Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. notwendige Beiladung der Krankenkassenverbände und der betreffenden Kassenärztlichen Vereinigung bei Beschlüssen der Zulassungsgremien (hier Berufungsausschuss). Nachholung im Revisionsverfahren. Medizinisches Versorgungszentrum. ärztlicher Leiter. eigene ärztliche Tätigkeit als Angestellter oder als Vertragsarzt
Orientierungssatz
1. Der Verband der Ersatzkassen, die Landesverbände der Krankenkassen und die betreffende Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) sind stets beizuladen, wenn ein Beschluss des Berufungsausschusses angegriffen wird, da die Entscheidungen der Zulassungsgremien unmittelbar den Rechtskreis der für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zuständigen KÄV betreffen, aber auch den der gesetzlichen Krankenkassen, weil zugelassene und ermächtigte Ärzte sowie ärztlich geleitete Einrichtungen im System der vertragsärztlichen Versorgung Leistungen erbringen und zu Lasten der Krankenkassen veranlassen dürfen (vgl BSG vom 19.6.1996 - 6 RKa 26/95 = SozR 3-2500 § 116 Nr 14). Das gilt nicht nur für Entscheidungen, die unmittelbar den Status eines vertragsärztlichen Leistungserbringers verändern, sondern auch für solche Entscheidungen, die in untrennbarem Zusammenhang hiermit stehen.
2. Die Nachholung der Beiladung im Revisionsverfahren ist nur möglich, wenn die Beizuladenden ihrer Beiladung in der Revisionsinstanz zustimmen. Geschieht dies nicht, ist die Zurückverweisung an das Berufungsgericht geboten (vgl BSG vom 27.6.1990 - 5 RJ 6/90 = SozR 3-1500 § 75 Nr 3).
3. Der ärztliche Leiter eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) muss auch selbst ärztlich als Angestellter oder als Vertragsarzt im MVZ tätig sein.
Normenkette
SGG § 75 Abs. 2 Alt. 1, § 168 S. 2; SGB 5 § 77 Abs. 3 Fassung: 2006-12-22, § 95 Abs. 1 S. 2 Fassung: 2006-12-22, S. 6 Hs. 2 Fassung: 2006-12-22, Abs. 3 S. 2 Fassung: 2003-11-14
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beigeladenen wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 11. August 2010 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der ärztliche Leiter eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) vertragsärztlich tätig sein muss.
Die klagende gGmbH betreibt seit Januar 2006 ein MVZ. Die ärztliche Leitung wurde ab dem 1.2.2008 von einer im MVZ angestellten Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe wahrgenommen. Zum 1.2.2009 wurde der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Orthopäde Dr. B. zum weiteren Geschäftsführer der gGmbH bestellt. Die Klägerin übertrug ihm zum 15.2.2009 vertraglich auch die Stellung des ärztlichen Leiters des MVZ. Sie beantragte mit Schreiben vom 16.2.2009 beim Zulassungsausschuss die Bestätigung des Übergangs der ärztlichen Leitung. Mit Beschluss vom 2.3.2009 lehnte der Zulassungsausschuss den Antrag ab, weil der ärztliche Leiter eines MVZ selbst vertragsärztlicher Leistungserbringer sein müsse. Der beklagte Berufungsausschuss wies mit Beschluss vom 27.5.2009 den Widerspruch zurück. Der ärztliche Leiter, der die Gesamtverantwortung für das ärztliche Handeln des MVZ trage, müsse selbst vertragsärztlich tätig sein. Nur als Mitglied der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) unterliege der ärztliche Leiter auch deren Disziplinargewalt.
Das SG hat der daraufhin erhobenen Klage stattgegeben und unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten festgestellt, dass die Übertragung der ärztlichen Leitung des MVZ auf Dr. B. zulässig gewesen sei. Den Vorschriften über die Einrichtung und organisatorische Ausgestaltung von MVZ lasse sich nicht entnehmen, dass der ärztliche Leiter selbst vertragsärztlich tätig sein müsse. Das LSG hat mit Urteil vom 11.8.2010 die Berufung der beigeladenen KÄV zurückgewiesen. Richtige Klageart sei eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage, bei der im Obsiegensfall die Feststellung des Gerichts an die Stelle der Entscheidung der Zulassungsgremien trete. In der Sache habe das SG zu Recht festgestellt, dass die Übertragung der ärztlichen Leitung auf Dr. B. zulässig gewesen sei. Mit dem ärztlichen Leitungsvorbehalt solle sichergestellt werden, dass in fachlich-medizinischer Hinsicht die Organisation der Betriebsabläufe des MVZ ärztlich gesteuert werde. Die ärztliche Leitung sei nicht als persönliche Leitung der Arztpraxis iS des § 1a Nr 25 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) zu verstehen. Es solle institutionell gewährleistet werden, dass der in dieser Einrichtung arbeitende Arzt seine ärztliche Tätigkeit in Einklang mit seiner Berufspflicht und frei von Weisungen durch Nichtärzte ausüben könne. Die Ausübung der Leitungsfunktion setze die Mitwirkung an der Erbringung vertragsärztlicher Leistungen nicht voraus. Anders als ein Chefarzt im Krankenhaus trage der ärztliche Leiter eines MVZ nicht die Verantwortung für jede einzelne Behandlungsmaßnahme. Erforderlich sei lediglich eine effektive Ausübung der Leitungsaufgaben, was hier angesichts der Vollzeittätigkeit von Dr. B. angenommen werden könne.
Dagegen richtet sich die Revision der Beigeladenen. Der ärztliche Leiter eines MVZ sei verpflichtet, die Einhaltung der vertragsarztrechtlichen und berufsrechtlichen Pflichten der dort tätigen Ärzte durchzusetzen. Dies betreffe insbesondere die peinlich genaue Abrechnung der vertragsärztlichen Leistung, die Einhaltung der Qualitätssicherungsvoraussetzungen, die Teilnahme am Notfalldienst sowie die sonstigen Pflichten eines Vertragsarztes. Aufgrund dieser Aufgabenzuweisung müsse der ärztliche Leiter vertraglich so eng an den Betrieb des MVZ gebunden sein, dass er auch tatsächlich Einfluss nehmen könne. Dazu sei es erforderlich, dass der ärztliche Leiter mindestens im MVZ angestellt oder als Vertragsarzt tätig und Mitglied der KÄV sei.
Die Beigeladene sowie der Beklagte beantragen,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 11.8.2010 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 2.12.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet über die Revision in der sich aus § 12 Abs 3 Satz 1 iVm § 40 Satz 2, § 33 Satz 2 SGG ergebenden Besetzung mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und der Krankenkassen. Der Rechtsstreit betrifft eine Entscheidung der paritätisch besetzten Zulassungsgremien und damit eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts.
Die Revision der beigeladenen KÄV hat im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG Erfolg.
1. Einer Entscheidung des Senats in der Sache selbst (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG) durch Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen und Abweisung der Klage steht entgegen, dass es das LSG unterlassen hat, die Verbände der Krankenkassen beizuladen. Die Beiladung der Krankenkassenverbände war hier iS des § 75 Abs 2 1. Alt SGG notwendig, weil die Entscheidung des beklagten Berufungsausschusses darüber, ob das MVZ über die erforderliche ärztliche Leitung verfügt, auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Der Verband der Ersatzkassen, die Landesverbände der Krankenkassen und die KÄV sind stets beizuladen, wenn ein Beschluss des Berufungsausschusses angegriffen wird. Entscheidungen der Zulassungsgremien betreffen unmittelbar den Rechtskreis der für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zuständigen KÄV, aber auch den der gesetzlichen Krankenkassen, weil zugelassene und ermächtigte Ärzte sowie ärztlich geleitete Einrichtungen im System der vertragsärztlichen Versorgung Leistungen erbringen und zu Lasten der Krankenkassen veranlassen dürfen (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 14 S 73 f). Das gilt nicht nur für Entscheidungen, die unmittelbar den Status eines vertragsärztlichen Leistungserbringers verändern, sondern auch für solche Entscheidungen, die in untrennbarem Zusammenhang hiermit stehen. Die ärztliche Leitung ist nach § 95 Abs 1 Satz 2 SGB V konstitutives Merkmal eines MVZ und damit Voraussetzung für seine Zulassung, über die die Zulassungsgremien zu entscheiden haben. Zwar ist anders als bei der Genehmigung der Anstellung eines Arztes (§ 95 Abs 2 Satz 7 SGB V) eine förmliche Entscheidung der Zulassungsgremien über die Zulässigkeit eines späteren Wechsels in der Person des ärztlichen Leiters im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen. Für die Prüfung, ob eine ärztliche Leitung besteht, wie § 95 Abs 1 Satz 2 SGB V dies fordert, macht das Gesetz keine Vorgaben. Da aber nach § 95 Abs 6 SGB V die Zulassung zu entziehen ist, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, sind die Zulassungsgremien auch für die Feststellung zuständig, ob bei einer strukturellen und/oder personellen Änderung innerhalb des MVZ die Zulassungsvoraussetzungen noch erfüllt werden. Die Gremien entscheiden mit Wirkung für alle dort vertretenen Körperschaften auch über das weitere Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen. Damit wird zwar noch nicht der Status des MVZ berührt, wohl aber eine unmittelbar damit zusammenhängende Frage sowie die Verantwortlichkeit nach außen, insbesondere im Verhältnis zur beigeladenen KÄV, geklärt.
Die Beiladung hat im Revisionsverfahren auch nicht nachgeholt werden können. Dies ist gemäß § 168 Satz 2 SGG nur möglich, wenn die Beizuladenden zustimmen. Die Beizuladenden haben ihrer Beiladung in der Revisionsinstanz jedoch nicht zugestimmt, weshalb die Zurückverweisung an das LSG geboten ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 75 Nr 3 S 7). Ein Ausnahmefall, in dem trotz fehlender notwendiger Beiladung entschieden werden kann, liegt nicht vor (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 121 Nr 6 RdNr 18; BSGE 96, 190 = SozR 4-4300 § 421g Nr 1, RdNr 20).
2. Ungeachtet dessen weist der Senat auf Folgendes hin: Nach Auffassung des Senats ist die Berufung der Beigeladenen begründet.
Der Beklagte hat zu Recht entschieden, dass der ärztliche Leiter eines MVZ auch selbst ärztlich als Angestellter oder als Vertragsarzt im MVZ tätig sein muss (im Ergebnis ebenso Bäune in Bäune/Meschke/Rothfuß, Kommentar zur Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte, 2008, Anhang zu § 18 RdNr 71; Pawlita in juris-PK, SGB V, 2008, § 95 RdNr 81; Schirmer, Vertragsarztrecht kompakt, 308; wohl auch Behnsen, Medizinische Versorgungszentren - die Konzeption des Gesetzgebers (I), das Krankenhaus 2004, 602, 606; Peikert, Erste Erfahrungen mit Medizinischen Versorgungszentren, ZMGR 2004, 211, 214; aA Andreas, Medizinische Versorgungszentren, ArztR 2005, 144, 145; Möller/Dahm in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, 2. Aufl 2011, § 9 RdNr 45; Möller, Auswirkungen des VÄndG auf Medizinische Versorgungszentren, MedR 2007, 263, 265; Wigge/von Leoprechting, Handbuch Medizinische Versorgungszentren, 2011, S 112).
a) Nach § 95 Abs 1 Satz 2 SGB V sind medizinische Versorgungszentren fachübergreifende ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen Ärzte, die in das Arztregister nach Absatz 2 Satz 3 eingetragen sind, als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind. Sind in einem MVZ Angehörige unterschiedlicher Berufsgruppen, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, tätig, ist nach § 95 Abs 1 Satz 5 SGB V auch eine kooperative Leitung möglich. Die Forderung nach einer Tätigkeit des ärztlichen Leiters des MVZ als angestellter Arzt oder als Vertragsarzt lässt sich dem Wortlaut dieser Regelungen unmittelbar nicht entnehmen.
b) Die Gesetzesmaterialien zum GKV-Modernisierungsgesetz (BGBl I 2003, 2190), mit dem die Bestimmungen über die MVZ in das SGB V eingefügt wurden, enthalten keine expliziten Aussagen zu den Vorstellungen des Gesetzgebers zur Qualifikation des ärztlichen Leiters eines MVZ. Ein Hinweis ergibt sich allenfalls daraus, dass durch § 95 Abs 1 Satz 6 2. Halbsatz SGB V, wonach MVZ nur von Leistungserbringern gegründet werden können, die aufgrund von Zulassung, Ermächtigung oder Vertrag an der medizinischen Versorgung der Versicherten teilnehmen, sichergestellt werden soll, dass eine primär an medizinischen Vorgaben orientierte Führung der Zentren gewährleistet wird (BT-Drucks 15/1525 S 108). Das führt zwar nicht zwingend zu dem Schluss, dass der ärztliche Leiter eines MVZ an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen muss. Immerhin ist dem aber die Vorstellung zu entnehmen, dass mit der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung grundsätzlich eine in erster Linie an medizinischen Vorgaben ausgerichtete Leistungserbringung verbunden ist.
Eindeutig gestützt wird die Auffassung des Beklagten durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung für das Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz ≪GKV-VStG≫). Danach soll in § 95 Abs 1 SGB V nach Satz 2 der folgende Satz eingefügt werden: "Der ärztliche Leiter muss in dem medizinischen Versorgungszentrum selbst als angestellter Arzt oder als Vertragsarzt tätig sein; er ist in medizinischen Fragen weisungsfrei." Gleichzeitig soll in § 95 Abs 6 SGB V eine Regelung angefügt werden, wonach bestehenden MVZ die Zulassung zu entziehen ist, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes nachweisen, dass die ärztliche Leitung den Voraussetzungen des Abs 1 Satz 3 entspricht. Durch die Neuregelung in Absatz 1 soll die sich aus dem ärztlichen Berufsrecht ergebende Therapie- und Weisungsfreiheit gewährleistet werden, der ein hoher Stellenwert beigemessen wird. Nur ein ärztlicher Leiter, der in die Organisations- und Versorgungsstrukturen des MVZ eingebunden sei, habe tatsächlich Einwirkungsmöglichkeiten auf die dortigen Abläufe und könne sicherstellen, dass ärztliche Entscheidungen unabhängig von sachfremden Erwägungen getroffen würden (BT-Drucks 17/6906 S 70). Die Materialien bezeichnen die Ergänzung des Gesetzes zwar nicht als Klarstellung. Die Begründung streitet aber dafür, ein entsprechendes Erfordernis auch bereits bei der derzeitigen Rechtslage zu bejahen. Es ist schwer vorstellbar, wie ein Arzt, der selbst nicht ärztlich im MVZ tätig ist und damit die Versorgungsstrukturen nur "von außen" kennt, ärztliche Leitungsfunktionen gegenüber angestellten Ärzten und Vertragsärzten ausüben kann.
c) Auch der systematische Zusammenhang der bestehenden Regelung spricht für die Auslegung des Beklagten. Bereits der erwähnte Umstand, dass eine formelle Genehmigung der Bestellung des ärztlichen Leiters im Gesetz nicht vorgesehen ist, stützt das Erfordernis der ärztlichen Tätigkeit des ärztlichen Leiters im MVZ. Ist nämlich seine Anstellung genehmigt oder ihm eine vertragsärztliche Zulassung erteilt, ist bereits diesen statusbegründenden Akten eine Prüfung seiner fachlichen und persönlichen Qualifikation vorausgegangen, sodass es einer weiteren Prüfung für die Bestellung zum ärztlichen Leiter nicht bedarf.
d) Die Auslegung der Beklagten entspricht schließlich auch dem Sinn und Zweck des Erfordernisses einer ärztlichen Leitung. Mit den MVZ sollte eine neue Versorgungsform ermöglicht werden, die insbesondere die Kooperation unterschiedlicher ärztlicher Fachgebiete untereinander sowie mit nichtärztlichen Leistungserbringern erleichtern sollte (BT-Drucks 15/1525 S 107 f). Die Anordnung einer ärztlichen Leitung stellt dabei zum einen sicher, dass die im MVZ tätigen ärztlichen Leistungserbringer in ihrer Tätigkeit keinen Weisungen von Nichtärzten unterworfen sind (vgl Bäune, aaO, Anhang zu § 18 RdNr 68; Behnsen, das Krankenhaus 2004, 602, 606). Zum anderen trifft den ärztlichen Leiter, wie das LSG zu Recht festgestellt hat, zwar keine fachliche Verantwortung für jede einzelne Behandlungsmaßnahme, wohl aber die Verantwortung für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe und eine Gesamtverantwortung gegenüber der KÄV. So ist auch in dem Vertrag mit Dr. B. festgelegt, dass er gegenüber der KÄV für die Einhaltung vertragsärztlicher Vorgaben durch die Mitarbeiter des MVZ einzustehen hat. Eine solche privatrechtliche Abrede befreit zwar die im MVZ tätigen Ärzte nicht von ihrer persönlichen Verantwortlichkeit gegenüber der KÄV. Sie verdeutlicht aber die besondere Pflichtenstellung des ärztlichen Leiters, der den ordnungsgemäßen Ablauf der vertragsärztlichen Versorgung im MVZ zu gewährleisten hat.
Die Wahrnehmung von Leitungsfunktionen und die dazu notwendige tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit erfordern zunächst ärztliche Präsenz (vgl Pawlita, aaO, § 95 RdNr 81). Dabei ist eine Einbindung in die Strukturen des MVZ erforderlich, wie sie nur durch eigene ärztliche Tätigkeit gewährleistet werden kann. Hinreichende tatsächliche Einwirkungsmöglichkeiten hat ein Arzt nur dann, wenn er selbst in die Arbeitsabläufe eingebunden ist und aus eigener Anschauung das Verhalten der Mitarbeiter beurteilen kann. Dass der ärztliche Leiter in der Geschäftsführung des MVZ tätig ist, ist einerseits nicht erforderlich, andererseits auch nicht ausgeschlossen.
Der Beklagte sowie die beigeladene KÄV führen weiterhin zu Recht an, dass bei einer ärztlichen Tätigkeit im MVZ eine Pflichtverletzung des ärztlichen Leiters auch unmittelbar durch die KÄV sanktioniert werden kann. Ein nicht in der vertragsärztlichen Versorgung tätiger ärztlicher Leiter unterläge nicht der Disziplinargewalt der KÄV. Ein Fehlverhalten im vertragsärztlich relevanten Bereich könnte disziplinarisch zwar gegenüber den im MVZ tätigen Vertragsärzten oder angestellten Ärzten, die, soweit sie einen vollen oder hälftigen Versorgungsauftrag wahrnehmen, nach § 77 Abs 3, § 95 Abs 3 Satz 2 SGB V Mitglied der für den Vertragsarztsitz des MVZ zuständigen KÄV werden, geahndet werden. Sofern ein solcher personenbezogener Durchgriff nicht möglich ist, kann ein Fehlverhalten auch dem Versorgungszentrum als solchem zugerechnet werden. Das MVZ als zugelassener Leistungserbringer muss sich die Pflichtverletzungen der bei ihm in die vertragsärztliche Versorgung eingebundenen Ärzte zurechnen lassen (vgl LSG Berlin-Brandenburg vom 9.2.2010 - L 7 KA 169/09 B ER -, ZMGR 2010, 96; Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 30 RdNr 4). Die Möglichkeit einer disziplinarischen Reaktion auf eine Pflichtverletzung im Verantwortungsbereich des ärztlichen Leiters besteht aber nur, wenn der ärztliche Leiter Mitglied der KÄV ist.
3. Dem LSG bleibt die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.
Fundstellen
Haufe-Index 2918299 |
ArztR 2012, 136 |
ArztR 2012, 32 |
MedR 2012, 695 |
NZS 2012, 5 |