Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung. Hilfsmittelerbringer. Anerkennung der „für die Versorgung geltenden Vereinbarungen”. Zulässigkeit. Mischkalkulation. Fortsetzungsfeststellungsklage. beabsichtigte Schadenersatzklage. Mitgliedschaft. Innung. Meistereigenschaft. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Zu der für die Zulassung als Hilfsmittelerbringer erforderlichen Anerkennung der „für die Versorgung geltenden Vereinbarungen” (§ 126 SGB 5).
2. Zur Zulässigkeit von „Mischkalkulationen” für Leistungserbringer.
3. Zur Fortsetzungsfeststellungsklage bei beabsichtigter Schadensersatzklage.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGB V § 126 Abs. 1, § 127 Abs. 1; SGG § 131 Abs. 1 S. 3; BGB § 839; GG Art. 34, 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; SGB V § 126 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Juli 1995 aufgehoben. Die Berufungen der Beklagten gegen die Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. Juni 1994 werden zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen die Kosten der Klägerin im Rechtsstreit.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage die Feststellung, daß die beklagten Krankenkassen (KKn) verpflichtet waren, ihr die Zulassung als Hilfsmittelerbringerin nach § 126 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – (SGB V) zu erteilen.
Die Klägerin übernahm im Herbst 1992 ein Sanitätshaus in R. … und meldete ihr Gewerbe zum 1. Oktober 1992 an; sie hat keine Meisterprüfung als Orthopädietechnikerin oder Bandagistin abgelegt, war aber bis Dezember 1993 „Gastmitglied” der Innung für Orthopädietechnik M. … /Westfalen. Der Verband der Angestellten-Krankenkassen ≪VdAK≫ erteilte der Klägerin für den genannten Betrieb die Zulassung zur Hilfsmittelerbringung für seine Versicherten, und zwar auf der Grundlage des „Vertrages über eine Benennungs- und Preisliste für Bandagen und orthopädische Hilfsmittel zwischen den Innungen für Orthopädie-Technik Nordrhein-Westfalen und den Landesverbänden der KKn in Nordrhein-Westfalen” zum 1. August 1992 (BP-Liste).
Mit Schreiben vom 22. September 1992 beantragte die Klägerin auch bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1) sowie bei der Beklagten zu 2) die Zulassung ihres Betriebes zur Leistungserbringung für orthopädische Hilfsmittel (nur Fertigartikel) nach § 126 SGB V; Betriebsleiterin sei die Fachkraft C. G. … Auch diese hat nur eine Lehre beim Vorinhaber des Sanitätshauses erfolgreich abgeschlossen, aber kein Meisterdiplom als Orthopädietechnikerin oder Bandagistin. Ein Abrechnungsangebot der Arbeitsgemeinschaft der KK im Kreis … St. ≪Ag KK≫ (Einkaufspreis plus 48 % plus Mehrwertsteuer) lehnte die Klägerin ab, da eine derartige „Rabattierung” der BP-Liste widerspreche; soweit keine Vereinbarung vorliege, sei sie – auch im Rahmen des Wettbewerbs – nicht zu unüblichen Rabattgewährungen von ca 50 % bereit. Die Ag KK teilte der Klägerin mit, die in der BP-Liste festgelegten Preise gälten nur für die Leistungserbringer der Gruppe 1 im Sinne der „Gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände der KKn gemäß § 126 Abs 2 SGB V zur einheitlichen Anwendung der Zulassungsbedingungen nach § 126 Abs 1 SGB V für Leistungserbringer von Hilfsmitteln” vom 2. Mai 1991 (Empfehlungen – vgl Die BKK 1991, 566); die Klägerin entspreche aber nur den Leistungserbringern der Gruppe 2 dieser Empfehlungen.
Das Sozialgericht (SG) hat auf Antrag der Klägerin fünf Landesverbände der KK, darunter die Beklagten, sowie die Bundesknappschaft durch einstweilige Anordnung verpflichtet, die Klägerin einstweilen als Hilfsmittelerbringerin zuzulassen (Beschluß vom 23. März 1993); das Landessozialgericht (LSG) hat die einstweilige Zulassung bestätigt, allerdings nur gemäß dem obigen Abrechnungsvorschlag der Beklagten (Beschluß vom 30. August 1993).
Durch Bescheid vom 30. August 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 1993 (Beklagte zu 1) sowie Bescheid vom 6. September 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 1993 (Beklagte zu 2) wurde die Zulassung der Klägerin zur Hilfsmittelerbringung abgelehnt, da sie keinen Anspruch auf eine Preisabrechnung gemäß der BP-Liste besitze und den Abschluß eines – deshalb an sich notwendigen – Einzelvertrages abgelehnt habe; außerdem habe die Klägerin mehrfach Kostenvoranschläge bei den KKn eingereicht, die den ärztlichen Verordnungen nicht entsprächen, und biete daher keine Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige, funktionsgerechte und wirtschaftliche Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel.
Die Klägerin hat zunächst gegen beide Beklagte Klage auf Zulassung zur Leistungserbringung erhoben, die Klagen nach Schließung des Sanitätshauses zum 31. Dezember 1993 aber auf Fortsetzungsfeststellungsklagen umgestellt und dazu vorgetragen, sie habe ihren Betrieb wegen Verlusten von fast DM 100.000,– einstellen müssen. Da bei einer Zulassung auf der Basis der BP-Liste eine Betriebsfortführung möglich gewesen wäre, beabsichtige sie Schadensersatzklagen. Das SG hat festgestellt, daß die Bescheide der Beklagten rechtswidrig und die Beklagten verpflichtet waren, der Klägerin die Zulassung als Hilfsmittellieferantin zu erteilen (Urteile vom 14. Juni 1994); das LSG hat die Klagen – nach Verbindung – abgewiesen (Urteil vom 20. Juli 1995).
Hiergegen wendet sich die Revision der Klägerin. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei auch deshalb zulässig, weil auch Zahlungsansprüche aus nicht oder unzureichend bezahlten Rechnungen geltend gemacht werden sollten. Sie habe die Verträge anerkannt, die für die Versorgung der Versicherten gegolten hätten; das genüge.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Juli 1995 aufzuheben und die Berufungen der Beklagten gegen die Urteile des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. Juni 1994 zurückzuweisen.
Die Beklagten beantragen,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei spätestens nach dem Urteil des LSG unzulässig geworden. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) könne eine schuldhafte Amtspflichtverletzung nicht mehr festgestellt werden, wenn ein LSG die Entscheidung als richtig beurteilt habe. Gegen die angekündigte Zahlungsklage hat die Beklagte zu 1) die Einrede der Verjährung erhoben.
Entscheidungsgründe
II
Auf die Revision der Klägerin waren die erstinstanzlichen Urteile wiederherzustellen. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig und begründet.
1. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig. Haben sich die angefochtenen Verwaltungsakte – hier: die die Zulassung zur Hilfsmittelerbringung ablehnenden Bescheide der beiden Beklagten – während des Rechtsstreits – hier: durch Aufgabe des Betriebes zum 31. Dezember 1993 – erledigt, spricht das Gericht gemäß § 131 Abs 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Antrag aus, daß die Verwaltungsakte rechtswidrig waren, wenn die Klägerin ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (BSG SozR 4100 § 91 Nr 5; BSG SozR 4100 § 19 Nr 9; vgl zum Ganzen auch Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 131 RdNrn 7 ff, sowie Schenke in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Ch. F. Menger 1985, 461, jeweils mwN). Für den Fall der Verpflichtungsklage wie hier wird die Vorschrift entsprechend angewandt (BSGE 42, 212, 216 = SozR 1500 § 144 Nr 5). Die Umstellung auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag ist nur zulässig, wenn ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, das sog. Feststellungsinteresse als Sonderform des Rechtsschutzbedürfnisses, vorliegt; dafür genügt ein durch die Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigtes Interesse, das rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art sein kann (vgl dazu BSG SozR 4100 § 91 Nr 5; BVerwGE 61, 164, 165). Entscheidend ist, daß die angestrebte gerichtliche Entscheidung geeignet sein kann, die Position des Klägers zu verbessern (BSG aa0, BVerwGE 53, 134, 137). Ein derartiges Feststellungsinteresse hat die Klägerin hinreichend dargelegt; die von ihr angekündigten Schadensersatzklagen wären jedenfalls nicht offensichtlich aussichtslos und können daher nach der ständigen Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte das Feststellungsinteresse in ausreichendem Maße begründen (BSGE 8, 176, 178; BVerwG NVwZ 1982, 560, 561; 1985, 265, 267; 1989, 1156 f; BGH VersR 1963, 628, 629).
Eine Klage wegen Amtspflichtverletzung nach Art 34 Grundgesetz (GG) iVm § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) wird zwar als offensichtlich aussichtslos angesehen, wenn ein Verschulden des Amtsträgers ausgeschlossen werden kann. Zudem verneint die herrschende Meinung ein Verschulden der Behörde, wenn ein mit mehreren Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht die Rechtmäßigkeit des Behördenhandelns bestätigt hat (BVerwG NJW 1985, 876 und NVwZ 1985, 265, 267; aA Schmidt, Der Irrtum des Kollegialgerichts als Entschuldigungsgrund, NJW 1993, 1630, 1631), wie dies hier in der angefochtenen Entscheidung des LSG geschehen ist. Indessen räumt der BGH mittlerweile zahlreiche Ausnahmen von dieser bloßen „Richtlinie” ein:
- wenn es sich um eine einfache, leicht zu beantwortende Rechtsfrage handelt und das Kollegialgericht trotz klarer und eindeutiger Gesetzesbestimmungen die Rechtslage verkannt oder eine eindeutige Gesetzesbestimmung handgreiflich falsch ausgelegt hat (RGZ 156, 34, 51; BGHZ 27, 338, 343; BGHZ 73, 161, 164 f; BGH NJW 1959, 35, 37; BGH VersR 1963, 628, 630; BGH VersR 1980, 459; BGH NJW 1985, 42, 43),
- wenn das Gericht das Verhalten mit Blick auf die Amtspflichtverletzung entscheidend nicht unter zutreffenden rechtlichen Gesichtspunkten gewürdigt hat (BGH VersR 1961, 176; BGHZ 73, 161, 165; BGHZ 103, 242, 249),
- wenn es das Vorgehen des Beamten aus Rechtsgründen billigt, die der Beamte selbst nicht erwogen hat (BGH NJW 1982, 36, 37),
- wenn dem Gericht der Rechtsfehler bei erschöpfender Prüfung nicht hätte unterlaufen dürfen (BGH VersR 1963, 845, 848),
- wenn das Gericht den Tatsachenstoff nicht sorgfältig und erschöpfend gewürdigt hat (BGH VersR 1984, 333, 335; BGH VersR 1989, 367, 368; BGH WM 1992, 1497, 1500; BGH WM 1992, 1533, 1536; BGH NJW – RR 1992, 772, 773 und 1176, 1178),
- wenn es infolge unzureichender Tatsachenfeststellung von einem anderen Sachverhalt als der Beamte ausgegangen ist (BGHZ 73, 161, 165; BGH VersR 1989, 367, 368; BGH WM 1992, 1497, 1500; BGH WM 1992, 1533, 1536; BGH VersR 1992, 1092, 1094; BGH NJW-RR 1992, 772, 773 und 1176, 1178),
- wenn es um die Beurteilung rechtlicher Spezialfragen ging, mit denen die Gerichte wenig befaßt werden, die jedoch dem tätig gewordenen Beamten in besonderem Maße hätten vertraut sein müssen und die er wie ein Gericht sach- und rechtskundig in ruhiger Abwägung aller Gesichtspunkte und unter Benutzung allen einschlägigen Materials habe beantworten können (BGHZ 73, 161, 165; BGH VersR 1963, 628, 630; BGH VersR 1963, 845, 848).
Den Beklagten ist zwar einzuräumen, daß hier – und zwar auch dann, wenn dem Berufungsgericht die von ihm in Tatbestand und Entscheidungsgründen herangezogene BP-Liste nicht vorgelegen haben sollte – keine der genannten Fallgruppen eindeutig gegeben ist. Gleichwohl kann eine Schadensersatzklage wegen Amtspflichtverletzung nach Auffassung des Senats jedenfalls nicht von vornherein als offensichtlich aussichtslos bezeichnet werden. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, daß der BGH die vorliegende Konstellation mittels einer Gesamtbetrachtung den bisher anerkannten Fallgruppen qualitativ gleichstellen oder eine neue Fallgruppe entwickeln würde, bei deren Vorliegen sich der beklagte Träger öffentlicher Gewalt ebenfalls nicht auf den Entschuldigungsgrund eines kollegialgerichtlichen Urteils berufen kann. Insoweit könnte Berücksichtigung finden, daß das Berufungsurteil die Klägerin in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit verletzt, was zur Begründetheit der Revision noch auszuführen ist, und daß ein effektiver Grundrechtsschutz bei Verneinung eines Schadensersatzanspruchs gefährdet erscheinen kann, zumal die Klägerin auch die Möglichkeiten des vorläufigen Rechtsschutzes in Anspruch genommen, aber nur einen wirtschaftlich wertlosen Zwischenerfolg erlangt hat.
Die für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage außerdem erforderliche Zulässigkeit der ursprünglichen Verpflichtungsklagen lag vor, wie das SG bereits zutreffend festgestellt hat.
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet. Die Beklagten waren verpflichtet, die Klägerin als Hilfsmittelerbringerin zuzulassen.
Das LSG hat einen Zulassungsanspruch der Klägerin verneint, weil eine Preisvereinbarung notwendige Voraussetzung der Zulassung zur Hilfsmittelerbringung sei. Zum einen hätte die BP-Liste nicht, auch nicht mit der Gruppe 2 der Liste (Hilfsmittel, die keiner besonderen handwerklichen Zurichtung bedürfen), für die Klägerin geholten. Denn das gesamte „Regelwerk” der Vereinbarung gelte nur für Innungsmitglieder und könne auch nur auf Meisterbetriebe erstreckt werden. Die Klägerin sei aber nicht Innungsmitglied gewesen und habe auch weder selbst einen Meisterbrief für das Orthopädietechniker- oder Bandagistenhandwerk erworben noch einen entsprechenden Meister in ihrem Betrieb beschäftigt. Zum anderen sei eine Einzelvereinbarung nicht zustande gekommen.
Dem vermag der Senat nicht zuzustimmen. Mit Einführung des § 126 SGB V durch Art 1 Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) mit Wirkung zum 1. Januar 1989 hat der Gesetzgeber die Zulassung als öffentlich-rechtlichen (Verwaltungs-)Akt und als notwendige formale Voraussetzung für die Vergütung und Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen ausgestaltet (Kranig, in Hauck/Haines, SGB V, Stand: Januar 1996, § 126 RdNrn 1 f und § 124 RdNr 2; Schmitt, Leistungserbringung durch Dritte, S 204 ff; Krauskopf, Komm zur Sozialen Krankenversicherung/Pflegeversicherung, 3. Aufl, Stand: Oktober 1995, § 126 RdNr 1; von Maydell in GK-SGB V, 1992, § 126 RdNr 1; Heinze in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 1, Krankenversicherungsrecht, 1994, § 40 RdNr 22). Die Zulassung darf weder von der Einwilligung in einen Abzug von der in bestehenden Verträgen vorgesehenen Vergütung, noch vom Abschluß einer Einzelvereinbarung abhängig gemacht werden. Nach § 126 Abs 1 SGB V dürfen Hilfsmittel an Versicherte nur von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden; zuzulassen ist, wer eine ausreichende, zweckmäßige, funktionsgerechte und wirtschaftliche Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel gewährleistet und „die für die Versorgung der Versicherten geltenden Vereinbarungen” anerkennt. Damit sind die nach § 127 SGB V abgeschlossenen Vereinbarungen gemeint. Nach § 127 Abs 1 SGB V werden über die Einzelheiten der Versorgung mit Hilfsmitteln sowie über die Abrechnung der Festbeträge Verträge abgeschlossen, und zwar zwischen den Landesverbänden der KKn sowie den Verbänden der Ersatzkassen (ErsKn) auf Landesebene (mit Wirkung für ihre Mitgliedskassen) einerseits und Leistungserbringern oder Verbänden der Leistungserbringer andererseits. Nach Abs 2 der Vorschrift können sich Leistungserbringer bereit erklären, Hilfsmittel zu den festgesetzten Festbeträgen oder zu niedrigeren Beträgen abzugeben; soweit Festbeträge noch nicht festgelegt sind oder nicht festgelegt werden können, schließen die KKn oder ihre Verbände mit Leistungserbringern oder Verbänden der Leistungserbringer Vereinbarungen über Preise, die Höchstpreise darstellen.
Im vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob die in § 126 Abs 1 SGB V geforderte Anerkennung der Vereinbarungen bei verfassungskonformer Auslegung unter Berücksichtigung der Grundrechte des Antragstellers aus den Art 12 und 14 GG nur auf die in diesen Verträgen festgelegten reinen Versorgungsbedingungen – wie etwa Art und Weise der Leistungserbringung, Qualitätserfordernisse uä – bezieht (so Heinze in Schulin aa0, § 40 RdNr 37 – offengelassen in BSG SozR 3-2500 § 124 Nr 3) oder auch auf die dort vereinbarten Höchstpreise. Desgleichen kann offenbleiben, ob vereinbarte Höchstpreise jedenfalls dann nicht anzuerkennen sind, wenn sie nur mit unbedeutenden Verbänden vereinbart wurden.
Denn die Klägerin hat die einzige für die von ihr beabsichtigte Hilfsmittelerbringung – Hilfsmittel der Gruppe 2 der Empfehlungen – bereits geltende Vereinbarung anerkannt, nämlich die oben genannte BP-Liste bzgl Hilfsmitteln der Gruppe 2. Die KKn und deren Verbände sind aber verpflichtet, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 126 SGB V alle diejenigen Hilfsmittelerbringer zuzulassen, deren Preisangebote nicht über den Sätzen bestehender Vereinbarungen liegen (ähnlich für § 133 SGB V schon Urteil des Senats vom 29. November 1994 – 3 RK 32/94 – Krankentransport).
Die Argumentation des LSG, die Klägerin sei weder Mitglied einer Innung noch Inhaberin eines Meisterbetriebes gewesen, geht fehl. Auf die Mitgliedschaft in einer Innung kann es schon deshalb nicht ankommen (weshalb die rechtliche Einordnung einer „Gastmitgliedschaft” dahinstehen kann), weil sonst die Formulierung in § 126 Abs 1 SGB V „und die für die Versorgung der Versicherten geltenden Vereinbarungen anerkennt” ins Leere ginge; denn wer eine Mitgliedschaft in dem vertragsschließenden Leistungserbringerverband besitzt, ist regelmäßig schon kraft Verbandssatzung zur Anerkennung der vom Verband geschlossenen Vereinbarungen verpflichtet, so daß es keiner Anerkennung mehr bedürfte. Auf die Meistereigenschaft des Betriebsinhabers oder -leiters kann es wiederum deshalb nicht ankommen, weil eine derartige Forderung für die Abgabe von Artikeln allein der Gruppe 2, wie von der Klägerin beabsichtigt, unverhältnismäßig (nicht erforderlich) und mithin ein Verstoß gegen die Art 12, 20 GG wäre.
3. Das LSG hat – wie die Beklagten – die Anerkennung des maßgeblichen Teils der Vereinbarung (BP-Liste der Gruppe 2) durch die Klägerin – oder einen Anspruch der Klägerin auf entsprechende Einzelvereinbarung – auch deshalb nicht akzeptiert, weil die BP-Liste ein integriertes, gruppenübergreifendes Preisgefüge „Mischkalkulation”) für Handwerks(meister)betriebe darstelle – man kann hinzufügen: und die Klägerin sich daraus nicht den ihr gerade passenden Teil „herausschneiden” könne. Die Beklagten hätten für die unterschiedliche Behandlung derartiger Handwerks(meister)betriebe einerseits und Sanitätshäuser andererseits auch vernünftige Differenzierungsgründe iS der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gehabt: die höhere Qualifikation der Handwerksmeister, die andersartiger Kostenstruktur (infolge zeit- und lohnintensiverer handwerklicher Verrichtungen sowie die Beschäftigung von Gesellen und Auszubildenden), schließlich die Besonderheiten der Region und des Standortes.
Bei der Auslegung der BP-Liste durch das LSG handelt es sich um die Anwendung eines auf Landesebene geschlossenen und in seinem Geltungsbereich darüber nicht hinausgehenden Vertrages mit genereller, normativer Wirkung, der mithin grundsätzlich der Überprüfung durch den Senat entzogen ist (§ 162 SGG). Der Senat geht deshalb mit dem LSG davon aus, daß das Preisgefüge des Vertrages auf einer Mischkalkulation beruht. Die Schlußfolgerung des LSG, daß die Anerkennung eines solchen Vertrages die Zulassungsvoraussetzung nicht erfüllt, verstößt indes gegen revisibles Recht, nämlich die Grundrechte der Klägerin aus Art 12, 3 GG (vgl dazu BSGE 3, 77, 80 = SozR Nr 2 zu Art 14 GG; 38, 21, 29 = SozR 2200 § 725 Nr 1; 39, 252, 254 = SozR 2200 § 550 Nr 4; 62, 131, 135 = SozR 4100 § 141b Nr 40; vgl zum Ganzen auch Krasney in Udsching/Krasney, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, IX, RdNrn 301 ff).
Der Senat vermag der Argumentation des LSG, die angeführte Preisvereinbarung passe nach ihrem Inhalt nicht, es sei deshalb vom Fehlen einer Preisvereinbarung auszugehen, und für diesen Fall erlaube § 126 SGB V die Versagung der Zulassung, nicht zu folgen. Denn eine ausdehnende Auslegung der Zulassungsvoraussetzung „Anerkennung bestehender Vereinbarungen” dahin, daß beim Fehlen einer einschlägigen Vereinbarung der Abschluß einer Preisvereinbarung als Zulassungsvoraussetzung gefordert werden dürfe, kommt nicht in Betracht. Das LSG sieht eine Preisvereinbarung iS des § 127 SGB V für das privatrechtliche Abwicklungsverhältnis als unerläßlich an und will hieraus schließen, daß das Gesetz in jedem Falle eine gültige Preisvereinbarung als Zulassungsvoraussetzung fordere. Dabei wird nicht ausreichend berücksichtigt, daß die Vereinbarungen iS des § 127 SGB V nur Höchstpreise vorsehen und daß die eigentliche Preisfestsetzung im Verhältnis zum Einzelleistungserbringer stattfindet. Soweit für Hilfsmittel Festpreise gelten, bleibt für „vereinbarte Preise” ohnehin kein Raum, weil die KK nur den Festpreis schuldet und der Leistungserbringer berechtigt bleibt, mit dem Versicherten einen höheren Preis zu vereinbaren. Im übrigen gilt im Abrechnungsverhältnis zwischen Einzelkasse und Leistungserbringer bei Fehlen einer Einzelvereinbarung ohnehin der „übliche Preis” als vereinbart. Das gilt für Heilmittelerbringer, die nur ihre Dienste schulden, bei Fehlen staatlich festgesetzter Gebühren nach § 612 BGB, bei Heil- und Hilfsmittelerbringern, die ein „Werk” schulden, nach § 632 Abs 2 BGB (vgl BSG SozR 3-2500 § 124 Nr 3) und in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens auf andere Fälle der Leistungserbringung durch zugelassene Heil- oder Hilfsmittelerbringer – zB beim Werklieferungsvertrag (§ 651 BGB) oder beim Kaufvertrag (§ 433 BGB) – in Auslegung der Vereinbarung, die zumindest stillschweigend bei der tatsächlichen Durchführung der Versorgung des Versicherten zwischen Kasse und Leistungserbringer getroffen wurde. Die sonst für den Kaufvertrag geltende Auslegungsregel, daß der im Geschäftsbetrieb des Verkäufers „übliche” Preis als vereinbart gilt (Putzo in Palandt, BGB, 54. Aufl 1995, § 433 RdNr 28, kann im Verhältnis des zugelassenen Leistungserbringers zur KK nicht gelten. In diesem Zusammenhang können vereinbarte Preise wegen ihres Charakters als Höchstpreise nämlich nicht ohne weiteres als „übliche” Preise angesehen werden, insbesondere wenn mehrere andere KKn niedrigere Preise vereinbart haben. Schon deswegen geht die Schlußfolgerung fehl, das Gesetz fordere stillschweigend eine Preisvereinbarung als Zulassungsvoraussetzung.
Im übrigen zeigt die gesetzliche Regelung zur Anerkennung bestehender Vereinbarungen, daß der Gesetzgeber die Bedeutung der Preisvereinbarung für die Zulassung nicht übersehen, sondern mit dieser Formulierung seiner Auffassung nach angemessen geregelt hat. Ein Wille des Gesetzgebers, die Berufsfreiheit noch weitergehend einzuschränken, kann der gesetzlichen Zulassungsregelung jedenfalls nicht mit der in Ansehung der Berufsfreiheit (Art 12 GG) zu fordernden Deutlichkeit entnommen werden. Eine solche Einschränkung wäre auch von der Sache her nicht erforderlich und deshalb unverhältnismäßig. Selbst wenn Hinweise auf eine solche Absicht vorlägen, könnten diese nach dem Grundsatz verfassungskonformer Auslegung eine Erweiterung der Zulassungsvoraussetzungen nicht rechtfertigen.
Der Senat braucht auch nicht näher darauf einzugehen, ob die BP-Liste im Zusammenhang mit der Mischkalkulation dahin ausgelegt werden kann, daß sie stillschweigend für die Abgabe durch Nicht-Meisterbetriebe den von der Beklagten geforderten „Abschlag” vorsieht. In diesem Falle hätte die Klägerin zwar die Preisvereinbarung nicht mit ihrem tatsächlichen Inhalt anerkannt. Das würde die Versagung der Zulassung rechtfertigen, wenn eine entsprechende Vereinbarung nicht gegen höherrangiges Recht verstieße. Da ein solcher Rechtsverstoß jedoch vorläge, kann offenbleiben, ob eine derartige Auslegung der BP-Liste in Betracht kommt. Denn eine Mischkalkulation kann es nicht rechtfertigen, für Leistungspositionen, die einen Meisterbetrieb nicht erfordern, den Meisterbetrieben generell ein erheblich höheres Entgelt zuzubilligen als anderen Betrieben, also auch für den Fall, daß der Meister die Verrichtung zulässigerweise einer Mitarbeiterin übertragen hat, die nur über eine für die Gruppen 2 und 3 ausreichende Vorbildung verfügt.
Die höheren Preise für die Gruppen 2 und 3 für Handwerks(meister)betriebe lassen sich – im Gegensatz zur Auffassung des LSG – auch sonst nicht durch den Hinweis auf das Zugrundeliegen einer Mischkalkulation rechtfertigen. Mischkalkulationen begegnen rechtlich grundsätzlich Vorbehalten, weil dadurch das wirkliche Preis-Leistungs-Verhältnis verändert, nämlich zum Teil verbessert, zum Teil verschlechtert, und damit letztlich eine Ungleichbehandlung zu Lasten eines Teiles der einbezogenen Personen hervorgerufen wird. Auch hier ist den Feststellungen des LSG zu entnehmen, daß die höhere Kostenstruktur eines Meisterbetriebes durch Käufer von Artikeln der Gruppe 2 (und 3) mitgetragen werden soll, obgleich beim Verkauf dieser Artikel kein Meister erforderlich ist – andernfalls müßten zumindest die Empfehlungen geändert werden. Mischkalkulationen sind daher in der Regel nur zulässig, wenn sich dafür irgend ein sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst einleuchtender, sachlich vertretbarer, vernünftiger Grund finden läßt, die Regelung mithin nicht als willkürlich zu bezeichnen ist; dabei kann etwa an Praktikabilität – zB unverhältnismäßig hoher Aufwand bei Ermittlung des wirklichen Preis-Leistungs-Verhältnisses –, finanzielle Gesichtspunkte, Grundkonzeptionen des betreffenden Regelungsbereichs, überwiegende Vorteile auch für den benachteiligten Personenkreis oä gedacht werden (vgl zum Ganzen die Rechtsprechung des BVerfG zu Art 3 GG: BVerfGE 3, 4, 11; 14, 263, 285; 17, 337, 354; 33, 44, 51; 41, 126, 188; 46, 299, 311; 75, 40, 72; 75, 108, 157; 83, 1, 23).
Die genannten oder gleichwertige Gründe liegen hier, im Gegensatz zur Auffassung des LSG, nicht vor. Eine derartige Mischkalkulation könnte sich zB bei bestimmten Kleinbetrieben mit ungünstiger Kostenstruktur rechtfertigen lassen, die andernfalls nicht existenzfähig wären. Dabei könnte etwa an den Ein-Mann-Meisterbetrieb oder den Kleinbetrieb mit nur einem Meister und einem Gesellen gedacht werden, weil in derartigen Betrieben auch der Meister und/oder der hochbezahlte handwerklich gelernte Angestellte „überqualifiziert” beim Verkauf von Artikeln der Gruppe 2 mitwirken muß und sich die Einstellung einer handwerklich nicht gelernten Verkaufskraft mangels voller Auslastung wiederum nicht rechnet. Der Schutz derartig strukturierter Kleinbetriebe könnte sich aus den Art 12, 14 GG rechtfertigen, in ländlichen Gebieten oder Außenbezirken von Großstädten zusätzlich mit den dadurch kürzeren Wegen auch für Käufer von Artikeln der Gruppe 2. Letztlich können diese Fragen hier aber offenbleiben, weil die Empfehlungen nur auf Meisterbetriebe generell abstellen, also gerade einer Differenzierung zwischen den geschilderten Kleinbetrieben und den keines besonderen Schutzes im Wege der Mischkalkulation bedürftigen Mittel-und Großbetrieben mit besonderen handwerklich nicht gelernten und daher auch kostengünstigeren Verkaufskräften ermangeln.
Betrachtet man aber, wie die BP-Liste, Meisterbetriebe generell, dann ist in der Tat kein Grund ersichtlich, warum – wie bereits das SG formuliert hat – die handwerklichen Leistungen der Gruppe 1 durch den Verkauf von Artikeln der Gruppe 2 „subventioniert” werden sollen, statt die Kosten eines Handwerksmeisters (sowie eventuell weiterer Kosten für Handwerksgesellen, Lehrlinge und Werkstatt) allein dort hereinzuholen, wo sie ihren Ursprung haben: bei den Leistungen der Gruppe 1, die handwerks(meister)liche Fähigkeiten erfordern. Das gilt vor allem deshalb, weil der einzelne Versicherte nicht über seine – immer bedeutsamer werdende – Selbstbeteiligung fremdbelastet werden darf. Aber auch eine einzelne KK (mit einem geringeren Anteil an Hilfsmittelempfängern der Gruppe 1) ist nicht verpflichtet, auf diesem Wege eine andere KK (mit einem höheren Anteil an Hilfsmittelempfängern der Gruppe 1) indirekt zu subventionieren. Zudem lassen sich die Kosten der Gruppe 2 (und 3) leicht und praktikabel ermitteln, nämlich durch Ansetzen des Einkaufspreises mit einem Gewinnzuschlag und der Mehrwertsteuer. Die schwierige Ermittlung der Kosten für das einzelne handwerklich zuzurichtende Hilfsmittel ist ein Problem der Gruppe 1, das nicht in die Gruppe 2 (und 3) hinübergetragen werden darf. Irgend welche Vorteile der Mischkalkulation – von den oben genannten Fällen des Meister-Kleinbetriebes, vornehmlich in ländlichen Gegenden, abgesehen -auch für Käufer von Hilfsmitteln der Gruppe 2 sind nicht ersichtlich. Eine mithin durch nichts gerechtfertigte Grundkonzeption der BP-Liste muß sich die Klägerin aber nicht entgegenhalten lassen.
Nach alledem waren die Beklagten nicht berechtigt, die Zulassung der Klägerin unter Hinweis auf eine fehlende Preisvereinbarung zu verweigern.
4. Die übrigen Zulassungsvoraussetzungen waren erfüllt. Die Klägerin bot die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige, funktionsgerechte und wirtschaftliche Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel. Die Beteiligten haben vor dem Senat übereinstimmend erklärt, daß die der Klägerin vorgeworfenen Verfehlungen im Urteil des SG zutreffend umschrieben sind und daß die Beklagte nur deren rechtliche Bewertung angreift. Im einzelnen führt das SG dazu aus (Urteil S 9), die Klägerin habe keine Produkte der Gruppe 1 abgegeben; im übrigen beträfen die Vorwürfe Alltagsfälle, bei denen die Kasse selbst einmal nur eine Spezifizierung, ein andermal ausdrücklich eine Abweichung verlangt habe und ein drittes Mal die Abweichung nach Angaben der Klägerin erst auf telefonische Rückfrage beim Arzt vorgenommen und zudem ausdrücklich vermerkt worden sei. Das SG hat verneint, daß diese Vorwürfe ein so starkes Gewicht hätten, daß deswegen (allein) die Zulassung habe versagt werden können. Dem stimmt der Senat zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 796989 |
BSGE 79, 33 |
BSGE, 33 |
SozR 3-2500 § 126, Nr.2 |
SozSi 1997, 398 |
SozSi 1997, 400 |