Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Der klagende Sozialhilfeträger verlangt von der beklagten Krankenkasse Kostenersatz für eine sogenannte Schwimm- oder Badeprothese, mit der er den Versicherten W… B…, ein freiwilliges Mitglied der Beklagten, ausgestattet hat.
Dem 1916 geborenen Versicherten wurde im Alter von 4 Jahren das linke Bein im Unterschenkel amputiert. Er trägt eine Unterschenkelprothese. Mitte des Jahres 1974 wandte er sich an die Beklagte mit der Bitte, sich an den Kosten einer sog. Schwimm- oder Badeprothese zu beteiligen. Dieser Antrag hatte keinen Erfolg. Daraufhin gewährte der Kläger die gewünschte Prothese. Gleichzeitig beanspruchte er von der Beklagten Ersatz seiner Aufwendungen. Er wies darauf hin, daß er zur Sicherstellung der Versorgung die Kosten der Badeprothese gem. § 44 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) nur vorläufig übernommen habe. Die Beklagte lehnte jedoch auch dem Kläger gegenüber eine Kostenbeteiligung ab.
Mit der im Juni 1975 erhobenen Klage hatte der Kläger einen Kostenersatz in Höhe von 1.410,98 DM gefordert und zur Begründung vorgetragen: Der Versicherte nehme aufgrund ärztlicher Empfehlung regelmäßig einmal in der Woche am Versehrten-Schwimmsport teil. Er benötige die Badeprothese, um auf dem nassen, mit Steinfliesen belegten Boden in der Schwimmhalle nicht auszurutschen. Der Weg von der Kabine über den Duschraum bis zum Schwimmbecken sei über 60 m lang. Vor Anschaffung der inzwischen benutzten Badeprothese sei der Versicherte bereits zweimal gestürzt. Krücken könne er nicht benützen, weil diese nicht rutschfest seien und er auch in deren Handhabung ungeübt sei, denn er habe zum Gehen immer eine Prothese verwendet. Im übrigen werde eine Badeprothese allgemein als notwendig angesehen. In dem vom Versicherten besuchten Versehrten-Schwimmkurs werde lediglich von einem Teilnehmer keine Badeprothese benutzt.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Einholung ärztlicher Auskünfte und Gutachten darüber Beweis erhoben, ob der Versicherte zur Ausübung des Schwimmsports eine Badeprothese benötigt. Der Facharzt für Orthopädie Dr. C… ist in seinem Gutachten vom 25. April 1978 zu dem Ergebnis gekommen, es sei nicht zu erwarten, daß der (damals) 62-jährige Versicherte durch eine intensive Gehschulung eine ausreichend gute Gehfähigkeit erzielen könne, die ohne zusätzliche Gefährdung das Gehen mit Gehstützen auf glitschigem Schwimmhallenboden ermögliche; eine Badeprothese könne hingegen ein sicheres Gehen gewährleisten. Der zuvor gehörte Privatdozent Dr. L… - Leitender Arzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. F… e. V. in S…, hat sich in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 21. Oktober 1975 entsprechend geäußert und zudem darauf hingewiesen, es sollte auch den psychologischen Bedürfnissen der Amputierten generell Rechnung getragen werden, denn es sei allgemein bekannt, daß die Gewöhnung den Publikums an Körperbehinderte seit den Jahren nach dem 2. Weltkrieg wieder abgenommen habe. Trotz dieser ärztlichen Beurteilungen hat das SG die Klage abgewiesen, weil die Badeprothese nicht - wie das Bundessozialgericht (BSG) gefordert habe - zur Befriedigung alltäglicher Grundbedürfnisse, sondern lediglich für besondere Betätigungen im gesellschaftlichen oder privaten Bereich erforderlich sei. Dieses Urteil ist in der Berufungsinstanz bestätigt worden. Auch das Landessozialgericht (LSG) hat die Auffassung vertreten, die Badeprothese des Versicherten sei kein Hilfsmittel, das der Krankenversicherungsträger zu gewähren habe; denn sie diene in erster Linie dazu, die Teilnahme am Versehrtensport, der dem gesellschaftlichen und privaten Bereich zuzurechnen sei, zu erleichtern. Es handele sich also um ein Hilfsmittel, das bei den durch die Behinderung bedingten Folgeerscheinungen und nicht bei der Behinderung selbst ansetze. Außerdem benötige der Versicherte die Prothese nicht zur Ausübung des Schwimmsports; denn er verwende sie nicht zum Schwimmen, vielmehr lege er sie nach Zurücklegung des Weges von der Kabine zum Schwimmbecken am Beckenrand ab. Schließlich sei der regelmäßig betriebene Schwimmsport keine ärztlich verordnete heil- bzw. krankengymnastische Übung oder eine sonstige medizinische Rehabilitationsmaßnahme, er sei nur ärztlich empfohlen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger, die Vorinstanzen hätten in Verkennung der Rechtsprechung den BSG zum Begriff des Hilfsmittels im Sinne des § 182 b der Reichsversicherungsordnung (RVO) den begehrten Ersatz zu Unrecht abgelehnt. Da die Badeprothese als orthopätisches Hilfsmittel die Behinderung unmittelbar ausgleiche, stelle sie die Frage ihrer Zurechnung zum beruflichen oder gesellschaftlichen Bereich nicht. Davon abgesehen sei der Schwimmsport nicht lediglich als eine gesellschaftliche und private Betätigung aufzufassen, sondern dem gesundheitlich-medizinischen Bereich zuzurechnen, insbesondere im vorliegenden Fall, weil beim Versicherten das Schwimmen erforderlich sei, um einer bestehenden Kreislauf- und Blutdruckerkrankung entgegenzuwirken. Dem Versicherten sei es in Anbetracht seines Alters und nach zwei schweren Stürzen unzumutbar, ohne Badeprothese ein Schwimmbad aufzusuchen.
Der Kläger beantragt,die Urteile des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg vom 9. Februar 1979 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 25. Juli 1978 aufzuheben und die Beklagte zum Ersatz der Kosten einer Schwimmprothese in Höhe von 1.410198 DM zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend. Ein Hilfsmittel, das - wie hier die Badeprothese - in erster Linie zum Ausgleich von Benachteiligungen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder privatem Gebiet benötigt werde, könne nicht Gegenstand der Leistungspflicht des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung sein. Außerdem ziele das Begehren des Klägers darauf ab, dem Versicherten nicht nur das nötige, sondern das optimale Mittel zum Ausgleich seiner Behinderung zur Verfügung zu stellen. Zwar sei nach dem von den Spitzenverbänden der Krankenkassen im Jahre 1978 erarbeiteten Hilfsmittelkaterlog (Ersatzkasse 1978, 425 ff.) in besonderen Fällen die Gewährung einer wasserfesten Gehilfe als Hilfsmittel vorzugehen. Die dafür vorausgesetzten besonderen Verhältnisse lägen hier nicht vor.
II
Die Revision ist begründet.
Dem Kläger steht der von ihm nach §§ 1531 bis 1533 RVO erhobene Ersatzanspruch zu. Die Ausstattung des Versicherten mit einer Badeprothese ist eine Leistung, die der Kläger als überörtlicher Träger der Sozialhilfe nach gesetzlicher Pflicht im Rahmen der Eingliederungshilfe für Behinderte gemäß §§ 39 ff. BSHG erbracht hat, die aber von der Beklagten zu gewähren gewesen wäre.
Die Verpflichtung der Beklagten folgt aus § 14 Abs. 5 ihrer Versicherungsbedingungen. Diese Vorschrift stimmt mit der für Versicherungspflichtige geltenden gesetzlichen Regelung überein. Nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c i.V.m. § 182 b RVO in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl. I 1881) hat der Versicherte Anspruch auf Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder eine körperliche Behinderung auszugleichen. Umfang und Begrenzung dieses Anspruchs ergeben sich aus der zum Ausdruck gebrachten Zweckbestimmung der gesetzlichen Regelung, aus dem eingeschränkten Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherung und aus der Aufgabeverteilung im gesamten Sozialleistungsbereich auf mehrere Leistungsträger. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 24. April 1979 - 3 RK 20/78 - SozR 2200 § 182 b RVO Nr. 12 m.w.N.) schuldet der Krankenversicherungsträger solche Hilfsmittel, die unmittelbar auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind, also vor allem die beeinträchtigte Körperfunktion (wie Greifen, Gehen, Sitzen, Hören und Sehen) ermöglichen, ersetzen, erleichtern oder ergänzen. Dagegen besteht grundsätzlich kein Anspruch aus der Krankenversicherung, soweit ein Hilfsmittel dem Zweck dient, lediglich die Folgen der Behinderung in einzelnen Lebensbereichen, insbesondere auf beruflichem, gesellschaftlichem oder privatem Gebiet auszugleichen.
Die sog. Schwimm- oder Badeprothese ist eine wasserfeste Prothese, die das Gehen auf naßglattem, rutschigem Boden in Schwimmhallen, in Freischwimmbädern und an Badestränden ermöglicht oder erleichtert (vgl. auch Hilfsmittelkatalog des gemeinsamen Rundschreibens der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 27. Juni 1978 a.a.O., S.483) oder beim Schwimmen selbst einen Ausgleich der körperlichen Behinderung bewirkt. Sie ist zunächst - worauf schon ihre Bezeichnung hinweist - wie jede Prothese ein Körperersatzstück. Sie ersetzt den nicht mehr vorhandenen Körperteil, hier den linken Unterschenkel, in seiner äußeren Gestalt. Schon deshalb handelt es sich um einen Gegenstand der Krankenpflege. Darüber hinaus ist die Badeprothese ein orthopätisches Hilfsmittel, das der Zweckbestimmung des § 182 b RVO gerecht wird. Sie ist unmittelbar auf den Ausgleich der Behinderung gerichtet, denn sie dient der Ausübung der durch die Amputation beeinträchtigten Funktion der Beine. Sie setzt also nicht erst bei den Folgen der Behinderung in einzelnen Lebensbereichen an. Der Umstand, daß ihr Anwendungsbereich funktionell und räumlich begrenzt ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Zu den Hilfsmitteln i.S. des § 182 b RVO gehören auch solche, die nur in einem begrenzten Bereich zu verwenden sind (SozR 2200 § 182 b RVO Nr. 9 und Nr. 12).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Rechtslage anders zu beurteilen ist, wenn das Hilfsmittel zwar eine natürliche Körperfunktion ersetzt, aber nur eine spezielle Tätigkeit ermöglicht, die sich auch in ihrer Wirkung nur auf einen bestimmten Lebensbereich beschränkt. Eine solche Beschränkung kann hier schon wegen der Bedeutung des Schwimmens für die Gesunderhaltung im allgemeinen und des Versehrtenschwimmsports für die körperliche Ertüchtigung des behinderten Versicherten im besonderen nicht angenommen werden. Das gilt vor allem für einen Unterschenkelamputierten. Ihm sind andere körperliche Betätigungen, die zur Vermeidung einer Verschlechterung der gesundheitlichen Verhältnisse notwendig sind (z.B. das Wandern), weitgehend verschlossen. Das Schwimmen befriedigt daher Bedürfnisse, die dem gesundheitlich-medizinischen Bereich zuzuordnen sind. Diese Zuordnung ist bei der Prüfung, ob die Krankenkasse zur Hilfsmittelgewährung verpflichtet ist, mit zu berücksichtigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Schwimmen dem Versicherten ärztlich verordnet worden ist.
Die Ausstattung mit der Badeprothese ist auch eine notwendige Maßname der Krankenpflege (§ 182 Abs. 2 RVO). Eine gewöhnliche Prothese kann der Versicherte im Bereich einer Schwimmhalle oder eines Freischwimmbades nicht tragen. Er ist hier auf eine wasserfeste Prothese angewiesen. Er benötigt sie als Körperersatzstück, denn es besteht für ihn auch innerhalb eines Schwimmbades das Bedürfnis, die körperliche Versehrtheit in ihrer äußeren Erscheinung soweit wie möglich auszugleichen. Die Badeprothese ist aber auch notwendig, um das Schwimmen zu ermöglichen, und zwar auch dann, wenn sie nicht zum Schwimmen selbst, sondern nur außerhalb des Wassers zum Gehen gebraucht wird. Das Schwimmen im Hallenbad und Freischwimmbad ist einem Beinamputierten im Rahmen des Zumutbaren nur möglich, wenn er ohne Gefährdung seiner Gesundheit (ohne Gefahr des Ausgleitens und des Hinstürzens) zum Schwimmbecken und ins Wasser gelangen kann. Es liegen schließlich keine Anhaltspunkte dafür vor, daß denselben Zweck in ausreichender Weise ein preisgünstigeres Hilfsmittel erfüllt.
Die Beklagte kann sich zur Stützung ihrer gegenteiligen Auffassung nicht auf das Urteil des Senats vom 15. November 1973 - 3 RK 77/72 - (SozR Nr. 3 zu § 187 RVO) berufen. Diese noch zudem aufgehobenen § 187 Nr. 3 RVO a.F. ergangene Entscheidung betrifft insofern einen anderen Sachverhalt, als dort der Senat von der bindenden Tatsachenfeststellung auszugehen hatte, daß die Schwimmprothese nicht nötig war, um den ärztlich empfohlenen Schwimmsport auszuüben um damit die Arbeitsfähigkeit des Versicherten zu erhalten. Der Senat hat jedoch schon damals hinzugefügt, die Entwicklung der gesellschaftlichen Anschauungen und der Fortschritt der Technik könnten zu einer anderen rechtlichen Beurteilung Anlaß geben, insbesondere dann, wenn es unzumutbar wäre, als einseitig Unterschenkelamputierter ohne eine Spezialprothese ein Schwimmbad aufzusuchen. Damit wurde die Bedeutung der Entscheidung für zukünftige und anders gelagerte Sachverhalte von vornherein eingeschränkt. In diesem Zusammenhang darf nicht außer Acht gelassen werden, daß die Gewöhnung des Publikums an Körperbehinderte seit dem 2. Weltkrieg wieder abgenommen hat und deshalb auch den psychologischen Bedürfnissen des Amputierten Rechnung getragen werden muß. Auch das Urteil des 11. Senats vom 22. August 1975 - 11 RA 69/74 - (USK 75112) vermag die Ansicht der Beklagten nicht zu stützen. In dieser Entscheidung wurde die Verpflichtung eines Rentenversicherungsträgers zur erneuten - dritten - Ausstattung einen Versicherten mit einer Badeprothese deshalb verneint, weil die für die Rentenversicherung geltende besondere Voraussetzung, die Minderung und Gefährdung der Erwerbstätigkeit des Versicherten, nicht vorgelegen hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.3 RK 30/79
Bundessozialgericht
Verkündet am 10. Oktober 1979
Fundstellen
Haufe-Index 518650 |
Breith. 1980, 177 |