Beteiligte
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 11. November 1999 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darum, ob der Rechtsstreit durch einen am 15. November 1994 vor dem Sozialgericht (SG) Hamburg abgeschlossenen Vergleich erledigt ist.
Der Kläger ist ein im Jahre 1993 gegründeter Verein zur Förderung politisch-wirtschaftlicher Reformen in Rußland und zur gegenseitigen Verständigung zwischen Deutschen und Russen. Zum 1. Dezember 1993 schlossen der Kläger und der im Jahre 1936 geborene Herr S., der seit längerer Zeit arbeitslos war, einen schriftlichen „Anstellungsvertrag für kaufmännische Angestellte”. Zu diesem Zeitpunkt war Herr S. als Sekretär Mitglied des Vorstands des Klägers. Er trat auch als Prozeßbevollmächtigter für den Verein auf. Nach dem Anstellungsvertrag sollte Herr S. die laufende Arbeit des Klägers in Deutschland „managen”. Hierfür wurde ein monatliches Bruttogehalt von 5.683 DM vereinbart.
Der Kläger beantragte bei der Beklagten für die Beschäftigung von Herrn S. die Gewährung einer Beschäftigungshilfe nach den Richtlinien der Bundesregierung zur Durchführung der „Aktion Beschäftigungshilfe für Langzeitarbeitslose” (vom 16. Juni 1989, BAnz S 3013 idF der 2. Änderung vom 20. Dezember 1993, BAnz 1994, S 3). Durch Bescheid vom 22. März 1994 bewilligte die Beklagte dem Kläger Beschäftigungshilfe für S. für den Zeitraum vom 1. Dezember 1993 bis 30. November 1994. Für die ersten sechs Monate bewilligte sie 3.308,30 DM und für den Zeitraum vom 1. Juni 1994 bis 30. November 1994 2.481,22 DM monatlich. Dabei ging sie bei der Bewilligung von einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt für Herrn S. von 4.135,38 DM aus. Der Kläger legte gegen den Bewilligungsbescheid vom 22. März 1994 wegen der seiner Ansicht nach zu niedrigen Höhe der Beschäftigungshilfe Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 4. Juli 1994 hob die Beklagte sodann die Bewilligung von Beschäftigungshilfe insgesamt auf und forderte die Erstattung der für den Zeitraum vom 1. Dezember 1993 bis 31. Mai 1994 bereits ausgezahlten 19.849,80 DM nebst Zinsen. Zur Begründung gab die Beklagte an, der Kläger habe das Gehalt nicht ausbezahlt und auch keine Sozialversicherungsbeiträge für den Herrn S. abgeführt. Den Widerspruch hiergegen wies die Beklagte durch Bescheid vom 10. Oktober 1994 zurück.
Der Kläger hat Klage zum SG Hamburg erhoben. In dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 15. November 1994 haben die Beteiligten – wobei der Kläger durch Herrn S. vertreten war – auf Anregung des SG zur Erledigung des Rechtsstreits einen Vergleich geschlossen. Dieser lautet:
- „Die Beklagte hebt den Bescheid vom 04.07.1994 und den Widerspruchsbescheid vom 10.10.1994 auf.
- Die Beklagte wird dem Kläger für die Zeit vom 01.06.1994 bis 30.11.1994 14.887,32 DM spätestens bis zum 10. Dezember 1994 zahlen.
- Dem Kläger wird vorbehalten, innerhalb einer Woche d.h. bis zum 22.11.1994 von diesem Vergleich zurückzutreten.”
Der Kläger richtete danach ein Schreiben an das SG, das das Datum des 21. November 1994 trägt. Dieses Schreiben wurde von dem SG mit dem Eingangsstempel „23. Nov. zwischen Dienstschluß und 24.00 Uhr” versehen. In dem Schreiben führt der Kläger aus, er trete von dem am 15. November 1994 geschlossenen Vergleich zurück. Weiterhin heißt es: „Der Rücktritt wurde bereits mündlich erklärt und diese Erklärung wird hierdurch bestätigt”.
Nach Durchführung weiterer Ermittlungen hat das SG durch Urteil vom 12. März 1996 den Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 1994 aufgehoben und die weitergehende Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe auf die Bewilligung von Beschäftigungshilfe vertrauen dürfen. Eine Aufhebung der Bewilligungsentscheidung sei weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft möglich. Der Kläger habe allerdings keinen Anspruch auf höhere Beschäftigungshilfe. Die Beklagte habe das dem S. zustehende ortsübliche Gehalt zutreffend ermittelt. Herr S. sei seit längerer Zeit arbeitslos gewesen und habe keinerlei konkrete Angaben über seine Ausbildung und bisherigen Beschäftigungen machen können. Bei dem Kläger habe es sich zudem um einen neu gegründeten, kleinen gemeinnützigen Verein gehandelt.
Hiergegen hat der Kläger im Mai 1996 Berufung eingelegt. Der Berichterstatter am Landessozialgericht (LSG) führte in der Folgezeit zwei Erörterungstermine durch. Am 19. Februar 1998 wurden ua die Umstände der Vereinsgründung und die Stellung von Herrn S. im Verein erörtert. Der Kläger regte zur Höhe des ortsüblichen Gehalts von Herrn S. die Einholung weiterer Auskünfte an. In dem Termin am 29. April 1999 wurden Herr S. und ein weiteres Vereinsmitglied des Klägers als Zeugen zum Inhalt und Umfang der Beschäftigung des Herrn S. beim Kläger vernommen.
Am 11. November 1999 war sodann Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG anberaumt. In dieser mündlichen Verhandlung wies die Vorsitzende des Senats den Kläger erstmals darauf hin, daß sein Schreiben vom 21. November 1994 ausweislich der Gerichtsakten erst am 23. November 1994 beim SG eingegangen sei. Herr S. als Prozeßbevollmächtigter des Klägers gab ausweislich des Sitzungsprotokolls hierzu an, seiner Erinnerung nach den Vergleich bereits zuvor mündlich in einem Telefongespräch widerrufen zu haben. Das LSG erklärte nach einer Zwischenberatung, es gehe davon aus, der Vergleich vom 15. November 1994 sei nicht rechtzeitig widerrufen worden, woraufhin die Beklagte im Wege der Anschlußberufung beantragte, das Urteil des SG Hamburg vom 12. März 1996 aufzuheben und festzustellen, daß der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 15. November 1994 beendet sei. Das LSG ist durch Urteil vom selben Tage diesem Antrag gefolgt und hat das Urteil des SG aufgehoben, die weitergehende Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung der Beklagten festgestellt, daß der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 15. November 1994 erledigt sei. Zur Begründung hat es ausgeführt, der schriftliche Widerruf des Vergleichs sei erst am 23. November 1994 beim SG eingegangen. Vorherige mündliche Erklärungen – etwa am Telefon – seien aus Rechtsgründen unbeachtlich, weil ein Vergleich grundsätzlich nur schriftlich widerrufen werden könne. Einer Beweiserhebung über evtl Telefongespräche des Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit der Vorsitzenden Richterin am SG bedürfe es nicht. Das SG habe folglich nicht mehr durch Urteil in der Sache entscheiden dürfen, weshalb das Urteil des SG vom 12. März 1996 insgesamt aufzuheben sei.
Mit seiner – vom Senat zugelassenen – Revision macht der Kläger geltend, das Urteil des LSG sei in verfahrensfehlerhafter Weise zustande gekommen. Er rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art 103 Abs 1 Grundgesetz (GG), von Art 6 Europäische Menschensrechtskonvention und der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entwickelten Grundsätze zum Anspruch auf ein faires Gerichtsverfahren. Er – der Kläger – sei in der mündlichen Verhandlung vom 11. November 1999 erstmals und zu seiner großen Überraschung darauf hingewiesen worden, daß der Widerruf des Vergleichs erst am 23. November 1994 beim SG eingegangen sei. Er habe hiergegen sofort Einspruch erhoben, was selbst aus dem abgekürzten und seiner Ansicht nach unzutreffenden Sitzungsprotokoll ersehen werden könne. Insbesondere habe er darauf gedrängt, die Rechtzeitigkeit des Vergleichswiderrufs anhand seiner schriftlichen Unterlagen überprüfen und ggf Beweise erbringen zu dürfen. Das LSG habe selbst eingeräumt, erst eine Woche vor der mündlichen Verhandlung am 11. November 1999 bemerkt zu haben, daß der Vergleich verspätet widerrufen worden sei. Diese Tatsache sei weder dem SG noch dem LSG während der jahrelangen Verfahrensdauer und nach Durchführung mehrerer Gerichtstermine aufgefallen. Das LSG habe daher davon ausgehen müssen, daß diese Tatsache auch für ihn völlig überraschend sein werde. Es hätte daher nahegelegen, die Beteiligten noch vor dem Termin am 11. November 1999 auf diese neue Tatsache hinzuweisen. Nur so wäre es ihm möglich gewesen, seine Unterlagen zu überprüfen und Beweise zu erbringen. Aufgrund der Vorgehensweise des LSG habe er bis zur mündlichen Verhandlung am 11. November 1999 keinerlei Zweifel daran haben können, daß der Widerruf des Vergleichs im November 1994 rechtzeitig erfolgt sei. Wenn das LSG schon den vorherigen Hinweis unterlassen habe, so hätte es zumindest den Rechtsstreit vertagen müssen. Er – der Kläger – habe folglich sogleich im Dezember 1999 zwei eidesstattliche Versicherungen beim LSG einreichen können, aus denen hervorgehe, daß der schriftliche Widerruf des Vergleichs am 21. November 1994 in den Briefkasten des SG eingeworfen worden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 11. November 1999 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Auf die Revision des Klägers ist das Urteil des LSG vom 11. November 1999 mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Das Urteil beruht auf einem vom Kläger ordnungsgemäß gerügten (vgl § 202 SGG iVm § 559 Abs 2 Satz 2 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫) Verfahrensmangel (§ 162 SGG).
Das LSG hat gegen den aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) abgeleiteten Anspruch des Klägers auf ein faires Verfahren verstoßen (vgl hierzu Sachs, GG, 2. Aufl 1999, RdNr 163 zu Art 20 GG; Murswiek in Sachs, GG, RdNr 115 ff zu Art 2 GG; Podlech in AK-GG, 3. Aufl, RdNr 90 zu Art 2 Abs 1 GG; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, RdNr 1e ff vor § 60 SGG, jeweils mwN). Das BVerfG leitet in ständiger Rechtsprechung aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip ein „allgemeines Prozeßgrundrecht” ab (insbesondere BVerfGE 57, 250, 275; 89, 120, 129), nach dem der Richter insbesondere zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet ist (vgl hierzu BVerfGE 38, 105, 111 ff; 40, 95, 96 f; 46, 202, 210). So darf sich das Gericht nicht widersprüchlich verhalten (BVerfGE 69, 381, 387) oder aus eigenen oder ihm selbst zurechenbaren Versäumnissen keine Verfahrensnachteile für die Kläger ableiten (BVerfGE 51, 188, 192; 60, 1, 6; 75, 183, 190).
Der Senat sieht den Verstoß des LSG gegen die genannten Grundsätze des fairen Verfahrens im vorliegenden Fall darin, daß das LSG den (– nicht rechtskundig vertretenen –) Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung am 11. November 1999 darauf hingewiesen hat, daß der Vergleich vom 15. November 1994 innerhalb der eingeräumten Frist bis zum 22. November 1994 nicht wirksam widerrufen sein könnte und in derselben Sitzung durch Urteil entschieden hat, ohne sicherzustellen, daß der Kläger mit einer Entscheidung auf dieser Grundlage einverstanden war bzw auf eine Vertagung verzichtet hat. Zwischen dem Widerruf des Vergleichs im November 1994 und dem Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 11. November 1999 lagen fast genau fünf Jahre. Innerhalb dieses Zeitraums hat zunächst das SG den Vergleich als wirksam widerrufen erachtet und mit Urteil vom 12. März 1996 – nach Beweisaufnahme – in der Sache entschieden. Nach Einlegung der Berufung hat der Berichterstatter des zuständigen Senats am LSG zwei Erörterungstermine im Februar 1998 und April 1999 durchgeführt, ohne daß zu irgendeinem Zeitpunkt in diesen Verhandlungsterminen oder sonst in einem schriftlichen richterlichen Hinweis gemäß § 106 Abs 1 SGG oder § 139 ZPO iVm § 202 SGG die Rechtzeitigkeit des Vergleichswiderrufs zum Gegenstand der Erörterung gemacht worden ist. Insofern durfte der Kläger bis zum 11. November 1999 darauf vertrauen, daß die Frage der Rechtzeitigkeit des Widerrufs des Vergleichs nicht (mehr) klärungsbedürftig ist. Dementsprechend hat das BVerfG entschieden, daß die Pflicht zur fairen Verfahrensgestaltung es gebiete, daß aus bestimmten Formvorschriften – dort Leserlichkeit einer Unterschrift – erst nach einer Vorwarnung nachteilige Folgen für den Bürger abgeleitet werden dürfen, wenn derselbe Spruchkörper längere Zeit die Formverletzungen nicht beanstandet hat (BVerfGE 78, 123). Ebenso stellt es einen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Gerichtsverfahren dar, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen Gesichtspunkt abstellt, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbevollmächtigter nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfG NJW 1996, 3202; vgl auch BVerfG NJW 1991, 2894; vgl zum Anspruch auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bei überraschendem richterlichen Hinweis auch BFHE 195, 9).
Das LSG hätte also vor dem Termin am 11. November 1999 den Kläger auf die Zweifel an der Rechtzeitigkeit des Widerrufs des Vergleichs hinweisen müssen. Dabei ist unerheblich, wann genau das LSG selbst die Tatsache bemerkt hat, daß das Widerrufsschreiben den gerichtlichen Eingangsstempel vom 23. November 1994 trägt. Trifft der Vortrag des Klägers zu, daß die Vorsitzende des LSG-Senats in der mündlichen Verhandlung selbst darauf hingewiesen habe, die mögliche Fristversäumnis sei dem Senat etwa eine Woche vor dem Termin aufgefallen, so wäre in jedem Falle ein vorheriger schriftlicher oder telefonischer Hinweis an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers möglich und erforderlich gewesen, um diesen nicht in der mündlichen Verhandlung erstmals mit dieser Tatsache zu konfrontieren und damit zu „überraschen”. Sind die Zweifel an der Rechtzeitigkeit des Widerrufs dem Senat am LSG erst kurz vor der Sitzung oder sogar in der Sitzung am 11. November 1999 gekommen, so hätte das LSG schon deshalb den Termin unter entsprechendem Hinweis auf die fragliche Rechtzeitigkeit des Widerrufs des Vergleichs aufheben bzw die Sitzung vertagen müssen, um dem Kläger Gelegenheit zu einer entsprechenden Stellungnahme zu geben. Will das Gericht in einem solchen Fall – ohne vorher einen Hinweis erteilt zu haben – gleichwohl in dem anberaumten Termin durch Urteil entscheiden, hätte es sich gedrängt sehen müssen, einen entsprechenden Verzicht des Klägers auf Vertagung gemäß § 295 ZPO zu Protokoll zu nehmen. Eine solche Verzichtserklärung des Klägers ist nicht ersichtlich. Aus der Stellung eines Sachantrags allein kann bei einem nicht rechtskundig vertretenen Kläger nicht geschlossen werden, daß er in einem solchen Falle auf die Vertagung verzichten wollte.
Insgesamt muß aufgrund der konkreten Umstände (Dauer des Gerichtsverfahrens, Nichtbeanstandung der Rechtzeitigkeit des Widerrufs über Jahre hinweg, Beweisschwierigkeiten des Klägers fünf Jahre nach Absendung des Widerrufsschreibens) ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens darin gesehen werden, daß das LSG ohne die entsprechende verfahrensrechtlich gebotene Rücksichtnahme in der Sitzung am 11. November 1999 durch Urteil entschieden hat. Allein deshalb ist das Urteil verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, ohne daß es noch im einzelnen darauf ankommt, was in der mündlichen Verhandlung am 11. November 1999 Gegenstand des Rechtsgesprächs war und ob der Kläger tatsächlich um Vertagung des Rechtsstreits nachgesucht hat. Insofern kommt es auch nicht auf die in diesem Zusammenhang abgegebenen dienstlichen Stellungnahmen der Richter des zuständigen LSG-Senats an (zur Behandlung eines Antrags auf Terminsverlegung jetzt umfassend: BSG, Beschluß vom 16. November 2000 – B 4 RA 122/99 B – zur Veröffentlichung vorgesehen; zum Anspruch auf Fristverlängerung: BVerfG NJW 1998, 3703). Auch kann offenbleiben, ob durch die Verfahrensweise des LSG der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 GG iVm § 62 SGG) verletzt worden ist.
Bei der erneuten Verhandlung und ggf Beweisaufnahme wird das LSG zum einen zu beachten haben, daß der Kläger mittlerweile eidesstattliche Versicherungen der Personen vorgelegt hat, die am 21. November 1994 den Widerruf in den Briefkasten des SG eingeworfen haben wollen. Zum anderen ist entgegen der Auffassung des LSG davon auszugehen, daß ein Vergleich – wenn nichts anderes vereinbart ist – auch mündlich, sogar telefonisch (so BAGE 9, 172; ebenso Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl 2002, RdNr 10 ff, 13 Anh § 307) widerrufen werden kann (anders ohne nähere Begründung: Meyer-Ladewig, aaO, RdNr 14a zu § 101 SGG). Im vorliegenden Fall ist zudem zu beachten, daß der vom SG am 15. November 1994 diktierte Vergleichstext gerade keinen Hinweis auf die Erforderlichkeit der Schriftform des Widerrufs enthält und der Kläger selbst mehrfach vorgetragen hat, vor dem 22. November 1994 beim SG den Vergleich telefonisch widerrufen zu haben (zur Freiheit der den Vergleich schließenden Parteien über Form und Frist eines Widerrufs bestimmen zu können, vgl auch BGH NJW 1980, 1732, 1733 und 1753, 1754). Insofern könnte auch zu ermitteln sein, ob im konkreten Fall besondere Modalitäten des Vergleichswiderrufs vereinbart worden sind. Ggf wird der zuständige Senat am LSG insofern eine dienstliche Stellungnahme der damals zuständigen Kammervorsitzenden am SG einzuholen haben. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt bei Versäumung einer Widerrufsfrist jedenfalls nicht in Betracht (BGHZ 61, 394).
Käme das LSG zu dem Ergebnis, der Vergleich sei von dem Kläger wirksam widerrufen worden, so wäre im Rahmen der sodann notwendigen Prüfung der Höhe der dem Kläger zustehenden Beschäftigungshilfe zu prüfen, inwieweit die Beklagte ihre Anschlußberufung am 11. November 1999 ausdrücklich darauf beschränkt hat festzustellen, daß der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 15. November 1994 erledigt ist. Damit könnte sie konkludent darauf verzichtet haben, gegen das Urteil des SG insoweit Berufung einzulegen, als das SG den Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 1994 aufgehoben hat. Die Beklagte hatte – ausweislich der Akten – zunächst uneingeschränkt Anschlußberufung eingelegt.
Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits unter Beachtung des Ausgangs des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 671613 |
NZA 2002, 437 |
AP, 0 |