Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Nachforderung. sozialgerichtliches Verfahren. Revisionsgrund. Zurückverweisung. notwendige Beiladung sämtlicher von der Beitragsforderung mitbegünstigter Fremdversicherungsträger. Arbeitgeberversehen bei der Beitragsberechnung. unbeachtlicher Berechnungsfehler oder offenbare Unrichtigkeit (hier: nachträgliche Geltendmachung der Voraussetzungen des § 3 Nr 26 EStG)
Orientierungssatz
1. Bei einem Rechtsstreit um personenbezogene Beitragsbescheide (hier: Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen) sind nicht nur die betroffenen Beschäftigten, sondern auch sämtliche von der Beitragsforderung mitbegünstigten Fremdversicherungsträger notwendig beizuladen (vgl zB BSG vom 31.10.2012 - B 12 R 1/11 R = SozR 4-2400 § 14 Nr 16 RdNr 10 und B 12 R 15/11 R = SozR 4-2400 § 23a Nr 6 RdNr 10, BSG vom 7.2.2002 - B 12 KR 12/01 R = BSGE 89, 158 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3).
2. Ein Arbeitgeberversehen bei der Berechnung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts als Ausnahme von dem Grundsatz, dass den Beschäftigten abweichend von getroffenen vertraglichen Abreden zugeflossenes (typischerweise überhöht gezahltes) Arbeitsentgelt die Bemessungsgrundlage für einen Beitragsanspruch bildet, liegt bei einem unbeachtlichem Berechnungsfehler oder einer offenbaren Unrichtigkeit vor (vgl BSG vom 7.2.2002 - B 12 KR 13/01 R = SozR 3-2400 § 14 Nr 24).
Normenkette
SGB IV § 8 Abs. 1, § 14 Abs. 1 S. 3, §§ 28a, 28p Abs. 1 Sätze 1, 5; EStG § 3 Nr. 26; SGG § 75 Abs. 2, § 170 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. November 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 31 938,05 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen.
Die Klägerin (eine GmbH) betreibt ua das St. J.-Krankenhaus in H. Die Beigeladenen zu 1. bis 30. waren Beschäftigte der Klägerin, für welche sie in den Jahren 2005 und 2006 als Arbeitgeberin Sozialversicherungsbeiträge abführte. Im Dezember 2006 kürzte die Klägerin die in diesem Monat abzuführenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge um insgesamt 31 938,05 Euro, da nach ihrer Auffassung in dieser Höhe für Zeiten vom 1.1.2005 bis 30.11.2006 gezahlte Beiträge nicht hätten entrichtet werden dürfen. Der Kürzung lag die Annahme zugrunde, die Beigeladenen zu 1. bis 30. hätten insoweit im genannten Zeitraum einkommensteuerfreie Einnahmen aus der nebenberuflichen Pflege in einer gemeinnützigen Einrichtung iS von § 3 Nr 26 Einkommensteuergesetz (EStG) erzielt und damit auch kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt.
Nach einer Betriebsprüfung für den Prüfzeitraum 1.1.2003 bis 31.12.2006 forderte der beklagte Rentenversicherungsträger (Deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz) mit Bescheid vom 15.2.2008 (versehen mit einer umfangreiche Berechnungen enthaltenden Anlage) von der Klägerin ua Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 31 938,05 Euro nach. Die Beklagte begründete die Nachforderung damit, dass die rückwirkende Anwendung der Steuerfreibetragsregelung keine beitragsrechtlichen Folgen habe. Im Zeitpunkt ihrer Zahlung seien die Beiträge zu Recht entrichtet worden. Eine Erstattung/Rückrechnung sei nicht zulässig. Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 28.8.2009).
Im anschließenden Klageverfahren hat die Klägerin geltend gemacht, der gesetzliche Steuerfreibetrag sei in der Vergangenheit "fehlerhaft" nicht angesetzt worden. Dies habe zur Zahlung zu hoher Sozialversicherungsbeiträge geführt, da steuerfreie Aufwandsentschädigungen kein Arbeitsentgelt darstellten. Im Dezember 2006 habe sie deshalb eine "Verrechnung" für den rückwirkenden Zeitraum vorgenommen. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11.11.2011).
Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die angefochtenen Bescheide der Beklagten insoweit aufgehoben, als in Höhe von 31 938,05 Euro Gesamtsozialversicherungsbeiträge nachgefordert wurden. Das LSG hat zur Begründung unter Hinweis auf Rechtsprechung des BSG (SozR 3-2400 § 14 Nr 24) ua ausgeführt, dass dann, wenn - wie hier - "aufgrund der irrtümlich unterbliebenen Anwendung der steuerrechtlichen Bestimmungen des § 3 Nr. 26 EStG ein Arbeitgeberversehen bei der Berechnung des Arbeitsentgelts" vorliege, dieses Versehen nachträglich auch mit Auswirkungen auf die Beitragspflicht berichtigt werden könne. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Anwendung der maßgeblichen steuerrechtlichen Bestimmung nicht auf einem durch den Gesetzgeber veranlassten steuerrechtlichen Rückanwendungsbefehl beruhe, sondern die unverändert gebliebene Bestimmung versehentlich durch den Arbeitgeber nicht angewandt worden sei (Urteil vom 13.11.2013).
Die Beklagte macht mit ihrer Revision eine Verletzung von § 14 Abs 1 S 3 und § 22 Abs 1 SGB IV geltend: In der rückwirkenden Geltendmachung der steuerfreien Aufwandsentschädigung liege eine unzulässige nachträgliche Änderung der tatsächlichen Umstände eines bereits rechtmäßig abgewickelten Versicherungsverhältnisses. Die steuerfreien Aufwandsentschädigungen seien in den Lohnunterlagen der Klägerin als Arbeitsentgelt ausgewiesen. Damit seien Beiträge zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu Recht entrichtet worden. Mit dem bereits in der Vergangenheit erfolgten Beitragsabzug sei das Versicherungsverhältnis "abgewickelt" worden. Es könne nachträglich nur noch unter besonderen Bedingungen geändert werden. Auch liege keine nur irrtümliche Zahlung aufgrund eines "Arbeitgeberversehens" vor. Mache ein Betroffener von einer steuerlichen Gestaltungsmöglichkeit keinen Gebrauch, so könne dies auf einer Vielzahl von Gründen beruhen; er könne sich etwa auch bewusst gegen eine solche Gestaltungsmöglichkeit entschieden haben. Hilfsweise rügt die Beklagte, das LSG habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, die Voraussetzungen des § 3 Nr 26 EStG zu prüfen. Die Revision sei deshalb jedenfalls im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. November 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11. November 2011 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, es handele sich "um eine zulässige Beseitigung einer offenbaren Unrichtigkeit", die sie in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeberin vorgenommen habe.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge und äußern sich nicht.
Entscheidungsgründe
Die Revision der beklagten Deutschen Rentenversicherung Rheinland-Pfalz ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen LSG-Urteils und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet.
Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob und ggf in welchem Umfang die Beklagte von der klagenden GmbH als Arbeitgeberin der Beigeladenen zu 1. bis 30. Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 31 938,05 Euro für Zeiten vom 1.1.2005 bis 31.12.2006 zu Recht oder zu Unrecht nachfordert. Deshalb ist das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).
Das LSG hat verfahrensfehlerhaft weitere notwendige Beiladungen unterlassen (dazu im Folgenden 1.), die nachzuholen sind. Darüber hinaus kann der Senat anhand der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht selbst entscheiden, ob und in welchem Umfang die Klägerin als Arbeitgeberin verpflichtet ist, die in den angefochtenen Bescheiden festgesetzten Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu zahlen (dazu 2.).
1. Zu entscheiden ist über Bescheide der Beklagten, mit denen diese von der Klägerin als Arbeitgeberin von 30 namentlich bekannten Beschäftigten im Anschluss an eine Betriebsprüfung Beiträge zur Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung nachfordert. Bei einer solchen Konstellation mit personenbezogenen Beitragsbescheiden sind nicht nur - wie im Berufungsverfahren erfolgt - die betroffenen Beschäftigten (dazu zB BSGE 89, 158, 159 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4), sondern auch sämtliche von der Beitragsforderung mitbegünstigten Fremdversicherungsträger der genannten Versicherungszweige notwendig beizuladen, dh auch die Bundesagentur für Arbeit und die jeweils für die Beschäftigten kontoführenden Rentenversicherungsträger (vgl zB BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 16 RdNr 10 mwN; SozR 4-2400 § 23a Nr 6 RdNr 10 mwN; BSGE 89, 158, 159 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 75 RdNr 10f mwN). Bei unterlassenen notwendigen Beiladungen handelt es sich um einen im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel (vgl zB BSG SozR 1500 § 75 Nr 10 S 11 und Nr 21 S 17; BSG Urteil vom 25.10.1990 - 12 RK 22/90 - Die Beiträge 1991, 98, 99 mwN).
Es bestand für den Senat keine Veranlassung, die unterbliebene notwendige Beiladung nach § 168 S 2 SGG selbst vorzunehmen, da aus anderen Gründen ohnehin an das LSG zurückverwiesen werden muss (vgl allgemein stRspr BSGE 103, 39 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1, RdNr 14 mwN). Das LSG wird daher die Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG zur Gewährleistung eines verfahrensfehlerfreien Sozialgerichtsverfahrens nachholen müssen.
2. Aufgrund der Feststellungen des LSG lässt sich nicht beurteilen, ob und in welchem Umfang die Klägerin in der Zeit vom 1.1.2005 bis 30.11.2006 Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Beigeladenen zu 1. bis 30. schuldete.
Rechtsgrundlage der Bescheide der Beklagten ist § 28p Abs 1 S 1 und S 5 SGB IV. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (S 1). Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Abs 2 sowie § 93 iVm § 89 Abs 5 SGB X nicht (S 5).
Um über die Rechtmäßigkeit der Beitragsnachforderung entscheiden zu können, ist es deshalb auf der Grundlage von § 170 Abs 5 SGG erforderlich, dass das LSG vor einer erneuten Verhandlung und Entscheidung zunächst ermittelt, ob die Beschäftigten überhaupt der Versicherungspflicht unterlagen und ob nicht etwa wegen Geringfügigkeit von vornherein Versicherungsfreiheit bestand (dazu a). Erst jeweils nach Bejahung der Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1. bis 30. wird das LSG dann im Einzelnen zu klären haben, ob die Voraussetzungen für eine Beitragspflicht und Beitragsberechnung in dem von der Beklagten angenommenen Umfang vorlagen oder nicht. Dabei muss das LSG näher prüfen, ob und in welchem Umfang die Beigeladenen zu 1. bis 30. nach § 14 Abs 1 S 3 SGB IV Arbeitsentgelt bezogen und ob und ggf in welchem Umfang es sich um steuerfreie Einnahmen nach § 3 Nr 26 EStG handelte, die nicht als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt gelten (dazu b). Erst wenn weiter feststeht, dass alle vorgenannten Voraussetzungen erfüllt waren, kann es hier entscheidungserheblich auf die - vom LSG allein in den Vordergrund gerückte - Frage ankommen, ob auch noch eine nachträgliche Geltendmachung der Voraussetzungen des § 3 Nr 26 EStG rückwirkend zur fehlenden Beitragspflicht führt (dazu c).
a) Es fehlen bereits Feststellungen des LSG dazu, ob die Beigeladenen zu 1. bis 30. der Versicherungspflicht wegen Beschäftigung unterlagen oder ob nicht etwa wegen Geringfügigkeit von vornherein Versicherungsfreiheit bestand.
Das LSG wird zunächst aufzuklären haben, in welchem Umfang es sich bei den Beschäftigungen der Beigeladenen zu 1. bis 30. um geringfügige Beschäftigungen iS von § 8 Abs 1 SGB IV handelte mit der Folge der Versicherungsfreiheit in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung (§ 27 Abs 2 S 1 SGB III; § 7 Abs 1 S 1 SGB V; § 20 Abs 1 S 1 SGB XI; § 5 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB VI in der bis 31.12.2012 geltenden Fassung). Nach § 8 Abs 1 SGB IV in der bis 31.12.2008 geltenden Fassung (des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4621, neugefasst durch Bekanntmachung vom 23.1.2006, BGBl I 86) liegt eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 400 Euro nicht übersteigt (Nr 1), die Beschäftigung innerhalb eines Jahres seit ihrem Beginn auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 400 Euro im Monat übersteigt (Nr 2). Angesichts der Voraussetzung der nur "nebenberuflich" ausgeübten Pflegetätigkeit für die Annahme von steuerfreien Einnahmen (zu den Voraussetzungen des § 3 Nr 26 EStG im Einzelnen sogleich unter b) kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich unter den 30 Beigeladenen - über die in der Anlage des Bescheides vom 15.2.2008 als solche erkennbaren Beigeladenen hinaus - möglicherweise noch weitere geringfügig Beschäftigte befinden.
b) Das LSG wird darüber hinaus im Einzelnen noch zu ermitteln haben, ob die Voraussetzungen für eine Beitragspflicht und Beitragsberechnung in dem von der Beklagten angenommenen Umfang vorlagen oder nicht. Dabei wird zu prüfen sein, ob und in welchem Umfang die Beigeladenen zu 1. bis 30. in den einzelnen Sozialversicherungszweigen beitragspflichtiges Arbeitsentgelt iS von § 14 Abs 1 S 3 SGB IV bezogen oder ob und ggf in welchem Umfang es sich insoweit um steuerfreie Einnahmen nach § 3 Nr 26 EStG handelte, die nicht als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt gelten.
Bei versicherungspflichtig Beschäftigten ist das Arbeitsentgelt in allen Zweigen der Sozialversicherung zur Beitragsbemessung heranzuziehen (vgl § 226 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V; § 57 Abs 1 SGB XI iVm § 226 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V; § 162 Nr 1 SGB VI; § 342 SGB III, jeweils in den in den streitigen Zeiträumen geltenden Fassungen). Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (§ 14 Abs 1 S 1 SGB IV). In den Jahren 2005 und 2006 galten steuerfreie Aufwandsentschädigungen und die in § 3 Nr 26 EStG genannten steuerfreien Einnahmen nicht als Arbeitsentgelt(§ 14 Abs 1 S 3 SGB IV idF vom 26.6.2001 bzw neugefasst durch Bekanntmachung vom 23.1.2006, BGBl I 86). Steuerfrei waren danach Einnahmen aus nebenberuflichen Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher, Betreuer oder vergleichbaren nebenberuflichen Tätigkeiten, aus nebenberuflichen künstlerischen Tätigkeiten oder der nebenberuflichen Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen im Dienst oder im Auftrag einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer unter § 5 Abs 1 Nr 9 Körperschaftsteuergesetz (KStG) fallenden Einrichtung zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 Abgabenordnung) bis zur Höhe von insgesamt 1848 Euro im Jahr.
Ob für die Beigeladenen zu 1. bis 30. sämtliche Voraussetzungen des § 14 Abs 1 S 3 SGB IV vorlagen, vermag der Senat auf der Grundlage der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht zu beurteilen. Das LSG hat seiner Entscheidung ohne Weiteres die Annahme zugrunde gelegt, dass die Beigeladenen zu 1. bis 30. in der Zeit vom 1.1.2005 bis 30.11.2006 steuerfreie Einnahmen nach § 3 Nr 26 EStG erzielten, ohne jedoch die dafür nötigen Anforderungen an die Person der Klägerin und die weiteren Voraussetzungen betreffend die Beigeladenen zu 1. bis 30. geprüft und festgestellt zu haben.
Das LSG wird dies nachzuholen und deshalb zunächst aufzuklären haben, ob es sich bei der Klägerin (eine GmbH, also eine juristische Person des Privatrechts) in den Jahren 2005 bis 2006 um eine unter § 5 Abs 1 Nr 9 KStG fallende Einrichtung zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke im vorbeschriebenen Sinne handelte. Zudem muss es Feststellungen dazu treffen, ob und ggf in welchem Umfang die Beigeladenen zu 1. bis 30. nur "nebenberuflich" für die Klägerin tätig waren. Steuerfrei sind nach § 3 Nr 26 EStG nur Einnahmen aus "nebenberuflichen" Tätigkeiten, dh solchen Tätigkeiten, die vom zeitlichen Umfang her nicht mehr als ein Drittel derjenigen ausmacht, die ein denselben Beruf ausübender Vollerwerbstätiger zu erbringen hat (vgl - auch zur dabei einkommensteuerrechtlichen Irrelevanz des Umstandes, ob der Steuerpflichtige daneben tatsächlich noch einen Hauptberuf ausübt - BFHE 160, 486 Leitsatz 1 und Juris RdNr 13 ff). Dabei wird das LSG zum einen auch das Vorliegen von ggf einheitlichen Beschäftigungsverhältnissen mit einer nur vorgenommenen Aufteilung in einen steuerpflichtigen und einen steuerfreien Entgeltteil zu prüfen haben (zum Vorliegen eines einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses vgl BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 13 S 39 sowie BSG SozR 4-2400 § 8 Nr 5 Leitsatz und RdNr 21 ff). Darüber hinaus muss das LSG Feststellungen dazu treffen, ob die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. bis 30. jeweils in der "Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen" bestand oder (einkommensteuerrechtlich nicht begünstigte) Dienste oder Hilfstätigkeiten anderer Art umfasste, zB Reinigungsarbeiten, Waschen, Kochen (vgl dazu zB Bayerisches Landesamt für Steuern vom 8.7.2011 - S 2121.1.1-1/27 St32 - ESt-Kartei BY § 3 Nr 26 EStG Karte 1.1). Schließlich wird das LSG zu ermitteln haben, ob der Höchstbetrag der steuerfreien Einnahmen von seinerzeit 1848 Euro pro Jahr hinsichtlich der Beigeladenen zu 1. bis 30. von diesen jeweils (noch) in vollem Umfang in Anspruch genommen werden konnte oder bereits anderweitig - ggf auch nur teilweise - ausgeschöpft war (zu den Einzelheiten der sog Übungsleiterpauschale nach § 3 Nr 26 EStG vgl auch R 3.26 Lohnsteuer-Richtlinien).
c) Erst wenn sich nach den weiter vorzunehmenden Ermittlungen des LSG ergibt, dass die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt waren, kann es auf die Frage ankommen, ob eine nachträgliche Geltendmachung der Voraussetzungen des § 3 Nr 26 EStG durch die Klägerin als Arbeitgeberin gegenüber den Einzugsstellen bzw gegenüber der Beklagten rückwirkend zu einer fehlenden Beitragspflicht führen kann.
Insoweit hat das LSG im Ausgangspunkt zutreffend die Rechtsprechung des Senats zur Kenntnis genommen, dass es für die Frage der Beitragspflicht grundsätzlich auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entgeltzahlung und Beitragsentrichtung ankommt. Die Korrektur von bereits erfolgten Beitragszahlungen kann grundsätzlich nicht verlangt werden, wenn dies auf einer nachträglichen Änderung der Rechtslage - wenn auch mit Rückwirkung - (vgl BSGE 75, 298, 301 = SozR 3-2400 § 26 Nr 6 S 27; BSG SozR 3-2400 § 26 Nr 8) oder darauf beruht, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse später mit Wirkung für die Vergangenheit ändern (vgl BSGE 78, 224, 229 = SozR 3-2500 § 226 Nr 2 S 7; BSG SozR 3-2400 § 14 Nr 24 Leitsatz und S 63 f). Grund dafür ist, dass die Frage, ob Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit vorliegt oder wie hoch ein vor diesem Hintergrund zu prüfender Leistungsanspruch ist, nicht vom ungewissen Eintritt künftiger Ereignisse abhängen darf. Insoweit ist die Sozialversicherung sowohl zum Schutz des Beschäftigten als auch zum Schutz der Solidargemeinschaft bedingungsfeindlich (vgl BSG SozR 3-2400 § 14 Nr 24 S 62).
Dass - wie vom LSG angenommen - im zu entscheidenden Fall eine atypische Konstellation vorlag, vergleichbar dem bereits entschiedenen Fall, wonach eine Rückausnahme von dem Grundsatz anzuerkennen ist, dass den Beschäftigten abweichend von getroffenen vertraglichen Abreden zugeflossenes (typischerweise überhöht gezahltes) Arbeitsentgelt die Bemessungsgrundlage für einen Beitragsanspruch bildet (vgl BSG SozR 3-2400 § 14 Nr 24), lässt sich ohne weitere Feststellungen des LSG nicht bejahen.
Der Senat hat in diesem vom LSG für dessen Argumentation auf Seite 11 seines Urteils als entscheidend herangezogenen Urteil vom 7.2.2002 - B 12 KR 13/01 R - eine solche Ausnahme nur für den Fall für möglich erachtet, dass es sich "um eine lediglich irrtümliche Zahlung, zB aufgrund eines Bankirrtums oder eines Arbeitgeberversehens (zB Berechnungsfehler oder offenbare Unrichtigkeit)" handelte (BSG SozR 3-2400 § 14 Nr 24 S 63; vgl auch BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 7). Dass hier eine dem vergleichbare Konstellation vorliegt, hat das LSG - ohne nähere Begründung - bejaht, weil "aufgrund der irrtümlich unterbliebenen Anwendung der steuerrechtlichen Bestimmungen des § 3 Nr 26 EStG ein Arbeitgeberversehen bei der Berechnung des Arbeitsentgelts" vorliege. Zu den tatsächlichen Grundlagen der darin liegenden Wertung "Arbeitgeberversehen = zB ausnahmsweise unbeachtlicher Berechnungsfehler oder offenbare Unrichtigkeit" fehlen indessen nachvollziehbare, eine Subsumtion unter die Grundsätze des Senatsurteils vom 7.2.2002 (aaO) erkennen lassende Ausführungen des LSG. Auch dazu muss das LSG mithin weitere Feststellungen zu den Hintergründen des vermeintlichen Fehlverhaltens treffen. Nach den oa dargestellten Grundsätzen muss danach ein Fehler des Arbeitgebers von solcher Art vorliegen, dass der Fehler im Sinne der oa Rechtsprechung einem Berechnungsfehler oder einer "offenbaren" Unrichtigkeit gleichkommt (vgl dazu auch § 138 S 1 SGG, § 38 S 1 SGB X). Die Feststellungen des LSG reichen insoweit nicht aus, um die Rechtssache unter diesem Blickwinkel abschließend entscheiden zu können und sind nachzuholen.
Sollte sich bei alledem im Einzelfall ergeben, dass die Beitragsnachforderung der Beklagten in Bezug auf einzelne Beschäftigte in Anwendung der gesetzlichen Regelungen zu Recht erfolgte, könnte schließlich auch noch zu prüfen sein, ob hinsichtlich ggf auch nur einzelner Betroffener möglicherweise ein Vertrauensschutz der Klägerin daraus resultiert, dass nach dem Inhalt der Verwaltungsakten anscheinend einzelne Einzugsstellen in der Vergangenheit bereits Beitragserstattungen vorgenommen hatten.
3. Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG.
Fundstellen
Haufe-Index 9299180 |
WzS 2016, 192 |
SGb 2016, 87 |
AUR 2016, 84 |