Entscheidungsstichwort (Thema)
Erhöhung von Krankengeld entsprechend der Erhöhung der Jahresarbeitsverdienstgrenze
Normenkette
RVO § 182 Abs. 4 S. 1, § 180 Abs. 1 S. 3, § 165 Abs. 1 Nr. 2, § 1385 Abs. 2, §§ 210, 182 Abs. 8, § 383
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 24. März 1976 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob das Krankengeld des Klägers für die Zeit ab 1. Januar 1975 entsprechend der Erhöhung der Jahresarbeitsverdienstgrenze erhöht werden muß.
Der Kläger, dessen Arbeitsverdienst die Jahresarbeitsverdienstgrenze wesentlich überstieg, bezog von November 1974 an Krankengeld nach einem Höchstregellohn (vgl. § 182 Abs. 4 und 9, § 180 Abs. 1 Satz 3, § 165 Abs. 1 Nr. 2, § 1385 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung -RVO- und Bekanntmachung des Bundesministers für Arbeit -BMA- vom 27. November 1973 im Bundesanzeiger Nr. 223 S. 1) von täglich 62,50 DM (Leistungsbemessungsgrenze). Daraus ergab sich ein tägliches Krankengeld von 50,00 DM. Nach Erhöhung der Leistungsbemessungsgrenze (vgl. die Bekanntmachung des BMA vom 3. Dezember 1974 im Bundesanzeiger Nr. 228 S. 4) auf täglich 70,00 DM, wodurch sich das Höchstkrankengeld auf täglich 56,00 DM erhöhte, beantragte der Kläger die Erhöhung seines Krankengeldes.
Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, nach Einführung der Dynamisierung des Krankengeldes (§ 182 Abs. 8 RVO i.d.F. des § 21 Nr. 5 Buchst. c des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes -RehaAnglG- vom 7. August 1974 - BGBl. I 1881 -) sei die Anpassung laufender Krankengeldzahlungen an die Veränderungen der Leistungsbemessungsgrenze nicht mehr zulässig (Bescheid vom 17. März 1975, Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 1975).
Auch mit der Klage hatte der Kläger keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat ausgeführt: Es sei von dem Grundsatz auszugehen, daß Rechtsänderungen nach Eintritt des Versicherungsfalles auf laufende Leistungsfälle nur einwirkten, wenn das neue Recht dies anordne. Hinsichtlich des 2. Einkommensgrenzengesetzes vom 27. Juli 1957 (BGBl I 1070) habe das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 26. März 1963 (BSGE 19, 25) zwar angenommen, eine solche Anordnung ergebe sich aus dem Sinn und Zweck der durch dieses Gesetz vorgenommenen Anpassung an das Lohn- und Preisgefüge. Von einer solchen Anordnung könne aber bei den jährlichen Änderungen der Leistungsbemessungsgrenze jedenfalls seit Einführung der Dynamisierung des Krankengeldes nicht ausgegangen werden. Eine andere Auffassung würde auch den Zielen des RehaAnglG widersprechen, die Leistungen der Rehabilitationsträger nach einheitlichen Grundsätzen auszurichten.
Der Kläger hat mit Zustimmung der Beklagten die in dem vorgenannten Urteil zugelassene Sprungrevision eingelegt. Er ist der Auffassung, für die Zahlung des Krankengeldes sei die aktuelle Leistungsbemessungsgrenze maßgebend. Das zeige auch die Vorschrift über die Dynamisierung des Krankengeldes, die ebenfalls verlange, daß die Leistungsbemessungsgrenze beachtet werde. Die Dynamisierung des Höchstkrankengeldes ginge ins Leere, wenn man die bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit geltende Bemessungsgrenze auch noch im nächsten Jahr für maßgebend halten würde.
Er beantragt,
das Urteil des SG von 24. März 1976 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. März 1975 und des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 1975 zu verurteilen, ihm ab 1. Januar 1975 unter Zugrundelegung der am 1. Januar 1975 geltenden Jahresarbeitsverdienstgrenze höheres Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nicht begründet. Zutreffend hat das SG entschieden, daß die Erhöhung der Leistungsbemessungsgrenze nicht zu einer Erhöhung laufender Krankengeldleistungen führt.
Nach § 182 Abs. 4 Satz 1 RVO in der vom 1. Oktober 1974 an geltenden Fassung (§ 21 Nr. 5 Buchst. c des RehaAnglG vom 7. August 1974 - BGBl I 1881) beträgt das Krankengeld 80 v.H. des wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Entgelts. Bei seiner Berechnung ist gemäß § 182 Abs. 4 Satz 2 RVO auch Absatz 9 dieser Vorschrift zu beachten, wonach der Kegellohn nur bis zur Höhe des in § 180 Abs. 1 Satz 3 RVO bezeichneten Betrages berücksichtigt wird.
Dieser Betrag ist ein Dreihundertsechszigstel der Jahresarbeitsverdienstgrenze des § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO. Dieser Grenzbetrag wiederum belauft sich auf 75 v.H. der für Jahresbezüge der Arbeiter geltenden Beitragsbemessungsgrenze. Die Beitragsbemessungsgrenze ist in § 1385 Abs. 2 RVO begrifflich festgelegt.
Sie wird alljährlich bekanntgemacht durch den BMA. Die Beitragsbemessungsgrenze im Sinne des § 1385 Abs. 2 RVO betrug im Jahre 1974 30.000,00 DM jährlich und 2.500,00 DM monatlich (vgl. Bekanntmachung des BMA vom 27. November 1973 im Bundesanzeiger Nr. 223 S. 1). Die Versicherungspflichtgrenze in der Krankenversicherung betrag nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO somit 1.875,00 DM. Der Regellohn des Klägers konnte bis 80 % dieses Betrages berücksichtigt werden. Das sind 1.500,00 DM. Auf den Tag bezogen (vgl. § 182 Abs. 4 Satz 3 und 4 RVO) belief sich das Krankengeld daher auf 50,00 DM.
Mit dieser im November 1974 erfolgten Krankengeldberechnung war der Versicherungsfall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit geregelt. Die in der Folgezeit zu leistenden Zahlungen geschahen in Ausführung dieser Krankengeldberechnung. Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze gemäß § 1385 Abs. 2 RVO auf 33.600,00 DM pro Jahr und 2.800,00 DM pro Monat (vgl. Bekanntmachung des BMA vom 3. Dezember 1974 im Bundesanzeiger Nr. 228 S. 4) erfaßt die bereits gerelten Fälle der Krankengeldberechnung nicht. Das ergibt sich schon aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß sich Rechtsänderungen nur auf neu zu regelnde Sachverhalte beziehen, wenn nicht - typischerweise in Übergangsvorschriften - etwas anderes angeordnet wird. Die Änderungen der Beitragsbemessungsgrenze durch die jährlichen Bekanntmachungen aufgrund des § 1385 Abs. 2 RVO sind zwar nur Pest Stellungen und für sich betrachtet keine Rechtsänderungen. Sie wirken sich aber als Rechtsänderungen aus, weil sie den Inhalt der davon betroffenen Rechtssätze - hier des § 182 Abs. 9 RVO - ändern. Sie sind daher hinsichtlich ihres zeitlichen Geltungsbereichs wie Rechtsänderungen zu behandeln.
Da die einzelnen Krankengeldzahlungen (§ 210 RVO) keine Regelungen darstellen, die jeweils eine Neuberechnung des Krankengeldes erforderlich machen würden, hat die Änderung der Leistungsbemessungsgrenze auf die Höhe des Krankengeldes keinen Einfluß. Damit weicht der Senat nicht von seiner Entscheidung vom 26. März 1963 in BSGE 19, 25, 26, ab. Im Gegenteil: In diesem Urteil hat der Senat ausdrücklich den Grundsatz anerkannt, daß sich Rechtsänderungen nur dann auf laufende Versicherungsfälle auswirken, wenn dies gesetzlich angeordnet ist. Eine solche Anordnung hat er aus dem erkennbaren Sinn und Zweck des 2. Einkommensgrenzengesetzes, durch das die Jahresarbeitsverdienstgrenze des § 165 Abs. 1 Nr. 2 KVO geändert worden ist, gefolgert.
Es braucht nicht entschieden zu werden, ob sich aus den weiteren gesetzlichen Änderungen der Jahresarbeitsverdienstgrenze (zur Geschichte dieser Änderungen vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl., Stand März 1977, Vorbem. zu § 165 RVO S. 17/22 ff) der gesetzgeberische Wille entnehmen läßt, daß auch laufende Krankengeldzahlungen neu berechnet werden müßten. Es kann auch offenbleiben, ob nach der Koppelung der Jahresarbeitsverdienstgrenze an die Beitragsbemessungsgrenze des § 1385 Abs. 2 RVO der Wille des Gesetzgebers ermittelt werden könnte, daß entgegen dem obengenannten Grundsatz bereits geregelte Leistungsfälle neu zu überprüfen waren. Von einem solchen Willen kann jedenfalls seit Inkrafttreten des RehaAnglG am 1. Oktober 1974 und der hierdurch eingeführten Anpassung laufender Krankengeldleistungen gemäß dem jeweiligen Rentenanpassungsgesetz (vgl. § 182 Abs. 8 RVO) nicht mehr ausgegangen werden.
Nach Einführung des Verfahrens einer Anpassung des Krankengeldes entsprechend den Rentenanpassungsgesetzen ist vielmehr der Anwendungsbereich der Dynamisierung der Jahresarbeitsverdienstgrenze klargestellt: Hinsichtlich der Jahresarbeitsverdienstgrenze, die sich auf die Versicherungspflicht, die Beitragsbemessung und die Berechnung der Barleistungen auswirkt, ist die sich ohne gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit aus dem Lohngefüge ergebende Beitragsbemessungsgrenze (§ 182 Abs. 4 und 9, § 180 Abs. 1 Satz 3, § 165 Abs. 1 Nr. 2, § 1385 Abs. 2, § 1255 Abs. 2 RVO) maßgebend. Die Änderung der Höhe von bereits berechneten laufenden Leistungen ist indessen an eine gesetzgeberische Entscheidung (vgl. § 1272 RVO) geknüpft.
Da sich die -automatischen- jährlichen Veränderungen der Beitragsbemessungsgrenze nicht auf festgestellte Renten auswirken, besteht kein Grund, sie auf bereits festgestellte Krankengelder einwirken zu lassen. Das gilt jedenfalls seitdem das in der Rentenversicherung vorgesehene Verfahren der Veränderung festgestellter Renten auch für die festgestellten Krankengelder maßgebend ist. Denn dadurch wird der Wille des Gesetzgebers verdeutlicht, daß sich die Berechnungsgrundlagen der Sozialleistungen nach den Veränderungen des Lohngefüges richten, daß aber die Neuberechnung laufender Leistungen der Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten ist.
Die Beitragsbemessungsgrenze hat allerdings auch noch bei der Anpassung des Krankengeldes eine Bedeutung: Sie legt (über § 165 Abs. 1 Nr. 2, § 180 Abs. 1 Satz 3, § 182 Abs. 8 letzter Satzteil RVO) die Höchstgrenze der Anpassung fest. Das hat den Sinn zu vemeiden, daß Versicherte, deren Krankengeld im Vorjahr berechnet worden ist, infolge eines größeren Anpassungssatzes bessergestellt werden als die Versicherten, deren Krankengeld unter Geltung der neuen Bemessungsgrenze erstmals berechnet wird. Daraus ergibt sich, daß die bei der Anpassung jeweils geltende Bemessungsgrenze gemeint ist.
Die von dem Senat vertretene Rechtsauffassung führt zu einer einheitlichen Behandlung aller Krankengeldbezieher. Ihr Krankengeld wird nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende des Bemessungszeitraums angepaßt. Die Neuberechnung der Höchstkrankengelder jeweils zum 1. Januar würde zu einer vorgezogenen Anpassung führen, die auch im Hinblick auf den Zweck des Krankengeldes nicht gerechtfertigt ist. Das Krankengeld soll einen Ersatz nur des Lohnes bilden, der nach dem jeweils geltenden Recht als Grundlage für die Leistungsberechnung anerkannt war. Da sich die Erhöhung der Leistungsbemessungsgrenze, die zugleich die Beitragsbemessungsgrenze darstellt, in der Zeit des Krankengeldbezuges beitragsmäßig nicht auswirken kann (§ 383 RVO), ist grundsätzlich auch keine Erhöhung der Leistung angezeigt. Auf diesen versicherungsrechtlichen Grundsatz hat der Senat bereits in seinem vorgenannten Urteil (vgl. S. 27) hingewiesen. Lediglich wegen des damaligen Fehlens von Anpassungsvorschriften hat er es im Hinblick auf die Solidarität der Versichertengemeinschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung für vertretbar erachtet, daß die höheren Beiträge auch zur Finanzierung der schwebenden Leistungsfälle herangezogen werden.
Die Revision gegen das somit zutreffende Urteil des SG war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 1455765 |
BSGE, 130 |