Entscheidungsstichwort (Thema)
Fremdrentenrecht. Feststellung der Vertriebeneneigenschaft. Umsiedlung der Eltern und Großeltern
Leitsatz (amtlich)
Für einen Versicherten, der auf Grund der Umsiedlung seiner Eltern und Großeltern während des Zweiten Weltkriegs als Vertriebener anerkannt ist, können keine Versicherungszeiten nach dem FRG festgestellt werden, wenn diese nach dem maßgeblichen Vertreibungsvorgang der Umsiedlung zurückgelegt wurden (Fortführung von BSG vom 6.12.1979 – GS 1/79 = BSGE 49, 175 = SozR 5050 § 15 Nr 13).
Normenkette
SGB VI § 55 Abs. 1 S. 2, § 149 Abs. 5; FRG § 1 Buchst. a, §§ 14-16; BVFG § 1 Abs. 2 Nr. 2, §§ 4, 7 Fassung: 1971-09-03, § 15 Abs. 1 S. 1, § 27 Fassung: 2004-07-30, § 100 Abs. 2 Fassung: 1993-06-02
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. März 2005 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 12. November 2002 zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Feststellung von Versicherungszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG).
Der am 10. März 1960 in Usbekistan (damals noch Gliedstaat der UdSSR) geborene Kläger reiste im Januar 1997 aus Sibirien kommend in Deutschland ein. Er ist im Besitz einer Einbürgerungsurkunde seiner Eltern vom 23. September 1944, eines (vom Generalkonsulat in Nowosibirsk ausgestellten) deutschen Passes vom 6. Juni 1996 sowie eines Ausweises über die deutsche Staatsangehörigkeit vom 13. Juni 1996.
Mit dem im Dezember 1997 gestellten Antrag auf Kontenklärung legte der Kläger das Arbeitsbuch vor, das Beschäftigungszeiten vom 21. August 1978 bis 8. Januar 1997 enthält. Weiter gab er an, kein Spätaussiedler zu sein und weder einen Registrierschein noch eine Spätaussiedlerbescheinigung zu besitzen. Er sei jedoch als Vertriebener “zuspruchsberechtigt” nach dem FRG.
Auf Veranlassung der Beklagten bescheinigte das Landratsamt des Alb-Donau-Kreises als Vertriebenenbehörde, dass der Kläger “Vertriebener im Sinne des § 1 Abs 2 Nr 2 BVFG (Umsiedler)” sei. Mit Bescheid vom 8. Februar 1999 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Zeit vom 21. August 1978 bis zum 8. Januar 1997 als Beitrags- bzw Beschäftigungszeit ab, weil die persönlichen Voraussetzungen des § 1 FRG nicht vorlägen. Für Personen, die nach dem 31. Dezember 1992 in das Bundesgebiet zugezogen seien, sei für die Zugehörigkeit zu § 1 Buchst a FRG ausschließlich die Spätaussiedlereigenschaft maßgeblich.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch berief sich der Kläger darauf, die eingeholte Bescheinigung des Landratsamts sei für die Beklagte verbindlich. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 1999 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte hierbei ergänzend aus, eine Bescheinigung nach § 100 Abs 2 Satz 3 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) sei unerheblich, wenn bei Umsiedlern im Sinne des BVFG nicht parallel dazu auch die Spätaussiedlereigenschaft vorliege.
Das Sozialgericht Ulm (SG) hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen, nachdem es eine weitere Auskunft des Landratsamts des Alb-Donau-Kreises vom 5. September 2002 eingeholt hatte, wonach die Eltern des Klägers im Jahre 1944 den Status von Umsiedlern nach § 1 Abs 2 Nr 2 BVFG erlangt hätten und der Kläger diesen vertriebenenrechtlichen Status der Eltern im Wege der Ableitung gemäß § 7 BVFG in der bis Ende 1992 geltenden Fassung (aF) erworben habe; durch Erlass des Regierungspräsidiums vom 16. Dezember 2000 sei inzwischen klargestellt worden, dass für den nach dem 31. Dezember 1992 eingereisten Personenkreis iS von § 1 Abs 2 Nr 2 iVm § 7 BVFG aF eine Bescheinigung nach § 100 Abs 2 BVFG in der jetzt geltenden neuen Fassung (nF) nicht mehr erteilt werden könne.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit Urteil vom 16. März 2005 den angefochtenen Bescheid vom 8. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Juli 1999 und das Urteil des SG vom 12. November 2002 aufgehoben und die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, die Zeiten nach dem FRG festzustellen.
Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger gehöre zu dem vom FRG erfassten Personenkreis. Er sei zwar kein Spätaussiedler iS des § 4 BVFG, was er auch selbst einräume. Doch sei er anerkannter Vertriebener nach § 1 Abs 2 Nr 2 BVFG (Umsiedler), wie das zuständige Landratsamt als Vertriebenenbehörde festgestellt habe. Diese Feststellung der Vertriebeneneigenschaft sei für die Beklagte bindend. Zwar werde nach der Neuregelung in § 100 Abs 2 Satz 3 BVFG die Vertriebeneneigenschaft nur auf Ersuchen der Leistungsbehörde von der Vertriebenenbehörde festgestellt; an der generellen Zuständigkeit der Vertriebenenbehörde, die Vertriebeneneigenschaft verbindlich festzustellen, habe sich jedoch nichts geändert. Diese Bindung an die Feststellung der Vertriebenenbehörde habe im Sinne einer Tatbestandswirkung zur Folge, dass weder die Beklagte noch die Sozialgerichte eigenständig prüfen und entscheiden könnten, ob die Vertriebeneneigenschaft gegeben sei. Diese Bindungswirkung gelte für die Statusfeststellung sowohl in negativer als auch in positiver Hinsicht.
Als anerkannter Vertriebener iS des § 1 Buchst a FRG habe der Kläger daher dem Grunde nach Anspruch auf Vormerkung seiner Beitrags- und Beschäftigungszeiten iS der §§ 15, 16 FRG.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§§ 15, 16 FRG) und führt zur Begründung im Wesentlichen aus: Das LSG habe zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Vormerkung seiner Beitrags- und Beschäftigungszeiten iS der §§ 15, 16 FRG bejaht. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der Kläger zum Personenkreis des § 1 Buchst a FRG gehöre, so könnten FRG-Zeiten nur bis zum maßgeblichen Vertreibungstatbestand der Umsiedlung – hier in den Warthegau – anerkannt werden. Der Kläger sei aber erst danach geboren und habe den Umsiedlerstatus im Wege der Ableitung erworben. Beitragszeiten könnten längstens bis zum Zeitpunkt der Vertreibung gleichgestellt werden. Zwar enthalte § 15 FRG anders als der Wortlaut des § 16 FRG keine ausdrückliche Einschränkung auf Anerkennung von Beitragszeiten “vor der Vertreibung”, doch ergebe sich dies aus der Neuregelung des § 15 Abs 3 Satz 3 Buchst b FRG und habe schon stets dem Sinn und Zweck der Vorschrift entsprochen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. März 2005 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 12. November 2002 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, die Beklagte versuche, einen Rechtsstreit einzuführen, der an anderer Stelle geführt werden müsse. Die Beklagte sei nur dem Grunde nach zur Feststellung der Zeiten nach dem FRG verurteilt worden, über die einzelnen Zeiten könne später noch gestritten werden.
Im Übrigen regele § 1 FRG, welcher Personenkreis Leistungen erhalte, treffe aber keine Regelung darüber, ab wann Zeiten anerkannt würden. Nach § 15 FRG seien ausländische Beitragszeiten den deutschen gleichgestellt, und zwar unabhängig davon, wann sie entstanden seien. Eine zeitliche Beschränkung auf die Zeit vor der Vertreibung oder gar vor der Umsiedlung lasse sich der Norm nicht entnehmen; im Gegenteil ergebe § 15 FRG, dass die Zeiten nach der Vertreibung rentenrechtliche Anerkennung fänden. Wäre die Auffassung der Beklagten zutreffend, könnte sie sich jeder Rentenzahlung an Vertriebene, Umsiedler und Aussiedler entziehen. Der Gesetzgeber wolle aber eine rentenrechtliche Absicherung der Vertriebenen. Die Beklagte verwechsele die Umsiedlung iS von § 1 Abs 2 Nr 2 BVFG mit einem Vertreibungstatbestand. Es komme auf den Zeitpunkt der erstmaligen Einreise in den Geltungsbereich des BVFG und FRG sowie die Statusentstehung an. Aus § 15 Abs 1 Satz 1 FRG ergebe sich iVm § 1 FRG, dass alle Beitragszeiten bis zur erstmaligen Einreise und endgültigen Wohnsitzbegründung im Bundesgebiet zu berücksichtigen seien. Alles andere widerspreche dem Eingliederungsgedanken des FRG.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das LSG hat zu Unrecht das erstinstanzliche Urteil und den angefochtenen Bescheid vom 8. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Juli 1999 aufgehoben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung von Versicherungszeiten, die er in seinem Herkunftsland in der Zeit von 1978 bis zu seiner Einreise in das Bundesgebiet im Jahre 1997 zurückgelegt hat, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für eine derartige Feststellung nicht vorliegen.
Der erkennende Senat ist nicht an einer Sachentscheidung gehindert, obwohl die Beklagte sich im Revisionsverfahren letztlich nicht gegen die rechtlichen Ausführungen des LSG wendet, sondern ihre Ablehnung der Feststellung von Versicherungszeiten nunmehr auf eine andere rechtliche Grundlage stützt. Während in den Vorinstanzen allein in Streit stand, ob der Kläger zum berechtigten Personenkreis im Sinne des FRG zu zählen ist, rügt die Beklagte mit ihrer Revision nur, dass die Feststellung von Fremdrentenzeiten ausgeschlossen sei, weil selbst bei unterstellter Zugehörigkeit zu dem FRG-Personenkreis die Voraussetzungen der §§ 15, 16 FRG nicht gegeben seien und aus diesem Grund der Anspruch des Klägers auf Feststellung von Versicherungszeiten zu verneinen sei.
Hierin liegt kein unzulässiges Nachschieben von Gründen bzw kein unzulässiger Austausch der Rechtsgrundlage (dazu vgl BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3 jeweils RdNr 14; BSGE 87, 8, 12 f = SozR 3-4100 § 152 Nr 9 S 31 f mwN), soweit dieser Gesichtspunkt auch bei Verpflichtungsklagen beachtlich sein sollte (dafür Castendiek in Lüdtke, SGG, 2. Aufl 2006, § 54 RdNr 79; aA Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 54 RdNr 36). Mit dem Abstellen (auch) auf die Voraussetzungen der §§ 15, 16 FRG wird der angefochtene Bescheid nicht auf eine andere Tatsachen- oder Rechtsgrundlage gestellt. Die vom Kläger begehrte Feststellung von Versicherungszeiten setzt neben der Zugehörigkeit zum begünstigten Personenkreis notwendig die Erfüllung der Voraussetzungen der §§ 15, 16 FRG voraus. Hierzu waren nach der ursprünglichen Ansicht der Beklagten lediglich keine Ausführungen erforderlich, weil bereits die Grundvoraussetzung der Zugehörigkeit zum FRG-Personenkreis verneint worden war. Nachdem das LSG diese Grundvoraussetzung jedoch bejaht hat, hätte das Berufungsgericht auch prüfen müssen, ob die weiteren rechtlichen Voraussetzungen für die ausgesprochene Verurteilung der Beklagten zur Feststellung von Versicherungszeiten nach dem FRG – dem Grunde nach – vorlagen. Allein der Umstand, dass das LSG hierzu keine Aussagen gemacht hat, hindert die Beklagte nicht, sich im Revisionsverfahren auf das Fehlen dieser weiteren Anspruchsvoraussetzungen zu berufen. Weder die tatsächlichen Grundlagen noch der Regelungsgehalt des angefochtenen Bescheids erfahren hierdurch eine Änderung.
Insbesondere ist durch die Berufung der Beklagten auf die fehlenden Voraussetzungen der §§ 15, 16 FRG der Regelungsumfang des angefochtenen Bescheids nicht erweitert worden. Die allein nach diesen Vorschriften mögliche Feststellung der streitigen Versicherungszeiten bildet den eigentlichen Streitgegenstand, in dessen Rahmen über die Frage der Berechtigung nach dem FRG nur als Vorfrage zu entscheiden ist. Ebenso wenig ist durch das Revisionsvorbringen die Rechtsverteidigung des Klägers in unzulässiger Weise erschwert oder beeinträchtigt worden. Dem Kläger ging es von Beginn des Verfahrens an darum, die in der früheren UdSSR bzw in Usbekistan zurückgelegten Versicherungszeiten feststellen zu lassen; ein allein um die Frage geführter Rechtsstreit, ob er dem berechtigten Personenkreis des § 1 FRG zugehört, war weder das Ziel des Klägers noch hätte ein solcher Rechtsstreit zulässig geführt werden können, weil es sich insoweit nur um ein Element des streitigen Anspruchs, also um eine so genannte Zwischenfeststellung gehandelt hätte (vgl § 130 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Auch das LSG ist ersichtlich nicht davon ausgegangen, im Rahmen einer Zwischenfeststellungsklage nur über das Bestehen eines Rechtsverhältnisses (des Vertriebenenstatus) entschieden zu haben. Es hat lediglich angenommen, mit der Feststellung der Vertriebeneneigenschaft seien bereits alle Voraussetzungen für eine Feststellung der streitigen Versicherungszeiten dem Grunde nach gegeben. Allerdings hat das LSG übersehen, dass eine Verurteilung zur Feststellung von Versicherungszeiten selbst dem Grunde nach allenfalls möglich ist, wenn feststeht, dass überhaupt Versicherungszeiten festzustellen sind und nur über deren Bewertung noch eine Verwaltungsentscheidung zu ergehen hat. Ergibt sich jedoch auf Grund des festgestellten Sachverhalts, dass keine der streitigen Versicherungszeiten festzustellen sind, so ist für den Erlass eines Grundurteils unabhängig davon kein Raum, dass ein solches für eine Verpflichtungsklage nach dem Wortlaut des § 130 Abs 1 SGG nicht vorgesehen ist. Mit dem Revisionsvorbringen musste und konnte sich der Kläger somit auseinandersetzen, da es sich insoweit nur um die erstmals vollständige rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts handelt, zu deren Vorbringen bis zum Urteil des LSG nicht unbedingt Veranlassung bestanden hatte.
Die materiell-rechtliche Grundlage für das Begehren des Klägers findet sich in § 149 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Nach § 149 Abs 1 und 2 SGB VI führt der Träger der Rentenversicherung für jeden Versicherten ein Versicherungskonto, in dem die Daten zu speichern sind, die für die Durchführung der Versicherung sowie die Feststellung und Erbringung von Leistungen einschließlich der Rentenauskunft erforderlich sind. Nach § 149 Abs 5 SGB VI stellt der Versicherungsträger die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten durch Bescheid fest, wobei über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten erst bei der Feststellung einer Leistung entschieden wird. Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid zu Recht die Feststellung der vom Kläger geltend gemachten Versicherungszeiten abgelehnt.
Da der Kläger während des hier allein streitigen Zeitraums keine Versicherungszeiten in Deutschland zu einem deutschen Versicherungsträger iS von §§ 54, 55 SGB VI zurückgelegt hat, kommt vorliegend nur eine Anerkennung dieser Zeiten in Betracht, wenn diese nach §§ 14, 15, 16 FRG iVm § 55 Abs 1 Satz 2 SGB VI zu berücksichtigen wären. Hiervon gehen auch die Beteiligten aus. Die Beklagte hat zu Recht die Feststellung von Versicherungszeiten nach dem FRG abgelehnt. Der Kläger hat nach den getroffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG keine Versicherungszeiten aufzuweisen, die nach dem FRG in der deutschen Rentenversicherung zu berücksichtigen wären.
Voraussetzung für die Feststellung von Versicherungszeiten nach dem FRG ist, dass der Betroffene zu dem vom FRG begünstigten Personenkreis gehört. Nach § 1 Buchst a FRG findet das FRG Anwendung auf Vertriebene iS des § 1 BVFG sowie auf Spätaussiedler iS des § 4 BVFG nF, die als solche in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt sind.
Zu den Vertriebenen des § 1 BVFG gehört nach dessen Abs 2 Nr 2 auch, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger auf Grund der während des Zweiten Weltkriegs geschlossenen zwischenstaatlichen Verträge aus außerdeutschen Gebieten oder während des gleichen Zeitraums auf Grund von Maßnahmen deutscher Dienststellen aus den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten umgesiedelt worden ist (Umsiedler). Laut der vom Landratsamt des Alb-Donau-Kreises als der zuständigen Behörde auf Anfrage der Beklagten ausgestellten Bescheinigung ist der Kläger Umsiedler im Wege der Ableitung nach § 7 BVFG aF.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass diese Bescheinigung die Beklagte bindet. Da der Kläger erst nach dem 31. Dezember 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist, wird die Vertriebenen- oder Flüchtlingseigenschaft nur noch auf Ersuchen einer Behörde festgestellt, die für die Gewährung von Rechten und von Vergünstigungen an Vertriebene oder Flüchtlinge zuständig ist (§ 100 Abs 2 Satz 3 BVFG nF). Entsprechend dieser Vorschrift ist die Beklagte auch vorgegangen.
Es bedarf keiner Erörterung, ob bzw welche Möglichkeiten einem Rentenversicherungsträger gegeben sind, wenn er die in der Bescheinigung gemäß § 100 Abs 2 Satz 3 BVFG nF zu Gunsten des Versicherten getroffene Statusfeststellung für unzutreffend hält, und inwiefern die Sozialgerichte die Entscheidung der Vertriebenenbehörde in einem solchen Fall zu überprüfen haben (zum Rechtsschutz des Betroffenen gegen eine ihm ungünstige Statusentscheidung vgl Senatsurteil vom 21. März 2006 – B 5 RJ 54/04 R – zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Jedenfalls sind im Falle des Klägers Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Feststellung nicht erkennbar. Die Beklagte hat zu keiner Zeit den von der Vertriebenenbehörde bescheinigten Status des Klägers als Vertriebener iS des § 1 Abs 2 Nr 2 BVFG (Umsiedler) angezweifelt, sondern lediglich den Schluss gezogen, dass der Kläger aus diesem Status keine Rechte nach dem FRG herleiten könne, weil er nicht parallel dazu den Status eines Spätaussiedlers habe. Auch mit ihrer Revision wendet sich die Beklagte nicht gegen die Statusfeststellung als solche. Unabhängig davon wären denkbare Zweifel und die Zulässigkeit ihrer Überprüfung im sozialgerichtlichen Verfahren für die Entscheidung unerheblich. Wird – wie im Folgenden – der Vertriebenenstatus des Klägers entsprechend der vom Landratsamt des Alb-Donau-Kreises erteilten Bescheinigung unterstellt, gehört der Kläger entgegen der von der Beklagten in den Vorinstanzen vertretenen Auffassung als Umsiedler auf Grund des § 1 Abs 2 Nr 2 BVFG sowie des nach § 100 Abs 1 BVFG nF weiterhin anwendbaren § 7 BVFG aF zwar zum Personenkreis des § 1 Buchst a FRG; er hat aber keinen Anspruch auf die Feststellung der hier in Rede stehenden Versicherungszeiten.
Entgegen seiner Auffassung und derjenigen der Vorinstanz ist mit der Feststellung der Vertriebeneneigenschaft allein noch nicht der Anspruch auf Feststellung von Versicherungszeiten begründet. Ob und ggf welche Versicherungszeiten festzustellen sind, richtet sich nach den §§ 15, 16 FRG. Nach § 15 Abs 1 Satz 1 FRG stehen Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich.
Dem Kläger ist zuzugeben, dass allein dem Wortlaut dieser Vorschrift keine zeitliche Beschränkung auf bestimmte Zeiträume zu entnehmen ist, in denen die Beitragszeiten im Herkunftsgebiet zurückgelegt worden sein müssen. Insbesondere fehlt in § 15 FRG die in § 16 Abs 1 FRG vorhandene Einschränkung, dass nur solche Zeiten den Bundesgebietszeiten gleichstehen, die vor der Vertreibung zurückgelegt wurden. Gleichwohl muss nach der Systematik sowie nach dem Sinn und Zweck des Fremdrentenrechts diese Einschränkung auch für die im Herkunftsgebiet zurückgelegten Beitragszeiten gelten.
Unabhängig davon, ob man eher den Entschädigungs- oder (wie seit 1960) den Eingliederungscharakter des Fremdrentenrechts betont, war und ist es immer noch dessen Grundanliegen, Nachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung von Personen abzuwehren, denen die Realisierung ihrer in der früheren Heimat erarbeiteten Rentenanwartschaften von Deutschland aus abgeschnitten ist. Da derartige Nachteile alle Rentenversicherten gleich treffen, die außerhalb der Geltung von Sozialversicherungsabkommen und anderem internationalen Recht im Ausland beschäftigt waren, muss die Begünstigung durch das FRG auf die Fälle beschränkt sein, in denen der dargestellte Verlust von ausländischen Rentenanwartschaften durch einen Vertreibungstatbestand verursacht wird – andernfalls wäre die unterschiedliche Behandlung von Rentenversicherungszeiten im vertragslosen Ausland je nach dem, ob sie von vertriebenen oder nicht vertriebenen Versicherten zurückgelegt wurden, sachlich kaum zu rechtfertigen (in diesem Sinne bereits BSGE 49, 175, 190 = SozR 5050 § 15 Nr 13 S 48). Infolgedessen wird in § 16 FRG ein Grundgedanke ausgedrückt, der auch für die Auslegung des § 15 FRG maßgeblich sein muss (BSGE 49, 175, 189 = SozR 5050 § 15 Nr 13 S 47). Dementsprechend sind nicht jegliche Versicherungszeiten im Herkunftsgebiet allein mit Rücksicht auf die Vertriebeneneigenschaft, sondern nur diejenigen zu Grunde zu legen, die vor der Vertreibung zurückgelegt wurden (BSGE 80, 186, 190 = SozR 3-7140 § 1 Nr 1 S 6 mwN; BSGE 49, 175, 189 f = SozR 5050 § 15 Nr 13 S 47 f). Mit dem Ende der Vertreibung bleibt der Betroffene zwar Vertriebener, aber der durch das Vertriebenenschicksal erlittene rentenversicherungsrechtliche Nachteil kann sich nicht mehr verschlimmern.
Ausgehend von diesen Überlegungen hat auch die Rechtsprechung wiederholt entschieden, dass Zeiten nach dem FRG nicht festzustellen sind, wenn die in Rede stehenden Versicherungszeiten im Herkunftsgebiet nach dem jeweils maßgeblichen Vertreibungsvorgang zurückgelegt wurden. War die Vertreibung bereits abgeschlossen, konnten die nachfolgenden Zeiten nach den Vorschriften des FRG nicht mehr den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichgestellt werden (BSGE 41, 257 = SozR 5050 § 15 Nr 5; BSG SozR 5050 § 15 Nr 34; so auch VerbandsKomm, § 1 FRG Anm 6; § 15 FRG Anm 6; Hoernigk/Wickenhagen, FRG, Stand: Juli 1988, § 15 Abs 1 FRG S 162/6).
Die Anwendung dieser Grundsätze führt dazu, dass für den Kläger keine Versicherungszeiten nach dem FRG festzustellen sind. Die Umsiedlung ist vorliegend der maßgebliche Vertreibungsvorgang, auch wenn sie lange vor der Geburt des Klägers stattfand, denn sie hat dessen Vertriebenenstatus begründet. Dieser beruht somit auf der Umsiedlung der Großeltern und Eltern des Klägers aus der damaligen UdSSR in das Wartheland im Rahmen der nationalsozialistischen Besiedlungspolitik während des Zweiten Weltkriegs, wie sich aus der in den Akten befindlichen Auskunft des Landratsamts Alb-Donau-Kreis ergibt. Die Anerkennung des Umsiedlerstatus der Familie des Klägers hätte den beiden ersten Umsiedlergenerationen die Möglichkeit eröffnet, die vor der Umsiedlung erworbenen Versicherungszeiten aus der UdSSR über das FRG als in der deutschen Rentenversicherung zu berücksichtigende Versicherungszeiten zu erhalten, wenn sie nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs in den Geltungsbereich des FRG gelangt wären. Allerdings dürfte dies bereits bei den Eltern des Klägers als der zweiten Umsiedlergeneration so gut wie ausgeschlossen gewesen sein, da diese im Zeitpunkt der Umsiedlung noch im Kindesalter waren und durch die Umsiedlung keinen Verlust an rentenrechtlichen Zeiten erlitten haben konnten. Die nach dem Krieg erfolgte Rückführung bzw Deportation der Familie des Klägers in das Gebiet der damaligen UdSSR ist demgegenüber ebenso wenig wie die Einreise und Wohnsitzverlegung des Klägers selbst nach Deutschland der für die Erlangung des Vertriebenenstatus maßgebliche Umsiedlungstatbestand.
Dieses rentenrechtliche Ergebnis entspricht den Wertungen des Vertriebenenrechts für Umsiedler. Wie sich aus dem dargestellten familiären Werdegang und der Auskunft des Landratsamts ergibt, leitet der Kläger seinen Vertriebenenstatus nach § 7 BVFG aF lediglich von demjenigen seiner in das Wartheland umgesiedelten Eltern und Großeltern ab. Durch die genannte Vorschrift wird kein zusätzlicher Vertriebenenstatus geschaffen, sondern ein bereits in der Vorgeneration entstandener Status weitergegeben (von Schenckendorff, Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht B 1, § 7 BVFG Anm 2; BVerwG Buchholz 412.3 § 7 BVFG Nr 5 S 3 f mwN). Diesem Grundkonzept würde es widersprechen, wenn der Kläger aus seiner Vertriebeneneigenschaft mehr Rechte erlangen könnte, als diejenigen Personen, von denen er seinen Status ableitet. Infolgedessen ist es konsequent, dass er allenfalls dann Anspruch auf rentenrechtlichen Ausgleich hätte, wenn sich von seinen Großeltern oder Eltern vor der Umsiedlung erlittene rentenrechtliche Einbußen auf seine eigenen Rentenansprüche auswirken würden.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, der Vertriebenenstatus werde im Grunde erst mit dem Zuzug in die Bundesrepublik erworben, weil Rechte und Vergünstigungen erst mit diesem Zeitpunkt entstünden, sodass der mit dem Zuzug verbundene Verlust von Rechten ebenfalls ausgeglichen werden müsse. In den Fällen des § 7 BVFG aF entsteht der Vertriebenenstatus nach dem eindeutigen Wortlaut durch Geburt. Von der Erlangung des Status, der grundsätzlich nicht wieder verloren geht (BVerwG Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr 51 S 9 mwN), ist der Erwerb der Betreuungsberechtigung auf Grund dieses Status zu trennen. Der Umsiedlungstatbestand ist mit der Aufgabe des Wohnsitzes im ursprünglichen Herkunftsgebiet verwirklicht (von Schenckendorff, aaO B 1, § 1 BVFG Anm 8; BayVGH vom 3. November 1997 – 24 B 94.2596). Nur die Betreuungsberechtigung setzt zusätzlich die Ankunft des Umsiedlers im Bundesgebiet voraus, die ihrerseits weder am Vertreibungstatbestand Umsiedlung etwas ändert noch ihn – etwa iS eines letzten Teilakts – vollendet. Die mit der Einreise ermöglichte Anerkennung als Vertriebener hat ausschließlich deklaratorischen Charakter (Häußer, DÖV 1990, 919 f; von Schenckendorff, aaO B 1, § 15 BVFG Anm 1). Beim Kläger war der Vertreibungstatbestand der Umsiedlung bereits viele Jahre vor der Geburt realisiert worden; die letztendliche Wohnsitznahme in Deutschland erlaubte lediglich die Anmeldung und Geltendmachung der auf Grund des früheren Vertreibungsschicksals bereits entstandenen Rechte. Der Ausgleich für den Ausfall der lange nach der Umsiedlung vom Kläger zurückgelegten Versicherungszeiten gehört nicht dazu.
Soweit der Kläger gegen dieses Ergebnis vorbringt, dass damit seine Anerkennung als Vertriebener – rentenrechtlich – sozusagen “leerlaufe”, trifft dies zwar zu (so auch LVA-Praxis in Mitteilungen der Bayerischen Landesversicherungsanstalten 2005, 132), ist aber die zwangsläufige Folge eines Erwerbs des Vertriebenenstatus durch Geburt viele Jahre nach dem Vertreibungstatbestand. Auch außerhalb des Rentenrechts hat der durch Ableitung erworbene Vertriebenenstatus schon in der Vergangenheit keine nennenswerten Leistungen gemäß §§ 9 ff BVFG aF mehr nach sich gezogen, sondern einen stark ideellen Hintergrund besessen (von Schenckendorff, aaO B 1, § 7 BVFG Anm 1 S 112/2). Der geschilderte Effekt beruht auf der dargestellten rechtlichen Trennung zwischen Statuserwerb einerseits und den daraus fließenden Berechtigungen andererseits. Aus dieser Beobachtung könnte allenfalls der Schluss gezogen werden, der Statuserwerb durch Geburt sei insbesondere in den Fällen der Umsiedlung historisch überholt; ein Grund für eine Ausdehnung der im jeweiligen Leistungsrecht vorgesehenen Ansprüche lässt sich daraus nicht ableiten.
Im Ergebnis käme eine Berücksichtigung der geltend gemachten Zeiten für den Kläger nur in Betracht, wenn er parallel zu seinem Status als Umsiedler einen weiteren, neueren Status als Vertriebener (Aussiedler) bzw Spätaussiedler erlangt hätte. Abgesehen davon, dass er selbst nicht behauptet, (auch) Spätaussiedler iS von § 4 BVFG nF zu sein, braucht dieser Frage im jetzigen Prozess nicht weiter nachgegangen zu werden. Allerdings ist der Erwerb eines mehrfachen Vertriebenenstatus einerseits als Umsiedler und andererseits als Spätaussiedler im Sinne einer so genannten Mehrfachvertreibung nicht ausgeschlossen (vgl BSGE 80, 186, 191 = SozR 3-7140 § 1 Nr 1 S 6 f mwN; BVerwG Buchholz 412.3 § 7 BVFG Nr 5 S 3). Der Kläger besitzt jedoch keine Bescheinigung nach § 15 BVFG nF, die alleine zum Nachweis der Spätaussiedlereigenschaft geeignet wäre (BSG vom 26. Januar 2000 – B 13 RJ 39/98 R – Juris RdNr 20 f mwN).
Soweit die Beklagte ergänzend auf § 27 Abs 2 BVFG nF verweist, ist im anhängigen Verfahren nicht zu entscheiden, ob dem Kläger diese Möglichkeit offen steht. Nach der genannten Vorschrift kann Personen, die sich – wie der Kläger – ohne Aufnahmebescheid im Geltungsbereich des Gesetzes aufhalten, ein Aufnahmebescheid erteilt oder es kann die Eintragung nach Abs 1 Satz 2 derselben Vorschrift nachgeholt werden, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen (Näheres zu den Voraussetzungen des § 27 Abs 2 BVFG nF Thiel/Berresheim, ZfSH/SGB 1990, 640, 647 ff). Eine Entscheidung nach § 27 Abs 2 BVFG nF würde jedoch zunächst nichts daran ändern, dass die Feststellung von Versicherungszeiten am fehlenden Nachweis der Spätaussiedlereigenschaft des Klägers scheitern muss. Denn die Erteilung eines Aufnahmebescheids stellt nur eine Vorstufe für die Anerkennung als Spätaussiedler dar, die ihrerseits lediglich unter weiteren Voraussetzungen erworben werden kann (vgl LVA-Praxis, aaO, 136). Anders als das von Amts wegen durchzuführende Anfrageverfahren gemäß § 100 Abs 2 Satz 3 BVFG nF, das überdies unmittelbar auf die Feststellung der Vertriebenen- oder Flüchtlingseigenschaft und somit auf die Klärung des entscheidungserheblichen Status gerichtet ist, verlangt § 27 BVFG nF sowohl für die Erteilung eines Aufnahmebescheids als auch für die Eintragung einen Antrag. Weder für die Beklagte noch für das Gericht ist jedoch eine Befugnis erkennbar, an Stelle des Berechtigten den erforderlichen Antrag zu stellen. Ob ein Verfahren nach § 27 Abs 2 BVFG nF, das bislang nicht anhängig ist, jemals eingeleitet werden wird, ist daher offen. Unter diesen Umständen ist der Gesichtspunkt des § 27 Abs 2 BVFG nF weder im jetzigen Rechtsstreit zu prüfen, noch bietet er Anlass zur Aussetzung des Gerichtsverfahrens wegen vorgreiflicher Feststellung eines Rechtsverhältnisses (§ 114 Abs 2 SGG).
Da das LSG die Beklagte zu Unrecht zur Feststellung von Versicherungszeiten verurteilt hat, war das angefochtene Urteil aufzuheben und das erstinstanzliche, die Klage abweisende Urteil wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1720589 |
NZS 2007, 542 |
SGb 2006, 736 |
NJOZ 2007, 4427 |