Beteiligte
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. September 1997 und das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 28. Juni 1995 geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind für alle Instanzen nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung, dem Kläger auch während eines Urlaubssemesters seines Sohnes Kindergeld (Kg) nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) zu zahlen.
Der Kläger bezog Kg für seinen am 5. Oktober 1968 geborenen Sohn U. (U), der ab Wintersemester 1989/90 an der Technischen Hochschule (TH) Darmstadt studierte. erstmals im Wintersemester 1991/92 war U wegen einer Mitarbeit im Allgemeinen Studentenausschuß (AStA) beurlaubt worden; für diese Zeit wurde die Bewilligung des Kg aufgehoben, wogegen der Kläger kein Rechtsmittel einlegte.
Im Sommersemester (1. April bis 30. September) 1994 ließ sich U erneut beurlauben, arbeitete wiederum im AStA, außerdem im Studentenparlament, im Konvent und im Haushaltsausschuß der TH mit und erhielt dafür eine monatliche Aufwandsentschädigung von 300,- später 400,- DM. Der Kläger teilte dies der Beklagten erst mit Schreiben vom 18. Mai 1994 mit. Die Beklagte hob die Bewilligung des Kg rückwirkend ab April 1994 auf und forderte das für April bereits gezahlte Kg in Höhe von 70,- DM zurück; mangels atypischen Einzelfalles sei dabei kein Ermessen auszuüben (Bescheid vom 17. Juni 1994 und Widerspruchsbescheid vom 17. August 1994).
Der hiergegen gerichteten Klage hat das Sozialgericht (SG) stattgegeben; das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteile vom 28. Juni 1995 bzw 4. September 1997). Das LSG hat ausgeführt, trotz Beurlaubung sei der Kläger eingeschriebenes Mitglied der Hochschule geblieben, auch sei die Funktionsübernahme in der Selbstverwaltung Recht und Pflicht der Mitglieder, eine Benachteiligung deswegen unzulässig. Der Status als Student habe auch weiterhin die wirtschaftliche und soziale Situation von U geprägt, die derjenigen bei Krankheit, Mutterschaft und Erziehung eines Kindes entsprochen habe. Für dieses Ergebnis spreche auch die Weiterförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) bei Überschreitung der Förderungshöchstdauer durch Mitwirkung in der Selbstverwaltung.
Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG. Eine Berufsausbildung iS dieser Vorschrift liege nur vor, soweit eine planmäßige Ausgestaltung und Zielrichtung gegeben sowie ein sachkundig-verantwortlicher Ausbilder bestellt sei, Fähigkeiten zur Ausübung des künftigen Berufs erworben sowie Zeit und Arbeitskraft des Auszubildenden überwiegend in Anspruch genommen würden. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. U habe auch nicht tatsächlich am Vorlesungsbetrieb teilgenommen oder die Zeit sonst sinnvoll für den angestrebten Beruf genutzt. Die Unterbrechung sei nicht unvermeidbar gewesen. Schließlich gewähre auch das BAföG nur eine Verlängerung der Förderung, aber keine Förderung im Urlaubssemester selbst.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. September 1997 sowie das Urteil des Sozialgerichtes Speyer vom 28. Juni 1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Durch die Beurlaubung von U ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten, die zum Wegfall des Anspruchs auf Kg geführt und die Beklagte zur Rücknahme der Bewilligung und zur Rückforderung der für April 1994 bereits gezahlten 70,- DM berechtigt hat (§ 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch ≪SGB X≫).
Kinder, die – wie der Sohn des Klägers im hier streitigen Zeitraum – das 16. Lebensjahr vollendet haben, werden bei der Zahlung von Kg unter anderem dann berücksichtigt, wenn sie sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden (§ 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG in der hier maßgebenden Fassung des 12. BKGG-ÄndG vom 30.6.1989, BGBl I 1294). Als Berufsausbildung gilt auch ein Hochschulstudium, das entsprechend der maßgebenden Studien- und Prüfungsordnung mit dem Ziel betrieben wird, einen akademischen Abschluß zu erlangen (vgl BSG SozR 3-5870 § 2 Nr 23). Der Sohn des Klägers befand sich während der hier streitigen Zeit jedoch nicht in einem Fachsemester, sondern war aufgrund der Immatrikulationsverordnung des Landes Hessen, deren Auslegung durch das LSG als Landesrecht in der Revisionsinstanz nicht zu überprüfen ist, wegen der Mitarbeit in der studentischen Selbstverwaltung vom Studium beurlaubt. Während des Urlaubssemesters war der Erwerb von Leistungsnachweisen nicht möglich. Dieser Umstand steht der Annahme entgegen, der Sohn des Klägers habe auch während der Beurlaubung ein fachbezogenes Studium betrieben (so auch im Hinblick auf den Förderungsanspruch nach dem BAföG: BVerwGE 66, 261). Denn mit der Beurlaubung hat die Hochschule anerkannt, daß die Mitarbeit in den Selbstverwaltungsgremien mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden ist. Wäre diese Voraussetzung nicht erfüllt gewesen, hätte die Universität die Beurlaubung nicht erteilen dürfen. Eine Beurlaubung vom Studium oder eine Befreiung von der Teilnahme an Vorlesungen ist auch bei fortbestehender Immatrikulation grundsätzlich als Unterbrechung der Ausbildung anzusehen, was einen Kg-Anspruch während des Zeitraums der Beurlaubung ausschließt (Wickenhagen/Krebs, BKGG, § 2 RdNr 116). Als Kg-unschädlichen Unterbrechungstatbestand während der Ausbildung führt das Gesetz allein die Erziehung eines Kindes in dem von § 2 Abs 2 Satz 6 BKGG festgelegten Rahmen auf. Die Rechtsprechung hat daneben auch Unterbrechungen wegen vorübergehender Erkrankungen als unschädlich angesehen (BSG SozR RVO § 1267 Nr 16).
Darüber hinaus sind Zeiten, in denen eine planmäßige Ausbildung nicht stattfindet, nur in einem engen Rahmen Kg-unschädlich, wenn sie zwischen mehreren Ausbildungsabschnitten liegen. Nach § 2 Abs 2 Satz 5 BKGG dauert eine Schul- oder Berufsausbildung iS des § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BKGG während einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten nur fort, wenn der nächste Ausbildungsabschnitt spätestens im vierten auf die Beendigung des vorherigen Ausbildungsabschnittes folgenden Monat beginnt. Das Bundessozialgericht (BSG) hat es bereits mit Urteil vom 25. März 1982 (BSG SozR 5870 § 2 Nr 29) – unabhängig von der Dauer der betroffenen Zeitspanne – abgelehnt, eine Übergangszeit in diesem Sinne anzunehmen, wenn sich ein Auszubildender von der vorgeschriebenen Ausbildung beurlauben läßt, auch wenn dies im Hinblick auf eine Tätigkeit geschieht, die für den angestrebten Beruf sinnvoll ist. Darüber hinaus steht der Annahme einer Übergangszeit hier der eindeutige Wortlaut des § 2 Abs 2 Satz 5 Halbs 1 BKGG entgegen. Die Unterbrechung durch ein Urlaubssemester überschreitet den dort festgelegten Zeitrahmen; denn die Beurlaubung umfaßt das gesamte Studiensemester einschließlich der vorlesungsfreien Zeit (vgl BVerwGE 58, 132).
Die Beurlaubung für ein Studiensemester stellt auch dann eine den Anspruch auf Kg ausschließende Unterbrechung der Ausbildung iS des § 2 Abs 1 Satz 1 BKGG dar, wenn der Student in dieser Zeit in einem Gremium der Selbstverwaltung der Hochschule mitarbeitet. Nach ständiger Rechtsprechung sind nur solche Betätigungen als Ausbildung anzusehen, die nach der jeweiligen Ausbildungsordnung zur Erreichung des Ausbildungsziels vorausgesetzt werden (BSG SozR 5870 § 2 Nr 66). Die Mitwirkung in Organen der Hochschule, der Studentenschaft oder im Studentenwerk ist weder Ausbildungs- noch Prüfungsvoraussetzung. Auch die Tatsache, daß die Mitglieder der Hochschule aus allgemeinen hochschulrechtlichen Gründen zur Mitarbeit in der studentischen Selbstverwaltung verpflichtet sind, führt nicht zur Gleichstellung eines wegen einer solchen Mitarbeit in Anspruch genommenen Urlaubssemesters mit einem Fachsemester.
Nach § 36 Abs 5 Satz 1 Hochschulrahmengesetz (HRG) haben sich alle Mitglieder der Hochschule so zu verhalten, daß die Hochschulen und ihre Organe ihre Aufgaben erfüllen können. Die Mitwirkung in der Selbstverwaltung der Hochschule ist Recht und Pflicht der Mitglieder, auch der eingeschriebenen Studenten (§ 37 Abs 1 HRG). Dieser Pflicht können sich die Hochschulmitglieder grundsätzlich nur dann entziehen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Die universitäre Ausbildung umfaßt daher nicht allein die Erfüllung der nach der einschlägigen Studien- und Prüfungsordnung für den Abschluß in dem betroffenen Studiengang vorausgesetzten Bedingungen. Als Mitglied der Selbstverwaltungskörperschaft Hochschule ist der Student auch den besonderen Bindungen unterworfen, die für alle Mitglieder der Hochschule und speziell für die Gruppe der eingeschriebenen Studenten gelten. Der Sohn des Klägers war jedoch, auch nach der Auslegung des § 7 der Immatrikulationsverordnung durch das LSG, nicht gezwungen, ein Urlaubssemester in Anspruch zu nehmen. Die Regelung sieht lediglich vor, daß der Student bei einer mit erheblicher zeitlicher Belastung verbundenen Mitarbeit in den Organen der Hochschule auf Antrag beurlaubt werden kann. Die Vorschriften des HRG lassen dagegen nicht erkennen, daß Studenten auch verpflichtet sind, derart zeitintensive Tätigkeiten in den Gremien der Selbstverwaltung zu übernehmen. Das BAföG geht ersichtlich davon aus, daß die Pflicht zur Mitarbeit in Gremien der Selbstverwaltung grundsätzlich wie auch andere ehrenamtliche Verpflichtungen neben dem Fachstudium erfüllt werden kann. Nach dem BAföG entfallen Förderungsleistungen bei jeder förmlichen Beurlaubung unabhängig von ihrem Anlaß (vgl Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 3. Aufl 1991, § 15 RdNr 5).
Eine Gleichstellung des Urlaubssemesters mit einem Fachsemester ist auch nicht deshalb geboten, weil Hochschulmitglieder nach § 37 Abs 3 HRG wegen ihrer Tätigkeit in der Selbstverwaltung nicht benachteiligt werden dürfen. Das Benachteiligungsverbot bezieht sich grundsätzlich nur auf die hochschulrechtliche Stellung des Studenten und wendet sich damit an die Gremien der Hochschule. Es kann dagegen nicht Sozialleistungsträger verpflichten, wenn die Mitarbeit freiwillig den Umfang einer ehrenamtlichen Tätigkeit überschreitet und überdies auch vergütet wird. Dies ist für den Bereich der Ausbildungsförderung, wie sich aus dem generellen Ausschluß von Förderungsleistungen bei jeder förmlichen Beurlaubung ergibt, unbestritten. Die Tatsache, daß die Beurlaubung vom fachbezogenen Studium nach dem BAföG, als dem für die Förderung der Hochschulausbildung spezielleren Gesetz, zum Leistungsausschluß führt, ist auch bei der Auslegung der Leistungsvoraussetzung „Berufsausbildung” in § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG zu beachten.
BKGG und BAföG gehen im Hinblick auf die Leistungsdauer allerdings von unterschiedlichen Grundsätzen aus. Während sich die Förderungshöchstdauer nach dem BAföG (in Verbindung mit der nach § 15 Abs 4 BAföG erlassenen Förderungshöchstdauer-Verordnung) vor allem an der Mindeststudienzeit zuzüglich der für das Examen erforderlichen Zeit im jeweiligen Studienfach ausrichtet (Ramsauer/Stallbaum, aaO, § 15 RdNr 9a), und eine Verlängerung gerade wegen der Mitarbeit in Gremien der Hochschul-Selbstverwaltung vorsieht (§ 15 Abs 3 Nr 3 BAföG), richtet sich die Höchstdauer des Kg-Anspruchs, auch wenn dieser wegen der Absolvierung einer Ausbildung besteht, nach festen Altersgrenzen. Dem durch die freiwillige Gremienarbeit anfallenden Zeitverlust kann nach dem BAföG durch eine Verlängerung der Förderungshöchstdauer Rechnung getragen werden. Eine vergleichbare Kompensation ist im Kg-Recht nicht vorgesehen; sie ist dort jedoch selbst dann nicht erforderlich, wenn man die freiwillige, über das Pflichtmaß erfolgende Gremienarbeit nicht behindern will: Die Altersgrenze von 27 Jahren, die bei Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 2 Abs 3 BKGG (Grundwehrdienst, Zivildienst etc) noch entsprechend erhöht wird, läßt im Regelfall einen Kg-Bezug bis zum Abschluß des Studiums auch nach einer Unterbrechung um ein Semester ohne weiteres zu. Das Kg-Recht enthält hinsichtlich der Höchstdauer des Studiums keinerlei Beschränkungen. Es fordert nicht, daß das Studium stringent innerhalb der Mindest- oder der Regelstudienzeit absolviert wird (Berlebach, Familienleistungsausgleich, § 32 EStG RdNr 55). Eine Verschiebung des Studienprogramms auf eine größere Anzahl an Fachsemestern hat solange keine Auswirkungen, wie die für alle Auszubildenden geltenden Altersgrenzen nicht überschritten werden. Diese sind für Studenten im Regelfall großzügig bemessen. Sie lassen etwa bei einer Aufnahme des Studiums nach dem Abitur (wegen der Verlängerungsregelung in § 2 Abs 3 BKGG auch nach dem Wehr- oder Ersatzdienst) durchaus eine Gesamtstudiendauer von bis zu 16 Semestern zu und ermöglichen damit den Kg-Bezug für eine Zeitspanne, die die Regelstudiendauer in der überwiegenden Zahl der Studienfächer erheblich überschreitet.
Der Beginn des Urlaubssemesters im April 1994 stellte nach alledem eine wesentliche Änderung in den für die Gewährung von Kg maßgebenden Verhältnissen dar, die zur Aufhebung der Kg-Bewilligung berechtigte. Auch die rückwirkende Aufhebung mit Wirkung vom Zeitpunkt dieser Änderung der Verhältnisse (1. April 1994) war gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 und 4 SGB X gerechtfertigt. Denn zum einen wußte der Kläger durch die im Wintersemester 1991/92 schon einmal erfolgte Aufhebung der Kg-Bewilligung wegen Mitarbeit seines Sohnes in der Hochschul-Selbstverwaltung, daß der Anspruch kraft Gesetzes auch diesmal entfallen war. Zum anderen war er durch die späte Mitteilung der Beurlaubung (18. Mai 1994) seiner Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Auch wenn der Kläger die Rechtsauffassung der Beklagten nicht teilte, mußte er jedenfalls mit dem Wegfall des Kg-Anspruchs bereits ab 1. April 1994 rechnen und seine Mitteilung von der Beurlaubung machen. Ein Vertrauen auf die Richtigkeit allein der eigenen Auffassung wäre wenigstens als grob fahrlässig zu werten. Der angefochtene Bescheid ist bezüglich der rückwirkenden Aufhebung auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte nicht angegeben hat, auf welchen Erwägungen die Rücknahme des ursprünglichen Leistungsbescheides für die Vergangenheit beruht. Der Verwaltung ist im Hinblick auf die rückwirkende Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts mit Dauerwirkung gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X nur bei atypischen Ausnahmefällen ein Ermessen eingeräumt, das sie im Aufhebungsbescheid zum Ausdruck bringen muß. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein atypischer Fall dann anzunehmen, wenn die Umstände des Einzelfalls im Hinblick auf die mit der rückwirkenden Aufhebung verbundenen Nachteile von den Normalfällen der in § 48 Abs 1 Satz 2 Nrn 1 bis 4 SGB X geregelten Tatbestände signifikant abweichen und der Leistungsempfänger durch die rückwirkende Aufhebung in eine Notlage gerät (BSGE 59, 111, 116 = SozR 1300 § 48 Nr 19). Derartige Umstände sind hier schon deshalb nicht anzunehmen, weil die rückwirkende Aufhebung ab dem Zeitpunkt der Zahlungseinstellung im April 1994 lediglich mit einer Rückforderung von 70,- DM verbunden war.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen