Beteiligte
Landesversicherungsanstalt Schwaben |
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Juni 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der im Jahre 1947 geborene Kläger stammt aus Marokko. In der Bundesrepublik Deutschland war er von Mai 1972 bis Juni 1973 als Berg- und Glasarbeiter und anschließend bis 1979 als Metallstempler (Hilfsarbeiter) versicherungspflichtig beschäftigt. Bis Juli 1983 bezog er Leistungen aus der Kranken- und Arbeitslosenversicherung, danach bis zu seiner Abschiebung am 1. Februar 1985 Sozialhilfe. In Marokko hat der Kläger weder vor der Arbeitsaufnahme in Deutschland noch nach seiner Rückkehr in seine Heimat Zeiten aus versicherungspflichtiger Beschäftigung zurückgelegt.
Ein erster Antrag vom 29. Mai 1984 auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wurde von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz abgelehnt (Bescheid vom 16. Juli 1984; Widerspruchsbescheid vom 18. April 1985). Die hiergegen erhobene Klage wurde vom Sozialgericht (SG) Düsseldorf nach Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens aufgrund einer stationären Untersuchung vom 1. Dezember bis 5. Dezember 1986 in Remscheid abgewiesen (Urteil vom 14. Juli 1987), weil der Kläger noch vollschichtig leichte Arbeiten ohne hohe Anforderungen an die Konzentration und Eigenverantwortung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne. Die Berufung gegen dieses Urteil wurde zurückgewiesen (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 5. April 1989), die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision vom Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluß vom 3. Januar 1990 als unzulässig verworfen.
Den streitigen Antrag vom 6. Dezember 1993 auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7. Oktober 1994 idF des Widerspruchsbescheids vom 9. Dezember 1994 ab.
Das SG Augsburg hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. Juli 1996), das Bayerische LSG (Urteil vom 24. Juni 1997) die Berufung im wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen:
Die Wartezeit sei allein mit den deutschen Beiträgen erfüllt. Der Eintritt des Versicherungsfalls der Berufsunfähigkeit (BU) bzw Erwerbsunfähigkeit (EU) zum Zeitpunkt der erneuten Rentenantragstellung sei von der Beklagten und vom SG zu Recht nicht näher geprüft worden, weil die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Im Fünf-Jahres-Zeitraum vor der Rentenantragstellung (6. Dezember 1988 bis 5. Dezember 1993) seien für den Kläger Pflichtbeiträge weder zur deutschen noch zur marokkanischen Rentenversicherung entrichtet worden. Die Erweiterung des Fünf-Jahres-Zeitraums durch Streckungstatbestände bis in die Nähe der Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung (zuletzt Juni 1979) sei ausgeschlossen. Leistungen wegen Arbeitslosigkeit oder wegen Arbeitsunfähigkeit (AU) habe der Kläger lediglich bis Juli 1983 erhalten und anschließend bis zum 1. Februar 1985 Sozialhilfe bezogen. Bei einem unterstellten Versicherungsfall im Dezember 1993 müßte daher jeder Kalendermonat in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis 30. November 1993 mit Beiträgen belegt sein, was aber nicht der Fall sei. Der Kläger habe von der Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung, zu der er aufgrund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über Soziale Sicherheit (Abk Marokko SozSich) berechtigt gewesen sei, keinen Gebrauch gemacht und könne Beiträge für die Jahre 1984 bis 1992 auch nicht mehr wirksam zahlen. Sonstige Anwartschaftserhaltungszeiten lägen nicht vor. Eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit habe ihm nicht zugestanden. Aufgrund der rechtskräftigen Urteile des SG Düsseldorf vom 14. Juli 1987 und des LSG Nordrhein-Westfalen vom 5. April 1989 stehe fest, daß der Kläger in den Jahren 1984 und 1985 weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig gewesen sei.
Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch wegen mangelnder Beratung durch die LVA Rheinprovinz während des ersten Rentenverfahrens scheide aus. Zusammen mit dem Bescheid vom 16. Juli 1984 sei dem Kläger ein Merkblatt über die Notwendigkeit der Anwartschaftserhaltung übersandt worden, so daß dieser über das Erfordernis, weitere Beiträge zur Erhaltung der Anwartschaft zu entrichten, belehrt worden sei. Die Regelungen über die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien auch nicht verfassungswidrig, sofern ein im Ausland lebender Versicherter an der Entrichtung freiwilliger Beiträge gehindert oder die Beitragsentrichtung aufgrund der dortigen wirtschaftlichen Verhältnisse unzumutbar gewesen sei.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger im wesentlichen die Verletzung verfassungsrechtlicher Vorschriften bei der Anwendung von § 1247 Abs 2a der Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw § 44 Abs 1 Satz 1 Nr 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) iVm Art 2 § 6 Abs 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) bzw § 241 Abs 2 iVm § 240 Abs 2 SGB VI: Die zum 1. Januar 1984 in Kraft getretenen Bestimmungen für die Gewährung von Rente wegen EU bzw BU verletzten Ausländer, die vor dem 1. Januar 1984 durch Versicherungszeiten von mindestens 60 Kalendermonaten eine Rentenanwartschaft erworben, sich zu diesem Zeitpunkt aber im Ausland aufgehalten hätten, in ihrem Eigentumsrecht nach Art 14 des Grundgesetzes (GG) bzw verstießen gegen den Gleichheitssatz des Art 3 GG, wenn diese Versicherten wegen rechtlicher Bestimmungen im Ausland nicht in der Lage gewesen seien, freiwillige Beiträge zu entrichten, bzw wegen ihrer finanziellen Situation keine Beiträge hätten entrichten können. Er selbst habe zwar in der Zeit von August 1983 bis zu seiner Abschiebung am 1. Februar 1985 keine freiwilligen Beiträge entrichtet, im Hinblick auf das damals seit 29. Mai 1984 laufende und erst im Jahre 1990 rechtskräftig abgeschlossene erste Rentenverfahren sei er jedoch trotz der ab 1. Januar 1984 geänderten Rechtslage nicht gehalten gewesen, zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft monatliche Beiträge zu zahlen. Die Frist zur Zahlung der Beiträge sei unterbrochen gewesen, und die Unterbrechung dieser Frist habe erst im Januar 1990 geendet. Ab diesem Zeitpunkt habe die Verpflichtung bestanden, die zurückliegenden Beitragsmonate ab 1. Januar 1984 zu belegen und monatlich laufend weitere Beiträge zu zahlen. Zu diesem Zeitpunkt habe er sich aber in Marokko aufgehalten. Bereits die Zahlung des monatlichen Mindestbeitrages sei angesichts der Kaufkraftsituation in Marokko für ihn unangemessen hoch und unzumutbar. Aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Marokko sei er nicht in der Lage, auch nur den monatlichen Mindestbeitrag aufzubringen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, sein Antrag vom 6. Dezember 1993 sei auch als Neufeststellungsantrag (§ 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB X≫) in bezug auf den früheren Bescheid vom 16. Juli 1984 idF des Widerspruchsbescheides vom 18. April 1985 zu verstehen. Insoweit begehre er noch eine Bescheiderteilung der Beklagten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Juni 1997 sowie das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. Juli 1996 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Oktober 1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 1994 zu verurteilen, ihm ab 1. Dezember 1993 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Die Tatsachenfeststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend entscheiden zu können, ob dem Kläger eine Rente wegen BU bzw EU zusteht.
Streitig ist vorliegend nur die Gewährung von Versichertenrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab der Rentenantragstellung im Dezember 1993. Soweit der Kläger mit dem am 6. Dezember 1993 gestellten Antrag auch eine Überprüfung des früheren, die Rente ablehnenden Bescheides vom 16. Juli 1984 idF des Widerspruchsbescheides vom 18. April 1985 erreichen wollte, ist dies nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens, weil die Beklagte hierüber bislang nicht entschieden hat und der Kläger insoweit noch eine Bescheiderteilung von der Beklagten begehrt (siehe die Erklärung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung am 11. Mai 2000).
Der geltend gemachte Rentenanspruch richtet sich nach dem am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Recht des SGB VI. Nach § 300 Abs 1 SGB VI sind die Vorschriften dieses Gesetzbuches von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Die Ausnahmevorschrift des § 300 Abs 2 SGB VI greift nicht ein, da der Kläger den Rentenantrag im Jahre 1993 gestellt hat.
Gemäß § 43 Abs 1 bzw § 44 Abs 1 SGB VI in der jeweils zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung geltenden Fassung des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen BU bzw EU, wenn sie 1. berufsunfähig bzw erwerbsunfähig sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der BU bzw EU drei Jahre Pflichtbeitragszeiten haben und 3. vor Eintritt der BU bzw EU die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Die erst zum 1. Januar 1996 wirksame Änderung des § 43 Abs 1 Nr 2 bzw § 44 Abs 1 Nr 2 SGB VI durch das Gesetz zur Änderung des SGB VI und anderer Gesetze vom 15. Dezember 1995 (BGBl I 1824) wirkt sich für den vorliegenden Fall nicht aus.
Der Kläger erfüllt nach den Feststellungen des LSG die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren allein aufgrund der bis zum Juni 1979 in Deutschland zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten.
Entgegen der Ansicht des LSG ist aufgrund der bisherigen Feststellungen eine abschließende Entscheidung über das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bei einem unterstellten Versicherungsfall am 6. Dezember 1993 nicht möglich. Es ist nicht ausgeschlossen, daß durch evtl Streckungszeiten der Fünf-Jahres-Zeitraum soweit verlängert werden kann, daß darin drei Beitragsjahre mit versicherungspflichtiger Beschäftigung vor Eintritt des Versicherungsfalles vorhanden sind.
Bei einem unterstellten Eintritt des Versicherungsfalles der BU (entsprechendes gilt für EU) am 6. Dezember 1993 erstreckt sich der Fünf-Jahres-Zeitraum gemäß § 43 Abs 3 Satz 1 SGB VI zunächst auf die Zeit vom 6. Dezember 1988 bis zum 5. Dezember 1993. Anders als bei § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 1 RVO ist für die Berechnung des Fünf-Jahres-Zeitraums auf den Tag des Eintritts des Versicherungsfalls abzustellen und eine taggenaue Festlegung des Fünf-Jahres-Zeitraums erforderlich (vgl Niesel in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 13). In dem genannten Fünf-Jahres-Zeitraum liegen keine Pflichtbeiträge, so daß die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI nur erfüllt sein können, wenn Streckungstatbestände vorliegen, die den Fünf-Jahres-Zeitraum soweit verlängern, daß die letzten drei Jahre der vorhandenen Pflichtbeitragszeiten noch erfaßt werden. Nach dem festgestellten Sachverhalt kommen vorliegend nur Anrechnungszeiten nach § 43 Abs 3 Nr 1 und Zeiten nach Abs 3 Nr 3 SGB VI als Streckungszeiten in Betracht.
Aufgrund der bisherigen Feststellungen kann eine Streckungszeit wegen einer Anrechnungszeit nach § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI nicht ausgeschlossen werden. Nach dieser Vorschrift sind Anrechnungszeiten auch solche Zeiten, in denen Versicherte wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen sind.
Das LSG ist zwar davon ausgegangen, daß der Kläger nach dem letzten Beschäftigungsverhältnis für einen nicht näher bestimmten Zeitraum Leistungen wegen AU bezogen hatte, der Kläger also arbeitsunfähig gewesen war, es hat aber weder den Beginn noch die Dauer der AU geklärt. Nach den Umständen des vorliegenden Falls ist möglich, daß die AU so lange angedauert hatte, daß sie als Streckungstatbestand geeignet wäre, die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI zu ermöglichen. Dies wäre dann der Fall, wenn die AU im Anschluß an die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung bis zum Dezember 1991 vorgelegen hätte.
Grundsätzlich kann eine AU auch bei Dauerleiden bestehen (vgl Höfler in Kasseler Komm, § 44 SGB V RdNr 19). Sie bemißt sich zunächst an der zuletzt ausgeübten Beschäftigung oder einer ähnlich gearteten Tätigkeit (vgl Höfler aaO RdNr 10). Der Kläger war zuletzt bis 1979 als Metallstempler (Hilfsarbeiter) beschäftigt. Ungeklärt ist, ob die AU in seiner letzten Beschäftigung aufgetreten war und somit sich nach seiner Tätigkeit als Metallstempler (Hilfsarbeiter) bemaß. Daß der Kläger in dem ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 1984 und auch nach den Feststellungen in den Urteilen des SG Düsseldorf vom 14. Juli 1987 sowie des LSG Nordrhein-Westfalen vom 5. April 1989 noch zur Ausübung von leichten Arbeiten vollschichtig in der Lage gehalten wurde, würde einer gleichwohl vorhandenen AU nicht entgegenstehen müssen. Ob es sich bei der zuletzt ausgeübten Beschäftigung als Metallstempler (Hilfsarbeiter) um derartige leichte Arbeiten gehandelt hat, ist nicht festgestellt und erscheint zweifelhaft.
Sollte die AU bezogen auf die letzte Beschäftigung und im Anschluß daran eingetreten sein, so ist auch nicht ausgeschlossen, daß diese AU über einen langen Zeitraum oder gar bis Dezember 1991 vorgelegen hatte. Sollte der Kläger im Anschluß an den Krankengeldbezug Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten haben, so kann hieraus nicht auf den Wegfall der bis dahin vorgelegenen AU geschlossen werden. Jedenfalls beendet die Meldung beim Arbeitsamt nicht notwendig eine für die bisher ausgeübte Beschäftigung bestehende AU (vgl Höfler aaO RdNr 19 mwN). Dasselbe gilt sinngemäß für den anschließenden Bezug von Leistungen aus der Sozialhilfe. Dieser stellt zwar für sich allein keinen Streckungstatbestand dar, schließt jedoch die Fortdauer einer Anrechnungszeit wegen AU nicht aus.
Selbst für die Zeit nach der Rückkehr des Klägers in sein Herkunftsland im Februar 1985 kann nicht ohne weiteres unterstellt werden, die AU sei dann als beendet anzusehen. Ob eine Anrechnungszeit bzw ein gleichgestellter Streckungstatbestand iS von § 43 Abs 3 Nr 3 SGB VI vorliegt, ist allein nach den deutschen Rechtsvorschriften zu beantworten (BSGE 75, 199, 203 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 48). Ein Auslandsaufenthalt des Versicherten während der AU steht deren Berücksichtigung als Anrechnungszeit nicht von vornherein entgegen (Klattenhoff in Hauck, SGB VI, § 58 RdNr 16). Dies kann jedenfalls für die Fälle gelten, in denen die AU vor Inkrafttreten des ab 1. Januar 1984 geltenden Rechts begonnen und über diesen Zeitraum ununterbrochen fortgedauert hat (vgl BSGE 75, 199, 204 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 48; BSGE 82, 1 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 60; BSG SozR 3-2200 § 1259 Nr 12). Auf die Frage, ob durch das Abk Marokko SozSich eine Gleichstellung von in Marokko verwirklichten Anrechnungszeittatbeständen iS von § 43 Abs 3 Nr 1 SGB VI erfolgte, kommt es dabei nicht an. Diese Frage würde sich nur stellen, wenn die in Deutschland „begründete” AU beendet gewesen und eine nach den marokkanischen Vorschriften eingetretene AU zu beurteilen wäre.
Möglicherweise muß eine ab 1979 bestehende AU nicht bis zum Dezember 1991 angedauert haben, um zur Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dienen zu können. Das LSG hat nicht nur offengelassen, ob der Versicherungsfall der BU bzw EU zum Zeitpunkt des Antrages vom 6. Dezember 1993 eingetreten ist, sondern auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Versicherungsfall bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt eingetreten ist. Es hat im Zusammenhang mit der Prüfung der Anwartschaftserhaltungszeiten lediglich ausgeführt, aufgrund der rechtskräftigen Urteile des SG Düsseldorf vom 14. Juli 1987 und des LSG Nordrhein-Westfalen vom 5. April 1989 stehe fest, daß der Kläger in den Jahren 1984 und 1985 weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig gewesen sei. Es bedarf hier keiner abschließenden Beurteilung, ob diese Ausführungen als vom LSG getroffene Tatsachenfeststellungen zu verstehen sind, an die der erkennende Senat gebunden wäre, oder ob das LSG sich lediglich an die rechtskräftigen Urteile selbst rechtlich gebunden sah, ohne eigene Feststellungen treffen zu wollen. Selbst wenn die Ausführungen des LSG als Tatsachenfeststellungen zu verstehen sind, fehlt es jedenfalls an weiteren Feststellungen, ob der Versicherungsfall nicht bereits in der Zeit zwischen 1985 und 1993 eingetreten ist. Dies hätte wiederum Konsequenzen für die erforderliche Dauer der AU als Streckungstatbestand.
Auf die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen käme es nicht an, wenn sich der Kläger auf die Übergangsvorschriften in §§ 240, 241 SGB VI berufen könnte. Nach § 240 Abs 2 SGB VI sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der BU für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der BU mit den in Nrn 1 bis 6 näher aufgeführten Anwartschaftserhaltungszeiten belegt ist oder wenn die BU vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, ist eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich. Für die Rente wegen EU gilt nach § 241 Abs 2 SGB VI diese Regelung entsprechend.
Als Anwartschaftserhaltungszeit kommt wiederum eine über den 1. Januar 1984 bis zum Versicherungsfall ununterbrochene AU in Betracht. Insofern ist hier keine für den Kläger günstigere Gestaltung erkennbar, wenn die Dauer der bereits als Streckungstatbestand zu prüfenden AU nicht zum Erfolg führt.
Beitragszeiten liegen nach den Feststellungen des LSG für die Zeit ab 1. Januar 1984 nicht vor. Ob und in welchem Umfang sie erforderlich sind, richtet sich wiederum nach dem Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles. Da dieser bislang nicht feststeht, kann auf der Grundlage der bisherigen berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht beurteilt werden, ob die Voraussetzungen der §§ 240, 241 SGB VI erfüllt sind.
Da der erkennende Senat die erforderlichen Ermittlungen nicht selbst durchführen kann (vgl § 163 SGG), ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen. Dieses wird bei der erneuten Behandlung ua folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen haben:
Sollte der Rentenanspruch im Hinblick auf den Zeitpunkt des Eintritts eines Versicherungsfalles und das Fehlen ausreichender Streckungstatbestände an den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2, § 44 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI scheitern, wäre weiter zu untersuchen, ob der Kläger den Tatbestand von § 240 Abs 2 oder § 241 Abs 2 SGB VI erfüllt. Dabei dürfte es insbesondere auf die Zulässigkeit einer Beitragsentrichtung iS von § 240 Abs 2 Satz 2, § 241 Abs 2 Satz 2 SGB VI ankommen (vgl dazu allgemein Senatsurteile vom 11. Mai 2000 – B 13 RJ 85/98 R –, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, und – B 13 RJ 19/99 R). Insoweit hat das LSG bislang unberücksichtigt gelassen, daß der Kläger nach Nr 2 Buchst d des Schlußprotokolls (SP) zum Abk Marokko SozSich kein Recht zur freiwilligen Versicherung hat, soweit nicht die Ausnahmeregelung der Nr 2 Buchst e SP gegeben ist. Unter diesen Umständen erscheint es fraglich, ob dem Kläger ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch weiterhelfen kann. Sollten danach auch die Übergangsbestimmungen in § 240 Abs 2, § 241 Abs 2 SGB VI nicht zugunsten des Klägers eingreifen, wäre die Verfassungsmäßigkeit der einschlägigen Regelungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falles zu prüfen (vgl dazu BSGE 75, 199 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 48; BSGE 82, 1 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 60; Senatsurteile vom 11. Mai 2000 – B 13 RJ 85/98 R – und – B 13 RJ 19/99 R). Dabei wäre ggf auch zu erwägen, ob die gemäß § 1303 Abs 1 RVO, § 210 Abs 1 Nr 1 SGB VI vorgesehene Beitragserstattung einen angemessenen Ausgleich für den Verlust der Anwartschaft auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit darstellt (vgl dazu BVerfGE 51, 1 = SozR 2200 § 1315 Nr 5).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen