Entscheidungsstichwort (Thema)
Abtretung des Anspruchs auf Beitragserstattung - Rücknahme des Antrags
Leitsatz (redaktionell)
Auch nach Abtretung des Anspruchs kann der Versicherte seinen Antrag auf Beitragserstattung bis zum Wirksamwerden der Verwaltungsentscheidung jedenfalls dann zurücknehmen, wenn das Antragsrecht nicht übertragen worden ist und der Versicherte auf das Recht zur Rücknahme des Antrags nicht verzichtet hat (Anschluß an und Fortführung von BSG vom 17.4.1986 - 7 RAr 81/84 = BSGE 60, 79 = SozR 4100 § 100 Nr 11; BSG vom 17.7.1990 - 12 RK 10/89 = SozR 3 - 1200 § 16 Nr 2).
Normenkette
BGB §§ 398, § 398 ff.; SGB I § 53 Abs. 2 Nr. 2; RVO § 1303 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 07.12.1988; Aktenzeichen L 1 J 2811/86) |
SG Konstanz (Entscheidung vom 31.10.1986; Aktenzeichen S 5 J 392/85) |
Tatbestand
Die klagende Bank begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA), sie solle nach § 1303 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Beitragserstattung für den beigeladenen Versicherten durchführen und den Erstattungsbetrag aufgrund einer Abtretung durch den Versicherten an sie auszahlen.
Der Beigeladene ist türkischer Staatsangehöriger. Er war von August 1969 bis Juli 1983 in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt und anschließend bis Juli 1984 arbeitslos. Er schloß mit der Klägerin am 15. Juni 1984 einen Darlehensvertrag über 28.848,67 DM mit einem nach Abzug einer Pauschalgebühr von 13 vH für Zinsen, Bearbeitung, Kreditversicherung und Courtagen verbleibenden Auszahlungsbetrag von 25.098,35 DM. Zur Sicherung des Darlehens trat der Beigeladene seinen zukünftigen Anspruch gegen die Beklagte aus § 1303 RVO auf Erstattung seiner Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung an die Klägerin ab. Gleichzeitig füllte er ein Antragsformular "auf Beitragserstattung aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung an Türken" aus, erteilte der Klägerin Vollmacht zur Vertretung in allen mit der Beitragserstattung verbundenen Angelegenheiten und unterschrieb eine Abtretungsanzeige an die Beklagte. Darin heißt es ua, die LVA werde unwiderruflich angewiesen, den Erstattungsbetrag an den Abtretungsempfänger zu überweisen.
Laut Grenzübertrittsbescheinigung verließ der Beigeladene die Bundesrepublik Deutschland am 27. Juni 1984. Mit Schreiben vom 26. Juni 1984 (eingegangen am 29. Juni 1984) machte die Klägerin die abgetretene Forderung bei der Beklagten geltend und übersandte dieser den Antrag des Beigeladenen auf Beitragserstattung, die Vollmachtsurkunde, die Abtretungsanzeige und einen Auszahlungsnachweis. Mit Schreiben vom 14. und 24. August 1984 nahm der Beigeladene bei der Beklagten seinen Antrag auf Beitragserstattung zurück.
Die Beklagte teilte der Klägerin am 16. November 1984 mit, wegen der Rücknahme des Antrags auf Beitragserstattung durch den Beigeladenen werde die Angelegenheit als erledigt betrachtet. Einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erteilen, sei weder notwendig noch möglich.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. November 1984 verpflichtet, der Klägerin auf ihren Antrag vom 29. Juni 1984 hin einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erteilen und in der Sache zu entscheiden (Urteil vom 31. Oktober 1986). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 7. Dezember 1988). Bei einer Beitragserstattung sei der Antrag materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung. Der Beigeladene aber habe seinen Antrag vor Erlaß eines Erstattungsbescheides zurückgenommen. Das Antragsrecht stelle ein höchstpersönliches Recht dar, das weder nach § 53 Abs 2 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) abgetreten noch nach § 54 Abs 2 SGB I gepfändet werden könne.
Dieses Urteil hat die Klägerin mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt eine Verletzung der §§ 53 Abs 2 SGB I und 1303 RVO.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG vom 7. Dezember 1988 und der Bescheid
der Beklagten vom 16. November 1984 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, die Beitragserstattung des
Beigeladenen durchzuführen und den Betrag von 28.848,67 DM
an die Klägerin auszuzahlen.
Die Beklagte stellt keinen Antrag, sie hält aber das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.
Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht durch einen postulationsfähigen Bevollmächtigten vertreten.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Infolge der Rücknahme des Antrags auf Beitragserstattung durch den Beigeladenen ist der von ihm an die Klägerin abgetretene Anspruch rückwirkend wieder entfallen und dadurch die Abtretung gegenstandslos geworden.
Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits mehrfach entschieden hat, handelt es sich bei Streitigkeiten, wie dieser, um solche öffentlich-rechtlicher Art, über die die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 SGG zu entscheiden haben (vgl BSGE 61, 274, 275 mwN).
Mit dem LSG ist davon auszugehen, daß das Begehren der Klägerin mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) zu verfolgen ist. Das LSG hat im Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 16. November 1984 einen Bescheid erblickt, der den Anforderungen des § 31 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) genügt. Das wird von der Revision nicht angegriffen, und dem stimmt auch der erkennende Senat zu.
Die Klage kann jedoch, wie das LSG ebenfalls zu Recht entschieden hat, in der Sache keinen Erfolg haben.
Durch Vertrag vom 15. Juni 1984 hat der Beigeladene einen zukünftigen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung von Beiträgen zur Sicherung des von der Klägerin gewährten Darlehens an diese abgetreten. Die Wirksamkeit dieser Abtretung richtet sich nach den §§ 398 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), die durch § 53 SGB I ergänzt werden, weil es sich bei der Beitragserstattung um eine Sozialleistung handelt (§§ 11, 23 Abs 1 Nr 1 Buchst d SGB I). Danach konnte auch die damals noch nicht entstandene (zukünftige) Forderung grundsätzlich abgetreten werden; denn sie war möglich und zumindest bestimmbar (vgl Palandt-Heinrichs, Kommentar zum BGB, 50. Aufl, § 398 Anm 4c).
Der Anspruch auf Beitragserstattung war in der Folgezeit zunächst auch entstanden. Ein Anspruch auf Beitragserstattung entsteht mit der Stellung des Antrags, sofern zu diesem Zeitpunkt die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (so BSGE 41, 89, 90 mwN, ständige Rechtsprechung). Das traf beim Beigeladenen zu, als sein Antrag nach § 1303 Abs 1 RV0 am 29. Juni 1984 bei der Beklagten einging. Die Versicherungspflicht war durch die Rückkehr des Beigeladenen in die Türkei in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung ohne Berechtigung zur freiwilligen Versicherung weggefallen, und der Wartezeit des § 1303 Abs 1 Satz 3 RV0 bedurfte es gemäß Art 2 § 27 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes nicht.
Mit der (wirksamen) Rücknahme des Antrags ist aber der Anspruch rückwirkend wieder entfallen. Der Antrag ist materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung für eine Beitragserstattung. Das ergibt sich aus § 1303 Abs 1 Satz 1 RV0, wonach diese Leistung "auf Antrag" erbracht wird. Würde die Beklagte entscheiden, ohne daß ein wirksamer Antrag vorliegt, so hätte das die Nichtigkeit des Erstattungsbescheides zur Folge (vgl BSGE 52, 245, 246 mwN). Der Versicherte war auch befugt, den Antrag zurückzunehmen. Das Recht, die Beitragserstattung zu beantragen und diesen Antrag auch wieder zurückzunehmen, ist beim Beigeladenen verblieben. Es handelt sich hierbei - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat- um eine für das Sozialrechtsverhältnis zentral bedeutsame Befugnis, deren Ausübung über das Bestehen des Versicherungsschutzes entscheidet. Deshalb geht dieses Recht nicht mit der Abtretung des Anspruchs auf Beitragserstattung auf den neuen Gläubiger über. Das Gesetz gibt dem Bürger die in der Antragstellung und deren Rücknahme liegende Dispositionsbefugnis, damit er nach seinen Bedürfnissen entscheiden kann, welche Gestaltungsmöglichkeit für ihn die günstigste ist. Dabei steht im Vordergrund der Sicherungszweck; dieser kommt vor allem in der Pflichtversicherung zum Ausdruck, die eingeführt wurde, um eine Invaliditäts-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung für Arbeitnehmer zu gewährleisten. Wenn vor diesem Hintergrund eine die soziale Sicherung vernichtende Beitragserstattung auf Antrag zugelassen wird, so wird damit lediglich dem Umstand Rechnung getragen, daß es für den Versicherten unter Umständen sinnvoller erscheinen kann, mit den eingezahlten Beträgen anderweitige Sicherungen aufzubauen, wenn Umstände eintreten, die einen weiteren Ausbau des Versicherungsschutzes nach der RVO zumindest auf absehbare Zeit nicht ermöglichen. Dies ist aber eine Entscheidung, die allein der Versicherte für sich treffen kann, weil sie unter Umständen mit erheblichen Risiken für sein weiteres Leben behaftet ist und nur er beurteilen und verantworten kann, inwieweit dies im Rahmen seiner Lebensplanung vertretbar oder sinnvoll ist.
Diese besondere Bedeutung des Rechts zur Antragstellung und Antragsrücknahme wird auch nicht durch § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I in Frage gestellt, der die Wirksamkeit einer Übertragung von Sozialleistungsansprüchen davon abhängig macht, daß die Übertragung im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt. Mit dieser Feststellung entscheidet der Versicherungsträger lediglich, ob ein bereits bestehender (oder zukünftiger) Geldleistungsanspruch ohne Gefährdung des mit diesem Anspruch verfolgten gesetzlichen Zwecks abgetreten werden kann. Dabei wird nicht geprüft, ob die Antragstellung - wie hier auf Beitragserstattung - überhaupt und in diesem Zeitpunkt dem wohlverstandenen Interesse des Versicherten dient. Diese Entscheidung bleibt allein dem Versicherten überantwortet. Die Befugnis, den Antrag zurückzunehmen, geht auch nicht etwa durch die Abtretung, dh durch die Einbeziehung eines Dritten in Rechtsbeziehungen aus dem Sozialrechtsverhältnis, verloren. Mit der Übertragung wird die Gestalt des Sozialrechtsverhältnisses nicht verändert. Der Dritte erhält durch die Abtretung nur das begrenzte, ihm übertragene Recht aus dem Gesamtkomplex der Rechtsbeziehungen, ohne daß sich dessen Inhalt verändert; es bleibt in das Gesamtgefüge des Sozialrechtsverhältnisses eingebunden und mit allen Einwendungen und Risiken belastet, die sich daraus ergeben. 0b eine zusätzliche Abtretung des Rechts, den Antrag zurückzunehmen, möglich wäre, kann hier dahinstehen, da nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt eine solche nicht vorliegt. Da diese Feststellungen nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden sind, ist der erkennende Senat daran gemäß § 163 SGG gebunden.
Mit dieser Entscheidung schließt sich der erkennende Senat ähnlichen Entscheidungen des BSG in anderen Rechtsbereichen an. Zur Rücknahme des Antrags auf Gewährung von Arbeitslosengeld hat der 7. Senat des BSG im Urteil vom 17. April 1986 (BSGE 60, 79, 82 f) grundsätzliche Ausführungen gemacht. Darin heißt es: Zwar entfalte der Antrag mit dem Zugang bei der Behörde seine rechtsgestaltende Wirkung, doch könne daraus nicht der Schluß gezogen werden, daß der Antragsteller von diesem Zeitpunkt an an seine Erklärung gebunden sei, wie es § 130 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 2 BGB vorsehe. Eine analoge Anwendung der Widerrufsregelung dieser Vorschrift werde nicht in allen Fällen den Besonderheiten des Sozialrechts gerecht. Im Unterschied zur Interessenlage bei zivilrechtlichen Geschäften sei im Sozialrecht eine konträre Interessenlage für das Verhältnis Bürger - Sozialleistungsträger nicht maßgebend. Aufgrund der verfahrensmäßigen Bindung der Verwaltungsentscheidung bestehe in der Regel kein schutzwürdiges Interesse des Sozialleistungsträgers am Bestand einer Entscheidung des Bürgers, ehe der Träger die für die Regelung konstitutive oder deklaratorische Entscheidung getroffen habe. Bis zur Wirksamkeit der Verwaltungsentscheidung (§ 39 Abs 1 SGB X) bleibe die Willenserklärung des Bürgers bei mitgestaltenden Verwaltungsakten ohne Außenwirkung. Sie sei lediglich ein Internum zwischen Verwaltung und Bürger und daher bis zu diesem Zeitpunkt generell frei widerrufbar (s dazu auch BSGE 9, 7, 12; 10, 257, 259; Urteil des BSG vom 26. November 1968 - 8 RV 515/67- BVerwGE 30, 185, 187; Hadre VSSR 1973, 183, 195; Krause VerwArch 1970, 297, 231; Gagel, Kommentar zum AFG, vor § 142 Anm 247 ff).
Auch der 12. Senat hat unter Hinweis auf das Urteil des 7. Senats vom 17. April 1986 (aa0) die Rücknahme eines Antrags auf Beitragsnachentrichtung als zulässig angesehen (s ferner BSGE 10, 257, 259).
Allerdings trifft in Fällen der Abtretung die Argumentation, bis zur Verwaltungsentscheidung bleibe die Willenserklärung des Bürgers bei mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakten ohne Außenwirkung, sie sei lediglich ein Internum zwischen Verwaltung und Bürger (Urteil vom 17. April 1986 aa0 83), so nicht mehr zu. In dem hier zu entscheidenden Rechtsstreit ist von der Rücknahme des Antrags auf Beitragserstattung durch den Beigeladenen außer der Beklagten auch die Klägerin betroffen. Insofern ist zumindest eine "Drittwirkung" vorhanden. Diese rechtfertigt jedoch nicht eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß Anträge auf Sozialleistungen bis zur Wirksamkeit der Verwaltungsentscheidung frei widerrufbar sind, weil - wie dargelegt - die Abtretung das Sozialrechtsverhältnis über ihre unmittelbare Wirkung hinaus nicht verändert.
Inwieweit möglicherweise ein Verzicht des Versicherten auf das Recht zur Rücknahme des Antrags zulässig wäre und ob auf einen solchen Verzicht § 46 SGB I anzuwenden ist, kann unentschieden bleiben; denn der Beigeladene hat keinen Verzicht erklärt. Dieser kann auch nicht darin erblickt werden, daß der Beigeladene in der Abtretungsanzeige vom 15. Juni 1984 die Beklagte unwiderruflich angewiesen hat, den Erstattungsbetrag an den Abtretungsempfänger zu überweisen. Jedenfalls fehlt eine eindeutige Erklärung des Beigeladenen, in der er einen Verzicht auf das Recht, den Antrag auf Beitragserstattung zurückzunehmen, klar zum Ausdruck gebracht hat. Ohne eine solche eindeutige Erklärung kann aber ein Verzicht nicht angenommen werden (vgl BSGE 50, 227, 230).
Schließlich läßt sich auch nicht aus der Vertragsverletzung, die der Beigeladene durch die Rücknahme des Antrags auf Beitragserstattung begangen hat, ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte herleiten. Dieses vertragswidrige Verhalten betrifft die Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen. Die sich daraus ergebenden Ansprüche der Klägerin richten sich nach bürgerlichem Recht und gehören nicht vor die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 60311 |
BSGE 68, 144-148 (LT1) |
BSGE, 144 |
BB 1992, 2435 (L) |
RegNr, 19987 (BSG-Intern) |
BR/Meuer SGB I § 53, 06-02-91, 13/5 RJ 18/89 (LT1) |
NZA 1992, 92 |
NZA 1992, 92-93 (LT) |
USK, 91106 (LT1) |
AmtlMittLVA Rheinpr 1992, 407-409 (T) |
Breith 1992, 406-410 (LT1) |
EzS, 60/83 (LT) |
SozR 3-1200 § 53, Nr 1 (LT1) |