Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Erfüllung der Anwartschaftszeit. Versicherungspflichtverhältnis. Strafgefangener. Berücksichtigung von allgemein arbeitsfreien Tagen. zusammenhängende Arbeitsabschnitte. Gesetzesänderung
Orientierungssatz
Bei der Ermittlung der Anwartschaftszeit gem § 123 Abs 1 SGB 3 aF sind bei Gefangenen arbeitsfreie Sonnabende, Sonntage und gesetzliche Feiertage innerhalb von zusammenhängenden Arbeitsabschnitten als Zeiten der Versicherungspflicht auch vor Änderung des § 26 Abs 1 Nr 4 S 1 SGB 3 zum 1.8.2016 zu berücksichtigen.
Normenkette
SGB 3 § 26 Abs. 1 Nr. 4 S. 1 Fassung: 1997-03-24, S. 1 Fassung: 2016-07-18; SGB 3 § 142 Abs. 1 S. 1; SGB 3 § 123 Abs. 1; SGB 3 § 345 Nr. 3; SGB 3 § 347 Nr. 3; StVollzG § 43; GefBeitrV § 1 Abs. 2; GefBeitrV 1998 § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 6. April 2016 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 7.2. bis 6.8.2012. Im Streit ist insbesondere, ob er durch eine Tätigkeit als Strafgefangener die Anwartschaftszeit erfüllt hat.
Der 1983 geborene Kläger befand sich in der Zeit vom 1.4.2009 bis zum 25.10.2011 zunächst in Untersuchungs- und anschließend in Strafhaft. Während der Strafhaft war er vom 2.11.2009 bis zum 24.6.2011 bei einem sogenannten Unternehmerbetrieb der JVA tätig. Die JVA bescheinigte, dass in diesem Zeitraum an im Einzelnen aufgelisteten Tagen - ausgenommen waren im Wesentlichen nur die Wochenenden und gesetzlichen Feiertage - Arbeitsentgelt gezahlt worden sei und Versicherungspflicht zur Arbeitslosenversicherung bestanden habe (Arbeitsbescheinigung vom 20.11.2011).
Am 7.2.2012 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger sei in den letzten zwei Jahren vor dem 7.2.2012 nur 329 Tage, die von der JVA bescheinigt worden seien, und damit weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig tätig gewesen und erfülle damit nicht die Anwartschaftszeit (Bescheid vom 22.2.2012; Widerspruchsbescheid vom 15.3.2012).
Die dagegen erhobene Klage blieb vor dem SG erfolglos (Gerichtsbescheid vom 17.6.2013). Das LSG hat auf die Berufung des Klägers die angefochtenen Bescheide sowie den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt, dem Kläger "Arbeitslosengeld für die Zeit vom 7.2.2012 bis 6.8.2012 zu zahlen". Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe innerhalb der Rahmenfrist als Gefangener Arbeitsentgelt für mindestens zwölf Monate erhalten und erfülle damit die Anwartschaftszeit. Bei deren Ermittlung seien auch Samstage, Sonntage und Feiertage, für die der Kläger kein Arbeitsentgelt erhalten habe, zu berücksichtigen, weil es zu keinen Unterbrechungen der Beschäftigung gekommen sei. Es könne für die Anwendung von § 26 Abs 1 Nr 4 SGB III nichts anderes gelten als im Rahmen eines Versicherungspflichtverhältnisses von abhängig beschäftigten Personen. In diesem würden arbeitsfreie Tage ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt bei Fortbestehen des Beschäftigungsverhältnisses der Versicherungspflicht unterliegen. Auch mit Blick auf die Besonderheiten des Strafvollzuges sei keine andere Beurteilung geboten. Das Ergebnis werde durch die beitragsrechtliche Seite des Versicherungspflichtverhältnisses des Klägers bestätigt.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision macht die Beklagte eine Verletzung von § 26 Abs 1 Nr 4 SGB III (idF des Gesetzes vom 20.11.2011 - BGBl I 2854) geltend. Für die Anwartschaftszeit bei versicherungspflichtigen Gefangenen seien allgemein arbeitsfreie Tage ohne Arbeitsentgelt nicht zu berücksichtigen. Soweit in der Vergangenheit anders verfahren worden sei, beruhe dies darauf, dass die Justizvollzugsanstalten bis zum Jahr 2012 Arbeitsbescheinigungen verwendet hätten, in denen die nicht berücksichtigungsfähigen Tage der Wochenenden nicht gesondert ausgewiesen worden seien. Seitdem hätten sich die Berechnungsmodalitäten aufgrund der Verwendung anderer Arbeitsbescheinigungen geändert. Der Gesetzesänderung zum 1.8.2016 könne keine Rückwirkung beigemessen werden. Die Besserstellung der Gefangenen resultiere nicht aus einer gesetzgeberischen Überprüfung ihrer monetären Entlohnung, sondern stehe im Zusammenhang mit dem vorrangigen Ziel des Gesetzgebers, den Versicherungsschutz in der Arbeitslosenversicherung insgesamt zu stärken.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 6. April 2016 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 17. Juni 2013 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat die Beklagte zu Recht unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide und des Gerichtsbescheides des SG zur Zahlung von Alg dem Grunde nach verurteilt.
Streitgegenstand ist neben den Entscheidungen der Vorinstanzen der die Zahlung von Alg ablehnende Bescheid vom 22.2.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.3.2012, den der Kläger zutreffend mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1, 4 SGG) angreift. Er begehrt zulässigerweise dem Grunde nach (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG) die Zahlung der Geldleistung Alg für die Zeit vom 7.2.2012 bis 6.8.2012.
Anwendbar ist hier (noch) das SGB III in seiner bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) und nicht die vom LSG zugrunde gelegte, ab dem 1.4.2012 geltende Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl I 2854), denn es ist ein Anspruch ab dem 7.2.2012 im Streit. Nach dem Geltungszeitraumprinzip, das im Anwendungsbereich des SGB III bei Rechtsänderungen und - wie hier - fehlenden Übergangsbestimmungen eingreift, ist das zu dem Zeitpunkt geltende Recht anwendbar, zu dem die Rechtsfolgen eintreten (vgl nur BSG vom 6.5.2009 - B 11 AL 10/08 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 19 RdNr 14; Coseriu in Eicher/Schlegel, SGB III nF, Vor § 422 ff RdNr 2, Stand August 2015).
Gemäß § 118 SGB III aF setzt der Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit voraus, dass Arbeitnehmer (1.) arbeitslos sind, (2.) sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und (3.) die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Der Kläger hat sich zum 7.2.2012 arbeitslos gemeldet und ist nach dem Gesamtzusammenhang der tatsächlichen Feststellungen des LSG im streitbefangenen Zeitraum arbeitslos gewesen. Entgegen der Auffassung der Beklagten erfüllt er auch die Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Alg.
Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 123 Abs 1 SGB III aF). Die Rahmenfrist beträgt zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg (§ 124 Abs 1 SGB III aF). Hier verläuft die Rahmenfrist - ausgehend von der Arbeitslosmeldung zum 7.2.2012 - vom 7.2.2010 bis 6.2.2012. Innerhalb dieses Zeitraums ist der Kläger nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG als Gefangener für mindestens zwölf Monate versicherungspflichtig gewesen.
Nach § 26 Abs 1 Nr 4 Satz 1 SGB III (hier anwendbar in der bis zum 31.7.2016 unverändert gebliebenen Fassung des AFRG vom 24.3.1997 - BGBl I 594) sind versicherungspflichtig Gefangene, die Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung (§§ 43 bis 45, 176 und 177 Strafvollzugsgesetz ≪StVollzG≫) erhalten oder Ausbildungsbeihilfe nur wegen des Vorrangs von Leistungen zur Förderung der Berufsausbildung nach diesem Buch nicht erhalten. Gefangene im Sinne dieses Buches sind Personen, die im Vollzug von Untersuchungshaft, Freiheitsstrafen und freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung oder einstweilig nach § 126a Abs 1 der Strafprozessordnung untergebracht sind (§ 26 Abs 1 Nr 4 Satz 2 SGB III).
Zwar ist § 26 Abs 1 Nr 4 Satz 1 SGB III erst mit Wirkung zum 1.8.2016 durch das Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetz (AWStG) vom 18.7.2016 (BGBl I 1710) ergänzt worden um den Zusatz "; das Versicherungsverhältnis gilt während arbeitsfreier Sonnabende, Sonntage und gesetzlicher Feiertage als fortbestehend, wenn diese Tage innerhalb eines zusammenhängenden Arbeits- oder Ausbildungsabschnittes liegen". Doch sind, wie das LSG zutreffend erkannt hat, schon nach der bisherigen Rechtslage, also unabhängig von dieser Gesetzesänderung, bei Gefangenen arbeitsfreie Sonnabende, Sonntage und gesetzliche Feiertage innerhalb von zusammenhängenden Arbeitsabschnitten als Zeiten der Versicherungspflicht zu berücksichtigen.
Dem Wortlaut von § 26 Abs 1 Nr 4 Satz 1 SGB III in der bis zum 31.7.2016 bestehenden Fassung ist nicht zu entnehmen, dass nur die einzelnen Tage, für die Arbeitsentgelt im Sinne der Vorschrift gezahlt wird, als Zeiten der Versicherungspflicht zu berücksichtigen sind. Unter die Formulierung "Gefangene, die Arbeitsentgelt … erhalten…" lassen sich nach allgemeinem Verständnis auch längere - zusammenhängende - Abschnitte fassen, weil gerade nicht die Zahlung von Arbeitsentgelt für jeden einzelnen Tag verlangt wird (so auch LSG NRW vom 20.6.2016 - L 20 AL 135/14 - RdNr 38; Winkler, info also 2013, 92, 93).
Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck der Regelungen zur Versicherungspflicht von Gefangenen stehen einem "Herausrechnen" einzelner arbeitsfreier Tage entgegen. Bereits der Vergleich mit den Regelungen zum typischen Fall der Versicherungspflicht von Beschäftigen in einem (Normal-)Arbeitsverhältnis spricht gegen die Nichtberücksichtigung solcher Tage. Nach § 25 Abs 1 Satz 1 SGB III sind Personen versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Das Versicherungsverhältnis für Beschäftigte beginnt mit dem Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis (§ 24 Abs 2 SGB III) und endet in der Regel mit dem Tag des Ausscheidens (§ 24 Abs 4 SGB III). Ob bei fortbestehendem Beschäftigungsverhältnis für jeden einzelnen Tag ein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht, ist also für die Versicherungspflicht in einem durchgehenden Beschäftigungsverhältnis ohne Bedeutung. Dies bedeutet jedenfalls für Strafgefangene mit (echtem) Freigang, die im Rahmen eines freien Beschäftigungsverhältnisses versicherungspflichtig tätig sind (vgl dazu BSG vom 16.10.1990 - 11 RAr 3/90 - BSGE 67, 269 = SozR 3-4100 § 103 Nr 2, juris RdNr 14 ff), dass die gesamte Dauer des Beschäftigungsverhältnisses Anwartschaftszeiten begründet, selbst wenn diese Gefangenen die Wochenenden und Feiertage in Haft verbringen müssen. Verrichtet ein Strafgefangener als sogenannter "unechter Freigänger" die gleiche Arbeit und erhält er hierfür Arbeitsentgelt (allein) nach dem StVollzG, würde er nach Auffassung der Beklagten trotz der gleichen Tätigkeit nur eine kürzere Anwartschaftszeit zurücklegen können (instruktiv hierzu Schäffersküpper/Bließen, NZS 2017, 327, 330 ff).
Eine unterschiedliche Behandlung dieser Sachverhalte verkennt, dass die Regelung in § 26 Abs 1 Nr 4 SGB III auf eine weitgehende Gleichstellung von Gefangenenarbeit mit Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abzielt (so bereits BSG vom 22.3.1979 - 7 RAr 98/78 - BSGE 48, 129-134 = SozR 4100 § 134 Nr 13, juris RdNr 26 ff). Dieses Ziel wiederum entspricht dem gesetzlichen Auftrag, den Strafvollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich anzugleichen (§ 3 Abs 1 StVollzG bzw § 3 Abs 4 des Musterentwurfs-StVollzG für die Länder; vgl auch § 7 Abs 1 des im vorliegenden Fall noch nicht anwendbaren Thüringer Justizvollzugsgesetzbuchs vom 27.2.2014 - GVBl S 13; ausführlich dazu Feest/Lesting in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze-Kommentar, 7. Aufl 2017, § 3 LandesR RdNr 22 ff, 31; Arloth/Kräh, StVollzG, 4. Aufl 2017, § 3 RdNr 2 ff). Die Berücksichtigung allgemein arbeitsfreier Tage bei durchgehender Tätigkeit im Rahmen des § 26 Abs 1 Nr 4 SGB III mit der Folge längerer Anwartschaftszeiten erleichtert zudem die Resozialisierung, ein weiteres, verfassungsrechtlich determiniertes, zentrales Vollzugsziel (vgl dazu nur Lindemann in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze - Kommentar, 7. Aufl 2017, Vor § 3 LandesR RdNr 3). Denn das Risiko fehlender sozialer Absicherung nach dem Ende des Strafvollzugs vermindert sich auch für Strafgefangene, die, ohne Freigänger gewesen zu sein, während der Haft beschäftigt waren.
Ein weiteres systematisches Argument ergibt sich, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, aus der beitragsrechtlichen Seite der Gefangenenarbeit. Als beitragspflichtige Einnahme gilt bei Personen, die als Gefangene versicherungspflichtig sind, ein Arbeitsentgelt in Höhe von 90 % der Bezugsgröße (§ 345 Nr 4 SGB III); die Beiträge werden nach § 347 Nr 3 SGB III alleine von den Bundesländern getragen. Einzelheiten hierzu regelt die auf der Grundlage von § 352 Abs 3 SGB III erlassene Gefangenenbeitragsverordnung (vom 3.3.1998 - BGBl I 430 - idF des Gesetzes vom 23.12.2003 - BGBl I 2848). Nach § 1 Abs 2 der Gefangenenbeitragsverordnung werden die Beiträge jährlich nach der Formel Beitragsbemessungsgrundlage x T/250 x B/100 berechnet, wobei T für die Anzahl der Tage mit Anspruch auf die in § 26 Abs 1 Nr 4 SGB III genannten Entgelte und B für den Beitragssatz steht. Jeder Tag, an dem tatsächlich gearbeitet worden ist, wird also mit einem Zweihundertfünfzigstel der Beitragsbemessungsgrundlage angesetzt und damit im Ergebnis der Beitrag für einen Gefangenen, der an fünf Tagen in der Woche gegen Arbeitsentgelt beschäftigt ist, bei durchgehender Beschäftigung von (nur) 250 Arbeitstagen im Jahr als Jahresbeitrag erhoben (vgl BSG vom 7.11.1990 - 9b/7 RAr 112/89 - SozR 3-4100 § 104 Nr 4 RdNr 16; Schäffersküpper/Bließen, NZS 2017, 327, 331 f).
Der Verordnungsgeber hat die Zahl 250 als fiktive Anzahl jährlicher Arbeitstage in einem Kalenderjahr ausdrücklich aus dem StVollzG übernommen (§ 43 Abs 2 StVollzG bzw § 55 Abs 2 des Musterentwurfs-StVollzG für die Länder; zur Umsetzung vgl Lindemann in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze - Kommentar, 7. Aufl 2017, § 1 LandesR RdNr 1 ff; Schäfersküpper, NZS 2013, 446, 449). Beitragsrechtlich hat er damit festgelegt, dass 250 Arbeitstage eines Gefangenen seiner jährlichen Arbeitsleistung entsprechen und die volle jährliche Beitragslast auslösen, letztlich also für arbeitsfreie Wochenenden und Feiertage - ebenso wie im freien Beschäftigungsverhältnis - Beiträge abgeführt werden (so ausdrücklich BSG vom 7.11.1990 - 9b/7 RAr 112/89 - SozR 3-4100 § 104 Nr 4 RdNr 16). Dass dieser Rechtsprechung, wie die Beklagte meint, deshalb keine Bedeutung mehr zukommen soll, weil die nach § 312 Abs 4 SGB III von den Vollzugsanstalten auszufüllenden Vordrucke für die Arbeitsbescheinigung im Jahr 2012 geändert wurden, überzeugt im Hinblick auf die durchgehend unveränderte Rechtslage nicht.
Eine Rechtfertigung dafür, eine danach auf ein Jahr Tätigkeit bezogene Beitragsleistung nicht zur Erfüllung einer Anwartschaftszeit von einem Jahr ausreichen zu lassen, und stattdessen hierfür weitere 110 Tage mit Gefangenenarbeit zu verlangen (vgl Schäffersküpper/Bließen, NZS 2017, 327, 332), ist nicht erkennbar. Zudem wäre es für einen Gefangenen nicht möglich, jemals einen Leistungsanspruch für ein Jahr zu erwerben, da er nie innerhalb der zweijährigen Rahmenfrist die dafür erforderliche Anwartschaftszeit von zwei Jahren (vgl § 127 Abs 2 SGB III aF; § 147 Abs 2 SGB III) erwerben könnte.
Soweit der Gesetzgeber - wie oben dargelegt - § 26 Abs 1 Nr 4 SGB III mit Wirkung ab 1.8.2016 durch das AWStG ergänzt hat, kommt dem für die Auslegung der bisherigen Regelung keine Bedeutung zu (so auch Schäffersküpper/Bließen, NZS 2017, 327, 328 f). Der Gesetzesbegründung ist zwar nicht zu entnehmen, dass allein eine Klarstellung der bisher bestehenden Rechtslage gewollt war. Doch enthält diese andererseits auch keine direkten Anhaltspunkte für die beabsichtigte Korrektur einer als unbefriedigend betrachteten Rechtsauslegung. Vielmehr heißt es in der Entwurfsbegründung eher "neutral", die Neuregelung "gewährleiste" die Berücksichtigung von arbeitsfreien Sonnabenden, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen für die Erfüllung der Anwartschaftszeit (BT-Drucks 18/8042, S 22). Soweit die Beklagte meint, dass die Änderung nicht auf einer vom BVerfG geforderten Überprüfung nicht monetärer Leistungen für Gefangene (vgl BVerfG vom 1.7.1998 - 2 BvR 441/90 ua - BVerfGE 98, 169; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24.3.2002 - 2 BvR 2175/01 - NJW 2002, 2023) beruhe, dürfte dies zwar zutreffen, vermag indes die vorgenommene Auslegung des § 26 Abs 1 Nr 4 SGB III in der bis zum 31.7.2016 geltenden Fassung durch den Senat nicht in Frage zu stellen.
Nach den Feststellungen des LSG war der Kläger innerhalb der vom 7.2.2010 bis 6.2.2012 verlaufenden Rahmenfrist in der Zeit vom 7.2.2010 bis 24.6.2011 durchgehend als Strafgefangener tätig und damit länger als ein Jahr. Weil er für diesen Zeitraum auch Arbeitsentgelt iS von § 43 StVollzG erhalten hat, war er mehr als ein Jahr versicherungspflichtig iS von § 26 Abs 1 Nr 4 SGB III, sodass die Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Alg dem Grunde nach jedenfalls für sechs Monate vom 7.2.2012 bis 6.8.2012 (vgl zur Anspruchsdauer § 127 Abs 2 SGB III aF), auf die er seine Klage im Berufungsverfahren beschränkt hat, erfüllt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
NZS 2018, 315 |
SGb 2017, 638 |
ZfStrVo 2018, 231 |
info-also 2018, 188 |