Beteiligte
…,Kläger und Revisionskläger |
…,Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
G r ü n d e :
I.
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte berechtigt ist, vom Kläger 18.378,30 DM an überzahlter Rente zurückzufordern.
Den Rentenantrag des Klägers vom 23. Februar 1982 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 1982 ab. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch. Nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses am 28. Februar 1983 meldete er sich beim Arbeitsamt arbeitslos und beantragte, ihm Arbeitslosengeld zu gewähren. Dieses wurde ihm am 23. März 1983 rückwirkend bewilligt und zunächst bis zum 8. Juni 1983, dann über diesen Zeitpunkt hinaus - mit Ausnahme einiger Krankheitstage im April 1984 - bis zum 20. Juni 1984 gezahlt. Die Widerspruchsstelle der Beklagten änderte am 4. Mai 1983 den Bescheid vom 27. Mai 1982 ab und billigte dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Februar 1982 zu. Diese Entscheidung wurde mit Bescheid vom 22. Juni 1983 ausgeführt.
Am 14. Mai 1984 beantragte der Kläger bei der Beklagten, die Rente wegen Berufsunfähigkeit in eine solche wegen Erwerbsunfähigkeit umzuwandeln. Dabei gab er erstmalig an, Arbeitslosengeld zu beziehen. Nun nahm die Beklagte mit Bescheid vom 18. Januar 1985 eine Neufeststellung der Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 48 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) vor und hob den Bescheid vom 22. Juni 1983 auf. Außerdem forderte sie die unter Berücksichtigung des Ruhensbetrages in Höhe des Arbeitslosengeldes ermittelte Überzahlung von insgesamt 18.378,30 DM vom Kläger zurück. Der dagegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 1985).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 18. Oktober 1985). Die - vom SG zugelassene - Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 10. April 1986). Entgegen der Auffassung des SG sei die Beklagte nicht gem § 48 SGB X, sondern nach § 45 SGB X befugt gewesen, die Rentengewährung rückwirkend aufzuheben. Der Bescheid vom 22. Juni 1983 sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Schon ab März 1983 habe der Kläger Arbeitslosengeld erhalten und beim Zusammentreffen damit ruhe die Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1283 Abs 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bis zur Höhe des Arbeitslosengeldes. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, er habe auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut, denn er sei mehrfach auf seine Verpflichtung hingewiesen worden, den Bezug von Arbeitslosengeld zu melden. Die im Rahmen des § 45 aaO notwendigen Ermessenserwägungen habe die Beklagte im Widerspruchsbescheid nachgeholt.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Er ist der Ansicht, in diesem Falle sei ausschließlich § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X anzuwenden.
Der Kläger beantragt,die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 1985 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 1985 ist rechtmäßig.
Die Beklagte und das SG sind im Falle des Klägers von der Vorschrift des § 48 SGB X ausgegangen. Nach dessen Abs 1 Satz 1 ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bei einer Änderung der Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Vom Zeitpunkt der Änderung in den Verhältnissen soll nach Satz 2 dieser Vorschrift der Verwaltungsakt aufgehoben werden, soweit ua - so Nr 4 - der Betroffene wußte oder nicht wußte, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, daß der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen ist. § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X will der Kläger hier angewendet wissen. Wie der 9a Senat des Bundessozialgerichts (BSG) jedoch bereits mit Urteil vom 13. Dezember 1984 (in BSGE 57, 274, 276 f) entschieden hat, enthält Satz 2 eine Sonderregelung für die in Satz 1 des SGB X Abs 1 behandelte Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die beim Erlaß dieses Bescheides bestanden haben. Für beide Sätze gilt gemeinsam, daß sich die rechtserheblichen Verhältnisse nach dem Erlaß des aufzuhebenden Verwaltungsaktes geändert haben müssen. Das aber trifft im Falle des Klägers nicht zu.
Als der Bescheid über die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit am 22. Juni 1983 erlassen wurde, hatte der Kläger bereits ab 1. März 1983 Arbeitslosengeld bezogen. Gem § 1283 Abs 1 Satz 1 RVO ruhte diese Rente bis zur Höhe des Arbeitslosengeldes. Die entsprechenden Feststellungen des LSG sind vom Kläger ebensowenig angegriffen worden wie die Feststellung, daß die Voraussetzungen des Satzes 2 der genannten Vorschrift nicht erfüllt sind. Die Beklagte durfte deshalb den begünstigenden Verwaltungsakt vom 22. Juni 1983, soweit er rechtswidrig war, also soweit die Rente wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld ruhte, nach § 45 Abs 1 SGB X zurücknehmen. Insoweit hat das LSG zu Recht geprüft, ob nach dieser Vorschrift der angefochtene, auf § 48 Abs 1 SGB X gestützte Bescheid aufrecht erhalten werden kann (ebenso bereits BSG im Urteil vom 13. Dezember 1984 aaO).
Nun hatte das Arbeitsamt allerdings am 8. Juni 1983 die Auszahlung des Arbeitslosengeldes gestoppt, so daß der Kläger zur Zeit der Bescheiderteilung vom 22. Juni 1983 tatsächlich Arbeitslosengeld nicht ausgezahlt bekam. Dieses ist dann im September 1983 rückwirkend über den 8. Juni 1983 hinaus weitergezahlt worden. Das LSG ist davon ausgegangen, die Bewilligung des Arbeitslosengeldes sei nicht wirksam aufgehoben worden. Es handele sich um einen einheitlichen Sachverhalt, nämlich um das Beziehen von Arbeitslosengeld aufgrund der Arbeitslosmeldung am 1. März 1983. Insoweit ist nach Auffassung des erkennenden Senats entscheidend, daß dem Kläger auch zur Zeit der Bescheiderteilung vom 22. Juni 1983, also über den 8. Juni 1983 hinaus, Arbeitslosengeld zustand. Das ergibt sich aus der Zahlung im September 1983 rückwirkend ab 9. Juni 1983. Die Rente wegen Berufsunfähigkeit trifft im Sinne des § 1283 Abs 1 Satz 1 RVO nicht nur dann mit dem Arbeitslosengeld zusammen, wenn dieses tatsächlich ausgezahlt wird, sondern auch dann, wenn die entsprechenden materiell-rechtlichen Ansprüche bestehen. Das folgt schon aus dem Wortlaut des § 1283 Abs 1 Satz 1 RVO, wonach die Rente für den Zeitraum ruht, "für den beide Leistungen zu gewähren sind". Es kommt also nicht auf die Auszahlung an, sondern nur darauf, ob ein entsprechender Anspruch besteht. Dieses Ergebnis verdeutlicht ein Vergleich mit § 1278 Abs 4 RVO, worin das Ruhen der Rente eingegrenzt wird auf die Zeit nach der erstmaligen Auszahlung. In § 118 Abs 1 Satz 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) wird der Beginn des Ruhens von der laufenden Zahlung oder davon abhängig gemacht, daß die Leistung zuerkannt ist. Der Gesetzgeber unterscheidet also zwischen zu gewährenden, zuerkannten und ausgezahlten Leistungen. Da § 1283 Abs 1 Satz 1 RVO keine Einschränkungen enthält und nur fordert, daß "Leistungen zu gewähren sind", spricht das für die Auffassung des Senats. Dies wird zudem erhärtet durch einen Vergleich mit der Rechtsprechung des BSG zum Ruhen einer Versicherten- oder Hinterbliebenenrente beim Zusammentreffen mit einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, wonach die Renten nicht erst dann zusammentreffen, wenn sie durch Bescheid festgestellt sind, sondern schon dann, wenn die entsprechenden materiellen Ansprüche bestehen (vgl BSGE 33, 234, 236).
Der Bescheid über die Bewilligung der Rente wegen Berufsunfähigkeit war also sogleich als er erlassen wurde rechtswidrig und zwar hinsichtlich des gesamten Zeitraumes, für den Arbeitslosengeld zu gewähren war. Der Bescheid konnte daher unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X zurückgenommen werden. Die für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung in § 45 Abs 3 Satz 1 SGB X gesetzte Frist von zwei Jahren hat die Beklagte eingehalten. Nun hat der 7. Senat des BSG am 14. November 1985 entschieden, die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach § 45 Abs 1 SGB X erfordere die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens. Zu dessen Darlegung genügten Ausführungen über das Fehlen eines Vertrauensschutzes nach § 45 Abs 2 SGB X nicht (BSGE 59, 157, 169 f). Hingegen geht die Entscheidung des 9a Senats des BSG vom 25. Juni 1986 dahin, bei der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 45 Abs 1 SGB X bleibe im Regelfall für die Ausübung von Ermessen kein Raum (SozR 1300 § 45 Nr 24). Es kann hier dahingestellt bleiben, ob in beiden Entscheidungen divergierende Auffassungen zu finden sind, weil hier die Beklagte jedenfalls im Widerspruchsbescheid vom 13. Mal 1985 ausdrücklich unter Bezugnahme auf § 45 SGB X Ermessenserwägungen angestellt hat. Diese sind auch maßgebend (§ 41 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 2 SGB X) und mit den Ausführungen des LSG noch als ausreichend anzusehen.
Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nach § 45 Abs 2 Satz 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich gem Satz 3 der genannten Vorschrift der Begünstigte jedoch nicht berufen, soweit nach Nr 2 der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. § 60 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) legt demjenigen, der Sozialleistungen beantragt hat oder erhält, die Verpflichtung auf, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind (Abs 1 Nr 1), und Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen (Abs 1 Nr 2). Dieser Rechtspflicht nachzukommen, hat der Kläger unterlassen, wodurch seine Angaben im Rentenantrag bezüglich des verneinten Bezugs von Arbeitslosengeld unrichtig iS des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X geworden sind. Wie das LSG festgestellt hat, ist der Kläger mehrfach auf seine Verpflichtung hingewiesen worden, mitzuteilen, wenn ihm Arbeitslosengeld zuerkannt wird. Diese Mitteilung hat er zumindest grob fahrlässig unterlassen. Die entsprechende Qualifizierung durch das LSG kann nicht durch die Ausführungen des Klägers in der Revisionsbegründung in Frage gestellt werden. Der Kläger kann sich weder damit exculpieren, er habe die Hinweise auf die Mitteilungspflichten nicht gelesen, noch damit, er habe darauf vertraut, das Arbeitsamt werde den Bezug von Arbeitslosengeld der Beklagten melden. Bei dieser Sachlage sind keine Gründe erkennbar, die der Beklagten Veranlassung gegeben hätten, im Wege der Ermessensausübung von einer Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes vom 22. Juni 1983 abzusehen.
Da dieser Bescheid, soweit in ihm das Ruhen der Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1283 RVO nicht berücksichtigt worden ist, zu Recht aufgehoben worden ist, sind die insoweit von der Beklagten erbrachten Leistungen zu erstatten (§ 50 Abs 1 SGB X).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Fundstellen