Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung. Krankenhausbehandlung (hier: kurative Protonentherapie zur Behandlung eines metastasierenden Nierentumors). Notfall. unaufschiebbare Leistung. fehlende Kostenbelastung. grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts. Sonderrechtsnachfolge
Orientierungssatz
1. Die Regelung des § 13 Abs 3 S 3 Alt 1 SGB 5 ist nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil kein Notfall vorliegt.
2. Auch wenn zwischen erstmaliger Anfrage eines Versicherten beim Leistungserbringer, seiner persönlichen Vorstellung zur Untersuchung und dem eigentlichen Beginn der Protonenbestrahlung jeweils mehrere Wochen gelegen haben, schließt dieser Zeitablauf eine unaufschiebbare Leistung iS des § 13 Abs 3 S 1 Alt 1 SGB 5 nicht von vornherein aus.
3. Sofern die Selbstbeschaffung einer Leistung durch den Versicherten unaufschiebbar ist und keine andere erfolgversprechende und zumutbare kurative Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung steht, liegt ein sich auf die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts stützender Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 S 1 Alt 1 SGB 5 besonders nahe.
4. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 S 1 SGB 5 scheitert nicht an einer fehlenden rechtlich wirksamen Kostenbelastung durch eine Selbstbeschaffung.
5. Ansprüche nach § 13 Abs 3 S 1 SGB 5 unterfallen nach Sinn und Zweck des § 56 SGB 1 dessen Anwendungsbereich.
Normenkette
SGB I § 56; SGB V § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 Fassung: 1992-12-21, § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 Fassung: 1992-12-21, § 76 Abs. 1 S. 2; KHEntgG § 1 Abs. 1 Fassung: 2009-03-17; GG Art. 2 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 16. Januar 2014 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer Protonentherapie.
Bei der Protonentherapie beschießen Teilchenbeschleuniger Tumoren mit aus Wasserstoff gewonnenen Protonen. Die Protonentherapie soll nach Auffassung ihrer Anwender Tumoren zielgenauer mit einer höheren Wirkdosis bei geringerer Schädigung des umliegenden gesunden Gewebes bestrahlen können. Die Klägerin war Ehefrau und ist Sonderrechtsnachfolgerin des bei der beklagten Krankenkasse (KK) versichert gewesenen, am 3.7.2015 verstorbenen K. (im Folgenden: Versicherter). Der Versicherte litt an einem metastasierenden Nierentumor und unterzog sich ab 2003 mehreren Operationen (ua ≪Teil-≫Resektionen von Niere, Bauchspeicheldrüse, Milz, Zwerchfell, Rippen, Lymphknoten, Magen, Lunge, Bauchhöhlenganglion, Herzbeutel). Seit Mitte 2010 fanden sich beim Versicherten progrediente parakardiale pleuraständige pulmonale Metastasen (3.1.2011: Progredienz mehr als 20 % nach RECIST). Der Versicherte fragte beim R. (RPTC) wegen einer Protonentherapie an (10.1.2011). Hiervon setzte er die Beklagte in Kenntnis und teilte mit, nach Behandlungszusage und Kostenmitteilung werde er einen Antrag auf Kostenübernahme stellen (11.1.2011). Am 2.2.2011 übersandte er der Beklagten einen Kostenvoranschlag der Chirurgischen Klinik Dr. R. (im Folgenden: RPTC-Träger) über 18 978,45 Euro und überwies dem RPTC-Träger - wie gefordert - diesen Betrag (4.2.2011). Der Versicherte buchte zudem einen Flug nach München, um sich am 16.2.2011 im RPTC vorzustellen (8.2.2011). Die Beklagte holte eine erste Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein (8.2.2011) und lehnte die Übernahme der Kosten ab (11.2.2011). Hiergegen legte der Versicherte Widerspruch ein (14.2.2011) und ließ sich ab 16.2.2011 im RPTC behandeln (schriftlicher Behandlungsvertrag vom 16.2.2011). Der RPTC-Träger stellte dem Versicherten 18 978,45 Euro in Rechnung (31.3.2011; kurative Protonentherapie in der Zeit vom 7. bis 28.3.2011), die mit der Vorauszahlung bereits beglichen war. Nach einem weiteren MDK-Gutachten (22.2.2011) wies die Beklagte den Widerspruch zurück (29.4.2011). Der Versicherte ist mit seiner Klage auf Erstattung der 18 978,45 Euro beim SG erfolglos geblieben (Urteil vom 18.9.2012). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Versicherte habe die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs 3 SGB V nicht erfüllt. Die Behandlung sei nicht unaufschiebbar gewesen, denn es habe, wie der Zeitablauf belege, kein Notfall vorgelegen. Dem Versicherten seien auch keine Behandlungskosten wegen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten entstanden, weil er sich bereits zuvor auf die Behandlung durch das RPTC festgelegt habe. Außerdem habe der RPTC-Träger keinen rechtswirksamen Vergütungsanspruch gegen den Versicherten erlangt, weil er keine mit der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) konforme Rechnung gestellt habe. Hiernach könne offenbleiben, ob die Protonentherapie dem Qualitätsgebot entspreche (Urteil vom 16.1.2014).
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 13 Abs 1 iVm Abs 3 S 1 SGB V, des § 76 Abs 1 S 2 SGB V, des § 2 Abs 1a SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip sowie der Art 2 Abs 2 und Art 3 GG. Es fehle nicht an der Kausalität der Ablehnung der Beklagten für die entstandenen Kosten. Im Übrigen sei die Behandlung unaufschiebbar gewesen. Der Versicherte habe zudem schon nach den Grundsätzen über die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts Anspruch auf die Behandlung gehabt. Der RPTC-Träger habe die Abrechnung auch nicht nach der GOÄ erstellen müssen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 16. Januar 2014 und des Sozialgerichts Lübeck vom 18. September 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 18 978,45 Euro zu zahlen,
hilfsweise,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 16. Januar 2014 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).
Ob die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung von 18 978,45 Euro Kosten für die vom Versicherten selbst beschaffte Protonentherapie am RPTC hat, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Es beruht auf der Verletzung materiellen Rechts. Das LSG hat zwar in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise einen Erstattungsanspruch aus § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V verneint (dazu 1.), aber unzureichende Feststellungen zu einem Erstattungsanspruch aus § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V getroffen. Es steht nicht fest, dass die Voraussetzungen dieses Anspruchs erfüllt sind (dazu 2.). Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (dazu 3.).
1. Die Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs gemäß § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V (idF durch Art 1 Nr 5 Buchst b Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung ≪Gesundheitsstrukturgesetz - GSG≫ vom 21.12.1992, BGBl I 2266) sind nicht erfüllt. Die Rechtsnorm bestimmt: "… hat sie ≪die KK≫ eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht demnach nur, wenn zwischen dem die Haftung der KK begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht (stRspr, vgl zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 23; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 12; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 15 mwN). Daran fehlt es bereits, wenn die KK vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (stRspr des Senats; vgl BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 10 mwN). Daran fehlt es aber auch, wenn - wie vorliegend - der Versicherte sich unabhängig davon, wie die Entscheidung der KK ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt hat und fest entschlossen ist, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die KK den Antrag ablehnen sollte (vgl zur Vorfestlegung als den Anspruch nach § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V ausschließendes Verhalten BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 20 RdNr 29 mwN; BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23, RdNr 35; BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 30; Hauck in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, Bd 1, Stand April 2015, § 13 SGB V RdNr 260).
Das mit einer Entscheidung der KK abzuschließende Verwaltungsverfahren stellt weder einen "Formalismus" in dem Sinne dar, dass es ganz entbehrlich ist (vgl dazu BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 12), noch in dem Sinne, dass es zwar durchlaufen werden muss, aber der Versicherte nicht gehalten ist, die Entscheidung der KK in seine eigene Entscheidung inhaltlich einzubeziehen, sondern den Abschluss des Verwaltungsverfahrens nur "formal" abwarten muss, jedoch schon vorbereitende Schritte einleiten darf, die Ausdruck seiner Entschlossenheit sind, sich die Leistung in jedem Fall endgültig zu verschaffen. § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V will dem Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der KK geschuldete, aber als Sachleistung nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Sachleistungsgrundsatzes dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke festgestellt wird. Diese Feststellung zu treffen, ist nicht Sache des Versicherten, sondern der KK. Nur sie hat in der Regel einen vollständigen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die vorhandenen Versorgungsstrukturen und kann mit Hilfe dieser Informationen zuverlässig beurteilen, ob die begehrte Behandlung überhaupt zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehört und wenn ja, wie sie in dem bestehenden Versorgungssystem realisiert werden kann. Eine vorherige Prüfung durch die KK, verbunden mit der Möglichkeit einer Beratung des Versicherten, ist sachgerecht; sie liegt gerade auch im eigenen Interesse des Versicherten, weil sie ihn von dem Risiko entlastet, die Behandlungskosten gegebenenfalls selbst tragen zu müssen, wenn ein zur Erstattungspflicht führender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt (vgl BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 12). Diese Zwecke der Vorbefassung der KK mit dem Leistungsbegehren des Versicherten werden durch dessen Vorfestlegung vereitelt.
Das LSG hat - ausgehend von einem zutreffenden Normverständnis - festgestellt, dass der Versicherte unter allen Umständen entschlossen gewesen ist, sich die vom RPTC angebotene Protonentherapie zu verschaffen, und deswegen der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 11.2.2011 die Kostenlast des Versicherten nicht verursacht hat. Das LSG hat sich hierfür auf die vollständige, vom RPTC-Träger geforderte Zahlung des Rechnungsbetrages im Wege der Vorkasse (4.2.2011), die Buchung des Flugs von Hamburg nach München (8.2.2011) sowie auf Aussagen des Versicherten (Telefonat mit Kundenberater der Beklagten am 11.2.2011) und der Klägerin (Telefonat am 2.2.2011) - allesamt vor Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung der Beklagten - gestützt. Der erkennende Senat ist an diese getroffene Feststellung gebunden, denn die Klägerin hat diesbezüglich keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen vorgebracht (vgl § 163 SGG). Soweit sie mit der Revision geltend macht, das LSG habe es unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) unterlassen, durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu ermitteln, dass für den Versicherten keine andere Behandlungsmöglichkeit mehr bestanden habe, hat sie iS von § 164 Abs 2 S 3 SGG keine Tatsachen bezeichnet, die einen Mangel der Kausalitätsbeurteilung des LSG ergeben sollen (vgl § 164 Abs 2 S 3 SGG; näher BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - Juris RdNr 68 ff, insoweit in BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1 nicht abgedruckt; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 27 f mwN). Vielmehr hat sich die Klägerin insoweit darauf beschränkt, die unzutreffende Rechtsauffassung zu vertreten, dass von Kausalität zwischen ablehnender Entscheidung und Kostenlast des Versicherten immer schon dann auszugehen sei, wenn der Behandlungsbeginn zeitlich später liege als die Bekanntgabe der Entscheidung der KK. Nach alledem kann es der Senat offenlassen, ob der Behandlungsvertrag bereits mit der im Wege der Überweisung erfolgten Vorauszahlung des vollständigen Rechnungsbetrages zustande kam oder erst mit dem am 16.2.2011 vom Versicherten unterschriebenen schriftlichen Behandlungsvertrag.
2. Ob die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V erfüllt sind, bedarf hingegen weiterer Ermittlungen. Die Rechtsnorm (idF durch Art 1 Nr 5 Buchst b GSG) bestimmt: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen … und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Es fehlt an hinreichenden Feststellungen des LSG zu diesen Voraussetzungen (zur Kostenbelastung näher unter 3.).
a) Die Anwendung dieser Regelung ist nicht schon - wie das LSG zu Unrecht meint - deswegen ausgeschlossen, weil kein Notfall vorgelegen hat (dazu aa). Auch wenn zwischen erstmaliger Anfrage des Versicherten im RPTC, seiner persönlichen Vorstellung zur Untersuchung und dem eigentlichen Beginn der Protonenbestrahlung jeweils mehrere Wochen gelegen haben, schließt dieser Zeitablauf eine unaufschiebbare Leistung iS des § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V nicht von vornherein aus (dazu bb).
aa) Ein Notfall im Sinn von § 76 Abs 1 S 2 SGB V vermag grundsätzlich keinen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V zu begründen (vgl BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 23 mwN), sondern schließt ihn aus. Ist die Behandlung aus medizinischen Gründen so dringlich, dass es bereits an der Zeit für die Auswahl eines zugelassenen Therapeuten und dessen Behandlung - sei es durch dessen Aufsuchen oder Herbeirufen - fehlt, also ein unvermittelt aufgetretener Behandlungsbedarf sofort befriedigt werden muss, liegt ein Notfall vor (vgl BSG SozR 3-2500 § 76 Nr 2 S 4; BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9, RdNr 30 mwN; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 23; s ferner zu § 368d RVO: BSGE 19, 270, 272 = SozR Nr 2 zu § 368d RVO; BSGE 34, 172, 174 = SozR Nr 6 zu § 368d RVO). In diesem Fall dürfen auch andere, nicht zugelassene Therapeuten in Anspruch genommen werden und erbringen ihre Leistung als Naturalleistung (§ 76 Abs 1 S 2 SGB V). Der Leistungserbringer kann seine Vergütung nicht vom Versicherten, sondern nur von der Kassenärztlichen Vereinigung verlangen. Das entspricht bei ärztlichen Leistungen einem allgemeinen Prinzip. So werden in Notfällen von Nichtvertragsärzten erbrachte Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung durchgeführt und aus der Gesamtvergütung vergütet (vgl BSGE 15, 169 = SozR Nr 1 zu § 368d RVO; BSGE 71, 117, 118 f = SozR 3-2500 § 120 Nr 2 S 12 f mwN; BSG SozR 3-2500 § 76 Nr 2 S 4; vgl auch BGHZ 23, 227 ff). Auch die stationäre Notfallbehandlung eines Versicherten in einem nicht zugelassenen Krankenhaus ist eine Naturalleistung der GKV. Der Vergütungsanspruch richtet sich nicht gegen den Versicherten, sondern allein gegen die KK (vgl BSGE 89, 39, 41 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 25 S 118 f). Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG lag beim Versicherten schon kein Notfall im vorbezeichneten Sinn vor.
bb) Es steht nicht fest, dass die Behandlung des Versicherten im RPTC keine unaufschiebbare Leistung war, wie das LSG geschlussfolgert hat. Unaufschiebbarkeit verlangt, dass die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der KK abzuwarten (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 13 mwN; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 23). Ein Zuwarten darf dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr zumutbar sein, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder zB wegen der Intensität der Schmerzen ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist (BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 7 RdNr 18). Soweit der erkennende Senat früher hierzu formuliert hat, dass der Kostenerstattungsanspruch mit dem Unvermögen der KK zur rechtzeitigen Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung nur begründet werden kann, wenn es dem Versicherten - aus medizinischen oder anderen Gründen - nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die KK einzuschalten (vgl BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 105), hält der Senat hieran nicht fest. Diese Sicht ist zu eng und vernachlässigt die Normstruktur des § 13 Abs 3 S 1 SGB V. Die Alternative zur rechtswidrigen Ablehnung des Antrags (§ 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V) besteht gerade, um Eilsituationen aufgrund der Unaufschiebbarkeit Rechnung zu tragen, bei denen der Versicherte die Entscheidung seiner KK nicht mehr abwarten kann (vgl auch Hauck in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, Bd 1, Stand April 2015, § 13 SGB V RdNr 250 mwN). Unaufschiebbar kann danach auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn der Versicherte mit der Ausführung so lange wartet, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, um den mit ihr angestrebten Erfolg noch zu erreichen (vgl BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 105) oder um sicherzustellen, dass er noch innerhalb eines therapeutischen Zeitfensters die benötigte Behandlung erhalten wird. Dies gilt umso mehr, wenn der Beschaffungsvorgang aus der Natur der Sache heraus eines längeren zeitlichen Vorlaufs bedarf und der Zeitpunkt der Entscheidung der KK nicht abzusehen ist. Es betrifft auch die Fälle, in denen der Versicherte zunächst einen Antrag bei der KK stellte, aber wegen Unaufschiebbarkeit deren Entscheidung nicht mehr abwarten konnte.
Aufgrund fehlender Feststellungen des LSG zum Gesundheitszustand des Versicherten, als er die Vorauszahlung leistete und den Flug nach München buchte, kann angesichts der Komplexität der Protonentherapie einschließlich notwendiger Vorbereitungs- und Planungsmaßnahmen nicht ausgeschlossen werden, dass diese vom Versicherten unternommenen Schritte unaufschiebbar waren, um sich die ärztliche Behandlung noch in einem Zeitpunkt zu beschaffen, in dem der erstrebte Erfolg erreicht werden konnte.
b) Die medizinische Dringlichkeit ist indessen nicht allein ausschlaggebend. Der Anspruch aus § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 und 2 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine KK. Durch die Kostenerstattungsregelung in § 13 Abs 3 SGB V soll lediglich in Fällen eines Systemversagens eine Lücke in dem durch das Sachleistungssystem der GKV garantierten Versicherungsschutz geschlossen werden. Trotz Unaufschiebbarkeit hat die KK nicht einzustehen, wenn der Versicherte sich eine Maßnahme beschafft hat, die unter jedem Gesichtspunkt (selbst unter demjenigen des Systemversagens) vom Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen ist. Infolgedessen besteht der Kostenerstattungsanspruch unabhängig von der Eilbedürftigkeit nur für medizinische Maßnahmen, die ihrer Art nach oder allgemein von den KKn als Sachleistungen zu erbringen sind (BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 21; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 14) oder nur deswegen nicht erbracht werden können, weil ein Systemversagen die Erfüllung der Leistungsansprüche Versicherter im Wege der Sachleistung gerade ausschließt (vgl zB BSGE 88, 62, 75 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 36; BSG SozR 4-2500 § 28 Nr 4 RdNr 11; BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 32; zum Ganzen Hauck, NZS 2007, 461, 464).
Das LSG hat - von seiner Rechtsauffassung her folgerichtig - weder Feststellungen zu einem etwaigen Systemversagen noch Feststellungen dazu getroffen, ob dies nach dem Prüfregime für die ambulante oder die stationäre Behandlung zu beantworten ist (vgl nur BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 16 ff; dort zu einem auf dem GBA beruhenden Systemversagen).
c) Es kann dagegen offenbleiben, ob die Beklagte dem Versicherten über die mit dem Bescheid vom 11.2.2011 erfolgte Übersendung des MDK-Gutachtens vom 8.2.2011 hinaus, in dem auf das H. Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT) verwiesen wurde, weitere Hinweise zu eventuellen Behandlungsmöglichkeiten des Versicherten hätte geben müssen (vgl auch BSGE 99, 180 = SozR 4-2500 § 13 Nr 15, RdNr 28 ff), weil der Versicherte nach den bindenden Feststellungen des LSG ohnehin fest entschlossen gewesen ist, sich am RPTC behandeln zu lassen. Eine mögliche unterlassene Beratung der Beklagten kann danach selbst dann nicht kausal für die Selbstbeschaffung der Leistung gewesen sein, wenn das HIT eine Behandlungsmöglichkeit - und sei es im Rahmen einer klinischen Studie (vgl BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4) - für den Versicherten eröffnet hätte und eine dahingehende Behandlungsnotwendigkeit bestanden hätte.
d) Ebenso hat das LSG - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, dass die vom Versicherten selbst beschaffte Protonentherapie nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts notwendig war (zu deren Voraussetzungen vgl nur BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 28). Sofern die Selbstbeschaffung im oben aufgezeigten Sinn unaufschiebbar gewesen sein sollte und keine andere erfolgversprechende und zumutbare kurative Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung gestanden haben sollte, liegt ein sich auf die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts stützender Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V besonders nahe.
3. Entgegen der Auffassung des LSG scheitert ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 S 1 SGB V nicht an einer fehlenden rechtlich wirksamen Kostenbelastung durch die Selbstbeschaffung. Die Rechnung des RPTC-Trägers vom 31.3.2011 erforderte keine GOÄ-Konformität, weil Leistungserbringer hier kein Arzt oder eine Mehrheit von Ärzten war, sondern der RTCP-Träger (vgl entsprechend BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23, RdNr 38).
Der Senat kann aber nicht ausschließen, dass die vereinbarte Vergütung gegen das öffentlich-rechtliche Preisrecht für Krankenhausbehandlungen verstieß. Nach § 1 Abs 1 Krankenhausentgeltgesetz (Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen ≪KHEntgG≫ vom 23.4.2002, hier anzuwenden idF durch Art 2 Nr 2 Buchst a Gesetz zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 ≪Krankenhausfinanzierungsreformgesetz - KHRG≫ vom 17.3.2009, BGBl I 534) werden die vollstationären und teilstationären Leistungen der DRG-Krankenhäuser nach diesem Gesetz und dem Krankenhausfinanzierungsgesetz (Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze ≪KHG≫ vom 29.6.1972, BGBl I 1009, hier anzuwenden idF durch Art 1 KHRG) vergütet. Bei dem RPTC-Träger handelt es sich um ein Plankrankenhaus nach dem Krankenhausplan des Freistaates Bayern (Stand: 1.1.2011, 36. Fortschreibung), der auch einen Versorgungsauftrag für Strahlentherapie hat. Der Behandlungsvertrag bezeichnet die Protonentherapie als ambulante Behandlung, die Rechnung vom 31.3.2011 dagegen als teilstationäre Krankenhausbehandlung. Soweit der Versicherte eine teilstationäre Behandlung im rechtlich nicht verselbstständigten RPTC erhalten haben sollte, ist ebenso wenig auszuschließen, dass der RPTC-Träger eine Rechnung nach Maßgabe des KHEntgG, des KHG und der normenvertraglichen Regelungen hätte stellen müssen, wie auch dass das RPTC vom Versorgungsauftrag ausgenommen sein könnte (vgl aber auch § 17 Abs 1 S 5 KHG und dazu BVerfG Beschluss vom 20.8.2013 - 1 BvR 2402/12, 1 BvR 2684/12 - GesR 2013, 603). Auch insoweit fehlt es aber an hinreichenden Feststellungen des LSG.
Das LSG wird die aufgezeigten fehlenden Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V nun zu treffen haben.
4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es schon deswegen nicht, weil die Klägerin kostenprivilegiert ist (§ 183 S 1 SGG iVm § 56 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB I). Ansprüche nach § 13 Abs 3 S 1 SGG unterfallen nach Sinn und Zweck des § 56 SGB I dessen Anwendungsbereich. Sie sind im Rechtssinne auf "laufende" Geldleistungen gerichtet. Sie knüpfen daran an, dass der Berechtigte regelmäßig zu einer Vorfinanzierung für mehrere Zeitabschnitte gezwungen ist. Sie verlieren ihren Charakter nicht dadurch, dass sie verspätet oder als zusammenfassende Zahlung für mehrere Zeitabschnitte geleistet werden (vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 10 ff; eingehend BSGE 111, 137 = SozR 4-2500 § 13 Nr 25, RdNr 11 ff; BSG SozR 4-2500 § 60 Nr 7 RdNr 10). Dementsprechend ist es unschädlich, dass der Versicherte den Rechnungsbetrag vorab für mehrere Teile einer Gesamtbehandlung zahlte (Staging: 5 693,54 Euro; Targeting: 3 795,69 Euro; Bestrahlung: 9 489,22 Euro).
Fundstellen
Haufe-Index 8459105 |
KrV 2015, 254 |