharbeitern zählen Versicherte, welche wesentlich höherwertige Arbeiten als ihre zur Gruppe der Facharbeiter gehörenden Arbeitskollegen verrichten und diese nicht nur bezüglich der Entlohnung, sondern aufgrund besonderer geistiger und persönlicher Anforderungen auch in der Qualität ihrer Berufstätigkeit deutlich überragen (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 102 S 315; BSG SozR 2600 § 46 Nr. 14 S 32; jeweils mwN). Der bisherige Beruf des Klägers hat keines dieser Merkmale erfüllt. Dem Kläger haben insbesondere während seiner Tätigkeit als Abfüllmeister nicht Facharbeiter oder Angestellte mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren unterstanden. Vielmehr ist er nach den für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG lediglich gegenüber sechs im Arbeiterverhältnis stehenden ungelernten Hilfskräften weisungsbefugt gewesen. Er hat für seine Tätigkeit als Abfüllmeister nicht eine qualifizierte Ausbildung durchlaufen, sondern lediglich an einem achtwöchigen Fachkursus teilgenommen. Zwar ist sein bisheriger Beruf in die Gehaltsgruppe VI des maßgeblichen Tarifvertrages eingestuft gewesen und hat von daher eine abgeschlossene Berufsausbildung und Spezialkenntnisse vorausgesetzt. Diese Anforderungen lassen jedoch nicht darauf schließen, daß die derart eingestufte Tätigkeit diejenige eines Angestellten mit einer längeren als zweijährigen Ausbildung qualitativ deutlich überragt. Insgesamt fehlt es somit an ausreichenden Anhaltspunkten für eine Einordnung in eine höhere Gruppe der Angestelltenberufe als in diejenige mit dem Leitberuf des Angestellten mit einer längeren als zweijährigen Ausbildung, so daß sich eine Erörterung der Kriterien für die Bildung einer solchen höheren Gruppe als entbehrlich erweist.

Ist mithin der Kläger nach seinem bisherigen Beruf in die obere Gruppe der Angestelltentätigkeiten einzuordnen, so begründet die gesundheitsbedingte Aufgabe dieses Berufes noch keinen Anspruch auf BU-Rente. Der Kläger muß sich vielmehr anspruchsausschließend auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit des Krankenhauspförtners verweisen lassen.

Diese Tätigkeit ist dem Kläger gesundheitlich zumutbar. Das hat das LSG festgestellt. Hiergegen hat die Revision zulässige und begründete Rügen nicht vorgebracht. Die Pförtnertätigkeit ist dem Kläger auch beruflich zumutbar. Sie gehört zur mittleren Gruppe der Angestelltenberufe innerhalb des vom Senat entwickelten Dreistufenschemas. Auf Tätigkeiten dieser Gruppe dürfen Versicherte, deren bisheriger Beruf zur oberen Gruppe gehört hat, zumutbar verwiesen werden.

Für den Bereich der ArV haben die zuständigen Senate des BSG wiederholt entschieden, daß ein Versicherter mit dem bisherigen Beruf des Facharbeiters auf die Tätigkeit eines sogen „gehobenen” oder „qualifizierten” Pförtners im öffentlichen Dienst – dh eines Pförtners, der über die übliche Pförtnertätigkeit hinaus in nicht unerheblichem Umfange mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt wird oder Fernsprechvermittlungsdienst mit mehr als einem Amtsanschluß leistet – verwiesen werden darf (BSG SozR 2200 § 1241d Nr. 5 S 17 f; BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 86 S 271; Nr. 139 S 448). Dabei bedarf es allerdings tatsächlicher Feststellungen, welche die Annahme einer Qualifizierung der Pförtnertätigkeit rechtfertigen. Insbesondere im Urteil des 4a-Senats des BSG vom 25. Juni 1986 (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 137 S 439) ist zutreffend hervorgehoben worden, daß der „gehobene” Pförtner in einem größeren Betrieb regelmäßig eine wichtige Funktion ausübe, die oft eine längere Einarbeitung, Einübung und Bewährung voraussetze. Häufig werde der Pförtner deshalb nicht im Arbeiter-, sondern im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Außer erheblichen beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten habe der „gehobene” Pförtner über Autorität, Gewandtheit und sicheres Auftreten sowie über besondere Zuverlässigkeit zu verfügen.

Die vom Kläger am Stadtkrankenhaus T. ausgeübte Pförtnertätigkeit weist derartige Qualitätsmerkmale auf. Nach den auf die Auskunft des Krankenhauses vom 27. Januar 1984 gestützten und von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG sitzt der Kläger vor einem Bedienerpult mit jeweils zehn Amtsanschlüssen nach außen und nach innen sowie 450 Nebenstellen. Er ist in nicht unerheblichem Umfange dadurch mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt, daß er die umfangreiche Patientenkartei mit ständigen Änderungen zu führen und auf dem laufenden zu halten hat, damit er Besuchern und sonstigen Personen zuverlässig Auskunft über die Zimmernummer eines Patienten etc geben kann. Der Umgang mit dem Publikum erfordert gewisse Umgangsformen, die sich der Kläger offenbar angeeignet hat.

Die schon aufgrund dieser Merkmale gebotene Einordnung der Pförtnertätigkeit des Klägers in die mittlere Gruppe der Angestelltenberufe mit dem Leitberuf des Angestellten mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren rechtfertigt sich zusätzlich aus ihrer tariflichen Einstufung. Das gilt jedenfalls für die Zeit ab Anfang des Jahres 1984. Der Kläger ist seither in die VG VIII BAT eingestuft, welche für Angestellte mit schwierigerer Tätigkeit gilt. Zuvor ist er allerdings lediglich nach der VG IX BAT entlohnt worden. Der Rückgriff auf die tarifliche Einstufung ist indes nur eines von mehreren Hilfsmitteln zur Bestimmung der objektiven Qualität einer Verweisungstätigkeit. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die tarifliche Einstufung einer Tätigkeit auf deren Qualität beruht. Entscheidend ist aber der aus den tariflichen Tätigkeitsmerkmalen und dem Gesamtzusammenhang des Tarifvertrages zu entnehmende qualitative Wert. Dabei können die zu vermutende Richtigkeit der tariflichen Einstufung widerlegt und bei hinreichend konkreten Anhaltspunkten für eine tarifliche Einstufung aufgrund von qualitätsfremden Merkmalen Ermittlungen über die Qualität einer vom Versicherten ausgeübten Tätigkeit mit dem Ziel ihrer richtigen tariflichen Bewertung erforderlich werden (BSGE 49, 54, 58 = SozR 2200 § 1246 Nr. 51 S 158; BSG SozR aaO Nr. 123 S 389; BSGE 58, 239, 241 = SozR aaO Nr. 129 S 409). Das LSG hat insofern festgestellt, daß die Pförtnertätigkeit des Klägers auch schon vor seiner Einstufung in die VG VIII BAT den Tätigkeitsmerkmalen dieser VG entsprochen habe. Die anfängliche Einstufung in die VG IX BAT muß daher als nicht leistungsgerecht außer Betracht bleiben und steht der Einordung der jetzigen Tätigkeit in die mittlere Gruppe der Angestelltenberufe nicht entgegen.

Auf diese Tätigkeit muß sich der Kläger auch für die Zeit vor ihrer tatsächlichen Aufnahme am 1. September 1982 verweisen lassen. Zwar ist er seit Stellung seines Rentenantrages vom 18. Dezember 1980 bis zum 31. August 1982 zunächst nicht erwerbstätig gewesen und sodann als Hilfsarbeiter in einem städtischen Schwimmbad teilzeitbeschäftigt worden. Indes ist ihm nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG die Tätigkeit des Krankenhauspförtners nach seinem gesundheitlichen Zustand auch schon damals möglich gewesen. Daß er eine solche Arbeitsstelle tatsächlich nicht innegehabt hat, unterfällt nicht dem Risikobereich der gesetzlichen Rentenversicherung. Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des BSG der leistungsgeminderte Rentenbewerber nicht auf eine Tätigkeit verwiesen werden, die es auf dem Arbeitsmarkt nicht oder nur in so geringer Zahl gibt, daß der Arbeitsmarkt als verschlossen angesehen werden muß. Das gilt auch für Vollzeitarbeitsplätze, bei denen wegen ihrer Seltenheit zumindest die erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes besteht. Zu ihnen zählt die Tätigkeit des gehobenen oder qualifizierten Pförtners, die als typischer Schonarbeitsplatz im Regelfall leistungsgeminderten Angehörigen des eigenen Betriebes vorbehalten bleibt. Bei derartigen Tätigkeiten ist danach zu unterscheiden, ob der aus gesundheitlichen Gründen Leistungsgeminderte noch eine, „wenn auch schlechte” Chance hat, in einer zumutbaren Verweisungstätigkeit unterzukommen, oder ob er eine solche, auch nur schlechte Chance nicht mehr hat. Im ersteren Falle ist er arbeitslos. Im letzteren Falle ist er nicht nur arbeitslos; das beim Träger der Rentenversicherung versicherte Absinken seiner Leistungsfähigkeit schließt ihn in diesem Falle vom Arbeitsmarkt schlechthin aus (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 137 S 439 ff und Nr. 139 S 449 ff mwN). Der Kläger hat in diesem Sinne eine Chance gehabt, in der ihm zumutbaren Verweisungstätigkeit des gehobenen oder qualifizierten Pförtners unterzukommen. Das zeigt sich daran, daß er – wenn auch nicht unmittelbar im Anschluß an die gesundheitsbedingte Aufgabe seines früheren Berufes oder an die Rentenantragstellung – einen entsprechenden Arbeitsplatz tatsächlich gefunden hat.

Ihm steht nach alledem eine BU-Rente nicht zu. Das hat das LSG zutreffend erkannt mit dem Ergebnis, daß die Revision des Klägers zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI921522

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